Bezeichnung einer Divergenz im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
Gründe:
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat durch Urteil vom 10. November 2005 das Urteil des Sozialgerichts Dortmund
und die Entscheidung des Beklagten bestätigt, wonach die Klägerin keinen Anspruch auf Versorgung als Impfopfer hat, weil ihre
Gesundheitsstörungen (schwere geistige und sprachliche Behinderung, schwere motorische Behinderung mit spastischer Hemiparese
rechts, Fazialisschwäche rechts und Strabismus) nicht wahrscheinliche Folgen der Polio-Schluckimpfung vom 25. Mai 1994 seien.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Dagegen hat die Klägerin Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Sie macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche
Bedeutung, das Berufungsgericht sei von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen und verfahrensfehlerhaft vorgegangen.
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Klägerin hat keinen der in
§
160 Abs
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) abschließend genannten und hier sämtlich geltend gemachten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Zunächst beruft die Klägerin sich auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG ist eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtssicherheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss
daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums
angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit
oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner
Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) Eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre
(abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 59,
65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin hält sinngemäß folgende Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam:
Sind nur solche gesundheitlichen Schädigungen nach Impfschadensrecht entschädigungspflichtig, die von dem eigentlichen Impfstoff
(abgeschwächtes oder abgetötetes Virus) verursacht sind oder auch solche, die auf Impfzusatzstoffe zurückgehen?
Sie behauptet auch, zu dieser Frage gebe es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Damit ist der Klärungsbedarf aber
nicht hinreichend dargelegt. Die Klägerin hätte auch aufzeigen müssen, weshalb sich die Antwort auf ihre Frage nicht bereits
aus dem Infektionsschutzgesetz ergibt. Dazu wären nähere Ausführungen im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass nach dessen § 60 Abs 5 Satz 1 als Impfschaden
auch die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung gelten, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs 2 Buchst e oder f oder des § 8a Bundesversorgungsgesetz herbeigeführt worden sind. Es liegt nahe, dass dann erst recht alle gesundheitlichen Folgen der Impfung selbst, seien sie
durch den eigentlichen Impfstoff oder durch Begleitstoffe verursacht, entschädigungspflichtig sind.
Des Weiteren macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil weiche von Rechtsprechung des BSG ab (Divergenz).
Zur formgerechten Rüge einer Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen,
dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der
Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen
Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil und einen abstrakten
Rechtssatz aus der höchstrichterlichen Entscheidung so bezeichnen, dass eine Divergenz erkennbar wird. Es reicht hingegen
nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche
hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl
BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54, 67). Diese Begründungserfordernisse hat die Klägerin nicht hinreichend erfüllt.
Zunächst beruft sie sich auf eine Divergenz zum Urteil des BSG vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 3/89 - (SozR 3870 § 4 Nr 3). Die Beschwerdebegründung lässt - noch - erkennen, dass die Klägerin dieser Entscheidung den folgenden
von ihr formulierten Rechtssatz entnimmt:
Neue Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz
(AHP) können nicht auf einen vor Inkrafttreten dieser AHP aufgetretenen Fall angewendet werden.
Dem stellt die Klägerin aber keinen Rechtssatz des LSG gegenüber. Sie behauptet lediglich, das Berufungsgericht habe den von
ihr der höchstrichterlichen Rechtsprechung entnommenen Rechtssatz nicht beachtet. Damit ist der für die Zulassung der Revision
erforderliche grundsätzliche Widerspruch des LSG gegen den behaupteten Rechtssatz des BSG nicht aufgezeigt. Missversteht nämlich
das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz, dem es zu folgen gewillt ist, und subsumiert es dementsprechend
den Sachverhalt fehlerhaft, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt (vgl
BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26).
Weiter macht die Klägerin geltend, das BSG habe im Urteil vom 17. Dezember 1997 - 9 RVi 1/95 - (SozR 3-3850 § 52 Nr 1) entschieden,
in Impfschadensfällen dürften die Gerichte zur Dauer der Inkubationsfrist nicht ungeprüft die sog herrschende medizinische
Auffassung zu Grunde legen, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen seien, dass diese herrschende medizinische Auffassung
im konkreten Fall nicht zutreffe. Sollte damit ein Rechtssatz des BSG formuliert sein, so hat die Klägerin dem doch nur die
ihrer Auffassung nach davon abweichende Vorgehensweise des Berufungsgerichts gegenübergestellt, nicht aber einen Rechtssatz
des LSG herausgearbeitet, der dem behaupteten Rechtssatz des BSG widerspricht.
Schließlich macht die Klägerin Verfahrensfehler geltend (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Soweit sie sich dabei gegen eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Berufungsgerichts wendet, also eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG rügt, kann ein derartiger Mangel nicht zur Zulassung der Revision führen (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG). Das gilt auch für den dem LSG vorgeworfenen Verstoß gegen Denkgesetze.
Soweit die Klägerin behauptet, das Berufungsgericht habe gegen seine Pflicht verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen zu
erforschen (§
103 SGG), hätte die Beschwerdebegründung folgende Punkte enthalten müssen: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres
auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung
des LSG, auf Grund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden
Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen
Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich
fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen
Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, der Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen
können (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45, § 160a Nr 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht
gerecht.
Die Klägerin hat bereits keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet. Sie führt insoweit lediglich aus:
"Da ausdrücklich beantragt wurde, die Erkenntnisse von Herrn Dr. Klaus H. zum Risikopotenzial in den Prozess einzubringen,
hätte sich der Senat gedrängt fühlen müssen, dies auch zu tun."
Die Klägerin gibt aber nicht an, wann und wo sie diesen Antrag gestellt und ob sie ihn bis zum Ende der mündlichen Verhandlung
aufrechterhalten hat.
Auch soweit die Klägerin geltend macht, von der Urteilsbegründung überrascht worden zu sein, hat sie einen Zulassungsgrund
- in Form einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG) - nicht ordnungsgemäß aufgezeigt. Sie hat schon nicht dargelegt, was sie im Berufungsverfahren vorgetragen hätte, wenn sie
die von ihr als überraschend empfundene Begründung des LSG - spätestens - in der mündlichen Berufungsverhandlung erfahren
hätte.
Die nicht formgerecht begründete und deshalb unzulässige Beschwerde ist nach §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2 iVm §
169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des §
193 SGG.