Leistungen nach dem SGB XII
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rüge einer Gehörsverletzung
Verletzung der Amtsermittlungspflicht
Gründe
I
Im Streit steht die Zahlung höherer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom 1.10.2017 bis zum 30.6.2018.
Der Kläger stand bei dem Beklagten fortlaufend im Leistungsbezug. Auf seinen Antrag gewährte ihm der Beklagte durch Bescheid
vom 15.6.2017 für den Zeitraum vom 1.7.2017 bis zum 30.6.2018 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Der Antrag auf eine einmalige Beihilfe zur Finanzierung eines separaten Stromzählers lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 16.6.2017).
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger zum einen geltend, dass die Regelsätze zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens
deutlich zu niedrig bemessen seien und er Anspruch auf einen monatlichen Mehrbedarf iHv ca 670 Euro habe. Hilfsweise legte
er auch gegen den Bescheid vom 16.6.2017 Widerspruch ein. Wegen der Berücksichtigung eines Betriebs- und Heizkostenguthabens
änderte der Beklagte für den genannten Zeitraum die Höhe der bewilligten Leistungen und berücksichtigte die Erstattung iHv
274,19 Euro. Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch (Bescheid vom 5.9.2017).
Der Beklagte wies die Widersprüche gegen die Bescheide vom 15.6.2017 und vom 16.6.2017 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.1.2018). Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin.
Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 5.9.2017 wies der Beklagte ebenfalls zurück (Widerspruchsbescheid vom 27.7.2018), da der Bescheid gemäß §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des genannten Klageverfahrens vor dem SG geworden sei. Auch hiergegen erhob der Kläger Klage zum SG. Einen weiteren Antrag des Klägers auf Kostenübernahme auf eine Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr lehnte der Beklagte
ab (Bescheid vom 6.11.2019). Der Beklagte führt in der Rechtsmittelbelehrung aus, dass dieser Bescheid gemäß §
96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 145 SO 1130/18 sei.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 10.12.2019 - Az S 145 SO 1130/18). Die Klage sei, soweit sie als Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid vom 27.7.2018 gerichtet sei, zulässig, aber
unbegründet. Soweit sich die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid vom 5.9.2017 richte,
sei sie bereits unzulässig, weil dieser Bescheid denjenigen vom 15.6.2017 hinsichtlich des Leistungszeitraums vom 1.10.2017
bis 30.6.2018 gemäß §
86 SGG abgeändert habe und ein gesonderter Widerspruch deshalb bereits unzulässig gewesen sei. Der Bescheid vom 5.9.2017 sei daher
Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 15.6.2017 gewesen. Hingegen sei der Bescheid vom 6.11.2019 entgegen
der Auffassung des Beklagten nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens trotz fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung geworden.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung des Klägers nach Übertragung des Rechtsstreits gemäß §
153 Abs
5 SGG auf die Berichterstatterin zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern als unbegründet zurückgewiesen (Urteil vom 19.11.2021). Zu Recht habe das SG die Klage abgewiesen, die Klage gegen den Bescheid vom 15.6.2017 und gegen den Bescheid vom 16.6.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 27.7.2018 sei wegen doppelter Rechtshängigkeit bereits unzulässig gewesen. Das Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide
vom 15.6.2017 und 16.6.2017 sei durch den Widerspruchsbescheid vom 4.1.2018 abgeschlossen gewesen und hiergegen habe der Kläger
unter dem Az S 88 SO 105/18 Klage erhoben. Gegenstand dieses Verfahrens sei auch der Bescheid vom 5.9.2017, der gemäß §
86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sei. Ebenso sei der unzulässige Widerspruch des Klägers vom 11.9.2017 gegen
den Bescheid vom 5.9.2017 Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, das mit Bescheid vom 27.6.2018 verbeschieden worden
sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt
zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung einer Rechtsanwältin. Die Tatsachenfeststellung des
LSG sei unvollständig. Das LSG habe ihm rechtliches Gehör nicht gewährt.
II
PKH kann dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§
73 Abs
4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Dies ist vorliegend
nicht der Fall.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Klärungsbedürftige Rechtsfragen im Hinblick auf die Unzulässigkeit einer Klage bei doppelter Rechtshängigkeit wegen laufender
Widerspruchsverfahren bestehen nicht.
Nach dem Vorstehenden ist auch nicht erkennbar, dass eine Divergenzrüge (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Es ist schließlich auch nicht erkennbar, dass ein Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG) mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte. Das LSG durfte in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung
entscheiden, da er ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (PZU 14.9.2021 Bl 140 ff LSG-Akte). Das LSG konnte auch in der Besetzung der Berichterstatterin als Vorsitzende mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem
ehrenamtlichen Richter entscheiden. Gemäß §
153 Abs
5 SGG kann der Senat in den Fällen, in denen erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid entschieden wurde, durch Beschluss dem berufenen
Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Dies ist vorliegend durch Beschluss
vom 28.7.2020 (Bl 133 LSG-Akte) geschehen. Der Beschluss wurde dem Kläger zur Kenntnis gebracht. Der Kläger wurde zuvor angehört (Bl 109 LSG-Akte).
Soweit der Kläger sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, ist nicht ersichtlich, welche Tatsachen dem LSG als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 Grundgesetz <GG>) geltend machen könnte. Die vorliegend vor der mündlichen Verhandlung in Aussicht gestellte sitzungspolizeiliche Anordnung
(§
176 Abs
1 Gerichtsverfassungsgesetz <GVG>), voraussichtlich wegen der andauernden SARS-CoV2- bzw COVID19-Pandemie im Gerichtssaal eine Mund- und Nasenbedeckung tragen
zu müssen, wäre grundsätzlich wegen erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt gewesen, weil sie geeignet
ist, mögliche Infektionen im Gerichtssaal zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 28.9.2020 - 1 BvR 1948/20 - MDR 2020, 1523; Mayer in Kissel/Mayer,
GVG, 10. Aufl 2021, §
176 RdNr 15a; Metz, Deutsche Richterzeitung 2020, 256); darin liegt auch kein Verstoß gegen das in §
176 Abs
2 Satz 1
GVG normierte Verhüllungsverbot. Letztlich kann dies dahinstehen, da der Kläger trotz eines vor der mündlichen Verhandlung vorgelegten
ärztlichen Attests, in welchem die Unzumutbarkeit des Tragens einer Atemschutzmaske attestiert wird, gar nicht an der mündlichen
Verhandlung teilgenommen und der Vorsitzenden nicht die Möglichkeit gegeben hat, in seinem Einzelfall zu prüfen, ob die sitzungspolizeiliche
Anordnung insoweit ohne Ausnahme zu erlassen war. Auf die Möglichkeit eines Befreiungstatbestands wurde der Kläger ordnungsgemäß
hingewiesen. Zur mündlichen Verhandlung war der Kläger ordnungsgemäß geladen worden; sein persönliches Erscheinen war nicht
angeordnet worden, um Terminverlegung hat er nicht gebeten. Damit kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
oder aus Art
2 Abs
1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten allgemeinen Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren nicht bezeichnet werden.
Ohnehin stellt sich die Entscheidung des LSG in der Sache als zutreffend dar, sodass auch nicht ersichtlich ist, welcher Vortrag
in der Sache dem Kläger zum Erfolg hätte verhelfen können.
Damit entfällt auch die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die vom Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Der Kläger muss sich
vor dem BSG gemäß §
73 Abs
4 SGG durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Er kann eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen,
folglich auch nicht selbst Beschwerde einlegen. Schon die Beschwerdeschrift muss von einem nach §
73 Abs
4 SGG zugelassenen Prozessbevollmächtigten unterzeichnet sein. Hierauf wurde der Kläger ausdrücklich hingewiesen. Die nicht formgerecht
eingelegte Beschwerde ist schon deshalb nach §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 Satz 3
SGG ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.