Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII
Fehlende Hilfebedürftigkeit
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Im Streit ist die Weiterbewilligung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen)
nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der Kläger bezog neben einer Altersrente zuletzt befristet bis 31.8.2020 Grundsicherungsleistungen vom Beklagten (Bescheid vom 23.9.2019, monatlich 435,90 Euro). Seinen Weiterbewilligungsantrag vom Juli 2020 lehnte der Beklagte unter mehrfachem Hinweis auf fehlende Angaben und Unterlagen
bei offenbar geänderten Verhältnissen (ua Auszug zweier Kinder, Wegfall des Mehrbedarfs für Alleinerziehende, Änderungen bei
Unterkunfts- und Heizungsbedarf) ab (Bescheid vom 10.12.2020; Widerspruchsbescheid vom 12.1.2021). Die hiergegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Reutlingen vom 18.5.2021; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg
vom 8.12.2021). Das LSG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG ausgeführt, die Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Der Beklagte müsse in die Lage versetzt werden, den Anspruch zu
berechnen.
Der Kläger hat beim Bundessozialgericht (BSG) beantragt, ihm für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen
und Rechtsanwalt H, S, beizuordnen. Sein Erstantrag sei nicht verbraucht; die geforderten Angaben müsse er nicht machen. Außerdem
sei ihm die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung beim LSG verwehrt worden.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Es ist nicht erkennbar, dass ein Rechtsanwalt im vorliegenden Verfahren Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung insbesondere
im Hinblick auf die Prüfung der Hilfebedürftigkeit (§ 19 Abs 2 Satz 1 SGB XII) formulieren könnte, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des BSG geklärt sind (zum Erfordernis "aktuell vorliegender Hilfebedürftigkeit" vgl zuletzt Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 28.4.2022 - 1 BvL 12/20 - RdNr 22 mwN; zur Notwendigkeit der Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs, insbesondere der Hilfebedürftigkeit
vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 78/08 R - BSGE 104, 26 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5; zum Begriff der mitzuteilenden "Tatsachen" im Existenzsicherungsrecht vgl BSG vom 28.3.2013 - B 4 AS 42/12 R - BSGE 113, 177 = SozR 4-1200 § 60 Nr 3, RdNr 15 ff; zur Vorlage von Kontoauszügen etwa BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 45/07 R - BSGE 101, 260 = SozR 4-1200 § 60 Nr 2, RdNr 15). Entsprechendes gilt hinsichtlich der Beweislastverteilung und der Reichweite der Amtsermittlung. Nach den allgemeinen Regeln
für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten
Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen
(vgl allgemein bereits BSG vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 - BSGE 6, 70; zur Grundsicherung für Arbeitsuchende vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3). Dass sich vorliegend weitergehende oder neue Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung zu diesem Themenkreis stellen könnten,
ist nicht erkennbar.
Aus den vorstehenden Gründen ist auch eine Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht ersichtlich. Soweit der Kläger geltend macht, ein Fortzahlungsantrag und damit Angaben zu den tatsächlichen Verhältnissen
seien nicht erforderlich, kann er sich nicht auf Rechtsprechung des BSG zur Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen bei unveränderter Sachlage berufen (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R - BSGE 104, 207 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1), denn vorliegend geht es um die Klärung veränderter Verhältnisse.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass das LSG in der geschäftsplanmäßigen
Besetzung verhandelt und entschieden hat. Diese Vorgehensweise war zulässig; denn das vom Kläger angebrachte Ablehnungsgesuch,
mit dem er den gesamten Senat des LSG wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, war rechtsmissbräuchlich. Es handelte
sich um eine pauschale Ablehnung auf Grundlage von Behauptungen ohne jeden sachlichen Kern. Damit konnte in der geschäftsplanmäßigen
Besetzung mit den abgelehnten Richtern entschieden werden (vgl BVerfG vom 19.6.2012 - 2 BvR 1397/09 - BVerfGE 131, 239, 252 f = NVwZ 2012, 1304; BVerfG vom 2.6.2005 - 2 BvR 625/01 ua - BVerfGK 5, 269, 280 f = NJW 2005, 3410).
Anders als der Kläger meint, liegt in der Durchführung der mündlichen Verhandlung in seiner Abwesenheit kein Verstoß gegen
das rechtliche Gehör (Art
103 Abs
1 Grundgesetz <GG>, §
62 SGG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es allerdings, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit
zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund
mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung
des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in der Verhandlung darzulegen (BSG vom 28.8.1991 - 7 BAr 50/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel aber dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung
anberaumt (§
110 Abs
1 Satz 1
SGG), der Beteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 57). Eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist dann ohne Verletzung seines Anspruchs
auf Gewährung rechtlichen Gehörs möglich, wenn dieser in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Fall seines
Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
110 RdNr 11; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 20.1.1995 - 6 B 56.94 - Buchholz 310 §
102 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO> Nr 19). Diese Voraussetzungen hat das LSG hier nach Aktenlage erfüllt.
Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn der Kläger erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung oder -vertagung geltend
gemacht hätte (vgl zB BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr
11). Ein iS des §
227 Abs
1 Satz 1
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG ordnungsgemäß gestellter Vertagungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend gemachten Terminsverlegungsgrund begründet
grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (vgl zB BSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R - juris RdNr 16 und BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - juris RdNr 11). Ein solcher Antrag hat nicht vorgelegen.
Soweit der Kläger einerseits geltend macht, er habe wegen der Coronaverordnung der Landesregierung Baden-Württembergs und
wegen seines Status als ungeimpfte Person nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können und andererseits vorbringt,
ihm sei die Erstattung von Reisekosten verweigert worden, ist sein Vortrag bereits unschlüssig. Einen (vorherigen rechtzeitigen)
Antrag auf Übernahme von Reisekosten zur mündlichen Verhandlung am 8.12.2021 hat er ohnehin nicht gestellt.
Die Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2
(Corona-Verordnung - CoronaVO vom 15.9.2021 in der ab 4.12.2021 gültigen Fassung, abrufbar unter https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/aktuelle-infos-zu-corona/aktuelle-corona-verordnung-
des-landes-baden-wuerttemberg/ abgerufen am 2.6.2022) hat im Übrigen für ungeimpfte Personen keine über die damaligen 3-G-Einschränkungen hinausgehenden Erfordernisse für die
Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs vorgesehen. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger die Hin-
und Rückreise zum LSG nicht tagsüber in der Zeit zwischen 5 Uhr und 21 Uhr hätte antreten bzw beenden können, so dass offenbleiben
kann, ob der Kläger überhaupt dem von einer etwaigen Ausgangsbeschränkung zwischen 21 Uhr und 5 Uhr (§ 17a Abs 1 CoronaVO) betroffenen Personenkreis angehört hätte bzw ob - wofür vieles spricht - Ausnahmetatbestände (§ 17a Abs 2 iVm § 10 Abs 4 und 6 CoronaVO) vorgelegen hätten.
Mit der Ablehnung der Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).