Parallelentscheidung zu BSG B 8 SO 67/21 B v. 01.06.2022
Gründe
I
Im Streit steht die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung bei voller Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.7.2011 bis zum 30.6.2012.
Der Kläger bezieht seit 1.12.2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung und ergänzend von dem Beklagten Grundsicherungsleistungen,
nachdem er zunächst laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) bezogen hatte. Der Beklagte gewährte dem Kläger laufende Leistungen der Grundsicherung bei voller Erwerbsminderung für die
Zeit vom 1.7.2011 bis 30.6.2012 iHv 659,49 Euro für Juli 2011 sowie für die Zeit ab 1.8.2011 iHv 584,36 Euro, wobei der Beklagte
ein Regelbedarf iHv 364 Euro und ein Bedarf für Unterkunft und Heizung iHv 295,49 Euro zugrunde legte und die Rente nicht
als Einkommen anrechnete (Bescheid vom 17.6.2011).
Ab Juli 2011 wurden die Leistungen auf 659,69 Euro festgesetzt und ein Bedarf für Unterkunft und Heizung iHv 295,69 Euro berücksichtigt
(Änderungsbescheid vom 1.7.2011). Mit weiterem Änderungsbescheid berücksichtigte der Beklagte ab 1.1.2012 bis 30.6.2012 die Erhöhung des Regelbedarfs auf
374 Euro und setzte die monatliche Leistung auf 594,56 Euro fest, wobei er einen Bedarf für Unterkunft und Heizung iHv 295,69
Euro berücksichtigte. Nunmehr wurde die Rente wegen voller Erwerbsminderung iHv 75,13 Euro als Einkommen angerechnet (Bescheid vom 17.11.2011). Die Widersprüche gegen die letztgenannten Bescheide blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2.2.2016). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der Klage teilweise stattgegeben, soweit die Änderungsbescheide vom 1.7.2011 sowie vom 17.11.2011 betroffen seien.
Die teilweise Aufhebung der damit erfolgten Leistungsbewilligung sei rechtswidrig, weil der Kläger nicht zuvor angehört worden
sei und der Beklagte Ermessen nicht ausgeübt habe.
Der Kläger habe zudem für Januar 2012 dem Grunde nach ein Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung wegen voller Erwerbsminderung;
für den Betrieb des Badheizstrahlers sowie für die Heizung sei ein zusätzlicher Bedarf iHv 7,46 Euro monatlich für die Zeit
vom 1.10.2011 bis 31.12.2011 sowie in Höhe von 7,96 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1.2012 bis zum 30.4.2012 zu berücksichtigen.
Diese Beträge seien aufgrund einer Schätzung errechnet worden.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung des Klägers auf mündliche Verhandlung in seiner Abwesenheit
als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit es dem Kläger um grundsicherungsrechtliche Feststellungen
gehe, da ihm ein Feststellungsinteresse iS des §
55 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) fehle. Die Klage sei auch hinsichtlich der völkerrechtlichen Begehren unzulässig. Im Übrigen sei die Klage, soweit ihr nicht
stattgegeben worden ist, unbegründet. Der Kläger habe für die Zeit vom 1.7.2011 bis 30.6.2012 keinen Anspruch auf höhere Leistungen
der Grundsicherung bei voller Erwerbsminderung. Der Kläger habe weder einen Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen des Merkzeichens
"G" für den genannten Zeitraum, weil ihm dieses erst durch den maßgeblichen Feststellungsbescheid vom 24.9.2019 zuerkannt
worden sei. Auch stehe dem Kläger kein Mehrbedarf für behinderte Menschen bei Leistungen für Eingliederungshilfe zu, weil
er tatsächlich keine Leistungen der Eingliederungshilfe im streitgegenständlichen Zeitraum erhalten habe. Der Kläger habe
auch keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung, da es hierfür an einem Nachweis fehle. Schließlich
habe der Kläger keinen Anspruch auf Berücksichtigung höherer Heizkosten, die das SG zutreffend realitätsnah auf Basis einer Schätzung festgesetzt habe, die nicht zu beanstanden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt zugleich
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung einer Rechtsanwältin. Die Tatsachenfeststellung des LSG sei
unvollständig, da bei ihm eine dauerhafte Unterversorgung vorliege. Auch sei die grundlegende Rechtsfrage, wie die Berechnung
der Energiekosten zu erfolgen habe, durch das Bundessozialgericht (BSG) bisher nicht getroffen. Er habe Anspruch auf Zugrundelegung der tatsächlichen Stromheizkosten.
II
PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Klärungsbedürftige Rechtsfragen auf die Voraussetzungen der Gewährung eines Mehrbedarfs wegen des Merkzeichens "G" bestehen
nicht (siehe zum maßgeblichen Zeitpunkt Bundessozialgericht <BSG> vom 25.4.2018 - B 8 SO 25/16 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 5 RdNr 17). Ebenso wenig bestehen klärungsbedürftige Rechtsfragen wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung (vgl nur BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - FEVS 63, 294 sowie BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 24). Klärungsbedürftige Rechtsfragen bestehen auch nicht im Hinblick auf die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs für behinderte
Menschen bei Leistungen von Eingliederungshilfe, sofern eine solche nicht gezahlt wird (siehe Wortlaut § 30 Abs 4 Satz 1 SGB XII vom 23.3.2011, BGBl I 453). Klärungsbedürftige Rechtsfragen bestehen auch nicht im Hinblick auf die Berechnung der Bedarfe des Klägers für Unterkunft
und Heizung gemäß § 42 Nr 4 SGB XII iVm § 35 Abs 1 und 4 SGB XII, insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit von realitätsnahen Schätzungen des Energieanteils, der auf die Heizung entfällt
(siehe BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 47/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 87 RdNr 21).
Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) mit Aussicht auf Erfolg zulässig begründet werden könnte. Das LSG durfte in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung
entscheiden, da er ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (PZU vom 3.8.2021, Bl 654 LSG-Akte).
Soweit der Kläger sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen dem LSG als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 Grundgesetz <GG>) geltend machen könnte. Die vorliegend vor der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellte sitzungspolizeiliche Anordnung
(§
176 Abs
1 Gerichtsverfassungsgesetz <GVG>), voraussichtlich wegen der andauernden COVID 19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen zu müssen,
wäre grundsätzlich wegen erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt gewesen, weil sie geeignet ist, mögliche
Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20 - MDR 2020, 1523; Mayer in Kissel/Mayer,
GVG, 10. Aufl 2021, §
176 RdNr 15a; Metz, Deutsche Richterzeitung 2020, 256); darin liegt auch kein Verstoß gegen das in §
176 Abs
2 Satz 1
GVG normierte Verhüllungsverbot. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Kläger trotz eines kurz vor der mündlichen Verhandlung
vorgelegten ärztlichen Attests, in welchem die Unzumutbarkeit des Tragens einer Atmungsschutzmaske attestiert wird, gar nicht
an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und dem Vorsitzenden nicht die Möglichkeit gegeben hat, in seinem Einzelfall zu
prüfen, ob die sitzungspolizeiliche Anordnung insoweit ohne Ausnahme zu erlassen war. Auf die Möglichkeit eines Befreiungstatbestands
wurde der Kläger ordnungsgemäß hingewiesen. Zur mündlichen Verhandlung war der Kläger ordnungsgemäß geladen worden; sein persönliches
Erscheinen war nicht angeordnet worden, um Terminsverlegung hat er nicht gebeten. Damit kann eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör oder aus Art
2 Abs
1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren nicht bezeichnet werden.
Ohnehin stellt sich die Entscheidung des LSG in der Sache als zutreffend dar, sodass auch nicht ersichtlich ist, welcher Vortrag
in der Sache dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können.
Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich
vor dem BSG gemäß §
73 Abs
4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen,
folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach §
73 Abs
4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht
eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 3
SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.