Entschädigung nach dem OEG wegen einer bei einer Schlägerei erlittenen Verletzung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger verlangt eine Entschädigung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen einer bei einer Schlägerei erlittenen Verletzung.
Der Kläger geriet am Morgen des 5.2.2011 in D in eine Schlägerei und erhielt dabei einen Schlag gegen den Kopf. Er wurde deshalb
vom 5. bis 10.2.2011 stationär im Evangelischen Krankenhaus D behandelt. Diagnostiziert wurden eine traumatische Felsenbeinlängsfraktur
rechts mit Hämatotympanon und ein leichtes Hämatom des Gehörgangsdachs rechts.
Zu einer Verurteilung eines Täters wegen der vom Kläger erlittenen Verletzungen kam es nicht. Das zuständige Amtsgericht konnte
wegen unvollständiger Aussagen der gehörten Zeugen - darunter des Klägers - keine ausreichenden Feststellungen über den Tathergang
treffen und sprach den Angeklagten frei (Urteil vom 12.4.2013).
Der Beklagte erkannte auf Antrag des Klägers als durch schädigende Einwirkungen iS des
OEG hervorgerufene Gesundheitsschädigungen in Form von Knochennarben am rechten Felsenbein und im Bereich der Kiefernhöhle an.
Entschädigungsleistungen lehnte er ab, da kein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 25 erreicht werde (Bescheid vom 2.5.2014; Widerspruchsbescheid vom 11.7.2014).
Das SG hat die Klage abgewiesen. Der Kläger sei unstreitig Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von §
1 Abs
1 OEG geworden; die Beeinträchtigungen seiner Gesundheit rechtfertigten aber keinen GdS von mindestens 25 (Urteil vom 8.6.2020).
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es könne offenbleiben, ob die medizinischen Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs
vorlägen. Nach den überzeugenden Darlegungen des Amtsgerichts im Strafverfahren sei bereits "keine Tat im Sinne des §
1 OEG" feststellbar. Auch der Beklagte habe die Tat als solche nicht anerkannt. Ohnehin sei der vom Kläger geschilderte Geschehensablauf
von vornherein ungeeignet gewesen, eine Posttraumatische Belastungsstörung auszulösen. Es habe zu keinem Zeitpunkt Lebensgefahr
bestanden. Der Kläger habe lediglich eine Platzwunde erlitten (Urteil vom 7.5.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs und einen Verstoß des LSG gegen seine Sachaufklärungspflicht.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil die
allein behaupteten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden sind (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
a) Der Kläger rügt eine sein rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung. Indes hat er nicht dargelegt, warum
das Berufungsurteil auf Gesichtspunkte gestützt worden wäre, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter
nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte.
Die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs aus §
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG verbietet den Gerichten Überraschungsentscheidungen. Damit soll verhindert werden, dass eine die Instanz abschließende Entscheidung
ergeht, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sich die Beteiligten nicht oder nicht
in rechtlich ausreichender Weise äußern konnten. Eine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung und zugleich
ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens liegt dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bislang
nicht erörterten wesentlichen Gesichtspunkt - auch tatsächlicher Art - stützt und dem Rechtsstreit dadurch eine unerwartete
Wendung gibt, mit der selbst ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht
rechnen musste (vgl stRspr; zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - juris RdNr 18; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 21.10.2019 - B 9 V 11/19 B - juris RdNr 10; BSG Beschluss vom 7.8.2014 - B 13 R 441/13 B - juris RdNr 12).
Indes hat das LSG im Erörterungstermin vor der unmittelbar anschließenden vom Kläger in der Beschwerdebegründung erwähnten
mündlichen Verhandlung den Sachverhalt mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers erörtert und dabei ausdrücklich zu Protokoll
auf seine Rechtsansicht hingewiesen, die angeschuldigte Tat sei weder im Strafverfahren nachgewiesen noch vom Beklagten in
seinem Bescheid bestandskräftig festgestellt. Der Kläger hat nicht aufgezeigt, warum das auf diese rechtlichen Erwägungen
gestützte Berufungsurteil für ihn dennoch eine Überraschungsentscheidung sein konnte.
Soweit er eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren rügt, weil ihm das LSG diesen Rechtsstandpunkt
erst im Erörterungstermin eröffnet habe, genügt sein Vorbringen ebenfalls nicht den Anforderungen an die Begründung eines
Verfahrensmangels. Wird - wie hier - aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten die Gelegenheit erhalten,
ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Dass dies nicht der Fall gewesen sein soll, behauptet der im Berufungsverfahren
anwaltlich vertretene Kläger nicht. Ebenso wenig hat er dargelegt, warum es seinem Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen
sein soll, im Termin zur Sache vorzutragen oder sich Gehör zu verschaffen oder einen Beweis- oder Vertagungsantrag zu stellen
(vgl BSG Beschluss vom 13.4.2022 - B 8 SO 71/21 B juris RdNr 8). Keine Frage der Gewährung rechtlichen Gehörs ist es hingegen, ob der vom LSG eingenommene Rechtsstandpunkt zutrifft (vgl BSG Beschluss vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B juris RdNr 42).
Soweit der Kläger darüber hinaus meint, das LSG habe zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs nicht entscheiden dürfen, ohne
ihn zur Tat persönlich anzuhören, fehlt es an der Darlegung, welche neuen entscheidungsrelevanten Ausführungen der Kläger
persönlich zu der mehr als zehn Jahre zurückliegenden Tat noch hätte machen können. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen
des LSG bereits im Strafverfahren im Jahr 2013 die Zeugenaussage des Klägers für tragfähige Feststellungen des Strafgerichts
nicht ausreichte. Ebenso wenig ist dargelegt, warum der Kläger sich nicht über seinen Prozessbevollmächtigten schriftlich
oder mündlich ausreichend Gehör verschaffen konnte.
b) Soweit der Kläger schließlich allgemein eine unterbliebene Sachaufklärung durch das LSG rügt, fehlt es schon an der für
eine solche Rüge nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG unabdingbaren Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 6.4.2022 - B 9 SB 82/21 B - juris RdNr 4).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.