Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei Aufnahme in einer Bedarfsgemeinschaft
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 13. Juli 2012 ist zulässig (vgl. §
145 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor.
Nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG in der hier anwendbaren, ab 1. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands
bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht
übersteigt. Diese Regelung findet nur dann keine Anwendung, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für
mehr als ein Jahr betrifft (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Dieser Beschwerdewert wird vorliegend nicht erreicht; der Ausnahmetatbestand des §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG liegt nicht vor. Gegenstand des Klageverfahrens S 24 AS 8149/07 war der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 11. Juni 2007 in der Fassung des Bescheides vom 19. September
2007, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. September 2007, mit dem der Beklagte zuletzt noch bewilligtes
Arbeitslosengeld II (Alg II) i.H.v.197,70 EUR für den Zeitraum April 2007 aufgehoben hatte. Damit ergibt sich für den Beklagten
aus der stattgebenden Entscheidung des SG eine Beschwer in eben dieser Höhe.
Da das SG die Berufung im Urteil nicht zugelassen hat, bedarf eine Berufung der Zulassung durch Beschluss des Landessozialgerichts
(vgl. §
144 Abs.
1 Satz 1
SGG). Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt,
auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Der Rechtssache kommt zunächst keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung
gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine
Klärung erfolgt (ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 2, 121, 132). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche
Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (Meyer-Ladewig,
SGG, 10. Aufl., §
144 Rdnr. 28). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage in diesem Sinn wirft die Streitsache nicht auf.
Entgegen der Auffassung des Beklagten wirft die von ihm so formulierte Frage, "ob ein bereits vor Haftentlassung geplanter
und sodann nach Haftentlassung unmittelbar erfolgter erstmaliger Einzug des Haftentlassenen rechtlich zu dessen Zugehörigkeit
zur Bedarfsgemeinschaft bereits während der Haftzeit führt" keine in diesem Sinne klärungsbedürftige Rechtsfrage auf. Denn
grundlegende Voraussetzung für eine Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist ein - gegebenenfalls auch nur zeitweises (im Rahmen so genannter temporärer Bedarfsgemeinschaften, vgl. hierzu BSG vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 75/08 R - [...] Rdnr. 15) - Zusammenleben. Das BSG hat hierzu zuletzt (Urteil vom 14. März 2012 - B 14 AS 17/11 R - [...] Rdnr. 23) ausgeführt: "Der Gesetzgeber knüpft nicht an jedes Zusammenleben von einander nicht zur materiellen Unterstützung verpflichteten Personen
unter einem Dach die dargestellten Rechtsfolgen, sondern lediglich an das Zusammenleben in einer Bedarfsgemeinschaft. Die
Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 SGB II ist im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG zur Bedürftigkeitsprüfung im Recht der Arbeitslosenhilfe bei eheähnlichen
Gemeinschaften im Ausgangspunkt als eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft zu verstehen, die über die Beziehungen
in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (vgl BVerfG Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr. 3). Im Anschluss an diese Rechtsprechung schließt der Gesetzgeber bei Vorliegen bestimmter typisierter
(familiär geprägter) Lebensumstände auf (typisierte) Haushaltseinsparungen und Unterstützungsleistungen innerhalb der Gemeinschaft,
die die Gewährung staatlicher Hilfe nicht oder nur noch in eingeschränktem Umfang gerechtfertigt erscheinen lassen." Hieraus wird deutlich, dass die Frage des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft schon keiner Erörterung bedarf, wenn - wie
im vorliegenden Falle - noch nicht einmal ein Zusammenleben vorliegt.
Auch die weitere, vom Beklagten aufgeworfene Frage, "ob zur rechtlichen Einordnung von Geldzuflüssen als Einkommen oder Vermögen
am Tag der Antragstellung bzw. des Beginns der Bedarfszeit auf das tatsächliche Vorher und Nachher oder vielmehr auf eine
tageweise Betrachtung abzustellen ist", ist nach Auffassung des Senats durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Nach
ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Abgrenzung, ob Zuflüsse als Vermögen oder Einkommen einzuordnen sind, allein der Zeitpunkt der Antragstellung
gemäß § 37 SGB II maßgeblich; Einkommen im Sinne des §§ 11 Abs. 1 SGB II ist danach grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er vor Antragstellung
bereits hatte (st. Rspr., grundlegend BSG vom 30. Juli 2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 17 und vom 30. September 2008 - B 4 AS 29/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 15; vergleiche zuletzt BSG vom 6. Oktober 2011 - B 14 AS 94/10 R - [...] Rdnr. 18). Zutreffend folgert das LSG Sachsen-Anhalt in seiner vom SG zitierten Entscheidung vom 26. Januar 2012 (L 2 AS 192/09 - [...]) aus der Regelung in § 41 SGB II über die Berechnung der Leistungen, dass eine Differenzierung zwischen den einzelnen Stunden des Antragstages wiederum nicht
statthaft ist (LSG Sachsen-Anhalt a.a.O., [...] Rdnr. 37). Das BSG betrachtet in seiner Rechtsprechung die Regelung des § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB II als normativen Anhaltspunkt dafür, dass der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für jeden Kalendertag
besteht, weshalb ein Kalendertag damit die kleinste im Gesetz vorgesehene zeitliche Einheit ist, für die Ansprüche auf Leistungen
für den Lebensunterhalt bestehen und entsprechende Leistungen bemessen werden können (BSG vom 2. Juli 2009, a.a.O., Rdnr. 16). Hieraus zieht das LSG Sachsen-Anhalt dann den zutreffenden Schluss, dass, wenn weder
bei der Antragstellung am Monatsersten noch im Laufe des Monats für die Leistungsgewährung und auch für die Berechnung des
Anspruchs eine kleinere Einheit gebildet werden kann, als der volle Tag, auch bei der Berücksichtigung von Einkommen am Tag
der Antragstellung vom Tagesprinzip auszugehen ist (LSG Sachsen-Anhalt a.a.O.). Diese sich bereits aus dem Gesetz ergebende
Rechtsfolge wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt. Bereits in seiner Entscheidung vom 30. Juli 2008 hat
das BSG ausgeführt, für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen stelle das (Kalender-)Datum der Antragstellung die maßgebliche
Zäsur dar (BSG a.a.O. - B 14 AS 43/07 R - [...] Rdnr. 26). Mit dieser Formulierung, wie auch der Benennung eines konkreten Datums hat sich das BSG auf die - vom Beklagten praktizierte - tagesweise Berücksichtigung ohne weitere Unterteilung gemäß der tatsächlichen zeitlichen
Abfolge innerhalb des maßgeblichen Tages festgelegt. Angesichts dieser Entscheidung geht der Senat bereits von einer höchstrichterlichen
Klärung der Frage, dahingehend, dass eine tageweise Betrachtungsweise zu Grunde zu legen ist, aus. Jedenfalls liefert diese
Entscheidung zumindest ausreichende Anhaltspunkte, dass die konkret aufgeworfene Frage in diesem Sinne zu beantworten ist;
eine Klärungsbedürftigkeit liegt damit nicht mehr vor (Meyer-Ladewig a.a.O., § 160 Rdnr. 8). Auch das LSG Sachsen-Anhalt ist
in der genannten Entscheidung davon ausgegangen, dass die hier streitige Rechtsfrage geklärt ist und hat von der Zulassung
der Revision abgesehen (LSG Sachsen-Anhalt a.a.O., [...] Rdnr. 46). Eine Klärungsbedürftigkeit ergibt sich auch nicht unter
dem Gesichtspunkt, dass vorliegend nicht auf das Datum der Antragstellung, sondern dasjenige der Aufnahme in die Bedarfsgemeinschaft
abzustellen ist. In Hinblick auf die Frage der Berücksichtigung von Einkommen bzw. Vermögen steht nach § 9 Abs. 2 SGB II die Aufnahme in eine Bedarfsgemeinschaft ohne vorherigen Antrag in ihren Wirkungen einem Leistungsantrag gemäß § 37 SGB II, jedenfalls in der bis zum 31. Dezember 2010 anzuwendenden Fassung, gleich.
Zwar hat das SG in seiner Entscheidung auf die tatsächliche zeitliche Abfolge innerhalb des maßgeblichen Tages und nicht auf das Tagesprinzip
abgestellt. Eine Divergenz im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG liegt dennoch nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung
des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Soweit das SG von der Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt abgewichen ist, liegt hierin schon keine Divergenz, weil es sich bei Letzterem
nicht um das zuständige Berufungsgericht handelt (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rdnr. 30). Aber auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG liegt kein Divergenzfall vor: Das SG hat sich zur Herleitung der rechtlichen Maßstäbe für die Beurteilung der Frage, ob zur rechtlichen Einordnung von Geldzuflüssen
als Einkommen oder Vermögen auf das tatsächliche Vorher und Nachher oder auf eine tageweise Betrachtung abzustellen ist, auf
die Entscheidungen des BSG vom 30. Juli 2008 (B 14/7b AS 12/07 R - [...]) - das vom Beklagten zur Begründung einer Divergenz zitierte Urteil des BSG - sowie 6. Oktober 2011 (a.a.O.) berufen. Es hat an keiner Stelle seines Urteils zu erkennen gegeben, von Rechtssätzen der
BSG-Rechtsprechung abweichen oder abweichende eigene Rechtssätze aufstellen zu wollen (zu diesem Erfordernis vgl. BSG vom 19. Dezember 2011 - B 12 KR 42/11 B - [...] Rdnr. 8). Vor diesem Hintergrund hätte es in der Beschwerdebegründung eingehender Ausführungen dazu bedurft, dass
die Rechtsauffassung des SG nicht nur auf einer - im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unbeachtlichen - falschen Anwendung der vom BSG aufgestellten Grundsätze beruht (BSG a.a.O). Auf eine bloße fehlerhafte Rechtsanwendung kann aber das Berufungszulassungsbegehren wegen Divergenz nicht gestützt
werden.
Da letztlich auch ein wesentlicher Mangel des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des dritten Zulassungsgrundes nicht geltend
gemacht worden ist, war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §
193 Abs.
1 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§
177 SGG).
Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (vgl. §
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).