Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen
Verfassungsmäßigkeit des gekürzten Zugangsfaktors wegen einer vorzeitigen Inanspruchnahme
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen auf der Grundlage eines Zugangsfaktors
von 1,0.
Bei der am 1952 geborenen Klägerin ist seit 09.12.2010 (auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs vom April 2014 rückwirkend)
ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt.
Am 19.04.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen, eine
Rente wegen voller Erwerbsminderung sowie eine Altersrente für Frauen.
Mit Bescheid vom 29.04.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin zunächst eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen rückwirkend
ab 01.07.2013 in Höhe von monatlich 570,50 EUR (brutto). Dabei legte die Beklagte ihrer Rentenberechnung 22,7284 Entgeltpunkte,
ermittelt aus den rentenrelevanten Zeiten und Entgelten, zu Grunde. Hieraus errechnete sie unter Berücksichtigung eines auf
0,892 verringerten Zugangsfaktors 20,2737 persönliche Entgeltpunkte. Die Kürzung des Zugangsfaktors von 1,000 auf 0,892 begründete
sie mit der um 36 Kalendermonate vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wobei sie für
jeden Kalendermonat eine Kürzung des Zugangsfaktors um 0,003, mithin um insgesamt 0,108 (36 x 0,003) vornahm. Hinsichtlich
der Einzelheiten der Berechnungsgrundlagen und Berechnungen wird auf die Anlagen zum Bescheid vom 29.04.2014 verwiesen. Den
hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2015 zurück
Daneben bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 19.05.2014 rückwirkend ab 01.05.2013 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze
(30.06.2018) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 577,50 EUR monatlich (brutto), ab 01.07.2013 in Höhe von
588,92 EUR monatlich (brutto). Dem lagen 20,5843 persönliche Entgeltpunkte bei einem Zugangsfaktor von 0,904 zu Grunde. Im
diesem Bescheid wies die Beklagte zusätzlich darauf hin, dass die ab 01.07.2013 zuerkannte Altersrente wegen Schwerbehinderung
rückwirkend ab 01.07.2013 auf Grund der höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr geleistet werde.
Am 20.07.2015 hat die Klägerin gegen die Höhe der Altersrente Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sie hat ausgeführt, dass sich die ursprüngliche Kürzung des Zugangsfaktors spätestens mit Erlass des zum 01.07.2014
in Kraft getretenen Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (BGBl. I S. 787; RV-Leistungsverbesserungsgesetz)
als verfassungswidrig erweise. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 11.01.2011 die gesetzliche
Regelung zur Kürzung des Zugangsfaktors für verfassungsgemäß erachtet. Dies sei auch auf die Kürzung des Zugangsfaktors für
Altersrenten übertragbar. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung dazu Stellung genommen, unter
welchen Bedingungen die Kürzung des Zugangsfaktors einer Verfassungsprüfung noch standhalte. Insbesondere habe es darauf hingewiesen,
dass die Kürzung des Zugangsfaktors der Verminderung der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung und mithin der Sicherung
der Finanzierungsgrundlagen dienen sollte. Allerdings sei mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz nachträglich ein Mehrausgabengesetz
für die gesetzliche Rentenversicherung verabschiedet worden, das ca. sechs Milliarden Euro Mehrkosten pro Jahr verursache.
Damit habe der Gesetzgeber offensichtlich das Ziel, die Finanzierungsgrundlagen zu sichern, endgültig zum 30.06.2014 erreicht.
Mithin entfalle der für die Kürzung des Zugangsfaktors tragende Rechtfertigungsgrund der Sicherung der Finanzierungsgrundlagen,
sodass ab diesem Zeitpunkt verfassungswidrig in eigentumsgeschützte Anwartschaften nach Art.
14 Grundgesetz (
GG) eingegriffen werde. Insbesondere bedürfe es keines gesetzgeberischen Unterlassens für die Annahme einer Verfassungswidrigkeit,
da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts selbst als Grundlage und Argumentation für die ab 01.07.2014 eingetretene
Verfassungswidrigkeit der Regelung des gekürzten Zugangsfaktors angeführt werden könne. Das Bundesverfassungsgericht habe
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, wann und unter welchen Voraussetzungen die versicherungsmathematischen Abschläge
ausnahmsweise gerechtfertigt seien. Um einen verfassungskonformen Zustand herzustellen sei der Gesetzgeber daher vorrangig
verpflichtet, die weiterhin bestehenden Rentenabschläge zurückzunehmen. Darüber hinaus sei Art.
3 GG zu berücksichtigen, da auch diejenigen Versicherten, die eine Abschlagsrente beziehen, genauso Beitragslasten getragen hätten,
wie Versicherte, denen nunmehr mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente ohne
Abschläge ermöglicht werde.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2017 hat das Sozialgericht Freiburg die Klage abgewiesen. Der Rentenbewilligungsbescheid vom
29.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2015 sei nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 08.02.2017 zugestellten Gerichtsbescheid am 22.02.2017 Berufung beim Landessozialgericht
Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren und weist darauf hin, dass sich das
Sozialgericht in seiner Entscheidung überhaupt nicht mit den nachträglichen Auswirkungen des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes
auseinandergesetzt habe, zudem läge auch ein Verstoß gegen Art.
3 GG vor, da nunmehr Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht werde, vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen.
Auch sei den Beratungen des Gesetzgebers zum erlassenen RV-Leistungsverbesserungsgesetz im Herbst 2013 bereits zu entnehmen,
dass die für die Kürzung des Zugangsfaktors angeführten Finanzierungsengpässe endgültig beseitigt seien.
Die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 22.02.2017, sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.02.2017 aufzuheben und den Bescheid vom 29.04.2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2015 abzuändern sowie die Beklagte zu verpflichten, die Rente mit einem Zugangsfaktor
von 1,0 statt 0,892 zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen wegen grundsätzlicher Bedeutung, hilfsweise das Verfahren
im Rahmen des §
159 SGG an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Beteiligtenvorbringens sowie des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten
sowie die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat verhandelt und entschieden, obwohl weder die Klägerin noch deren Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen
Verhandlung erschienen ist. Denn die Beteiligten sind mit Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden.
Die gemäß §
151 Abs.1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§
143,
144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Insbesondere führt die bis zum Juni 2018 vorrangige tatsächliche Leistung
der betragsmäßig höheren vollen Erwerbsminderungsrente nicht dazu, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage zu verneinen
wäre. Ausgehend von § 89 Abs. 1 Satz 1 SGBVI wird nur die höchste Rente geleistet, sofern für denselben Zeitraum Ansprüche
auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestehen. Damit entfällt durch die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderungsrente
bis zum 30.06.2018 der grundsätzliche Rentenanspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen gerade nicht, sondern kommt
nur auf Grund der geringeren Rentenhöhe nicht zur Auszahlung. Dem entsprechend hat die Klägerin Anspruch auf die Zuerkennung
der Altersrente in der richtigen gesetzlichen Höhe, was ggf. dann auch - falls höher als die Renten wegen Erwerbsminderung
- zur Auszahlung führen würde.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten
vom 29.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2015 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten
verletzt. Eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung kommt daher nicht in Betracht auch nicht zum Zweck einer Zurückverweisung.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 29.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2015, allerdings
nur in Bezug auf die dort geregelte Höhe der zuerkannten Rente (genauer: der Ablehnung eines darüberhinausgehenden Anspruchs,
s. BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 113/00 R) und auch nur im Hinblick auf den von der Klägerin geltend gemachten höheren Zugangsfaktor. Denn der Streitgegenstand wird
durch den prozessualen Anspruch bestimmt, durch das vom Kläger auf Grund eines konkreten Sachverhalts an das Gericht gerichtete
und im Klageantrag zum Ausdruck gekommene Begehren sowie durch den Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 113/00 R; Urteil vom 25.02.2004, B 5 RJ 62/02 R in SozR 4-2600 § 237 Nr. 2). Dem entsprechend hat die Klägerin den Streitgegenstand im vorliegenden Rechtsstreit zulässigerweise
auf dieses Element der Rentenberechnung eingeschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 25.02.2004, B 5 RJ 62/02 R in SozR 4-2600 § 237 Nr. 2 zum Zugangsfaktor; Urteil vom 12.12.2006, B 13 RJ 22/05 R in SozR 4-2600 § 70 Nr. 2 zur Ermittlung von Entgeltpunkten für bestimmte Zeiträume, hier der Kindererziehung), so dass
sich die gerichtliche Prüfung hierauf beschränkt (BSG, a.a.O.). Damit ist der Bescheid vom 19.05.2014 (Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung) auch insoweit nicht Gegenstand
des Widerspruchsverfahrens nach §
86 SGG, als dort der Zahlbetrag der Altersrente auf null gestellt wird. Denn die Rentenberechnung selbst wird weder abgeändert noch
ersetzt.
Rechtsgrundlage des Begehrens der Klägerin auf höhere Altersrente sind die Regelungen der §§
63 ff. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) über die Rentenhöhe. Danach richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der in Entgeltpunkte umgerechneten Höhe der während
des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§
63 Abs.
1 und Abs.
2 Satz 1
SGB VI). Denn gemäß §
64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Berücksichtigung des - vom Alter des Versicherten bei Rentenbeginn
abhängigen (vgl. §
77 SGB VI) - Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert
bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist dabei ein Berechnungselement zur Ermittlung der
persönlichen Entgeltpunkte. Gemäß §
77 Abs.
1 SGB VI in der zum Rentenbeginn maßgebenden Fassung richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn
oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche
Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist nach §
77 Abs.
2 Satz 1
SGB VI für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, 1. bei Renten wegen Alters,
die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren
Rentenalters beginnen, 1,0, 2. bei Renten wegen Alters, die a. vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Monat um 0,003
niedriger als 1,0 und b. nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden,
für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0, 3. bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten
für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch
genommen wird um 0,003 niedriger als 1,0.
Die Beklagte legte bei der Berechnung der der Klägerin bewilligten Altersrente für schwerbehinderte Menschen wegen der vorzeitigen
Inanspruchnahme dieser Rente um 36 Kalendermonate einen um 0,108 verringerten Zugangsfaktor (36 x 0,003), mithin einen Zugangsfaktor
von 0,892 bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte zu Grunde. Dies ist nicht zu beanstanden.
Gemäß §
236a Abs.
2 SGB VI haben Versicherte, die vor dem 01.01.1952 geboren sind, Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres;
für sie ist die vorzeitige Inanspruchnahme nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Für Versicherte, die nach dem 31.
Dezember 1951 geboren sind, werden die Altersgrenzen von 63 Jahren und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme
mit einem Geburtsdatum zwischen Juni bis Dezember 1952 um sechs Monate angehoben, so dass die reguläre (abschlagsfreie Inanspruchnahme
der Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab Vollendung von 63 Jahren und sechs Monaten und die vorzeitige Inanspruchnahme
ab dem Alter von 60 Jahren und sechs Monaten möglich ist.
Der Klägerin, die am 02.12.1952 geboren ist, wurde auf ihren Antrag hin mit Erreichen des Lebensalters von 60 Jahren und sechs
Monaten (02.06.2013) ab 01.07.2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt. Als regulärer Rentenbeginn ohne
Abschläge für diese Altersrente wäre der Monat nach Erreichen des Lebensalters von 63 Jahren und sechs Monaten (02.06.2016)
mithin der 01.07.2016 (§
99 Abs.
1 Satz 2
SGB VI) maßgebend gewesen. Sie erhielt die Altersrente somit 36 Monate vorzeitig.
§
77 Abs.
2 S. 1 Nr.
2 Buchst. a
SGB VI begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Hierzu stützt sich der Senat auf die umfassenden verfassungsrechtlichen
Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss vom 11.11.2008 (1 BvL 3/05, u. a. in juris) zur Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente
wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit) und schließt sich diesen uneingeschränkt an (nachfolgend auch BVerfG, Beschluss
vom 11.01.2011, 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09, in juris, zum verminderten Zugangsfaktor bei Renten wegen Erwerbsminderung).
Die Regelung des §
77 Abs.
2 S. 1 Nr.
2 Buchst. a
SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.04.2007 (BGBl. I S. 554) ist mit Inkrafttreten des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23.06.2014 (RV-Leistungsverbesserungsgesetz,
BGBl. I S. 787) zum 01.07.2014 auch nicht (nachträglich) verfassungswidrig geworden, wie die Klägerin meint.
Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen Art.
14 Abs.
1 GG damit begründet, dass sich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.01.2011 entnehmen lasse, die Kürzung des Zugangsfaktors
sei nur auf Grund (damals) bestehender Finanzierungslücken für verfassungskonform erachtet worden und daher führe eine spätere
Stabilisierung der Finanzen der Rentenversicherung - wie sie von der Klägerin mit Hinweis auf die durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz
verbundenen Mehrausgaben behauptet wird - "automatisch" zur Verfassungswidrigkeit des gekürzten Zugangsfaktors, trifft dies
bei eingehender Beleuchtung der Argumentation des Bundesverfassungsrechts in den genannten Beschlüssen nicht zu.
Zum einen begründet das Bundesverfassungsgericht weder in seinem Beschluss vom 11.11.2008 noch in seinem Beschluss vom 11.01.2011
die Verfassungskonformität von §
77 Abs.
2 S. 1 Nr.
2 Buchst. a bzw. Nr.
3 SGB VI pauschal mit einer anderenfalls drohenden Finanzierungsschieflage, sondern prüft die Zulässigkeit von Inhalts- und Schrankenbestimmungen
nach Art.
14 Abs.
1 Satz 2
GG dezidiert unter Berücksichtigung der finanziellen Auswirkungen eines früheren Renteneintritts und damit einer allgemeinen
Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Es stellt klar, dass der Gesetzgeber befugt ist, angemessen - hier durch finanzielle Einschnitte
über die Absenkung des Zugangsfaktors - der mit der Frühverrentung einhergehenden längeren Rentenzahlungsbelastung entgegenzusteuern
(BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008, a.a.O., Rdnr. 79 ff.). Damit sollte - neben der Eindämmung der Flucht in die Frührente
- Kostenneutralität für die mit längeren Rentenbezugszeiten einhergehenden vorzeitigen Rentenleistungen erzielt und letztlich
der mit dem vorzeitigen Rentenbezug entstehende Leistungsvorteil ausgeglichen werden (BVerfG a.a.O., Rdnr. 81 f. unter Hinweis
auf den Entwurf des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, BT Drs. 11/4124, S. 144). Diese auf Vorteilsnivellierung
ausgerichtete gesetzgeberische Intention hat das Bundesverfassungsgericht auch ausdrücklich als legitim angesehen (BVerfG,
Beschluss vom 11.01.2011, a.a.O., Rdnr. 41). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass mit der Einführung
des gekürzten Zugangsfaktors sachgerecht ausschließlich diejenigen Versicherten belastet werden, die tatsächlich früher Rente
beziehen indem sie im Wege einer versicherungsmathematischen Pauschalierung mit den von ihnen selbst verursachten Mehrkosten
belastet werden (a.a.O., Rdnr. 86). Auch die Höhe der pauschalierten Mehrkosten über die Festlegung eines um 0,003 abgesenkten
Zugangsfaktors für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente hat es unter Darlegung der versicherungsmathematischen
Berechnungen als verfassungskonform erachtet (a.a.O., Rdnr. 87). An dieser gesetzgeberisch gewollten und verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandenden Vorteils-Ausgleichs-Konzeption hat die Einführung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes nichts geändert.
Wie bisher profitieren Versicherte, die eine Altersrente vorzeitig in Anspruch nehmen, durch längere Rentenbezugszeiten und
finanzieren die dadurch entstehenden Mehrkosten durch den verminderten Zugangsfaktor über die gesamte Rentenlaufzeit pauschal
mit, so dass die Verfassungsmäßigkeit der hier gekürzten, weil vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente für schwerbehinderte
Menschen nicht davon abhängt, ob dem Gesetzgeber (nunmehr) andere Möglichkeiten der Kostenkompensation zur Verfügung standen
bzw. stehen. Vielmehr steht dem Gesetzgeber bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art.
14 Abs.
1 Satz 2
GG ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008, a.a.O., Rdnr. 79).
Eine davon abweichende Wertung des Bundesverfassungsgerichts ist auch nicht dem von der Klägerin zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 11.01.2011 zu entnehmen. Auch mit der Reduzierung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten verfolgte der Gesetzgeber
nicht das pauschale Ziel einer allgemeinen Sanierung der Staatsfinanzen. Vielmehr sollten auch Bezieher einer Erwerbsminderungsrente
an den durch ihren früheren Rentenbeginn und die damit verbundene Rentenlaufzeit entstehenden Mehrkosten angemessen beteiligt
und damit eine rentenartübergreifende Kompensationsregelung geschaffen und so das Ziel der Kostenneutralität erreicht werden
(BVerfG, Beschluss vom 11.01.2011, a.a.O., Rdnr. 41).
Auch eine Verletzung von Art.
3 Abs.
1 GG durch die Benachteiligung von Rentenbeziehern mit Abschlägen durch das Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes
zum 01.07.2014 ist nicht erkennbar. Soweit der Gesetzgeber mit Einführung dieses Gesetzes die vorzeitige Inanspruchnahme einer
Altersrente für einige besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge eingeführt (vgl. §
236 b SGB VI) und ermöglicht hat, honoriert er die besonders langen Beitragsleistungen im Rahmen eines besonders lang andauernden kontinuierlichen
Erwerbslebens mit entsprechenden Beitragsleistungen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RV-Leistungsverbesserungsgesetz,
BRDrs. 25/14, S. 12; vgl. auch Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 12.12.2006 zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz
in Bezug auf die Rente für besonders langjährig Versicherte ab dem 65. Lebensjahr nach §
38 SGB VI, BTDrs. 16/3794, S. 28) Dass dieser Aspekt ein zulässiges Differenzierungskriterium im Hinblick auf die Gewährung von abschlagsfreien
Renten wegen Alters für besonders langjährige Versicherte einerseits und Renten mit Abschlägen für Rentenbezieher anderer
Rentenarten darstellt, hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls in seiner Entscheidung vom 11.11.2008 bereits im Hinblick
auf eine abschlagsfreie Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach damals geltender Rechtslage ausgeführt (BVerfG,
a.a.O., Rdnr. 69 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.