Sozialversicherungspflicht einer Buchhalterin in einer Versandservice GmbH
Tatbestand
Streitgegenstand ist die im Anschluss an eine Betriebsprüfung bei der B. H. Versandservice GmbH (im Folgenden: Beigeladene
zu 1)) gegenüber der Klägerin getroffene Feststellung, diese sei seit dem 1. Januar 2005 als Buchhalterin versicherungspflichtig
zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Die Klägerin ist gelernte Wirtschaftsassistentin, Industriekauffrau und Bilanzbuchhalterin. Sie hat vier in den Jahren 1990,
2000, 2004 und 2006 geborene Kinder. Seit 1. Dezember 1993 hat sie ein Gewerbe Büroservice angemeldet. Bis Ende März 2001
war sie bei der Beigeladenen zu 1) als Buchhalterin/Lohnbuchhalterin in Teilzeit (20 Stunden wöchentlich) abhängig beschäftigt.
Am 15. Dezember 2001 mietete sie einen 9 m2 großen Büroraum unter ihrer Wohnanschrift von ihrem Ehemann zu einer monatlichen Miete von € 87,64 einschließlich Nebenkosten
ab 1. Januar 2002 an. Außerdem ist sie Autorin des Buches "Zeitfalle Kind", das sie selbst vermarktet. Sie ist freiwillig
versichertes Mitglied bei der zu 2) beigeladenen Krankenkasse.
Während ihrer abhängigen Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1) und noch im Anschluss bis 2004 hatte die Klägerin mehrere
andere Auftraggeber. Bei der Beigeladenen zu 1) erledigte sie dieselben Aufgaben wie zuvor. Als abhängig Beschäftigte erledigte
sie diese allein mit einem Auszubildenden. Aufgrund familiärer Verpflichtungen beendete sie die übrigen Auftragsverhältnisse
2004 und schränkte auch ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) von zuvor 20 auf nunmehr noch 15 bis 16 Stunden wöchentlich
ein. Die von ihr abgegebenen Aufgaben, z.B. Zahlungserinnerungen, Mahnungen, erledigt seitdem ein bei der Beigeladenen zu
1) abhängig beschäftigter Bürokaufmann, der ihr insoweit zuarbeitet. Zwei- bis dreimal pro Woche - je nach Arbeitsanfall -
arbeitet die Klägerin in den Geschäftsräumen der Beigeladenen zu 1) jeweils von ca. 9.00 Uhr/9.30 Uhr bis 12 Uhr. Dort tauscht
sie Belege und Unterlagen aus, bespricht Änderungen und Sonderfälle, besonders im Personalbereich, und erledigt besonders
dringende Angelegenheiten. Sie nutzt dort das auf den Betrieb abgestimmte Lexware-Buchhaltungsprogramm in der jeweils aktuellen
Version, über das sie selbst nicht verfügt. Mit der Beigeladenen zu 1) rechnet sie vereinbarungsgemäß meist einen monatlichen
Pauschalbetrag von € 1.500,00 ab. Je nach Arbeitsanfall liegen die Rechnungssummen darüber oder darunter. Abweichende Beträge
werden bei Mutterschutz, Urlaub o.ä., oder bei höherem Arbeitsanfall, z.B. wegen Prüfungen durch das Finanzamt, in Rechnung
gestellt. Die Rechnungen stellt sie meist zu Anfang des jeweiligen Monats, jedenfalls weit überwiegend in der ersten Hälfte
des Monats. Die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) machte bis 2004 ca. 88 % des Gesamtumsatzes der selbstständigen Tätigkeit
der Klägerin aus, 2005 97,5 %, 2006 100 %, 2007 bis 2008 99 %. 2009 akquirierte sie einen neuen Auftraggeber und erledigt
seitdem zusätzlich die Buchhaltung ihres Ehemannes, der neben einer abhängigen Beschäftigung in Vollzeit nebenberuflich eine
Landwirtschaft betreibt. Die Klägerin beschäftigte vom 13. Februar bis 31. März 2006 D. K. (im Folgenden: K.) versicherungspflichtig
und C. S. (im Folgenden: S.) vom 1. Januar 2005 bis 31. Oktober 2005 geringfügig und vom 1. Juli 2007 bis 31. Oktober 2008
im Haushaltsscheckverfahren, anfänglich mit Bürotätigkeiten, anschließend im Haushalt. Im II. und III. Quartal 2008 beauftragte
sie den H. Buchhaltungs- und Büroservice mit Buchhaltungsarbeiten für die Beigeladene zu 1), der ihr am 24. September 2008
für 7,5 Stunden € 225,00 zzgl. MWSt. und am 3. Oktober 2008 für sechs Stunden € 240,00 zzgl. MWSt. in Rechnung stellte.
Die Beklagte führte bei der Beigeladenen zu 1) am 3. und 4. März 2005 eine Betriebsprüfung betreffend den Zeitraum 1. Januar
2001 bis 31. Dezember 2004 durch. Mit Bescheid vom 27. April 2005 forderte die Beklagte von der Beigeladenen zu 1) Beiträge
aufgrund von Beanstandungen betreffend Beschäftigte in der Gleitzone und bei Kurzarbeit nach und erstattete zu viel entrichtete
Beiträge für vermögenswirksame Leistungen während Krankengeldbezuges. Der sozialversicherungsrechtliche Status der Klägerin
ist nicht Gegenstand des Betriebsprüfungsbescheides.
Am 12. Februar und 30. April 2009 führte die Beklagte erneut eine Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1) für den Prüfzeitraum
1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2008 durch. Diese führte - nach Anhörung - zu einer Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen
sowie den Umlagen U1 und U2 mit Bescheid vom 22. Dezember 2009 gegenüber der Beigeladenen zu 1) in Höhe von € 31.846,36, die
zu einem geringem Teil aus der Nichtberücksichtigung einer Beitragsänderung zur Krankenkasse für einen anderen Arbeitnehmer,
weit überwiegend aber aus der Feststellung folgte, dass die Tätigkeit der Klägerin für die Beigeladene zu 1) eine abhängige
Beschäftigung sei und der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der Umlagepflicht
zu den Umlagen U1 und U2 unterliege. Der Widerspruch der Beigeladenen zu 1) wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2010
zurückgewiesen, auf ihren Antrag wurde die Vollziehung der Beitragsforderung ausgesetzt. Das von der Beigeladenen zu 1) angestrengte
Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart (S 25 R 4174/10) ruht im Hinblick auf den Ausgang des hiesigen Verfahrens.
Mit Bescheid vom 23. Dezember 2009 stellte die Beklagte - nach Anhörung - gegenüber der Klägerin fest, dass diese seit dem
1. Januar 2005 als Buchhalterin versicherungspflichtig zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sei. Die
Beurteilung der Frage, ob eine abhängige Beschäftigung vorliege, richte sich in erster Linie nach dem Recht der Sozialversicherung
und erst nachrangig nach dem Parteiwillen. Maßgebend seien die tatsächlichen Verhältnisse, hinter denen die vertragliche Ausgestaltung
bei deren Abweichen zurücktrete. Dabei sei eine Gesamtwürdigung anhand der Merkmale Weisungsgebundenheit, Eingliederung in
den Betrieb oder unternehmerisches Auftreten am Markt vorzunehmen. Es werde nicht bezweifelt, dass die Klägerin - wie von
ihr angegeben - weisungsfrei arbeite. Gleichwohl könne dem Grunde nach ein Weisungsrecht bestehen. Dieses sei nach der Rechtsprechung
bei Diensten höherer Art zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe verfeinert. Die Klägerin unterliege zwar keinen direkten
zeitlichen Weisungen. Weitgehende Freiheit der Zeiteinteilung gebe es jedoch auch bei Arbeitnehmern. Gerade bei Teilzeitkräften
könne der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, dass sie im selben Maß wie Vollzeitkräfte zur Verfügung stünden, so dass es sinnvoll
sei, sie entscheiden zu lassen, wann sie arbeiten wollten. Eine Eingliederung in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers
liege vor, wenn der Beschäftigte die Arbeitsleistung in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation erbringe, in die Hierarchie
mit Vorgesetzten und/oder Arbeitnehmern eingeordnet sei und/oder betriebliche Arbeitsmittel oder Einrichtungen der Fremdfirma
nutze. Nach Angaben der Klägerin arbeite diese zumindest teilweise in den Räumen der Beigeladenen zu 1) und nutze dort technische
Geräte und auf Wunsch der Beigeladenen zu 1) das Lohnbuchhaltungsprogramm Lexware. Sie sei Ansprechpartner für Dritte, z.B.
bei Betriebsprüfungen. Ein selbstständiger Unternehmer arbeite mit eigenen Hilfsmitteln. Die Klägerin bekomme bei der Beigeladenen
zu 1) einen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt und arbeite mit Arbeitnehmern der Beigeladenen zu 1) zusammen. Weiteres Indiz
für die Eingliederung sei, dass die Klägerin dieselbe Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) bis Ende März 2001 als abhängig
Beschäftigte verrichtet habe. Auch trage die Klägerin kein Unternehmerrisiko, woran weder die Stellung von Rechnungen noch
die von der Klägerin vorgetragene Kalkulation ihres Aufwandes etwas ändere. Das Risiko, bei Entzug des Auftrages nicht arbeitslosenversichert
zu sein, und keine weitere Entlohnung zu erhalten, ebenso wie das Fehlen von Urlaubsanspruch und Anspruch auf Lohnfortzahlung
bei Arbeitsunfähigkeit, sei kein Unternehmerrisiko, sondern nur Folge der gewählten Gestaltung. Letztere Ansprüche entstünden
vielmehr kraft Gesetzes, wenn die Kriterien abhängiger Beschäftigung vorlägen. Selbst finanzierte Weiterbildungen seien auch
bei Arbeitnehmern nicht unüblich. Da jedes Beschäftigungsverhältnis getrennt zu beurteilen sei, begründe das Vorhandensein
mehrerer Auftraggeber nicht zwangsläufig eine selbstständige Tätigkeit, ebenso wenig wie die Gewerbeanmeldung.
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 20. Januar 2010 Widerspruch. Sie sei lediglich nebenberuflich selbstständig tätig, im
Hauptberuf sei sie Mutter von vier Kindern. Sie könne nicht genauso eingestuft werden wie Männer, deren Ehefrau die Kinder
erziehe oder Frauen ohne Kinder oder mit wenigen Kindern. Die Höhe des Kindergeldes und der Unterhalt von ihrem Ehemann seien
wesentliches Einkommen aus anderer Quelle. Sie bekomme wegen der Kindererziehung Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung gutgeschrieben.
Das diesen zugrunde gelegte Einkommen übersteige ihr nebenberufliches Einkommen mehrfach. Auch bei der Beigeladenen zu 2)
sei sie als nebenberuflich Selbstständige (bis 16 Stunden) gewinnabhängig freiwillig versichert. Sie sei als Bilanzbuchhalterin,
nicht als einfache Buchhalterin tätig und müsse daher behandelt werden wie ein Steuerberater, dessen Selbstständigkeit nicht
bezweifelt werde. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer würden sich ebenfalls zeitweilig in den Räumen ihrer Auftraggeber aufhalten,
z.B. bei Betriebsprüfungen. Da das Gesetz über die Scheinselbstständigkeit bereits 2003 wieder abgeschafft worden sei, dürfe
die Beklagte keine anderen Sozialversicherungspflichten als die zur Rentenversicherung prüfen. Die Beklagte habe nicht die
Beigeladene zu 2) für sie als Krankenkasse wählen dürfen, nur weil sie bei dieser zuletzt versichert gewesen sei. Da sie freiwillig
versichert sei, könne nicht korrekt sein, dass sie zusätzliche, also im Ergebnis doppelte Krankenversicherungsbeiträge abführen
müsse. Im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses hätte sie mit vier Kindern nicht arbeiten können. Die Beigeladene zu 1) hätte
ihr keine Sonderrechte gegenüber anderen Arbeitnehmern einräumen dürfen. Sie könne sich bei Arbeiten vertreten lassen, habe
ein eigenes Büro, trage geschäftliche Unkosten selbst, zahle ihre Hilfskräfte selbst, sie arbeite länger an ihrem eigenen
Arbeitsplatz als an dem bei der Beigeladenen zu 1). Natürlich müsse auch sie als Selbstständige Termine mit dem Kunden für
Besprechungen und Übernahme von Unterlagen vereinbaren. Bezüglich der Nutzung des Lexware-Programmes erfülle sie nur den Wunsch
der Beklagten, das Programm koste nicht viel. Sie habe betriebliche Kosten, wie aus ihren Steuerbescheiden ersichtlich sei.
Sehr viele andere Kunden könne sie nicht bedienen. Unternehmerisches Risiko sei der Verlust der Beigeladenen zu 1) durch dieses
Verfahren als Kunden, Unklarheiten bezüglich der Sozialversicherung, unbezahlter Zeitaufwand für das Anwerben von Neukunden
sowie Beauftragung von Aushilfen und einer Fremdfirma. Auf den eigenen "heimatnahen" Büroraum sei sie angewiesen, ihre Fortbildung
zur Bilanzbuchhalterin sei im Verhältnis zu ihren Einkünften kostspielig gewesen, sie habe einen Kredit aufnehmen müssen.
Sie verwies auch auf ihre vorangegangene Stellungnahme vom 24. Juni 2009 zur Anhörung, in welcher sie u.a. ausführte, sie
sei ausreichend abgesichert, habe einen Anspruch auf einen Anteil der Rentenversicherung ihres Ehemannes im Falle der Trennung
und auf Witwenrente bei dessen Ableben. Die Arbeitslosenversicherung sei angesichts der heutzutage eingeschränkten Leistungen
für sie nicht von Vorteil, zumal sie mit vier Kindern nicht jede angebotene Arbeit annehmen könne und ihr Ehemann zu viel
verdiene, als dass sie Arbeitslosengeld II erhalten könne. Sie habe den Wunsch gehabt, auch für andere Kunden tätig zu sein.
Vorübergehend ließen ihr aber ihre Kinder nicht die Zeit für endlos viele Auftraggeber und eine Vollzeit-Selbstständigkeit.
Wenn im September (2009) alle Kinder im Kindergarten seien und sie nicht mehr auf deren Beaufsichtigung durch ihre Eltern
angewiesen sei, werde sich ihre Anwesenheit in den Räumen der Beigeladenen zu 1) deutlich reduzieren. Sie trete mit der Vermarktung
ihres Buches am Markt auf, dies beanspruche in den letzten Jahren einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2010 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsauschuss den Widerspruch der Klägerin
zurück. Die Beigeladene zu 1) habe der Klägerin Art und Umfang der zu leistenden Arbeiten im Rahmen einer mündlichen Vereinbarung
vorgegeben. Die Klägerin habe alle in diesem Zusammenhang anfallenden Arbeiten erledigt, offensichtlich auch nach konkreter
Einzelweisung. Nach Angaben der Klägerin seien immer wieder Rücksprachen zu bestimmten Sachverhalten notwendig gewesen. Bei
fachlich qualifizierten Tätigkeiten würden generell Weisungen nur in geringem Umfang erteilt. Dies bedeute keine fachlichen
Freiheiten, die über die abhängig Beschäftigten gleicher Qualifikation eingeräumten hinausgingen. Es bestehe auch keine unbeschränkte
Weisungsfreiheit in zeitlicher Hinsicht. Die in den Räumen der Beigeladenen zu 1) ausgeübten Tätigkeiten machten es notwendig,
zumindest teilweise zu den betriebsüblichen Zeiten zu arbeiten. Soweit die Klägerin zuhause arbeite, habe sie zwar zeitliche
Gestaltungsspielräume. Jedoch gebe es auch bei Arbeitnehmern - insbesondere im Bürobereich - verbreitet flexible Arbeitszeitmodelle.
Freie Zeiteinteilung gebe es bei Heimarbeitern und Telearbeit. Weitgehend freie Zeiteinteilung sei daher kein schwerwiegendes
Indiz für selbstständige Tätigkeit. Hinsichtlich der örtlichen Weisungsgebundenheit sei jedenfalls ein Teil der Tätigkeit
in den Räumen der Beigeladenen zu 1) verrichtet worden. Es liege auch betriebliche Integration vor, denn zumindest teilweise
habe die Klägerin die Betriebseinrichtung der Beigeladenen zu 1) genutzt. Zwar sei die Klägerin nicht zu persönlicher Arbeitsleistung
verpflichtet gewesen, doch habe sie die Arbeiten fast ausschließlich selbst erbracht. Er (der Widerspruchsausschuss) gehe
davon aus, dass angesichts der Umstände, die zur Änderung der Ausgestaltung der Tätigkeit im Jahr 2001 geführt hätten, die
Beigeladene zu 1) Wert darauf gelegt habe, dass die Arbeit im Wesentlichen von der Klägerin verrichtet werde. Der Einsatz
eigener Mitarbeiter sei schwach ausgeprägt gewesen. K. sei nur sechs Wochen beschäftigt worden, S. wenige Monate geringfügig
im Jahr 2005 und 2007/2008 unter der Betriebsnummer des Privathaushalts. Die Beauftragung des HK Buchhaltungs- und Büroservices
sei ebenfalls in äußerst geringem Umfang erfolgt. Die Anmietung des Büroraumes beinhalte angesichts der geringen Kosten und
der Tatsache, dass der Raum im eigenen Haus ohnehin vorhanden gewesen sei, ein nur geringes Risiko. PC und Faxgerät seien
auch in Privathaushalten üblich und bedeuteten nur geringen Aufwand. Die geringen Kosten seien mithin überwiegend dem Privatbereich
zuzuordnen ohne tatsächliches Verlustrisiko. Die Gewerbeanmeldung habe angesichts der Tatsache, dass die Gewerbeämter das
Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit nicht prüfen dürften, allenfalls deklaratorische Bedeutung. Auch die Veranlagung
beim Finanzamt als Selbstständiger erfolge zunächst aufgrund der Angaben des Betroffenen und werde nur in Ausnahmefällen nachgeprüft.
Zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) liege kein Werkvertrag vor, denn die Klägerin sei nicht zur Lieferung eines
abgegrenzten Werkes verpflichtet, sondern zur Erledigung verschiedener Arbeiten, die offensichtlich mit dem Inhalt der bis
Ende März 2001 ausgeübten abhängigen Beschäftigung weitgehend übereinstimmten. Der genaue Umfang und Inhalt der Arbeiten habe
sich aus den betrieblichen Abläufen und Anweisungen der Beigeladenen zu 1) ergeben. Die Aufgabenzuweisung entspreche den Regelungen
in einem Arbeitsvertrag. Der Erfolg des Arbeitseinsatzes sei nicht ungewiss gewesen. Die Bezahlung sei nicht nach Erfolg,
sondern pauschal nach vorher festgelegtem Satz, orientiert am Arbeitsumfang, erfolgt. Ohne Bedeutung sei, ob die Beschäftigung
haupt- oder nebenberuflich ausgeübt werde und die Klägerin aufgrund der Kindererziehung nicht zu einem größeren Arbeitsumfang
für andere Auftraggeber imstande gewesen sei. Eine Gleichbehandlung mit Steuerberatern, die im Übrigen auch nicht grundsätzlich
als Selbstständige anzusehen seien, sei nicht gerechtfertigt. Gegenstand sei hier nicht die umgangssprachliche Scheinselbständigkeit,
sondern die sozialversicherungsrechtliche Statusfeststellung. Trotz des Vorliegens von Anhaltspunkten für eine Selbstständigkeit
überwögen in der Gesamtschau die Kriterien für eine abhängige Beschäftigung. Bei Vorliegen der Voraussetzungen trete Versicherungspflicht
in der Krankenversicherung ein, auch wenn eine freiwillige Versicherung bestehe. Sei das freiwillige Versicherungsverhältnis
zu Unrecht durchgeführt worden, sei es rückwirkend aufzuheben.
Die Klägerin erhob am 5. Juli 2010 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG). Zur Begründung wiederholte sie ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren und ergänzte, sie sei im Prüfzeitraum nur aus privaten
Gründen nicht am Markt aufgetreten. Bei einer Betriebsprüfung 2005 habe die Beklagte ihre Selbstständigkeit für den Zeitraum
2001 bis 2004 nicht beanstandet. Sie (die Klägerin) könne Personal beschäftigen und Aufträge ablehnen. Die einzigen Vorgaben
seien, dass Monatsabschluss und Gehaltsabrechnungen den gesetzlichen Vorschriften entsprechen müssten. Termine würden nur
vom Finanzamt gesetzt. Das Lexware-Programm sei von ihr eingestellt worden. Der Wert des von ihr eingebrachten geistigen Eigentums
übersteige den Anschaffungswert um ein Vielfaches. Im Vergleich zum anerkanntermaßen selbstständigen Versicherungsmakler sei
sie weitaus selbstständiger.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf den Bescheid vom 23. Dezember 2009 und Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2010
entgegen.
Das SG hörte die Klägerin und den Geschäftsführer der mit Beschluss vom 4. November 2010 Beigeladenen zu 1) an. Die mit Beschluss
des SG vom 14. April 2011 Beigeladene zu 2) äußerte sich nicht.
Mit Urteil vom 14. April 2011 hob das SG den Bescheid vom 23. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 auf und stellte fest, dass
die Klägerin seit dem 1. Januar 2005 bei der Beigeladenen zu 1) nicht gesamtsozialversicherungspflichtig beschäftigt sei.
Zur Begründung führt es aus, die Klägerin sei bei ihrer Tätigkeit nicht in den Betrieb der Beigeladenen zu 1) eingegliedert.
Sie führe ihre Tätigkeit eigenverantwortlich ohne inhaltliche Vorgaben aus. Von der Tätigkeit einer Arbeitnehmerin unterscheide
sich die Tätigkeit der Klägerin zum einen in der freien Gestaltung der Arbeitszeit. Sie arbeite nur deswegen zweimal wöchentlich
am Betriebssitz der Beigeladenen zu 1), weil sie dort ihrer Mutter das betreuungsbedürftige Kind anvertrauen könne. Die Fristengebundenheit
der zu erledigenden Vorgänge resultiere nicht aus zeitlichen Vorgaben der Beigeladenen zu 1), sondern ergebe sich aufgrund
steuer- und sozialversicherungsrechtlich einzuhaltender Fristen. Weisungsgebundenheit lasse sich nicht damit begründen, dass
die Klägerin z.B. zur Erfassung der Buchhaltung und des Personalabrufs gezwungen sei, teilweise in den Räumen der Beigeladenen
zu 1) zu arbeiten. Von besonderer Bedeutung für die Abwägung der für und gegen eine abhängige Beschäftigung sprechenden Umstände
sei, dass erhebliche Gründe, die Erziehung der vier Kinder und Mithilfe in der Landwirtschaft des Ehemannes, die Klägerin
veranlasst hätten, für die Beigeladene zu 1) die nicht zeitgebundene und im Übrigen weisungsfreie Tätigkeit der Bilanzbuchhalterin
zu verrichten. Demgegenüber träten der geringe Kapitaleinsatz, das Fehlen einer sonstigen eigenen Betriebsstätte und die Vereinbarung
einer pauschalen Vergütung zurück. §
7 Abs.
1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) nenne ausdrücklich die Eingliederung und Tätigkeit nach Weisungen. Diese Gesichtspunkte, die vorliegend für die selbstständige
Tätigkeit sprächen, seien für den Gesetzgeber damit offensichtlich von besonderer Bedeutung.
Gegen das ihr am 9. Mai 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. Mai 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht
sie sich auf ihren Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Gesichtspunkte
überwögen. Die Klägerin sei seit 1993 selbstständig tätig, auch neben der Teilzeitbeschäftigung für die Beigeladene zu 1)
bis Ende März 2001. Den Büroraum habe sie erst zum 1. Januar 2002 angemietet. Fraglich sei auch, ob ihr Ehemann den Büroraum
für den Geschäftsverkehr im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebes ebenfalls nutze, was das ohnehin geringe Unternehmerrisiko
weiter relativieren würde. Da die Tätigkeit der Klägerin für die Beigeladene zu 1) mit einer Pauschale vergütet werde, werde
sie für die Dauer des Arbeitseinsatzes und nicht für einen bestimmten Erfolg bezahlt. Die Klägerin stelle der Beigeladenen
zu 1) ihre Arbeitskraft genauso wie zuvor im Rahmen der Teilzeitbeschäftigung zur Verfügung, ein unternehmerischer Gestaltungsspielraum
mit dem Risiko der Fehlkalkulation sei nicht erkennbar. Die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1) begründe ihre wesentliche
Einkommensquelle, von einem Ablehnungsrecht habe sie nie Gebrauch gemacht, so dass es sich dabei um eine nur theoretische
Möglichkeit handele. Die vorgelegten Rechnungen ergäben das Bild einer regelmäßigen und auch auf Dauer angelegten Dienstleistung.
Die Rechnungsstellung zu Beginn des Monats oder zur Monatsmitte - also vor der Leistungserbringung - deute darauf hin, dass
die Parteien von einem gleichmäßigen Arbeitspensum ausgingen und widerspreche dem Vorbringen der Klägerin, den Arbeitsumfang
den familiären Erfordernissen anzupassen, weil diese, z.B. Krankheiten der Kinder, sich gerade nicht im Voraus planen ließen.
Ein wirtschaftlich denkender Auftraggeber würde den Vergütungsanspruch erst erfüllen, wenn der Auftrag zur Zufriedenheit erfüllt
sei. Der Einsatz von Hilfskräften sei nur sporadisch und in geringem Umfang erfolgt, so dass dies der Annahme einer abhängigen
Beschäftigung nicht zwingend entgegen stehe. Die Klägerin sei auch in den Betrieb der Beigeladenen zu 1) eingegliedert, da
sie zweimal wöchentlich vormittags an einem ihr dort zur Verfügung gestellten Schreibtisch und PC wie alle anderen Arbeitnehmer
arbeite, das firmeneigene Buchhaltungsprogramm nutze und als Ansprechpartnerin zur Verfügung stehe. Der einzige Unterschied
zur Teilzeittätigkeit bis Ende März 2001 bestehe in der Flexibilisierung der Arbeitszeit und darin, dass bestimmte Arbeiten
zu Hause erledigt werden könnten. Die Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit gelte auch bei Arbeitnehmern. Die Klägerin
trete nicht nach außen als Unternehmerin auf. Der Telefonbucheintrag weise nicht auf ihre Dienste hin, bei der Suche nach
ihrem Namen finde man sie nur als Buchautorin. Ihre Angaben, im Internet und mit Google-Anzeigen für ihre berufliche Tätigkeit
zu werben, seien daher nicht nachzuvollziehen. Die Nutzung eines eigenen Buchhaltungsprogrammes erscheine unabdingbar für
die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit, und - entgegen dem Vorbringen der Klägerin - angesichts der Notwendigkeit der
Pflege und ständigen Aktualisierung mit nicht unerheblichem betrieblichen Aufwand verbunden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. April 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Wegen ihrer persönlichen Lebensumstände sei für sie nur die Selbstständigkeit
oder keine weitere Berufstätigkeit in Betracht gekommen. Sie habe drei Kinder und zwei pflegebedürftige Angehörige zu versorgen
und arbeite in der Landwirtschaft mit. Für eine angestellte Tätigkeit bleibe da kein Raum. Bevor sie den Büroraum gemietet
habe, habe sie an einem Arbeitsbereich in der Wohnung gearbeitet. Ihr Ehemann habe einen eigenen Büroraum und es existiere
ein weiterer, privat genutzter PC. Der landwirtschaftliche Betrieb mit den zugehörigen Geschäftsunterlagen habe eine andere
Anschrift. Sie habe insoweit von ihrem Ablehnungsrecht Gebrauch gemacht, als sie ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1)
von 20 auf 16 Stunden eingeschränkt habe. Sie habe selbstverständlich auch sonst Aufträge abgelehnt, die nicht in ihr Zeitfenster
gepasst hätten. Sie sei in Google-Anzeigen nicht zu finden, weil sie Direktakquise betreibe, denn sie suche nur nach ihrem
eigenen Bedarf neue Auftraggeber. Sie verzichte auf Werbung, weil sie keine weiteren Kapazitäten habe.
Mit Beschluss vom 9. April 2013 ist die Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Beigeladene zu 3)) zum Verfahren notwendig
beigeladen worden. Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Die frühere Berichterstatterin hat die Klägerin und den Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1) im Erörterungstermin am 30.
November 2011 angehört. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht
geäußert.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, insbesondere die Niederschriften der mündlichen
Verhandlung vor dem SG vom 14. April 2011 und des Erörterungstermins vom 30. November 2011 und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die gemäß §
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§
124 Abs.
2,
153 Abs.
1 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Sie ist auch statthaft. Ein Ausschlussgrund gemäß §
144 Abs.
1 SGG ist nicht gegeben.
II.
Die Berufung ist begründet. Das angegriffene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat mit Bescheid
vom 23. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2010 zu Recht festgestellt, dass die Klägerin
in ihrer Tätigkeit als Buchhalterin bei der Beigeladenen zu 1) als abhängig Beschäftigte ab 1. Januar 2005 der Versicherungspflicht
in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung unterliegt.
Rechtsgrundlage ist § 28p Abs. 1
SGB IV in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I, S. 3710). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten
im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der
Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre (Satz 1). Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten,
für die Beiträge nicht gezahlt wurden (Satz 4). Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5
SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe
in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide
gegenüber den Arbeitgebern.
Diese Befugnis der Beklagten schließt die Rechtsmacht ein, einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung zu erlassen und damit rechtsgestaltend
im Sinne von § 12 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in die Rechtssphäre des Arbeitnehmers (hier der Klägerin) als Drittbetroffener einzugreifen. Die Beklagte kann somit entweder
den an den Arbeitgeber gerichteten Bescheid gegenüber dem Drittbetroffenen mit dem Hinweis, dass dieser berechtigt sei, Rechtsbehelfe
einzulegen, bekanntgeben. Sie kann aber ebenso unter Bezugnahme auf die Betriebsprüfung einen zwar formell, aber nicht materiell
eigenständigen Bescheid gegenüber dem Drittbetroffenen, hier der Klägerin, erlassen (vgl. Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 12. August 2002 - L 1 KR 66/02 -; in [...]; Kasseler Kommentar-Wehrhahn, Stand 1. Dezember 2012, § 28p
SGB IV RdNr. 6b; jeweils m.w.N.; anderer Ansicht: Jochim in: jurisPK-
SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 28p
SGB IV, Rn. 139, der lediglich die Bekanntgabe des an den Arbeitgeber gerichteten Bescheids für zulässig hält).
Versicherungspflichtig sind in der Krankenversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V), in der Rentenversicherung nach §
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI), in der Arbeitslosenversicherung nach §
25 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) und in der Pflegeversicherung nach §
20 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen. Beschäftigung ist nach §
7 Abs.
1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung
in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer,
Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich
bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit
und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale
überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit Bundesverfassungsgericht
[BVerfG], Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 -; in [...]). Maßgebend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -; in [...]; zum Ganzen zuletzt BSG, Urteil vom 29. August 2012 - B 12 KR 25/10 R m.w.N.- ; in [...]).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich
relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine abhängige
Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen
tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich
aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch
zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung
auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung
rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition
nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung
auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG, Urteil vom 8. August 1990 - 11 RAr 77/89 -; Urteil vom 8. Dezember 1994 - 11 RAr 49/94 -; beide in [...]). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen
abweichen (BSGE, Urteil vom 1. Dezember 1977 - 12/3/12 RK 39/74 -; BSG, Urteil vom 4. Juni 1998 - B 12 KR 5/97 R - ; BSG, Urteil vom 10. August 2000 - B 12 KR 21/98 R -; jeweils m.w.N.; alle in [...]). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte
Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R -; in [...]).
Ausgehend hiervon hat die Beklagte die Tätigkeit der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) zutreffend als abhängige Beschäftigung
angesehen. Auch nach Auffassung des Senats überwiegen bei einer Gesamtbetrachtung die Umstände, die für ein abhängiges und
dem Grunde nach sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) sprechen.
Die Klägerin ist in den Betrieb der Beigeladenen zu 1) eingegliedert. Sie verrichtet dieselben Tätigkeiten wie zuvor bis Ende
März 2001. Da sie aufgrund der reduzierten Arbeitszeit nicht mehr alle Arbeiten verrichten konnte, übernahm diese ein abhängig
Beschäftigter, der der Klägerin insoweit zuarbeitet (Einlassung des Geschäftsführers der Beigeladenen zu 1) im Erörterungstermin
am 30. November 2011; vgl. Niederschrift vom selben Tag). Sie arbeitet also mit Angestellten der Beigeladenen zu 1) zusammen.
Sie verrichtet diese Tätigkeiten nach eigenem Bekunden an zwei Vormittagen pro Woche, nach dem Vorbringen des Geschäftsführers
der Beigeladenen zu 1) im Erörterungstermin am 30. November 2011 je nach Arbeitsanfall auch an drei Vormittagen in den Geschäftsräumen
der Beigeladenen zu 1). Dort wird ihr ein Arbeitsplatz mit einem PC zur Verfügung gestellt. Nur dort kann sie den Teil der
Arbeiten ausführen, der die Nutzung des Buchhaltungsprogrammes Lexware in der aktuellen Version erfordert. Der Austausch von
Belegen und Unterlagen, Besprechungen von Änderungen und Sonderfällen, besonders im Personalbereich (Kündigung, Krankheit,
Kur etc.), erfordern ihre Anwesenheit. Sie erledigt bei der Beigeladenen zu 1) auch variabel besonders dringende Angelegenheiten
gleich (vgl. Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 22. Januar 2010). Das Ausmaß der Anwesenheit der Klägerin im Betrieb
der Beigeladenen zu 1) übersteigt das bei z.B. einem Steuerberater anlässlich einer Betriebsprüfung Übliche bei weitem.
Nach diesem eigenen Vorbringen hält es der Senat für widerlegt, dass die Klägerin lediglich aus privaten Gründen die Geschäftsräume
der Beigeladenen zu 1) nutzt, wenn sie ihr Kleinkind von ihrer in der Nähe lebenden Mutter betreuen lassen kann. Zum einen
erscheint es widersprüchlich, die große Entfernung zum Betriebssitz als Grund gegen die Fortsetzung der abhängigen Beschäftigung
anzugeben, den Betriebssitz dann aber regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche angeblich ohne betriebliche Notwendigkeit zu
Zwecken der Kinderbetreuung weiter aufzusuchen. Zum anderen hatte die Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren 2009 angekündigt,
wenn ihre Kinder im September (2009) alle im Kindergarten seien, nicht mehr am Betriebssitz der Beigeladenen zu 1) zu arbeiten,
diese Übung aber beibehalten (Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 14. April 2011), obwohl das im Oktober 2006 geborene Kind zu diesem Zeitpunkt das Kindergartenalter erreicht hatte.
Da die Klägerin somit regelmäßig einen Teil ihrer Arbeitszeit im Betrieb der Beigeladenen zu 1) verrichtet, jeweils vormittags
nach Absprache, ist sie nicht vollständig weisungsfrei im Hinblick auf ihre Arbeitszeit. Dass sie regelmäßig Teile ihrer Tätigkeit
für die Beigeladene zu 1) außerhalb des Betriebes verrichten kann, steht der Annahme einer abhängigen Beschäftigung nicht
entgegen. Telearbeit und Heimarbeit zu frei gewählten Zeiten ist in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen gerade bei Bürotätigkeiten
nicht unüblich. Ob die Beigeladene zu 1) zu entsprechenden Vereinbarungen im Rahmen eines Arbeitsvertrages bereit gewesen
wäre, ist nicht entscheidungserheblich.
Fehlende inhaltliche Einzelweisungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Vielmehr ist die innerhalb eines vorgegebenen Rahmens
frei gestaltete Arbeitsleistung bei höher qualifizierten Tätigkeiten üblich, ohne Anhaltspunkt für eine Selbstständigkeit
zu sein. Von daher tritt in der Gesamtwürdigung für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung die Eingebundenheit der Klägerin
in den Betrieb der Beigeladenen zu 1) und ihre "dienende Teilhabe" am Arbeitsprozess in den Vordergrund. Die zu verrichtende
Tätigkeit ergab sich aus der Natur der Sache, der Gestaltungsspielraum aus der qualifizierten Tätigkeit der Bilanzbuchhalterin.
Die Klägerin trägt kein nennenswertes unternehmerisches Risiko, was nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ein besonders
gewichtiges Entscheidungskriterium darstellt (vgl. dazu z.B. Urteile des Senats vom 2. September 2011 - L 4 R 1036/10 - und 30. März 2012 - L 4 R 2043/10 -, beide in [...], vom 6. Dezember 2012 - L 4 R 314/12 -, nicht veröffentlicht und zuletzt vom 22. März 2013 - L 4 KR 3725/11 -; zur Veröffentlichung vorgesehen). Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko eines Selbstständigen ist, ob eigenes
Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen
und sächlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2012 - B 12 KR 24/10 R -; in [...]).
Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin hat geringe Betriebsausgaben in Form einer monatlichen Miete von € 87,64, die zudem
an ihren Ehemann geht. An Betriebsmitteln hat sie nur einen PC und ein veraltetes Buchhaltungsprogramm, nicht jedoch das aktuelle
Buchhaltungsprogramm, das sie für die Arbeit bei der Beigeladenen zu 1) zwingend benötigt. Sie hat auch keine laufenden Personalausgaben
für Angestellte. Sie erhält seit Jahren monatlich ca. € 1.500,00 von der Beigeladenen zu 1), ohne die Möglichkeit, diese Einkünfte
durch unternehmerisches Geschick zu steigern, aber auch ohne nennenswertes Risiko, diese Einkünfte im nächsten Monat nicht
zu erzielen. Sie erhält das Entgelt in der Regel im Voraus. Die Klägerin tritt - wie sie selbst einräumt - nicht am Markt
auf und erzielt ihre gesamten Einkünfte aus ihrer Tätigkeit fast ausschließlich aus der Tätigkeit für die Beigeladene zu 1).
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, sie hätte Aufträge ablehnen können, gibt dies für die Statusbeurteilung nichts her.
Da im Falle der Ablehnung kein Anspruch auf weitere Aufträge bestand, entspricht die Situation der einer Angestellten, die
bei Ablehnung einer Arbeit ebenso dem Risiko des Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt ist (Urteil des Senats vom 19. Oktober 2012
- L 4 KR 761/11 -; in [...]). Sie hat auch keine Aufträge der Beigeladenen zu 1) abgelehnt, sondern lediglich 2004 die regelmäßige Arbeitszeit
auf 16 Stunden pro Woche reduziert.
Das zeitweilige Delegieren der Tätigkeit an eigene Beschäftigte oder beauftragte Selbstständige führt hier zu keiner anderen
Beurteilung. Zwar kann grundsätzlich die Frage, ob eine höchstpersönliche Leistung geschuldet ist oder die Erbringung der
Leistung delegiert werden darf, ein gewichtiges Merkmal für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger
Tätigkeit sein. Dennoch ist es nur eines unter vielen, die in die Gesamtbewertung einzustellen sind. Dabei ist zu berücksichtigen,
in welchem Umfang Dritte eingeschaltet werden. Es kann hier dahinstehen, ob die ständige Beschäftigung eigener Beschäftigter
zur Annahme der Selbstständigkeit führen würde. Die Klägerin hat nämlich nur in geringem Umfang Tätigkeiten nicht selbst ausgeführt.
Die Beschäftigung der K. umfasste nur sechs Wochen. S. sollte von der Klägerin dauerhaft beschäftigt werden, arbeitete nach
dem Scheitern des Versuchs, ihr die erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln, aber im Haushalt der Klägerin und beaufsichtigte
die Kinder, während die Klägerin für die Beigeladene zu 1) tätig war. Angesichts der nach dem Vorbringen der Klägerin hochqualifizierten
Tätigkeit als Bilanzbuchhalterin, die nach ihrem Bekunden mehrere Aus- und Weiterbildungen erforderte und zu mehreren Abschlüssen
führte, kann die völlig fachfremde S. wohl ohnehin nur Hilfstätigkeiten verrichtet haben. Die Beauftragung des HK Buchhaltungsservices
umfasste nach den vorgelegten Rechnungen vom 24. September und 3. Oktober 2008 im II. und II. Quartal 2008 insgesamt nur 13,5
Stunden und führt schon deswegen nicht zu einer abweichenden Bewertung. Die Weitergabe der Arbeiten an den HK-Buchhaltungs-
und Büroservice konnte bereits aus wirtschaftlichen Gründen nicht auf Dauer erfolgen. Umgerechnet wurden von dort netto €
30,00 pro Stunde (Rechnung vom 24. September 2008) bzw. € 40,00 (Rechnung vom 3. Oktober 2008) in Rechnung gestellt, während
die Klägerin selbst von der Beigeladenen zu 1) monatlich € 1.500,00 für 60 Stunden Arbeit, mithin € 25,00 pro Stunde erhielt.
Schließlich kann auch das Fehlen eines vertraglichen Urlaubsanspruchs oder eines vertraglichen Anspruchs auf Entgeltfortzahlung
nicht als Indiz für ein Unternehmerrisiko gewertet werden. Denn solche Vertragsgestaltungen sind als typisch anzusehen, wenn
beide Seiten eine selbstständige freie Mitarbeit wollten. Letztlich ist dies ebenso wie die Gewerbeanmeldung und die Veranlagung
zur Einkommenssteuer mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, die ebenfalls auf der Tatsache beruhen, dass eine selbstständige Tätigkeit
gewollt war, nicht entscheidend. Vielmehr ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen und
nicht die von den Beteiligten gewählte vertragliche Beziehung maßgebend. Solche Vereinbarungen sind im Übrigen eher typisch
bei Scheinselbstständigkeit, die die Arbeitnehmerrechte wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Ansprüche nach dem
Bundesurlaubsgesetz und nicht zuletzt die Beitragszahlung zur Sozialversicherung umgehen soll. Dem Arbeitnehmer werden dadurch sämtliche Schutzmöglichkeiten
genommen, ohne dass dies im Ergebnis durch unternehmerische Rechte oder gar Gewinne kompensiert wird (vgl. Urteile des erkennenden
Senats vom 12. Dezember 2008 - L 4 R 3542/05 - und vom 2. September 2011 - L 4 R 1036/10 -; beide in [...]).
Nicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist das fehlende wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Sozialversicherung.
Dabei lässt es der Senat dahingestellt, ob die Einschätzung der Klägerin, aufgrund der rentenrechtlichen Berücksichtigung
der Kindererziehung und ihrer familienrechtlichen Ansprüche keinen Vorteil aus dem Status als sozialversicherte Beschäftigte
zu haben, richtig ist. Die Ersparnis der Beiträge zur Sozialversicherung steht nämlich gerade nicht zur Disposition der Beteiligten.
Die Feststellung, dass die Klägerin abhängig Beschäftigte und gesamtsozialversicherungspflichtig ist, steht nicht im Widerspruch
zu Feststellungen aus der vorangegangenen Betriebsprüfung am 3. und 4. März 2005. Ausweislich des Bescheides vom 27. April
2005 war der sozialversicherungsrechtliche Status der Klägerin nicht Gegenstand der Prüfung und diesbezüglich wurden in dem
Betriebsprüfungsbescheid keine Feststellungen getroffen. Beschäftigte können aus den Ergebnissen früherer Prüfungen nur Rechte
herleiten, wenn bei der Betriebsprüfung Versicherungspflicht und Beitragshöhe personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch
gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sind (BSG, Urteil vom 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R -; in [...]; Kasseler Kommentar-Wehrhahn, Stand 1. Dezember 2012, § 28p
SGB IV RdNr. 6 a). Die Tatsache, dass keine Beanstandung bezüglich der Einordnung der Tätigkeit der Klägerin erfolgte, genügt nicht.
Die Klägerin ist nicht versicherungsfrei in den Zweigen der Sozialversicherung. Denn sie erhält für ihre Tätigkeit bei der
Beigeladenen zu 1) überwiegend ein Arbeitsentgelt von ca. € 1.500,00 monatlich und liegt damit über der Grenze der Entgeltgeringfügigkeit
von € 400,00, seit 1. Januar 2013 von € 450,00.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
IV.
Die Zulassung der Revision beruht auf §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG. Hinsichtlich des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung bei zeitweiligem Delegieren von Tätigkeiten an Dritte gibt es
- soweit ersichtlich - keine Rechtsprechung des BSG.