Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Berücksichtigung von Fortbildungskosten als Absetzbeträge
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerinnen hat teilweise Erfolg.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 22. August 2012 ist statthaft (§
172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht eingelegt (§
173 SGG) und damit zulässig. Sie ist auch teilweise begründet; der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
den Antragstellerinnen für die Zeit der nachgewiesenen Rechtshängigkeit der einstweiligen Anordnung, das ist die Zeit ab 24.
Juli 2012, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter einkommensmindernder Berücksichtigung der von Herrn N. für seine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten
zu zahlenden Kursgebühren in Höhe von monatlich 250,00 Euro zu gewähren. Soweit die Antragstellerinnen die Berücksichtigung
weiterer Kosten in Höhe von 50,00 Euro (Ratenzahlung für offenstehende Kursgebühren; insgesamt 300,00 Euro) begehren, ist
der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unbegründet; insoweit hat das SG den Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. §
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 der
Zivilprozessordnung [ZPO]) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus. Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorweg nehmenden Eilentscheidung
nach §
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistung für die Gegenwart und die nahe
Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang
des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 -
L 13 AS 4106/05 ER-B). Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Rechtshängigkeit des Eilverfahrens, herbeizuführen
ist, von einer - hier nicht glaubhaft gemachten - in die Gegenwart fortwirkenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen
Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 - L 13 AS 1620/06 ER-B - veröffentlicht in [...]). Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab
und erfordert regelmäßig eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die
mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der
Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG] in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - veröffentlicht in [...]). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse
im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde (ständige Rechtsprechung des
Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juli 2006 a.a.O. m.w.N.).
In Fällen, in denen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare und durch
das Hauptsacheverfahren nicht zu beseitigende Beeinträchtigungen entstehen können, ergeben sich aus Art.
19 Abs.
4 des
Grundgesetzes (
GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Mai
2005 - 1 BvR 569/05 - abgedruckt in [...]). In einem derartigen Fall muss, wenn auf die Erfolgsaussicht abgestellt wird, die Sache nicht nur
summarisch, sondern abschließend geprüft werden, insbesondere wenn das einstweilige Rechtsschutzverfahren vollständig die
Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (BVerfG
a.a.O. m.w.N.). Dann dürfen auch die Anforderungen an die Glaubhaftmachung nicht überspannt und müssen Fragen des Grundrechtsschutzes
einbezogen werden (BVerfG a.a.O. m.w.N.). Ist hingegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren
nicht möglich, muss anhand einer grundrechtliche Belange einbeziehenden Güter- und Folgenabwägung entschieden werden, wobei
die Gerichte verpflichtet sind, eine auch nur möglich erscheinende oder zeitweilige Verletzung von Grundrechten wozu wegen
des Anspruchs auf Sicherung des Existenzminimums (vgl. BVerwGE 82, 364, 368) die Wahrung der Würde des Menschen (vgl. Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzips des Art.
20 Abs.
1 GG) gehört, zu verhindern. Dies schließt nicht aus, dass die Gerichte unter Beachtung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache
Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. BVerfG a.a.O.) oder die Leistungsverpflichtung auf die darlehensweise Bewilligung
beschränken, weil dies dem vorläufigen Charakter der einstweiligen Anordnung am ehesten entspricht (vgl. Beschluss des erkennenden
Senats vom 26. August 2005 - L 13 AS 3390/05 ER-B mwN).
Der Anordnungsgrund ist hier - für die Zeit ab 24. Juli 2012 - zu bejahen, weil die Antragstellerinnen glaubhaft gemacht haben,
auf weitere Leistungen nach dem SGB II zur Existenzsicherung angewiesen zu sein, woraus ohne Weiteres die besondere Dringlichkeit folgt. Die besondere Eilbedürftigkeit
ist - ab dem Zeitpunkt der Anhängigkeit der einstweiligen Anordnung - stets zu bejahen, wenn der Anspruchsteller die ein menschenwürdiges
Dasein gewährleistende Regelleistung sowie die Kosten der Unterkunft monatlich beansprucht, ohne dass er die Hilfe von anderen
erhalten hat oder erhält.
Die Antragstellerinnen haben - jedenfalls im Beschwerdeverfahren - auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht; der zulässige
Hauptsacherechtsbehelf ist offensichtlich teilweise begründet. Die Antragstellerinnen haben Anspruch auf Gewährung von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter einkommensmindernder Berücksichtigung der von N. für seine Ausbildung zu zahlenden Kursgebühren in Höhe von monatlich
250,00 Euro.
Nach der Legaldefinition des § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen, erhält. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem
Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern
können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin
oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und
Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig,
dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit
es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen
Teilen zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 SGB II). Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen. § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II bestimmt, dass die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben vom Einkommen abzusetzen sind.
Die hier im Streit stehenden, von N. für seine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten am Freiburger Ausbildungsinstitut
für Verhaltenstherapie GmbH (F.-GmbH) zu zahlenden Kursgebühren in Höhe von monatlich 250,00 Euro erfüllen den Tatbestand
des § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II und sind deshalb von dessen Einkommen abzusetzen. Notwendige Ausgaben im Sinne der genannten Bestimmung können, wie das SG unter Hinweis auf die einschlägige Kommentarliteratur bereits zutreffend ausgeführt hat, auch Fortbildungskosten sein. Voraussetzung
hierfür ist lediglich, dass die geltend gemachten Ausgaben mit der Erzielung der Einnahmen verbunden sind, sie also dem Grund
und der Höhe nach bei vernünftiger Wirtschaftsführung anfallen (Geiger in LPK-SGB II, 4. Aufl., § 11 Rdnr. 14 m.w.N.). Dass diese Voraussetzung im Fall der von N. zu tragenden Aufwendungen für seine Fortbildung erfüllt ist,
haben die Antragsteller jedenfalls durch Vorlage der Bescheinigung seiner Arbeitgeberin, der R.-Klinik vom 24. August 2012
glaubhaft gemacht. Aus dieser Bescheinigung ergibt sich, dass eine Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten zwingende
Voraussetzungen für eine Beschäftigung des N. in dieser Klinik ist. Anhaltspunkte, die den Senat veranlassen könnten, an der
Richtigkeit der Angaben in der Bescheinigung vom 24. August 2012 zu zweifeln, sind nicht ersichtlich und wurden vom Antragsgegner
auch nicht vorgetragen. Auf Grundlage welcher tatsächlichen oder rechtlichen Überlegungen der Antragsgegner auch in Kenntnis
der Bescheinigung vom 24. August 2012 noch meint, der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Berufsausübung und Fortbildung
könne nicht festgestellt werden, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Der Umstand, dass die fraglichen Aufwendungen erst
im Juni 2012 geltend gemacht worden sind, ist hierfür jedenfalls ohne Relevanz. Auch die Tatsache, dass der Arbeitsvertrag
zwischen der R.-Klinik und N. keine entsprechende Klausel enthält, steht der Annahme, dass der Erwerb der geforderten Qualifikation
durch N. für die R.-Klinik tatsächlich Einstellungsvoraussetzung gewesen ist, nicht entgegen. Im Ergebnis steht aufgrund der
Angaben der R.-Klinik in der Bescheinigung vom 24. August 2012 fest, dass N. durch eine Aufgabe der laufenden Fortbildung
zum Psychologischen Psychotherapeuten eine Weiterbeschäftigung bei der R.-Klinik - im Arbeitsvertrag vom 9. März 2012 wurde
eine sechsmonatige Probezeit (ablaufend am 30. September 2012) vereinbart - zumindest ernstlich gefährden würde. Bei dieser
Sachlage kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass die für die Fortbildung anfallenden Ausgaben mit der Erzielung
der Einnahmen notwendig verbunden im Sinne des § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II sind.
Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Aufwendungen kann allerdings nur ein monatlicher Betrag in Höhe von 250,00 Euro
berücksichtigt werden; die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines höheren Absetzbetrages sind nicht glaubhaft gemacht.
Insoweit hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung - im Ergebnis - zu Recht abgelehnt; die Beschwerde war deshalb teilweise
zurückzuweisen. Aus dem von den Antragstellerinnen gegenüber dem SG vorgelegten Schreiben der F.-GmbH vom 13. Juni 2012 ergibt sich, dass N. monatliche Kursgebühren in Höhe von 250,00 Euro
zu zahlen hat. Dies gilt für die bis 31. Dezember 2012 andauernde Theoriephase ebenso wie für die sich anschließende Theorieausbildung
und Selbsterfahrung (1. Januar bis 30. Juni 2013). Die von N. bis 31. Dezember 2012 zusätzlich zu entrichtenden 50,00 Euro
monatlich betreffen eine Ratenzahlung für offenstehende Kursgebühren; mithin handelt es sich um die Tilgung rückständiger
Gebühren. Diese Aufwendungen sind nicht für die laufende Berufsausübung erforderlich; sie dienen vielmehr der Schuldentilgung.
Derartige Zahlungen können auch im Rahmen der nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 SGB II anzusetzenden Absetzbeträge keine Berücksichtigung finden. In zeitlicher Hinsicht war die einstweilige Anordnung bis 31.
Januar 2013 zu befristen, da der laufende Bewilligungsabschnitt zu diesem Zeitpunkt endet und der einstweilige Rechtsschutz
in Vornahmesachen nicht über den Streitgegenstand des Hauptsacherechtsbehelfs hinausgehen kann (Senatsbeschluss vom 10. September
2012 - L 13 AS 2976/12 ER-B - zur Veröffentlichung in [...] vorgesehen).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs.
1 SGG.
Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (vgl. §
177 SGG).