SGB-XII-Leistungen
Hilfe zur Eingliederung
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
Genügen der Darlegungspflicht
Gründe:
I
Im Streit sind Kosten der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom 1.4. bis 31.5.2011.
Der Beigeladene, dem Leistungen der Eingliederungshilfe für die Unterbringung und Betreuung in Wohnbereich sowie Werkstatt
für behinderte Menschen (WfbM) in einer Einrichtung des Klägers bewilligt worden waren (Bescheide des Beklagten vom 8.12.2010
und 21.3.2011), zog am 5.4.2011 aus der Wohngruppe aus und kündigte zwei Tage später den Heimvertrag. Seit dem 19.4.2011 besucht
er auch die WfbM nicht mehr. Der Beklagte teilte daraufhin sowohl dem Kläger als auch dem Beigeladenen jeweils in einem eigenen
Anschreiben mit, dass seine Kostenzusage mit dem Ausscheiden am 5.4.2011 ende (Schreiben jeweils vom 3.6.2011). Auf den Einwand
des Klägers, dass die ihm gegenüber verbindlich erklärte Kostenzusage nicht widerrufen worden sei, wies der Beklagte "den
Widerspruch vom 7.7.2011" zurück (Widerspruchsbescheid vom 29.9.2011). Seine dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht
(SG) Stuttgart mit der Begründung abgewiesen, es bestehe kein eigener Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung weiterer Leistungen.
Der Beklagte habe den gegenüber dem Beigeladenen erlassenen Bewilligungsbescheid aufgehoben und damit die Zahlungsverpflichtung
akzessorisch auch gegenüber dem Einrichtungsträger beendet. Das Schreiben des Beklagten vom 3.6.2011 erfülle alle konstitutiven
Voraussetzungen eines Verwaltungsakts. Der dagegen vom Kläger als Drittanfechtungsberechtigter erhobene Widerspruch sei zu
Recht zurückgewiesen worden (Urteil des SG vom 25.6.2014). Auf die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg den Widerspruchsbescheid
aufgehoben und den Beklagten zur Zahlung von 2223,89 Euro zuzüglich Zinsen und eines weiteren Betrags von 272,87 Euro verurteilt
(Urteil des LSG vom 29.6.2017). Es hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig,
weil ihm mit "dem Schreiben vom 3.6.2011" kein Verwaltungsakt zugrunde liege. Das Schreiben sei auch nicht durch den Erlass
des Widerspruchsbescheids zum Verwaltungsakt geworden. Hinsichtlich des Leistungsbegehrens sei die Klage zulässig und teilweise
begründet. Der Beklagte habe gegenüber dem Beigeladenen einen Schuldbeitritt erklärt, der nicht durch Aufhebung wirksam beseitigt
worden sei; auch das Schreiben des Beklagten an den Beigeladenen vom 3.6.2011 sei kein Verwaltungsakt. Eine zivilrechtliche
Schuld des Beigeladenen im Wohnbereich bestehe allerdings nur bis zur wirksamen Kündigung des Heimvertrags am 7.4.2011. Zudem
sei die Klage hinsichtlich der Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten teilweise begründet.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Beklagte eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache geltend. Es stelle sich die Rechtsfrage, ob schlichtes Verwaltungshandeln/eine schlichte Willenserklärung
Verwaltungsaktqualität erlange, wenn die Behörde einen Widerspruchsbescheid erlasse, durch den ein Widerspruch als zulässig
behandelt werde. Anhand der bestehenden Rechtsprechung ergebe sich keine klare Beantwortung der hierfür richtigen Maßstäbe.
Die Beantwortung der Rechtsfrage habe Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits. Im Falle ihrer Bejahung sei die Anfechtungs-
und Leistungsklage des Klägers zulässig, aber unbegründet. Die Kostenübernahme wäre dann nämlich "mit dem Schreiben vom 3.6.2017"
in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29.9.2011 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) wirksam rückwirkend aufgehoben worden.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise dargelegt worden ist. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter
nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus -
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt jedenfalls an der Darlegung der
Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage.
Der Beklagte erläutert schon nicht, welches der beiden Schreiben vom 3.6.2011 Gegenstand des Widerspruchsverfahrens bzw des
vorliegenden Rechtsstreits ist. Eine Darlegung dessen wäre aber erforderlich gewesen, weil für die Beantwortung der aufgeworfenen
Rechtsfrage von Bedeutung ist, ob der Kläger das an ihn selbst gerichtete Schreiben angegriffen hat oder im Wege der Drittanfechtung
gegen das an den Beigeladenen gerichtete Schreiben vorgegangen ist.
Im ersteren Fall wäre für eine schlüssige Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage eine Auseinandersetzung
mit der Frage erforderlich (gewesen), ob (auch) im Rahmen eines Gleichordnungsverhältnisses ein Widerspruchsbescheid einer
reinen Willenserklärung überhaupt Verwaltungsaktqualität verleihen kann (vgl zur fehlenden Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes
bei einem im Gleichordnungsverhältnis geltend gemachten Zahlungsanspruch nach bereits erfolgtem Schuldbeitritt BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 6 RdNr 12 mwN). Im Falle eines Widerspruchs und einer Klage gegen das Schreiben an den Beigeladenen vom 3.6.2011 (das
entgegen der Auffassung des LSG wohl als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein dürfte) wäre dagegen die (bislang noch nicht
geklärte) Zulässigkeit einer Drittanfechtung im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis darzulegen gewesen.
Der Beklagte setzt sich mit keiner dieser für die Entscheidungserheblichkeit maßgeblichen Fragestellungen auseinander. Dazu
hätte im Übrigen aber auch deshalb Anlass bestanden, weil das SG von einer Drittanfechtung des Klägers, das LSG aber (offenbar) von einer Anfechtung des an den Kläger selbst gerichteten
Schreibens ausgegangenen ist und daher (möglicherweise) den Streitgegenstand verkannt hat. Auch hierzu trägt der Beklagte
nichts vor.
Die Entscheidung über den Streitwert für das Beschwerdeverfahren beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG).