Parallelentscheidung zu BSG B 8 SO 67/21 B v. 01.06.2022
Gründe
I
Im Streit steht zwischen den Beteiligten die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des
Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom 1.10.2018 bis 30.6.2019 sowie auf diverse Feststellungen und andere Leistungen. Der Kläger bezieht
seit 1.12.2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung und ergänzend von dem Beklagten Grundsicherungsleistungen. Durch Bescheid
vom 4.7.2018 gewährte der Beklagte dem Kläger ergänzende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII für den Zeitraum 1.10.2018 bis 30.6.2019. Nachdem dem Kläger ein Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung für das Wirtschaftsjahr
2017 für seine Wohnung iHv 236,10 Euro gutgeschrieben worden war, hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für den Leistungsmonat
Oktober 2018 teilweise auf (Bescheid vom 10.9.2018). Für Oktober 2018 wurden dem Kläger Leistungen iHv 422,83 Euro, für November 2018 bis zum 30.6.2019 monatlich 658,93 Euro
gewährt. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6.11.2018). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 10.5.2019). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 19.11.2021). Die Klage sei hinsichtlich der Feststellungsbegehren als auch der völkerrechtlichen Begehren unzulässig. Im Übrigen sei
die Klage unbegründet, weil die Anrechnung des Betriebskostenguthabens aus der Betriebskostenabrechnung zutreffend erfolgt
sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt
zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung einer Rechtsanwältin. Es sei kein Beweis erhoben worden
über die Regelbedarfssätze sowie die vom Kläger vorgetragene unzureichende Versorgung, an der er über Jahre hinweg erkrankt
sei. Bei ihm liege auch eine dauerhafte Unterversorgung vor, was durch das LSG weiter hätte ermittelt werden müssen.
II
PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Klärungsbedürftige Rechtsfragen auf die Voraussetzungen der Gewährung eines Mehrbedarfs wegen des Merkzeichens "G" bestehen
nicht (siehe zum maßgeblichen Zeitpunkt Bundessozialgericht <BSG> vom 25.4.2018 - B 8 SO 25/16 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 5 RdNr 17). Ebenso wenig bestehen klärungsbedürftige Rechtsfragen wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung (vgl nur BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - FEVS 63, 294 sowie BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 24). Klärungsbedürftige Rechtsfragen bestehen auch nicht im Hinblick auf die Voraussetzungen eines Mehrbedarfs für behinderte
Menschen bei Leistungen von Eingliederungshilfe, sofern eine solche nicht gezahlt wird (siehe Wortlaut § 30 Abs 4 Satz 1 SGB XII vom 24.3.2011 - BGBl I 453). Klärungsbedürftige Rechtsfragen bestehen auch nicht im Hinblick auf die Berechnung der Bedarfe des Klägers für Unterkunft
und Heizung gemäß § 42 Nr 4 SGB XII iVm § 35 Abs 1 und 4 SGB XII, insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit von realitätsnahen Schätzungen des Energieanteils, der auf die Heizung entfällt
(siehe BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 47/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 87 RdNr 21).
Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Das LSG durfte in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung
entscheiden da er ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (PZU vom 14.9.2021, Bl 312 LSG-Akte). Das LSG konnte auch in der Besetzung der Berichterstatterin als Vorsitzende mit zwei ehrenamtlichen Richtern bzw Richterin
entscheiden. Gemäß §
153 Abs
5 SGG kann der Senat in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, durch Beschluss die Berufung
dem berufenen Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Dies ist vorliegend durch
Beschluss vom 30.1.2020 (Bl 298 LSG-Akte) geschehen. Der Beschluss wurde dem Kläger zur Kenntnis gebracht. Der Kläger wurde zuvor angehört (Bl 283 f LSG-Akte).
Soweit der Kläger sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen dem LSG als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 Grundgesetz <GG>) geltend machen könnte. Die vorliegend vor der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellte sitzungspolizeiliche Anordnung
(§
176 Abs
1 Gerichtsverfassungsgesetz <GVG>), voraussichtlich wegen der andauernden COVID 19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen zu müssen,
wäre grundsätzlich wegen erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt gewesen, weil sie geeignet ist, mögliche
Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20 - MDR 2020, 1523; Mayer in Kissel/Mayer,
GVG, 10. Aufl 2021, §
176 RdNr 15a; Metz, Deutsche Richterzeitung 2020, 256); darin liegt auch kein Verstoß gegen das in §
176 Abs
2 Satz 1
GVG normierte Verhüllungsverbot. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Kläger trotz eines kurz vor der mündlichen Verhandlung
vorgelegten ärztlichen Attests, in welchem die Unzumutbarkeit des Tragens einer Atmungsschutzmaske attestiert wird, gar nicht
an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und dem Vorsitzenden nicht die Möglichkeit gegeben hat, in seinem Einzelfall zu
prüfen, ob die sitzungspolizeiliche Anordnung insoweit ohne Ausnahme zu erlassen war. Auf die Möglichkeit eines Befreiungstatbestands
wurde der Kläger ordnungsgemäß hingewiesen. Zur mündlichen Verhandlung war der Kläger ordnungsgemäß geladen worden; sein persönliches
Erscheinen war nicht angeordnet worden, um Terminsverlegung hat er nicht gebeten. Damit kann eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör oder aus Art
2 Abs
1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren nicht bezeichnet werden.
Ohnehin stellt sich die Entscheidung des LSG in der Sache als zutreffend dar, sodass auch nicht ersichtlich ist, welcher Vortrag
in der Sache dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können.
Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich
vor dem BSG gemäß §
73 Abs
4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen,
folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach §
73 Abs
4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht
eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 3
SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.