Kostenbeteiligung zu einer Eingliederungshilfe
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rechtsfrage zu ausgelaufenem Recht
Gründe
I
Im Streit ist, in welcher Höhe der Kläger für die seiner Ehefrau in der Zeit vom 3.8.2012 bis zum 29.2.2016 gewährte Eingliederungshilfe
zu einer Kostenbeteiligung herangezogen werden kann.
Der Beklagte gewährte der Ehefrau des Klägers ua vom 3.8.2012 bis zum 29.2.2016 in verschiedenen stationären Einrichtungen
der Eingliederungshilfe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und zog den Kläger für den genannten Zeitraum zu einer Kostenbeteiligung heran (zuletzt iHv 58.743,58 Euro; Bescheid vom 9.4.2013; Teilabhilfebescheide vom 9.4.2015 und 16.7.2015; Widerspruchsbescheid
der Regierung von Oberbayern vom 26.8.2016). Die Klage, mit der der Kläger die Herabsetzung der Kostenbeteiligung auf den von ihm im Fall einer Trennung geschuldeten
Unterhalt (monatlich 1055 Euro) begehrt hat, ist teilweise erfolgreich gewesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat
das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) München vom 11.7.2019 abgeändert, die Kostenbeteiligung für einzelne Monate herabgesetzt (neue Kostenbeteiligung insgesamt
56.936,38 Euro) und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 4.2.2021). Zur Begründung hat es ua ausgeführt, dass die Höhe der sozialhilferechtlichen Kostenbeteiligung grundsätzlich unabhängig
von unterhaltsrechtlichen Grundsätzen zu bemessen sei.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das bezeichnete Urteil macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung
der Sache und Divergenz geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
(§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) noch eine Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung
der ehrenamtlichen Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger macht geltend, dass die Rechtsfrage grundsätzlich bedeutsam sei, ob es bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen
an einen außerhalb des ehelichen Haushalts lebenden Hilfeempfänger zur Vermeidung einer verfassungswidrigen wirtschaftlichen
Benachteiligung der intakten Ehe geboten sei, den von dem im Haushalt verbliebenen, erwerbstätigen Ehegatten sozialhilferechtlich
zu erbringenden Kostenbeitrag in Anbetracht der faktischen räumlichen Trennung auf den Betrag zu begrenzen, der im Falle der
rechtlichen Trennung als Ehegattentrennungsunterhalt nach bürgerlichem Recht zu leisten wäre. Dies entspreche der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Unterhaltsrecht (vgl BGH vom 27.4.2016 - XII ZB 485/14 - BGHZ 210, 124 = FamRZ 2016, 1142 mit Anm Schürmann, jurisPR-FamR 19/2016 Anm 4; Doering-Striening, FamRB 2018, 162).
Es fehlen aber vor dem Hintergrund der umfangreichen Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung
von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz <BTHG> vom 23.12.2016, BGBl I 3234) mWv 1.1.2020 Darlegungen dazu, weshalb diese Rechtsfrage weiterhin von grundsätzlicher Bedeutung ist. Solcher Darlegungen
hätte es bedurft; denn mit dem BTHG sind zum einen die Regelungen der §§ 92, 92a SGB XII, deren Anwendbarkeit hier umstritten ist, neu gefasst worden. Zum anderen ist die Eingliederungshilfe aus dem SGB XII nach Teil 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - (
SGB IX) überführt worden. In Teil 2 des
SGB IX ist nunmehr neu und eigenständig ein Beitrag des Leistungsberechtigten selbst bzw die Berücksichtigung von seinem Einkommen
und Vermögen geregelt. §
92 SGB IX iVm §§
136 ff
SGB IX enthält im Sinne eines "grundlegenden Systemwechsels" (BT-Drucks 18/9522, S 301) wesentliche Änderungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Eingliederungshilfe im Verhältnis zum bisherigen System. Der
Kostenbeitrag richtet sich allein nach der finanziellen Situation des Leistungsberechtigten selbst (§
92 SGB IX, §§
136 ff
SGB IX, vgl BT-Drucks 18/9522, S 272, 302 f; Zinsmeister/Shafaei in Dau/Düwell/Joussen/Luik,
SGB IX, 6. Aufl 2022, §§
135-
138 RdNr 1). Partnereinkommen wird nicht (etwa im Wege eines Kostenbeitrags) berücksichtigt (Bieritz-Harder in Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Aufl 2022, S 502 RdNr 23), sondern spielt nur eine Rolle bei der Ermittlung der Höhe des Kostenbeitrags des Leistungsberechtigten bzw seiner Freibeträge
(vgl §
136 Abs
3,
4 SGB IX; vgl dazu v Boetticher, Das neue Teilhaberecht, 2. Aufl 2020, S 367 RdNr 166). Der Eigenbeitrag ist von der zu erbringenden Leistung abzuziehen (§
137 Abs
3 SGB IX); der Gesetzgeber hat sich damit vom Bruttoprinzip des § 92 SGB XII aF abgewandt (vgl Rosenow in Fuchs/Ritz/Rosenow,
SGB IX, 7. Aufl 2021, §
137 RdNr 39 f; Kuhn-Zuber, Stichwort "Eigenbeitrag" in Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3.
Aufl 2022, S 493 RdNr 8).
Betrifft die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage aber ausgelaufenes oder auslaufendes Recht, besteht in aller Regel
kein Bedürfnis mehr, diese Frage höchstrichterlich zu klären (vgl BSG vom 21.6.2011 - B 4 AS 14/11 B - RdNr 5; BSG vom 26.4.2007 - B 12 R 15/06 B - RdNr 9; BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19). Im Falle ausgelaufenen Rechts ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache allenfalls dann gegeben, wenn noch eine
erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des alten Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm
bzw ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat, namentlich wegen einer weitgehenden Übereinstimmung
mit dem neuen Recht (BSG vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - RdNr 32; BSG vom 16.12.2009 - B 6 KA 13/09 B - RdNr 7; BSG vom 22.3.2006 - B 6 KA 46/05 B - RdNr 7; BSG vom 20.6.2001 - B 10/14 KG 1/00 B - RdNr 1; BSG vom 31.3.1999 - B 7 AL 170/98 B - juris RdNr 8). Der Kläger hat nicht einmal behauptet, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Er hat weder vorgebracht, von den Neuregelungen
zum Kostenbeitrag nach §
92 SGB IX iVm §§
136 ff
SGB IX in vergleichbarer Weise wie nach bisherigem Recht betroffen zu sein, noch Ausführungen dazu gemacht, dass noch mehrere gleichartige
Streitfälle anhängig sind bzw die zu klärenden Fragen nachwirken.
Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) ist nicht in der gebotenen Weise bezeichnet worden. Wer eine Divergenz geltend machen will, muss entscheidungstragende abstrakte
Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) andererseits
gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. Erforderlich ist, dass das LSG bewusst
einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (sog Subsumtionsfehler; vgl zB BSG vom 9.1.2020 - B 8 SO 55/19 B - juris RdNr 6; BSG vom 16.7.2013 - B 8 SO 14/13 B - RdNr 6; BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger, der behauptet, das LSG sei von der Rechtsprechung
des BVerfG abgewichen (BVerfG vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3), hat schon keinen entscheidungstragenden Rechtssatz des LSG herausgearbeitet, der nach seinem Dafürhalten von einem entscheidungstragenden
Rechtssatz in der von ihm genannten Entscheidung des BVerfG abweicht, sondern trägt nur vor, dass sich das LSG zu Lasten des
Klägers zu weit von den ausfüllungsbedürftigen Maßstäben des BVerfG gelöst habe. Dabei übersieht er, dass eine Divergenz nicht
schon dann vorliegt, wenn das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb
das Recht fehlerhaft angewendet hat; die Frage, ob das LSG im Einzelfall richtig entschieden hat, kann die Revision nicht
eröffnen (vgl BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - juris RdNr 12 mwN).