Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Leistungsausschluss für Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II bei Rentenbezug an einen Dritten; Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung
Gründe
Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist auch im sozial-gerichtlichen Verfahren (§
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i. V. m. §§
115 ff.
Zivilprozessordnung [ZPO]) neben der PKH-Bedürftigkeit (§§
114,
115 ZPO) und der Erforderlichkeit der Anwaltsbeiordnung eine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung
(§
114 Abs.
1 ZPO).
Hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers/Beschwerdeführers
auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht
mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Es muss also auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und
Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller/Beschwerdeführer mit seinem Begehren durchdringen wird (Geimer in Zöller,
Zivilprozessordnung, 30. Aufl., 2014, Rn. 19 zu §
114).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung der Gewährung von PKH für die beim
Sozialgericht (SG) Karlsruhe anhängige Klage S 17 AS 433/15, mit welcher die Klägerin sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.05.2013 bis 31.08.2013 in Höhe von insgesamt 3.626,16 € wendet. Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende
Aussicht auf Erfolg.
Zwar dürfte der Beklagte zu Recht davon ausgegangen sein, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen war. Bei der von der Klägerin bezogenen Rente handelt es sich um eine Rente
wegen Alters im Sinn dieser Norm. Es kommt nicht darauf an, dass es eine ausländische Rente ist, soweit diese vergleichbar
ist (vgl. BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R - <[...]>), wovon hier auszugehen ist. Von einem "Bezug" der Rente ist auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin
auszugehen, die russische Rente sei ihr nicht bzw. nicht vollständig zugeflossen, da diese vom russischen Pensionsfond jeweils
am 6. des Monats in bar an ihre Tochter in M. ausgezahlt und ihr von dieser in Deutschland im Rahmen von Besuchsaufenthalten
ausgehändigt worden sei. Ein Rentenbezug i.S. von § 7 Abs. 4 SGB II dürfte auch dann vorliegen, wenn die Rente an einen empfangsberechtigten Dritten ausgezahlt wird (ebenso SG Augsburg, Urteil
vom 18.11.2015 - S 8 AS 983/15 - <[...]>). Denn im Gegensatz zur Frage des Zuflusses von Einkommen (§ 11 SGB II), wo es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) darauf ankommt, ob eine (zugeflossene) Einnahme dem Leistungsberechtigten im Bedarfszeitraum tatsächlich zur Verfügung steht
bzw. als bereites Mittel geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken (vgl. BSG, Urteile vom 29.04.2015 - B 14 AS 10/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr. 70 und vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - BSGE 112, 229 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 57, Rn. 13), dürfte beim Bezug einer Rente (allein) darauf abzustellen sein, ob Rentenzahlungen vom
zuständigen Träger aufgenommen wurden. Ein Bezug der Rente dürfte daher auch dann vorliegen, wenn die Auszahlung mit Wissen
und Willen des Berechtigten an eine dritte Person erfolgt. Ansonsten hätte es der Rentenbezieher in der Hand, durch Einschaltung
einer empfangsberechtigten Person seine Zugehörigkeit zum Regime des SGB II oder aber des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) selbst zu bestimmen, was auch dem Sinn der Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II zuwider liefe, mit der klargestellt werden sollte, dass Personen, die endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und
Rente wegen Alters beziehen, nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden (Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 7 Rn. 34) und aus dem Leistungsregime des SGB II herausfallen.
Allerdings ist die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung aus anderen Gründen derzeit jedenfalls offen, was für die Bewilligung
von PKH genügt. Denn der Aufhebung bzw. Rücknahme der Leistungsbewilligung, die vom Beklagten (zuletzt) auf § 40 SGB II, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 (Verletzung der Mitteilungspflicht) bzw. auf Nr. 3 (Erzielung von Einkommen) Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. §§
330 und
335 des Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) gestützt wurde, könnte die Bestimmung des § 107 SGB X entgegen stehen, was allerdings einer näheren, im vorliegenden summarischen Verfahren nicht möglichen Prüfung bedarf.
Soweit ein Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X besteht, gilt nach § 107 Abs. 1 SGB X der Anspruch des hinsichtlich der Sozialleistung Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger - also
den Erstattungsverpflichteten - als erfüllt. Soweit die Erfüllungsfiktion reicht, schließt sie eine Aufhebung bzw. Rücknahme
der Leistungsbewilligung durch den Leistungsträger, der den Erstattungsanspruch hat, nach den §§ 44 ff. SGB X und einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X aus. Die Erfüllungsfiktion verleiht dem Sozialleistungsempfänger somit einen Rechtsgrund, die Leistung zu behalten. Der Leistungsträger
hat kein Wahlrecht, die Erstattung entweder vom anderen Leistungsträger oder vom Leistungsempfänger zu verlangen (BSG, Urteil vom 26.09.1991 - 4/1 RA 33/90 - <[...] Rn. 36> - SozR 3-1200 § 52 Nr. 2; BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 - 5 C 10/91 - <[...] Rn. 15>; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 107 SGB X Rn. 28).
Hiervon ausgehend dürfte das SG zwar zu Recht das Vorliegen eines Erstattungsanspruchs nach § 103 SGB X verneint haben, da ein solcher voraussetzt, dass eine Sozialleistung zum Zeitpunkt der Leistungserbringung zu Recht erbracht
wurde, d.h. es muss ein Anspruch auf die Leistung bestanden haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Gewährung von
SGB II-Leistungen bei gleichzeitigem Rentenbezug in Russland bereits im Zeitpunkt der Leistungserbringung (Mai bis August 2013)
rechtswidrig war. Hat ein Anspruch (nach dem SGB II) aber tatsächlich nicht bestanden, scheidet § 103 SGB aus (vgl. BSG, Urteil vom 23.09.1997 - 2 RU 37/96 - SozR 3-1300 § 105 Nr. 4; Prange in Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 103 SGB X Rn. 36 m.w.N.).
Allerdings kommt ein Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X (allein) in Betracht. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von
§ 102 Abs. 1 vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger nach dieser Bestimmung erstattungspflichtig,
soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt
hat. Vorliegend ist wegen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II die Leistungserbringung durch den Beklagten an die Klägerin zu Unrecht erfolgt, weswegen mit Blick auf die gleiche Ausgangslage
zwischen den existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II und denen nach dem SGB XII von einer sachlich unzuständigen Leistungserbringung des Beklagten auszugehen ist und von einer möglichen Verpflichtung des
zuständigen Sozialhilfeträgers zur Erbringung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 21, 27 f. SGB XII, § 5 Abs. 2 SGB II. Allerdings wird § 105 SGB X zum Teil für unanwendbar gehalten, wenn - über die Unzuständigkeit des leistenden Trägers hinaus - eine dem materiellen Sozialrecht
widersprechende Leistung vorliegt (Roos in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 105 Rn. 7 m.w.N.), was hier mit Blick darauf, dass Leistungen unter Verstoß gegen die materielle Ausschlussbestimmung des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II gewährt wurden, näherer Betrachtung bedarf.
Ebenso bedürfen die weiteren Anspruchsvoraussetzungen eines etwaigen Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X näherer Prüfung. Hierzu gehört auch die Würdigung des Umstands, dass die Stadt B. als hier zuständiger Sozialhilfeträger
soweit ersichtlich frühestens am Ende des hier streitigen Zeitraums (August 2013) vom Hilfefall Kenntnis erlangt hat. Dies
könnte indessen unbeachtlich sein, da nach der Rechtsprechung des BSG ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) auch als Antrag nach dem SGB XII zu werten ist (BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 66/13 R -, m.w.N.). Hiernach müsste sich der Sozialhilfeträger die Kenntnis des Beklagten von der Hilfebedürftigkeit nach § 18 SGB XII zurechnen lassen.
Näher zu prüfen ist weiter, ob § 105 Abs. 3 SGB X einem Erstattungsanspruch entgegen steht. Nach § 105 Abs. 3 SGB X gilt u.a. § 105 Abs. 1 SGB X gegenüber den Trägern der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen
bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen. Mit Blick auf den klaren Wortlaut des § 105 Abs. 3 SGB X könnte fraglich sein, ob insoweit die entsprechende Kenntniszurechnung angezeigt ist wie im Rahmen des § 18 SGB XII (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.02.2012 - L 9 AS 36/09 - unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 02.06.2005 - 5 C 30.04 -, [...] Rn. 11; a.A. SG Augsburg, a.a.O.).
Schließlich dürfte für den Umfang eines etwaigen Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs. 2 SGB X die tatsächliche Bedürftigkeit der Klägerin im streitigen Zeitraum eine Rolle spielen, d. h. wann und in welchem Umfang ihr
die russische Rente jeweils als bereites Mittel zur Verfügung stand, was näherer Feststellungen bedarf. Denn auch hier gilt
der Grundsatz, dass der erstattungspflichtige Träger nicht mehr erstatten muss, als er bei rechtzeitiger Leistung aufzuwenden
hätte (Roos in von Wulffen, a.a.O., § 103 Rn. 19) und dies wäre nur der Bedarf der Klägerin, wie er sich unter Anrechnung
zugeflossener Rentenzahlungen in den Bedarfsmonaten errechnete.
Mit Blick auf diese Fragen lässt sich die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zum jetzigen Zeitpunkt nicht verneinen. Da
auch die übrigen Bewilligungsvoraussetzungen vorliegen, war der Klägerin PKH ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung
ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass im vorliegenden Streit zwischen Sozialleistungsberechtigtem und Sozialleistungsträger
der Sozialleistungsträger beizuladen ist, der als Erstattungsberechtigter oder -verpflichteter in Betracht kommt (Burkiczak
a.a.O., § 107 SGB X Rn. 34), hier also die Stadt B.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§§ 73a Abs. 1 Satz 1
SGG, 127 Abs. 4
ZPO).
Der Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.