Feststellung der GdB im Schwerbehindertenrecht bei einem Schlafapnoe-Syndrom
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger schon vor dem 1.1.2003 schwerbehindert war.
Auf Antrag des Klägers vom 20.9.2000 stellte der Beklagte einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 fest. Dabei legte er die
Auswirkungen folgender Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde: Diabetes mellitus (mit Diät und Insulin einstellbar), Bluthochdruck,
Bronchialasthma und Fettstoffwechselstörung. Die Feststellung der vom Kläger begehrten Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50)
lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 11.12.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2001).
Nachdem im Januar 2003 im Rahmen einer Untersuchung im Schlaflabor der Klinik L. ein gemischtförmiges Schlaf-Apnoe-Syndrom
diagnostiziert worden war, gab der Beklagte während des Klageverfahrens ein "Vergleichsangebot" ab, mit dem er sich bereit
erklärte, unter Berücksichtigung eines "Schlaf-Apnoe-Syndroms", das zusammen mit Bronchialasthma einen Teil-GdB von 20 rechtfertige,
ab Januar 2003 einen GdB von 50 festzustellen. Der Kläger nahm in der mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Heilbronn das "Teilanerkenntnis" an, begehrte jedoch weiterhin, den GdB bereits ab Antragstellung mit 50 festzustellen.
Das SG hat dieses Klagebegehren abgewiesen (Urteil vom 12.12.2003).
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die behandelnden Ärzte Dr. S., Prof. Dr. H. und
Dr. E. schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Des weiteren hat das LSG auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG den Internisten Dr. W., Oberarzt am Krankenhaus D., zum Sachverständigen ernannt und ihn ua danach befragt, ab wann die Diagnose
eines Schlaf-Apnoe-Syndroms gesichert nachgewiesen und eine kontinuierliche nasale Überdruckbeatmung notwendig gewesen sei.
Dieser hat in seinem lungenfachärztlichen Gutachten ua ausgeführt, dass aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht das Schlaf-Apnoe-Syndrom
eindeutig erst durch das Ergebnis der polysomnographischen Untersuchung am 27.1.2003 gesichert gewesen sei. Auf diesen Zeitpunkt
müsse die Erstdiagnose datiert werden.
Das LSG hat, nachdem es die Beteiligten auf diese Möglichkeit hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte,
mit einem nach §
153 Abs
4 SGG ergangenen Beschluss vom 21.11.2005 die Berufung zurückgewiesen. Es hat ua ausgeführt: Streitgegenstand dieses Verfahrens
sei nur noch die Frage, ab wann unter Berücksichtigung des im Januar 2003 gesicherten Schlaf-Apnoe-Syndroms beim Kläger ein
GdB von 50 festzustellen sei. Zur Überzeugung des Senats stehe fest, dass das Schlafapnoe-Syndrom erst durch die Untersuchung
des Klägers im Schlaflabor der Klinik L. im Januar 2003 gesichert gewesen sei. Dies hätten auch die als sachverständige Zeugen
im Berufungsverfahren gehörten behandelnden Ärzte bestätigt. Zuvor habe nur der Verdacht auf eine entsprechende Erkrankung
bestanden. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, auf der Grundlage ungesicherter Verdachtsdiagnosen weitere medizinische
Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen. Dementsprechend habe der Kläger erst seit Januar 2003 durch die nasale Überdruckbeatmung
Nachteile in seiner Lebensgestaltung, denen durch einen (erhöhten) Teil- und Gesamt-GdB Rechnung getragen werde. Auch der
Gutachter Dr. W. habe herausgestellt, dass die beim Kläger vor Januar 2003 gesicherten Erkrankungen, die zu einem GdB von
40 geführt hätten, nicht mit dem gesicherten Vorliegen eines Schlaf-Apnoe-Syndroms gleichgesetzt werden könnten. Da sich die
klinischen Symptome des beim Kläger bestehenden metabolischen Syndroms oftmals mit den Symptomen eines Schlaf-Apnoe-Syndroms
deckten, könne ohne eine Untersuchung im Schlaflabor eine gesicherte Diagnosestellung nicht erfolgen.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger in materiellrechtlicher Hinsicht eine fehlerhafte Auslegung der
Nr 26.8 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz"
- AHP, Ausgabe 1996 (AHP 1996). Er habe vor Beginn der nasalen Überdruckbeatmung unter wesentlich größeren gesundheitlichen
Beeinträchtigungen gelitten als nach Behandlungsbeginn. Die Auffassung des LSG, erst ab dem Zeitpunkt des Nachweises des gemischtförmigen
Schlaf-Apnoe-Syndroms, dessen Behandlungsbedürftigkeit mittels kontinuierlicher nasaler Überdruckbeatmung schon zuvor gegeben
gewesen sei, sei er schwerbehindert, sei den AHP bei zutreffender Auslegung nicht zu entnehmen. Außerdem macht der Kläger
Verletzungen seines Grundrechts auf rechtliches Gehör (§
62 SGG; Art
103 Abs
1 GG) sowie der richterlichen Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) geltend.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2005 und das Urteil des SG Heilbronn vom 12.12.2003 aufzuheben sowie den
Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 11.12.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2001 zu verpflichten,
bei ihm auch für die Zeit vom 20.9.2000 bis 31.12.2002 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen den Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 21.11.2005 zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung: Das LSG habe die AHP korrekt angewandt. Nach Nr 26.8 AHP sei zur Feststellung eines obstruktiven oder
gemischtförmigen Schlaf-Apnoe-Syndroms mit der Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung, was wenigstens
einen GdB von 20 bedinge, ein Nachweis durch eine Untersuchung im Schlaflabor erforderlich. Eine höhere Bewertung vor Behandlungsbeginn
lasse sich auch nicht aus einem Vergleich der gesundheitlichen Beeinträchtigungen vor und nach Beginn der nasalen Überdruckbeatmung
herleiten. Denn bei Vergabe eines GdB von 20 sei die andauernde sehr belastende Benutzung des Beatmungsgerätes als Einschränkung
der Lebensqualität und Nachteil in der Lebensgestaltung zu berücksichtigen. Der GdB ergebe sich allein aus den Auswirkungen
der Behandlung. Ohne Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überdruckbeatmung sei nach den AHP lediglich ein GdB von 0 bis 10
vorgesehen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§
124 Abs
2 SGG).
II. Die zulässige Revision ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des LSG und Zurückverweisung der Sache
an dieses Gericht begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Der Senat vermag aufgrund der Tatsachenfeststellungen des LSG nicht zu entscheiden, ob der Kläger bereits vor dem 1.1.2003
schwerbehindert war und ihm deshalb bereits ab einem früheren Zeitpunkt (beginnend mit der Antragstellung) der geltend gemachte
Anspruch auf Feststellung eines GdB von wenigstens 50 gegen den Beklagten zusteht. Insbesondere fehlen ausreichende Feststellungen
zum Gesundheitszustand des Klägers zwischen der Antragstellung am 20.9.2000 und dem Ablauf des 31.12.2002.
1. Rechtsgrundlage für den vom Kläger gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens
50 sind für die Zeit vom 20.9.2000 bis 30.6.2001 §§ 3, 4 Abs 1 und Abs 3 Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter
in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG) und für die Zeit vom 1.7.2001 bis 31.12.2002 §
2, §
69 Abs
1 und Abs
3 SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - idF des Gesetzes vom 19.6.2001 (BGBl I 1046).
Nach § 3 Abs 1 Satz 1 SchwbG ist Behinderung im Sinne dieses Gesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf
einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das
Lebensalter typischen abweicht (§ 3 Abs 1 Satz 2 SchwbG). Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten (§ 3 Abs 1 Satz 3 SchwbG). Gemäß §
2 Abs
1 Satz 1
SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit
länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
beeinträchtigt ist.
§ 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG, §
69 Abs
1 SGB IX sehen vor, dass die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines Behinderten bzw eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen
einer (unbenannten) Behinderung und den GdB feststellen. Als GdB werden dabei nach § 3 Abs 2 SchwbG die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung bzw nach §
69 Abs
1 Satz 3
SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt.
a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden (vgl Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18.9.2003 - B 9 SB 3/02 R, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 §
69 Nr 2, jeweils RdNr 7), dass das
SGB IX grundsätzlich keine Abkehr von der bisherigen Feststellungspraxis für die Ermittlung des GdB erfordert. §
2 Abs
1 Satz 1
SGB IX hat zwar den Begriff der Behinderung anders umschrieben als § 3 Abs 1 SchwbG. §
69 SGB IX hat jedoch im wesentlichen inhaltsgleich die Regelung des § 4 SchwbG übernommen. Soweit §
2 Abs
1, §
69 Abs
1 Satz 3
SGB IX nunmehr auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellen, hat der erkennende Senat diesen Aspekt
schon nach altem Recht (§ 3 Abs 1 SchwbG) berücksichtigt (vgl etwa BSG, Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86, BSGE 62, 209, 211 f = SozR 3870 §
3 Nr
26 S 82). §
69 Abs
1 Satz 4
SGB IX ordnet zudem weiterhin die entsprechende Anwendung der in § 30 Abs 1 BVG festgelegten Maßstäbe an. Das
SGB IX stellt mithin (wie schon das SchwbG in § 3 Abs 3) kein eigenes Bewertungssystem auf, sondern verweist auf das versorgungsrechtliche Bewertungssystem, dessen Ausgangspunkt
die "Mindestvomhundertsätze" für eine größere Zahl erheblicher äußerer Körperschäden iS der Nr 5 Verwaltungsvorschrift zu
§ 30 BVG sind (zum Rechtscharakter dieser Vorschrift: BSG, Urteil vom 26.11.1968 - 9 RV 262/66, BSGE 29, 41, 42 f = SozR Nr 35 zu § 30 BVG; offengelassen im Urteil vom 28.9.2003 - B 9 SB 3/02 R, BSGE 91, 205 = SozR 4-3250 § 69 Nr 2 jeweils RdNr 13). Von diesen leiten sich die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den
Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen GdB/MdE-Tabellenwerte der AHP ab (vgl dazu auch Nr 18 Abs 3 AHP 1996).
Ausgangspunkt der GdB-Bewertung der einzelnen verschiedenen Funktions- bzw Teilhabebeeinträchtigungen ist im streitigen Zeitraum
vom 20.9.2000 bis 31.12.2002 sowohl unter der Geltung des SchwbG als auch unter Geltung des
SGB IX das in sich geschlossene Beurteilungsgefüge der AHP 1996 (Nr 26.2 bis 26.18 AHP 1996).
b) Bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen ist der festzustellende GdB sowohl gemäß § 4 Abs 3 Satz 1 SchwbG als auch gemäß §
69 Abs
3 Satz 1
SGB IX das Ergebnis einer Gesamtwürdigung der Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen
Beziehungen (dazu auch: Nr 19 AHP 1996; BSG, Urteil vom 16.3.1994 - 9 RVs 6/93, SozR 3-3870 § 4 Nr 9 S 39 f; BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVs 15/96, BSGE 81, 50, 53 f = SozR 3-3870 § 3 Nr 7 S 16 f; BSG, Urteil vom 13.12.2000 - B 9 V 8/00 R, SozR 3-3870 § 4 Nr 28 S 107; BSG, Urteil vom 11.11.2004 - B 9 SB 1/03 R, juris RdNr 13). In einem ersten Schritt sind dabei die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen iS von regelwidrigen
(von der Norm abweichenden) Zuständen und die sich daraus ergebenden Funktions- und Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen.
In einem zweiten Schritt sind diese den in den AHP 1996 genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu
bewerten. In einem dritten Schritt ist dann - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB
(vgl Nr 19 Abs 3 AHP 1996) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen
der (Gesamt-)GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken),
sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen
mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB/MdE-Tabelle der AHP 1996 feste Werte angegeben sind (vgl Nr 19 Abs 2 AHP
1996); mithin ist auch zu beachten, in welchen Fällen die AHP 1996 bzw die Nr 5 Verwaltungsvorschrift zu § 30 BVG eine Schwerbehinderung - GdB von 50 - zubilligen.
c) Der GdB als Maß für die Auswirkungen von nicht nur vorübergehenden Funktions-/Teilhabebeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen
beruht als Rechtsbegriff nicht allein auf einer Anwendung rein medizinischer Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung
von Tatsachen (vgl BSG, Urteil vom 29.8.1990 - 9a/9 RVs 7/89, BSGE 67, 204, 208 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 S 5 f). Diese Tatsachen sind ua mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen;
dazu gehört vor allem die Beschreibung der Gesundheitsstörungen.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem "Diagnoseurteil" vom 6.12.1989 (9 RVs 3/89, SozR 3870 § 4 Nr 3) geklärt, dass die Bezeichnung regelwidriger Zustände mit medizinischen Diagnosen nur der Begründung
des den GdB festlegenden Verwaltungsakts dient, jedoch keine Aussage über die Auswirkungen von nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigungen
enthält, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhen. An dieser Rechtsprechung hat
der Senat in seinem Urteil vom 24.6.1998 (B 9 SB 17/97 R, BSGE 82, 176, 177 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 24 S 94 f) und in seinem Beschluss vom 15.7.2004 (B 9 SB 46/03 B, juris RdNr 7) festgehalten, wobei - wie bereits ausgeführt - ab 1.7.2001 ohne wesentliche Änderung der Rechtslage bei der
Feststellung des Vorliegens einer (unbenannten) Behinderung und des dazugehörigen GdB weiterhin auf die Auswirkungen nicht
nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abzustellen ist.
2. Diesen rechtlichen Vorgaben wird die Berufungsentscheidung nicht in vollem Umfang gerecht.
a) Entgegen der Auffassung des LSG ist Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nicht die begrenzte Frage, ab wann unter
Berücksichtigung des im Januar 2003 (diagnostisch) gesicherten Schlaf-Apnoe-Syndroms beim Kläger ein GdB von wenigstens 50
festzustellen ist, sondern, ob der Beklagte verpflichtet ist, ab Antragstellung (20.9.2000) oder jedenfalls ab einem anderen
Zeitpunkt vor dem 1.1.2003 einen GdB von wenigstens 50 aufgrund der beim Kläger vorliegenden Auswirkungen der gesundheitsbedingten
Funktionsbeeinträchtigungen bzw Teilhabebeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen
Beziehungen festzustellen. Da bei dem Kläger im streitigen Zeitraum - abgesehen von der Frage eines Schlaf-Apnoe-Syndroms
- verschiedene Gesundheitsstörungen vorlagen, die sich auf den GdB auswirken konnten, durfte das LSG seine Prüfung nicht auf
das Schlaf-Apnoe-Syndrom beschränken, sondern musste den Gesamtzustand des Klägers in Betracht ziehen. Für die verschiedenen
Gesundheitsstörungen werden Einzel-GdB nur als gedanklicher Zwischenschritt auf dem Wege zum Gesamt-GdB und nicht in der Form
von gesonderten Verwaltungsakten gebildet, die jeweils bestandskräftig und damit für die abschließende GdB-Bewertung verbindlich
werden können. Mithin durfte das LSG nicht ohne eigene Tatsachenfeststellungen die Einzel-GdB zugrunde legen, die der Beklagte
für die betreffenden Gesundheitsstörungen des Klägers ermittelt hatte. Dies gilt um so mehr, als ein Schlaf-Apnoe-Syndrom
- wovon das LSG selbst ausgegangen ist - im Rahmen eines sog metabolischen Syndroms in enger Beziehung zu anderen Gesundheitsstörungen
stehen kann.
b) Was die vom LSG erörterte Frage anbelangt, ob und ggf inwiefern sich das seit Januar 2003 durch Untersuchung im Schlaflabor
gesicherte Schlaf-Apnoe-Syndrom auch schon in der Zeit davor auf die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft ausgewirkt
hat, ist nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 18.3.2008 davon auszugehen,
dass die einschlägige Nr 26.8 AHP 1996 (S 85) es nicht grundsätzlich ausschließt, eine derart gesicherte Diagnose auch für
einen Zeitraum unmittelbar vor der Untersuchung im Schlaflabor anzunehmen. Insofern hat sich das LSG in diesem Punkt vom Ansatz
her zutreffend auf die Beurteilung sachkundiger Ärzte gestützt.
Dabei kommt ein GdB von 20, wie er in Nr 26.8 AHP 1996 für ein Schlaf-Apnoe-Syndrom "mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen
Überdruckbeatmung" vorgesehen ist, nur in Betracht, wenn eine derartige Überdruckbeatmung auch tatsächlich durchgeführt wird.
Das zeigt schon die Zuordnung eines höheren GdB "bei nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung". Ob allerdings der Zustand
einer Person, bei der das Schlaf-Apnoe-Syndrom noch nicht (sicher) festgestellt worden ist und daher auch nicht entsprechend
behandelt wird, demjenigen bei notwendiger, aber nicht durchführbarer Überdruckbeatmung entspricht, ist ggf durch einen medizinischen
Sachverständigen zu klären.
Im Übrigen hat das LSG zutreffend nicht die Diagnose, sondern den tatsächlichen Gesundheitszustand und seine Auswirkungen
für maßgebend gehalten. Insofern kommt es auch hier nicht entscheidend darauf an, ob die Diagnose "Schlaf-Apnoe-Syndrom" beim
Kläger auch für eine gewisse Zeit vor Januar 2003 der GdB-Bewertung zugrunde gelegt werden kann. Vielmehr sind die seinerzeit
tatsächlich bestehenden, gesundheitlich bedingten Teilhabebeeinträchtigungen zu ermitteln.
c) Ob der Beklagte und die Vorinstanzen beim Kläger im streitigen Zeitraum ohne Verletzung von Bundesrecht (§
162 SGG) lediglich einen (Gesamt-)GdB von 40 festgestellt haben, kann vom Senat nicht abschließend beurteilt werden, denn der angefochtene
Beschluss des LSG enthält schon keine hinreichenden Feststellungen zum tatsächlichen Gesundheitszustand des Klägers im streitigen
Zeitraum vom 20.9.2000 bis 31.12.2002. Die Ausführungen im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen beschränken sich im
Wesentlichen darauf, die Diagnosen der beim Kläger in diesem Zeitraum festgestellten Gesundheitsstörungen zu benennen (Diabetes
mellitus; Bluthochdruck; Bronchialasthma; Fettstoffwechselstörung) und deren Bewertung mit jeweils einem Teil-GdB und dem
daraus gebildeten (Gesamt-)GdB wiederzugeben. Auch soweit sich das LSG mit den Symptomen befasst hat, die der Kläger dem seinerzeit
noch nicht behandelten Schlaf-Apnoe-Syndrom zuordnet (zB Müdigkeit und Schlafzwang während des Tages), wird nicht deutlich,
ob und inwiefern diese hinreichend berücksichtigt worden sind.
Da der Senat die fehlenden Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht treffen kann (vgl §
163 SGG), ist die Berufungsentscheidung aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Insofern kommt es nicht darauf an,
ob der angefochtene Beschluss des LSG auch auf den vom Kläger gerügten Verfahrensmängeln beruht. Bei seiner erneuten Entscheidung
wird das LSG weiterhin davon ausgehen können, dass zu Gunsten des Klägers keine Beweislastumkehr eingetreten ist.
3. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.