Parallelentscheidung zu BSG B 8 SO 74/21 B v. 14.06.2022
Gründe
I
Im Streit steht die Zahlung höherer Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des
Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der 1963 geborene Kläger bewohnt seit 2008 eine Wohnung, in deren Badezimmer sich ein mit Strom betriebener Heizstrahler befindet.
Dem Kläger wurden vorläufig Leistungen nach dem Vierten Kapital des SGB XII für die Zeit vom 1.7.2017 bis zum 30.6.2018 bewilligt (Bescheid vom 15.6.2017). Der Antrag auf eine einmalige Beihilfe zur Finanzierung eines separaten Stromzählers lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 16.6.2017). Auch den Antrag auf laufende Strom- Heizkosten für den Heizstrahler im Bad lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 8.8.2017). Der Beklagte wies die gegen die Bescheide vom 15.6.2017 und 16.6.2017 gerichteten Widersprüche des Klägers als unbegründet
zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.1.2018). Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 8.8.2017 wies der Beklagte wegen doppelter Rechtshängigkeit ebenfalls zurück (Widerspruchsbescheid vom 27.7.2018). Gegen die Bescheide vom 15.6.2017 und 16.6.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.1.2018 erhob der Kläger Klage
(Az S 79 SO 105/18) in Form des Widerspruchsbescheids vom 27.7.2018 (Klage vom 13.8.2018 - Az S 92 SO 1129/18).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klagen unter dem Az S 92 SO 1129/18 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.8.2019). Der Kläger habe sinngemäß beantragt, den Bescheid vom 15.6.2017 in der Fassung (idF) des Bescheids vom 8.8.2018 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 27.7.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm höhere Leistungen der Grundsicherung
für den Zeitraum von Juli 2017 bis Juni 2018 unter Berücksichtigung der Stromkosten für seinen Heizstrahler im Bad zu bewilligen.
Diese Klage sei wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig, da der Kläger sich gegen die geltend gemachten höheren monatlichen
Leistungen unter Berücksichtigung von Stromkosten seines Heizstrahlers im Bad bereits im Verfahren S 88 SO 105/18 geltend
gemacht habe. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg durch Urteil
vom 17.2.2022 als unzulässig verworfen. Das SG habe die Berufung nicht zugelassen. Dessen unzutreffende Rechtsmittelbelehrung führe nicht zur Zulässigkeit. Der Wert des
Beschwerdegegenstands betrage höchstens 66,87 Euro. Die Berufung sei zudem nicht begründet, da die Klage vor dem SG aus den genannten Gründen bereits unzulässig gewesen sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt
zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung einer Rechtsanwältin. Die Tatsachenfeststellung des
LSG sei unvollständig, da bei ihm eine dauerhafte Unterversorgung vorliege.
II
PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Klärungsbedürftige Rechtsfragen hinsichtlich der Zulässigkeit einer Berufung bei Nichterreichen des Streitwertes stellen
sich nicht.
Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Das LSG durfte in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung
entscheiden, da er ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (PZU 8.12.2021 Bl 108 ff LSG-Akte). Das LSG konnte auch in der Besetzung des Berichterstatters als Vorsitzenden mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem
ehrenamtlichen Richter entscheiden. Gemäß §
153 Abs
5 SGG kann der Senat in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, durch Beschluss dem berufenen
Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Dies ist vorliegend durch Beschluss
vom 30.1.2020 (Bl 100 LSG-Akte) geschehen. Der Beschluss wurde dem Kläger zur Kenntnis gebracht. Der Kläger wurde zuvor angehört (Bl 84 LSG-Akte).
Soweit der Kläger sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen dem LSG als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 Grundgesetz <GG>) geltend machen könnte. Die vorliegend vor der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellte sitzungspolizeiliche Anordnung
(§
176 Abs
1 Gerichtsverfassungsgesetz <GVG>), voraussichtlich wegen der andauernden SARS-CoV2 - bzw COVID19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen
zu müssen, wäre grundsätzlich wegen erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt gewesen, weil sie geeignet
ist, mögliche Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20 - MDR 2020, 1523; Mayer in Kissel/Mayer,
GVG, 10. Aufl 2021, §
176 RdNr 15a; Metz, Deutsche Richterzeitung 2020, 256); darin liegt auch kein Verstoß gegen das in §
176 Abs
2 Satz 1
GVG normierte Verhüllungsverbot. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Kläger gar nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen
und dem Vorsitzenden nicht die Möglichkeit gegeben hat, in seinem Einzelfall zu prüfen, ob die sitzungspolizeiliche Anordnung
insoweit ohne Ausnahme zu erlassen war. Auf die Möglichkeit eines Befreiungstatbestands wurde der Kläger ordnungsgemäß hingewiesen.
Zur mündlichen Verhandlung war der Kläger ordnungsgemäß geladen worden; sein persönliches Erscheinen war nicht angeordnet
worden, um Terminverlegung hat er nicht gebeten. Damit kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör oder aus Art
2 Abs
1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren nicht bezeichnet werden.
Ohnehin stellt sich die Entscheidung des LSG in der Sache als zutreffend dar, sodass auch nicht ersichtlich ist, welcher Vortrag
in der Sache dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können.
Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich
vor dem Bundessozialgericht (BSG) gemäß §
73 Abs
4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen,
folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach §
73 Abs
4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht
eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 3
SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.