Anerkennung eines Kehlkopfkarzinoms bei Malern und Lackierern als Berufskrankheit
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Larynxkarzinoms (Kehlkopfkarzinom) als sogenannte Wie-Berufskrankheit (Wie-BK)
im Sinne des §
9 Abs.
2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (
SGB VII) streitig.
Der am 1941 geborene Kläger absolvierte von 1957 bis 1960 eine 2½-jährige Malerlehre. Dabei war er beim Ausbrennen von Farbtöpfen
polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und anderen Crack- und Verbrennungsprodukten sowie beim Teeren von Dächern
PAK ausgesetzt, ferner aromatenhaltigen Lösungsmitteln beim Lackieren und Reinigen. Nach seinem Wehrdienst nahm der Kläger
im November 1962 im V.-W.-Maschinenbau in C. eine Tätigkeit auf, die er bis 1985 ausübte. Dabei absolvierte er zunächst eine
Ausbildung zum Spritzlackierer und war dann anschließend in der betriebseigenen Lackiererei tätig. Dort war er durch das Lackieren
mit Kopallack (1962 bis 1965), Chlorkautschuklack (1965 drei Monate lang), Alkydharzfarbe (1965 bis 1976) und PUR-Lack (1976
bis 1985) sowie durch den Umgang mit Verdünnung (1962 bis 1985) jeweils aromatenhaltigen Lösemitteln ausgesetzt, ferner von
1979 bis 1985 durch das Arbeiten am Trockenofen auch Asbest. Von 1985 bis 1992 war der Kläger bei der D. B. AG in S. in der
Lackiererei beschäftigt und dort wiederum aromatenhaltigen Lösemitteln und ferner Feinstaub ausgesetzt. Während seines hiernach
ab 1993 erfolgten Einsatzes in der Montage war der Kläger gegenüber keinen krebserzeugenden Arbeitsstoffen exponiert.
Nachdem beim Kläger im Jahr 1992 eine Leukoplakie der Stimmbänder beidseits festgestellt worden war und hiernach mehrmals
Abtragungen von Leukoplakien vorgenommen werden mussten, wurde im Jahr 1998 ein Stimmbandkarzinom der linken Stimmlippe diagnostiziert
und laserchirurgisch eine frontale Kehlkopf-Teilresektion durchgeführt. Histologisch handelte es sich um ein hochdifferenziertes
verhornendes invasiv wachsendes Plattenepithelkarzinom.
Im Juni 1998 meldete die Ehefrau des Klägers den Verdacht auf eine Berufskrankheit (BK) und machte geltend, von medizinischer
Seite werde die Krebserkrankung in der beruflichen Tätigkeit ihres Ehemannes in der Lackiererei gesehen. Die Beklagte holte
eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) ein, zog Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie
weitere medizinische Unterlagen bei und von der AOK - Die Gesundheitskasse für den Kreis B. das über den Kläger geführte Vorerkrankungsverzeichnis.
Sodann holte sie das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. R., Klinik für Berufskrankheiten in Bad R., ein. Dieser fand radiologisch
und computertomografisch keinen Nachweis für asbestassoziierte Lungen- oder Pleuraveränderungen und vertrat die Auffassung,
die Anerkennung einer BK nach Nr. 4104 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) könne wegen fehlender sogenannter Brückensymptome derzeit nicht empfohlen werden. Die Beklagte holte nun eine Stellungnahme
des den Kläger behandelnden HNO-Arztes Dr. B., Hals-Nasen-Ohren-Klinik im O. S., ein, der auf die Bedeutung der Synkarzinogenese
(Kombinationseffekt zweier unabhängig voneinander am gleichen Organ wirkender Stoffe, der durch eine reine Addition bis hin
zu einer Potenzierung der einzelnen Risikofaktoren charakterisiert sei) hinwies, wobei Kanzerogene in jeweils unwirksamer
Einzeldosierung in der Kombination Krebs erzeugen könnten. Nachgewiesen worden seien die verschiedenen synergetischen Effekte
von Benzo(a)pyren mit Titandioxid oder Eisenoxidstaub oder Siliziumoxidstaub mit Asbest oder Dimethylnitrosamin an Schleimhäuten
des oberen Atmungstraktes bei Tieren. Für Menschen bestünden noch keine wissenschaftlich gesicherten Belastungsprofile. Beim
Kläger müsse jedoch §
9 Abs.
2 SGB VII geprüft werden, und zwar ob sein Tumorleiden nicht als multikausal verursachte BK anerkannt werden könne. Nach der von der
Beklagten sodann vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) eingeholten Auskunft waren dort keine Informationen vorhanden, dass sich der Verordnungsgeber mit der Frage befasst habe,
ob Kehlkopfkarzinome bzw. Plattenepithelkarzinome bei Malern und Lackierern nach der Einwirkung von aromatenhaltigen Lösungsmitteln,
Alkylharzfarben und PUR-Farben in die BK-Liste aufgenommen werden sollen oder es hierzu neue medizinisch-wissenschaftlich
gesicherte Erkenntnisse gebe.
Mit Bescheid vom 07.08.2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Kehlkopfkrebserkrankung des Klägers als BK ab und führte
zur Begründung aus, während seiner beruflichen Tätigkeit sei er den in der Liste der BKen aufgeführten Stoffe Asbest, PAK,
Toluol und Xylol ausgesetzt gewesen. Toluol und Xylol kämen als Ursache für die bestehende Erkrankung nicht in Betracht, da
diese Stoffe kein entsprechendes Wirkungspotenzial besäßen. Durch PAK könnten Krebserkrankungen der Atemwege zwar verursacht
werden, nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft jedoch nur im Bereich der tieferen Atemwege, also der Lungen. Eine derartige
Erkrankung liege beim Kläger jedoch nicht vor. Auf Grund der Exposition gegenüber Asbest sei die BK Nr. 4104 (Lungen- oder
Kehlkopfkrebs durch Asbest) geprüft worden, deren Voraussetzungen jedoch gleichfalls nicht vorlägen. So liege einerseits kein
Lungenkrebs und keine durch Asbest verursachte Erkrankung der Pleura vor und andererseits keine kumulative Asbeststaubdosis
am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren. Auch eine Anerkennung nach §
9 Abs.
2 SGB VII sei zu verneinen, da die Stoffe, gegenüber denen der Kläger exponiert gewesen sei (aromatenhaltige Lösemittel, Lacke, Alkydharz-
und PUR-Farben) nicht in der Liste der BKen aufgeführt seien und diese Stoffe auch nach dem neuesten Stand der medizinischen
Wissenschaft nicht geeignet seien, Kehlkopfkarzinome zu verursachen. Der dagegen am 31.07.2001 eingelegte Widerspruch wurde
mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2002 als unzulässig zurückgewiesen. Die dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage nahm der Kläger wieder zurück.
Am 09.01.2003 beantragte der Kläger die Rücknahme des Bescheids vom 07.08.2000 und machte geltend, die Beklagte habe die Voraussetzungen
des §
9 Abs.
2 SGB VII nicht hinreichend geprüft, weil sie im Hinblick auf die Ausführung des Dr. B. keine weiteren Ermittlungen eingeleitet habe.
Mit Bescheid vom 16.06.2003 lehnte die Beklagte es ab, eine Überprüfung des Bescheids vom 07.08.2000 durchzuführen, weil seinerzeit
alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft berücksichtigt worden seien.
Neue Gesichtspunkte, die eine Überprüfung der ergangenen Entscheidung begründen könnten, seien nicht vorgebracht worden und
hätten sich auch nicht anderweitig ergeben. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid
vom 01.10.2003).
Am 23.10.2003 hat der Kläger dagegen und mit dem Ziel der Anerkennung einer Wie-BK beim SG Klage erhoben und geltend gemacht, im Hinblick auf die von Dr. B. angesprochene Synkarzinogenese seien zu Unrecht keine Ermittlungen
durchgeführt worden. Die Beklagte gehe fehlerhafter Weise davon aus, dass er außer Asbest keinem weiteren Stoff ausgesetzt
gewesen sei. Als Maler und Lackierer habe er jedoch eine Vielzahl von in ihren Auswirkungen gänzlich unkalkulierbaren Farben-
und Lösungsmitteln verarbeitet.
Die Beklagte ist der Klage mit dem Hinweis entgegen getreten, der Kläger sei außer Asbest keinem weiteren Stoff ausgesetzt
gewesen, der nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen eine Krebserkrankung im Bereich des Kehlkopfes bedingen könne.
Die vom Kläger genannten Farben und Lösungsmittel könnten keinen Kombinationseffekt mit Asbest auslösen, da sie nicht am selben
Organ wirkten.
Das SG hat das arbeitsmedizinisch-internistische Gutachten des PD Dr. K. eingeholt. Dieser hat im Hinblick auf die sogenannte Synkarzinogenese
ausgeführt, der Kläger sei verschiedensten krebserregenden Arbeitsstoffen (bspw. Bitumendämpfen, PAK, anderen aromatischen
Kohlenwasserstoffen, Asbest, diversen Verbrennungsprodukten, Epoxiden aus Epoxidharzen) ausgesetzt gewesen, die sämtlich über
den oberen Respirationstrakt aufgenommen würden und damit am Kehlkopf bzw. den Stimmbändern hätten wirksam werden können.
Da anderweitige kausale Faktoren für die Entwicklung von Leukoplakien nicht festzustellen seien, die übliche Entwicklung der
Leukoplakien, wie sie bei Männern im 6. Lebensjahrzehnt in Zusammenhang mit hohem Nikotinkonsum festgestellt worden seien,
nicht vorgelegen habe und beim Kläger die entsprechende Erkrankung bereits mit 50 Jahren aufgetreten sei bzw. sich bereits
zwei bis drei Jahre davor klinisch inapparent entwickelt habe, lägen bei ihm Voraussetzungen vor, die nicht der normalen Ätiologie
der Leukoplakie entsprächen. Da im Übrigen bei verschiedensten Berufen Stimmbandkarzinome und Kehlkopfkarzinome nach §
9 Abs.
2 SGB VII auch in Zusammenhang mit Asbest anerkannt worden seien, bejahe er die haftungsausfüllende Kausalität im Hinblick auf den
sogenannten Anscheinsbeweis des §
9 Abs.
3 SGB VII. Bei Exposition gegenüber zahlreichen karzinogen wirksamen Substanzen seien keine anderen Hinweise auf eine Verursachung
durch Umstände des täglichen Lebens zu erkennen. Das SG hat darüber hinaus die Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 24.01.2006 eingeholt. Danach werde die
Fragestellung der Verursachung von Kehlkopfkarzinomen oder Plattenepithelkarzinomen durch die berufliche Einwirkung von Lösungsmitteln,
Alkylharz- und PUR-Farben oder PAK derzeit nicht aktiv beraten. Mit Urteil vom 11.05.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK nach Nr. 4104 hat es gestützt auf das Gutachten des
Dr. R. verneint. Die Anerkennung als Wie-BK scheitere daran, dass keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich
der gruppentypischen Risikoerhöhung für die vorliegende Mischexposition vorlägen. Im Hinblick auf die Verursachung von Kehlkopfkrebs
durch PAK lägen zwar Hinweise für einen Zusammenhang vor, jedoch keine Verordnungsreife im Sinne gesicherter wissenschaftlicher
Erkenntnisse. Die vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegte Fallkontrollstudie der Universität H. zeige zwar, dass der
Ursachenzusammenhang in der medizinischen Wissenschaft diskutiert werde, jedoch sei von einer gefestigten herrschenden Ansicht
insoweit nicht auszugehen.
Gegen das am 09.06.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.06.2006 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt
und im Hinblick auf die BK Nr. 4104 geltend gemacht, es sei nicht zwingende Voraussetzung, dass eine 25 Jahre währende Exposition
mit Asbestfasern im Einzelfall vorgelegen haben müsse. Maßgeblich sei die Exposition mit einer bestimmten Konzentration, bei
deren Überschreitung während eines Arbeitstages sich auch die Mindestexpositionsdauer von 25 Jahren deutlich reduziere. In
Bezug auf die Anerkennung als Wie-BK hat er geltend gemacht, die Heidelberger Fallkontrollstudie habe Nachweise dafür erbracht,
dass PAK (nach Rauchen) wichtigster bekannter Auslöser von Larynxkarzinomen sei und insbesondere auch die Berufsgruppe der
Maler und Lackierer auf Grund ihres beruflichen Umgangs mit lösemittelhaltigen Arbeitsstoffen von diesen Schädigungsfolgen
wesentlich mit betroffen sei. Mit dieser weltweit größten Kehlkopfkrebsstudie liege ein hinreichender Nachweis für das Vorliegen
gesicherter neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse vor, wonach die Berufsgruppe der Maler und Lackierer in Folge
des berufsbedingten Kontaktes mit PAK gruppenspezifisch betroffen sei. Diese nach der letzten Verordnungsänderung vom 05.09.2002
gesicherten Erkenntnisse seien "neu", da sie dem Verordnungsgeber nicht hätten bekannt sein können. Weiter sei zu berücksichtigen,
dass bei ihm eine Asbestfaserstaubbelastung vorliege, die im Sinne eines synergetischen Zusammenwirkens mit dem von den PAK
ausgehenden Schädigungen unter Umständen eine Herabsetzung der jeweils feststehenden Schwellenwerte bzw. Mindestexpositionszeiten
rechtfertigen könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11.05.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16.06.2003
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01.10.2003 zu verurteilen, den Bescheid vom 07.08.2000 im Hinblick auf die dort
erfolgte Ablehnung der Anerkennung der Kehlkopfkrebserkrankung als Berufskrankheit gemäß §
9 Abs.
2 SGB VII zurückzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Der Senat hat gemäß §
109 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) das hals-nasen-ohrenärztliche Gutachten des Prof. Dr. D., Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde/Plastische
Operationen im Universitätsklinikum L., eingeholt. Dieser hat die Anerkennung als Wie-BK vorgeschlagen, weil der Kläger nach
der aktuellen Datenlage auf Grund der Exposition gegenüber PAK sowie Farben bzw. Lacken einer besonders exponierten Bevölkerungsgruppe
angehöre.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§
143,
144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zur Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16.06.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 01.10.2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte
es mit diesen Bescheiden ablehnte, ihren Bescheid vom 07.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2000 abzuändern
und entsprechend dem Begehren des Klägers das bei ihm aufgetretene Kehlkopfkarzinom als Wie-BK anzuerkennen. Denn die Voraussetzungen
für die Anerkennung seiner Kehlkopfkrebserkrankung als Wie-BK gemäß §
9 Abs.
2 SGB VII sind nicht erfüllt.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist alleine der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Rücknahme des Bescheids
vom 07.08.2000, soweit die Beklagte damit im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers das Vorliegen der Voraussetzungen des
§
9 Abs.
2 SGB VII verneint hat. Denn nur insoweit hat der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 07.08.2000 geltend gemacht und dessen
Rücknahme beantragt. Folgerichtig hat die Beklagte eine Entscheidung auch nur insoweit getroffen, indem sie nämlich das vom
Kläger geltend gemachte Erfordernis weiterer Ermittlungen zum Vorliegen neuer medizinischer Erkenntnisse verneint und die
begehrte Überprüfung des Bescheides vom 07.08.2000 gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) abgelehnt hat. Entsprechend hat der Senat auch nur darüber zu befinden, ob die seinerzeitige Entscheidung der Beklagten
insoweit rechtswidrig ist, als sie damit die Anerkennung der Kehlkopfkrebserkrankung des Klägers als Wie-BK abgelehnt hat.
Über die Frage, ob mit Bescheid vom 07.08.2000 die Anerkennung einer BK nach Nr. 4104 der Anlage zur
BKV rechtsfehlerhaft versagt wurde, hat die Beklagte im Rahmen des Zugunstenverfahrens nicht entschieden. Entsprechend ist diese
Frage auch nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung.
Zwar kann ein Versicherter sein Begehren auf Anerkennung einer BK im Wege einer Feststellungsklage nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG verfolgen (BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2). Dies ist indessen im Rahmen eines so genannten Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X nicht möglich. Denn dieses Verfahren hat das Ziel, den bestandskräftigen, eine BK verneinenden Verwaltungsakt zu beseitigen,
im Falle des entsprechenden Klageverfahrens die Beklagte zur Rücknahme dieses Verwaltungsaktes zu verurteilen. Bevor der bestandskräftige
Ablehnungsbescheid aber nicht beseitigt ist, steht dieser - eben wegen seiner Bestandskraft - einer gegenteiligen Feststellung
durch das Gericht entgegen. Die Beklagte kann auch nicht zur Feststellung einer BK verurteilt werden. Hierfür fehlt es an
einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Dem Bedürfnis der Versicherten wird - normalerweise - von der Rechtsprechung mit der
Feststellungsklage Rechnung getragen. Damit beschränkt sich das Klagebegehren sachgerechterweise auf die Verurteilung der
Beklagten zur Rücknahme des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides (ständige Rechtsprechung des Senats seit Urteil vom 27.04.2006,
L 10 U 5290/03).
Diesen prozessualen Umständen entsprechend hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seinen Antrag gefasst.
Rechtsgrundlage für das geltend gemachte Begehren des Klägers ist § 44 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen,
soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder
Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzen sind vorliegend nicht erfüllt. Denn die Beklagte hat, soweit sie mit Bescheid vom 07.08.2000 die Anerkennung
der Kehlkopfkrebserkrankung des Klägers als Wie-BK ablehnte, das Recht weder unrichtig angewandt noch ist sie von einem Sachverhalt
ausgegangen, der sich nachträglich als unrichtig erwiesen hat. Denn die Voraussetzungen des §
9 Abs.
2 SGB VII sind im Hinblick auf die in Rede stehende Erkrankung des Klägers nicht erfüllt.
Der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung seiner Erkrankung wie eine BK (Wie-BK bzw. Quasi-BK) richtet sich nach den sei
01.01.1997 geltenden Vorschriften des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB VII), da der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall nach dem In-Kraft-Treten des
SGB VII eintrat.
Nach §
9 Abs.
2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der
BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen,
sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine
Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit
mit der nach den §§
7,
8 SGB VII versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit
in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen
der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (sog. gruppentypische Risikoerhöhung). Mit dieser
Regelung soll nicht in der Art einer Generalklausel erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang
mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist (BSG,
Urteil vom 04.06.2002, B 2 U 20/01 R m.w.N.). Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen
wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer
Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage zur
BKV noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten.
Das Tatbestandsmerkmal der gruppentypischen Risikoerhöhung ist erfüllt (s. BSG, aaO.), wenn die Personengruppe, zu der der
Kläger zu zählen ist, durch die Arbeit Einwirkungen ausgesetzt war oder ist, mit denen die übrige Bevölkerung nicht in diesem
Maße in Kontakt kam oder kommt (Einwirkungshäufigkeit) und die geeignet war oder ist, die beim Kläger vorliegende Erkrankung
hervorzurufen (generelle Geeignetheit). Das Erfordernis einer höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich auf
das allgemeine Auftreten einer Krankheit innerhalb dieser Gruppe. Auf eine Verursachung der Krankheit durch die gefährdende
Tätigkeit im Einzelfall kommt es dabei nicht an. Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der
versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der Regel den Nachweis einer Fülle
gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um dann
daraus schließen zu können, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Ist im Ausnahmefall
die gruppenspezifische Risikoerhöhung nicht mit der im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger
Krankheitsbilder zum Nachweis einer größeren Anzahl gleichartiger Gesundheitsstörungen zu belegen, da etwa aufgrund der Seltenheit
der Erkrankung medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können,
kann zur Feststellung der generellen Geeignetheit der Einwirkung spezieller Noxen zur Verursachung der betreffenden Krankheit
auch auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten, sowie auf frühere Anerkennungen entsprechender Krankheiten
wie BKen nach §
9 Abs.
2 SGB VII und damit zusammenhängende medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Die gruppenspezifische Risikoerhöhung
muss sich in jedem Fall letztlich aus Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft (vgl. §
9 Abs.
2 i.V.m. Abs.
1 Satz 2
SGB VII) ergeben. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle
Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel dann vor, wenn die Mehrheit
der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse
verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht
erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen
einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus.
Grundsätzlich sind medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse dann neu i.S. von §
9 Abs.
2 SGB VII (s. BSG, aaO.), wenn sie bei der letzten Änderung der
BKV noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist stets der Fall, wenn die Erkenntnisse erst nach Erlass der letzten
BKV bzw. etwaiger Änderungsverordnungen bekannt geworden sind. Nicht berücksichtigt vom Verordnungsgeber und somit neu sind aber
auch diejenigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, die trotz Vorhandenseins bei Erlass der letzten
BKV oder einer Änderungsverordnung vom Verordnungsgeber entweder nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erkennbar geprüft worden
sind. Als neu in diesem Sinne gelten daher solche medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr, die nach erkennbarer
Prüfung vom Verordnungsgeber als noch unzureichend bewertet wurden und deswegen eine Aufnahme der betreffenden Krankheit in
die BK-Liste scheitert. Allerdings erweisen sich dann solche bereits überprüften Erkenntnisse wiederum als neu, wenn sie sich
nach diesem Zeitpunkt zusammen mit weiteren, später hinzukommenden Erkenntnissen zur BK-Reife verdichtet haben. Eine derartige
Verdichtung ist anzunehmen, wenn dem Verordnungsgeber ausreichende, regelmäßig von einer herrschenden Meinung getragene medizinisch-wissenschaftliche
Erkenntnisse vorliegen, die geeignet wären, die Einführung einer neuen BK im Sinne von §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII zu tragen.
Finden aktive Beratungen zu der Frage statt, ob aufgrund medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse eine Empfehlung zur Aufnahme
in die BK-Liste ergehen soll, ist davon auszugehen, dass diese Erkenntnisse für die Dauer des Entscheidungsprozesses einer
Beurteilung der für die Anerkennung und Entschädigung einer Wie-BK zuständigen Stelle entzogen sind; d.h. es tritt insoweit
eine Sperrwirkung ein (BSG o.a.O). Dies kann allerdings nur so lange gelten, wie die Beratungen aktiv betrieben werden und
ein Abschluss der Beratungen innerhalb einer sozial verträglichen Zeitspanne zu erwarten ist. Werden aber aufgenommene Beratungen
vom Sachverständigenbeirat nicht fortgeführt, ruhen also und sind ohne erkennbares Ergebnis abgebrochen worden, wird deutlich,
dass der Verordnungsgeber von dem ihm zustehenden Vorrang keinen Gebrauch machen will. In einem solchen Fall lebt die Pflicht
des Versicherungsträgers, über geltend gemachte Ansprüche auf Anerkennung von Quasi-BKen und damit letztlich auch über die
Frage des Vorliegens neuer Erkenntnisse zu entscheiden, wieder auf. Wollte der Verordnungsgeber die Beurteilung weiter in
seinem Zuständigkeitsbereich belassen, wäre der Sachverständigenbeirat nicht gehindert, die vorliegenden Erkenntnisse als
noch nicht ausreichend zu qualifizieren und dadurch die Beratungen einstweilen zumindest zum Abschluss zu bringen. Welche
Zeitspannen nun für die jeweiligen Beratungen des Sachverständigenausschusses als noch sozial verträglich anzusehen sind und
welche Aktivitäten im Sachverständigenbeirat bzw. bei dem Verordnungsgeber stattfinden müssen, um noch von aktiv betriebenen
Beratungen sprechen zu können, ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Im vorliegenden Fall kann jedenfalls nach der vom SG eingeholten Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht von einer derartigen Sperrwirkung ausgegangen werden.
Der Senat ist somit an einer Prüfung nicht gehindert.
Vorliegend macht der Kläger geltend, gegenüber PAK als wichtigstem Auslöser für Larynxkarzinome exponiert gewesen zu sein
und darüber hinaus als Maler und Lackierer einer Berufsgruppe anzugehören, bei der nach den Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft ein Kehlkopfkarzinom signifikant häufiger auftrete als bei der übrigen Bevölkerung, weshalb eine gruppentypische
Risikoerhöhung zu bejahen sei. Insoweit lägen angesichts der "Rhein-Neckar-Larynxstudie", der weltweit größten Kehlkopfkrebsstudie,
im Sinne der obigen Darlegungen auch "neue" wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die es rechtfertigten seine Erkrankung, für
die keine andere Verursachung in Betracht komme, als Wie-BK anzuerkennen. Zu berücksichtigen sei im Übrigen die synkanzerogene
Wirkung der auf ihn einwirkenden Schadstoffe PAK und Asbest.
Der Senat teilt die Auffassung des Klägers, dass sowohl für PAK-exponierte Beschäftigte als auch für die Berufsgruppe der
Maler und Lackierer beachtenswerte Hinweise auf das Risiko vorliegen, an Kehlkopfkrebs zu erkranken. Allerdings rechtfertigen
die insoweit vorliegenden Erkenntnisse im Hinblick auf PAK die Anerkennung der Kehlkopfkrebserkrankung des Klägers als Wie-BK
wegen dessen geringer Expositionsdauer nicht. Im Hinblick auf die in der Berufsgruppe der Maler und Lackierer relevanten Schadstoffe
haben sich die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit noch nicht zur BK-Reife verdichtet. Entsprechendes gilt
auch in Bezug auf das Zusammenwirken der Substanzen PAK und Asbest im Hinblick auf einen Kehlkopfkrebs.
Im Hinblick auf das Risiko auf Grund beruflicher Einwirkungen an Kehlkopfkrebs zu erkranken, hat sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat
beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Sektion "Berufskrankheiten" im Jahr 1998 im Zusammenhang mit seiner Empfehlung,
"Lungenkrebs durch PAK nach Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benz(a)pyren-Jahren" als neue
BK anzuerkennen, geäußert (BArbBl. 1998 S.54). Seinerzeit hat er darauf hingewiesen, dass mehrere Autoren auch über ein erhöhtes
Kehlkopfkrebsrisiko bei PAK-exponierten Berufsgruppen berichtet hätten, wobei allerdings die Rauch- und Trinkgewohnheiten
als wesentliche außerberufliche Ursache des Kehlkopfkarzinoms nur bei einem Teil der Arbeiten adjustiert worden seien. In
der von Ahrens in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Fall-Kontroll-Studie hätte ein erhöhtes Kehlkopfkrebsrisiko
durch PAK nach Adjustierung für Rauchen und Alkohol allerdings nicht festgestellt werden können. Wegen der vorliegenden positiven
Studien gebe es zwar wichtige Hinweise für ein erhöhtes Kehlkopfkrebsrisiko von PAK-exponierten Beschäftigten, jedoch könnten
diese auf Grund der widersprechenden anderen Studienergebnisse derzeit nicht als gesichert angesehen werden. Im Hinblick auf
diese Ausführungen hatte der Verordnungsgeber bei Erlass der nachfolgenden
BKV-Änderungsverordnung vom 05.09.2002 trotz der Empfehlung des Sachverständigenbeirats von einer Aufnahme des Lungenkrebses
durch PAK als BK abgesehen, weil er beabsichtigte, zu prüfen, ob seit der angesprochenen Empfehlung neue wissenschaftliche
Erkenntnisse gemäß §
9 Abs.
1 SGB VII vorliegen, die eine Erweiterung auch auf extrapulmonale Tumore im Kopf-Hals-Bereich, insbesondere auf Kehlkopfkrebs, begründeten
und ob die BK Nr. 4110 ("Bösartige Neubildungen der Atemwege und Lungen durch Kokereirohgase") zu ersetzen sei (BR-Drs. 482/02
S.3f).
Mit der 2. Verordnung zur Änderung der
BKV vom 11.06.2009 (BGBl. I S. 1273) hat der Verordnungsgeber als BK Nr. 4113 nunmehr "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis
der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren" in die Liste der BKen aufgenommen, ohne allerdings
die zuvor beabsichtigte Prüfung hinsichtlich der Erkrankung "Kehlkopfkrebs" vorzunehmen (BR-Drs. 242/09 S. 20). Als BK Nr.
4114 hat darüber hinaus gleichzeitig "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von mindestens
50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht" Aufnahme in die BK-Liste gefunden. Mit dieser Änderung hat der Verordnungsgeber den
Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft im Hinblick auf die kanzerogene Wirkung der Schadstoffe PAK sowie PAK in Kombination
mit Asbestfasern bezogen auf das Zielorgan "Lunge" Rechnung getragen, nachdem als BK, verursacht durch das Kanzerogen Asbestfasern,
bereits Lungenkrebs und im Falle einer bestimmtem Mindestdosis auch Kehlkopfkrebs in die BK-Liste aufgenommen worden war (BK
Nr. 4104).
Im Gegensatz dazu liegen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur schädigenden Wirkung von Farben, Lacken und Lösungsmittel,
also den Stoffen gegenüber denen der Kläger in seinem Beruf als Maler und Lackierer exponiert war, sowie PAK, auch im Zusammenwirken
mit Asbest, bezogen auf das vorliegend maßgebliche Zielorgan "Kehlkopf", die - über die BK Nr. 4104 hinaus - die Aufnahme
der Erkrankung Kehlkopfkrebs in die Liste der BKen rechtfertigen würden, nicht vor.
Was die schädigende Wirkung von PAK anbelangt, liegen mit der "Rhein-Neckar-Larynxstudie" zwar möglicherweise relevante neue
Erkenntnisse vor, nachdem intensiv gegenüber PAK exponierte Personen ein signifikant erhöhtes Risiko von 4,58 gezeigt haben,
an Kehlkopfkrebs zu erkranken ("Rhein-Neckar-Larynxstudie" S.6). Beim Kläger steht der Anerkennung der Kehlkopfkrebserkrankung
als BK insoweit allerdings bereits die geringe Exposition entgegen, die die Beklagte mit ca. 1 Benzo(a)pyren-Jahr ermittelte
(Stellungnahme des TAD im Verwaltungsverfahren). Berücksichtigt man nämlich, dass im Rahmen der BK Nr. 4113 für die Anerkennung
eines Lungenkrebses durch PAK eine Dosis von 100 Benzo(a)pyren-Jahren verlangt wird, so wird deutlich, dass nicht jegliche
PAK-Exposition ausreichend sein kann, sondern ein relevantes Ausmaß erforderlich ist, das der Kläger mit dem von der Beklagten
ermittelten ca. 1% der für die BK Nr. 4113 erforderlichen Dosis, auch nicht annähernd erreicht. Der Senat sieht keine Gründe,
die es rechtfertigen könnten, beim Kläger von einer deutlich höheren Dosis auszugehen. Denn seinen Angaben zufolge war er
lediglich in dem Zeitraum von 1957 bis 1962 insgesamt 2 ½ Jahre während seiner Malerlehre zeitweise gegenüber PAK exponiert.
Dies war ca. 5 bis 6 mal im Jahr beim Teeren von Dächern der Fall sowie beim Ausbrennen von Farbtöpfen im Freien. Beide Tätigkeiten
nahmen gemessen an den ihm sonst obliegenden Arbeiten (Farbe aus Farbfässern in Farbeimer schöpfen und auf Baustellen verteilen,
auf Baustellen alte Farbschichten aus Kalk-, Leim-, Öl- und Melaminfarben abstoßen, Fenster mit Kitt abdichten, Streichen
von Fenstern, Reinigen von Pinseln) keinen großen Zeitanteil ein und waren zudem im Freien zu absolvieren. Vor diesem Hintergrund
kommt deshalb auch dem Umstand keine durchgreifende Bedeutung zu, dass in die Berechnungen des TAD zur PAK-Belastung nur das
Teeren der Dächer, nicht aber - mangels Kenntnis der Expositionshöhe - das Ausbrennen der Farbtöpfe einfloss.
Soweit sich der Kläger zur Begründung einer höheren Gefährdung von Malern und Lackierern durch schädigende Arbeitsstoffe auf
den von ihm im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bericht über eine Fall-Kontrollstudie von M., D., G., H. ("Berufliche Exposition
gegenüber Schadstoffen und Krebsrisiko im Bereich von Mundhöhle, Oropharynx, Hypopharynx und Larynx") berufen hat, kann diesem
zwar entnommen werden, dass die seinerzeitige Untersuchung ein erhöhtes Risiko an einem Mundhöhlen-, Pharynx- bzw. Larynx-Karzinom
zu erkranken, ergeben hat u.a. für Arbeiter, die gegenüber organischen Verbindungen, beispielsweise Lacken und Farben exponiert
waren (der Anteil des diesbezüglich exponierten Tumorkollektivs war mehr als doppelt so hoch als in der Kontrollgruppe). Den
Ausführungen ist jedoch weiter zu entnehmen, dass nach statistischer Bereinigung möglicher Alkohol- und Tabakeffekten kein
signifikant erhöhtes Krebsrisiko mehr nachweisbar war. Eine vorliegend relevante gruppentypische Risikoerhöhung lässt sich
dieser Fall-Kontrollstudie daher nicht entnehmen.
In den hiernach an der Universitäts-HNO-Klinik H. von 1988 bis 1991 durchgeführten drei Fall-Kontrollstudien (Risikofaktoren
für Plattenepithelkarzinome der Mundhöhle, des Rachens und des Kehlkopfes - Ergebnisse der Heidelberger Fallkontrollstudien,
herausgegeben vom HVBG, 1994) fanden M., S., D., F., G., H., K. H. und Z. Auffälligkeiten dahingehend, dass der Anteil der gelernten und ungelernten
Arbeiter im Tumorpatientenkollektiv statistisch signifikant höher lag als in der Kontrollgruppe, wobei sich bei der branchen-
und berufsbezogenen Auswertung dann ein erhöhtes Kehlkopfkrebsrisiko (alkohol- und tabakbereinigt) für Bauarbeiter, in der
Textilbranche beschäftigte Arbeiter sowie für Arbeiter, die gegenüber Fichtenholzstaub, Farben und Lacken, Zement und Steinkohle-/Teerprodukten
exponiert waren, zeigte (S.124 ff). Nach den Ausführungen der Untersucher entsprach dieses Ergebnis verschiedenen früheren
Kontrollstudien, die ebenfalls auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Farben- und Lackexposition und einem erhöhten Risiko
für Kehlkopfkrebs hingewiesen hatten (S. 131). Die Untersucher ermittelten ein signifikant gesteigertes Risiko für Plattenepithelkarzinome
des oberen Atmungs- und Verdauungstraktes insbesondere für eine Langzeitexposition u.a. gegenüber Farben und Lacken. Allerdings
fanden sie - wie sie ausführten - in der Literatur nur wenige Studien, die geeignet gewesen wären, ihre diesbezüglichen Ergebnisse
zu bestätigen. Sie verwiesen dabei auf zwei Studien, in denen eine erhöhte Mortalität an Mundhöhlenkarzinomen bei Zeitungsdruckern
beobachtet worden sei, wobei diese Untersuchungen jedoch weder den Alkohol- noch Tabakkonsum berücksichtigt hätten. Im Rahmen
einer weiteren Untersuchung sei zwar ebenfalls eine erhöhte Inzidenz für Rachenkrebs bei Malern und Anstreichern beobachtet
worden, jedoch seien in der entsprechenden Veröffentlichung weder relative Risiken noch Signifikanzniveaus angegeben worden.
In einer weiteren Studie sei über eine um das doppelte erhöhte Mortalität an Mundhöhlen- und Rachenkrebs bei Malern und Anstreichern
berichtet worden, wobei auch dort keine Angaben zum Signifikanzniveau vorhanden gewesen seien. Soweit darüber hinaus eine
Reihe verschiedener Autoren ein erhöhtes Rachen- und Kehlkopfkrebsrisiko bei dieser Berufsgruppe beschrieben hätten, habe
allerdings in all diesen Untersuchungen die zu Grunde liegende karzinogene Noxe bislang nicht näher identifiziert werden können.
Auf einen möglichen Einfluss einer Farbstoffexposition auf das Mundhöhlenkrebsrisiko könne eventuell eine weitere Studie hinweisen,
die nach statistischer Bereinigung von Tabakeffekten ein 3,6fach erhöhtes Risiko für Mundhöhlen- und Rachenkrebs bei Lederarbeitern
habe nachweisen können. Möglicherweise spiele eine inhalative Exposition gegenüber Chromaten oder gegenüber Druckertinte eine
wesentliche Rolle. Als eventuell krebsauslösende Noxen würden u.a. chromhaltige Farben, Anilinfarben, Azofarbstoffe sowie
andere im Tierexperiment karzinogene Farbstoffe wie Auramin und Magenta verdächtigt (S. 136 f).
Konkrete belastbare Rückschlüsse auf ein erhöhtes Risiko von Malern und Lackierern lassen diese Studien nicht zu. Dies gilt
insbesondere für das hier in Rede stehende Larynxkarzinom. Insgesamt wurden für die Fallkontrollstudie 164 Patienten erfasst
(S. 18), wobei die Berufsgruppe der Maler und Lackierer gar nicht gesondert erfasst wurde (vgl. S. 29 ff.). Schon deshalb,
mangels Erfassung der Berufsgruppe, der der Kläger angehört, lässt sich aus dieser Studie keine insoweit gruppentypische Risikoerhöhung
ableiten. Vergleichbares gilt im Hinblick auf die von der Studie erfasste Exposition gegenüber Farben und Lacken (S. 35 ff.).
Erfasst wurden Personen mit wöchentlichem Kontakt zu Farben und Lacken über mindestens zehn Jahre, jedoch wurde insoweit weder
nach der konkreten Dauer und Art der Exposition noch nach Berufen differenziert, sodass insbesondere Arbeiter der Textilindustrie
in dieses Kollektiv einflossen (S. 35), also gerade nicht die Berufsgruppe, der der Kläger angehört. Schon deshalb lassen
sich aus dieser Studie keine belastbaren Schlüsse ziehen. Hinzu kommt, dass - dies ergibt sich aus Tabelle 3.32 - nur 12,2
% der Patienten, also nur 20 Patienten insgesamt einer derartigen Exposition ausgesetzt waren. Insoweit fehlt es dieser Studie
auch an einer hinreichenden statistischen Basis für die Beurteilung, inwieweit Maler und Lackierer gegenüber der Normalbevölkerung
höher gefährdet sind.
Relevante und insbesondere konkrete weitergehende Erkenntnisse, die eine BK-Reife im Hinblick auf Kehlkopfkrebs bei Malern
und Lackierern begründen könnten, hat auch die "Rhein-Neckar-Larynxstudie" (vgl. Anlage zur Senatsakte), auf die sich der
Kläger in erster Linie stützt, nicht erbracht. Diese hat im Rahmen ihrer berufs- und branchenbezogenen Analysen zwar wiederum
für Maler und Lackierer ein erhöhtes relatives Risiko von 3,34 (alkohol- und tabakrauchadjustiert) ermittelt (Tabelle 25,
S. 58), indessen wurde dieses Ergebnis aus lediglich 23 Erkrankungsfällen und 16 Fällen der Kontrollgruppe ermittelt, was
statistisch eine durchaus fragwürdige, jedenfalls keine ausreichende Aussagekraft hat. Die Verwertbarkeit des Ergebnisses
wird jedoch weiter dadurch relativiert, dass in dieser Tabelle alle Personen erfasst wurden, die jemals im Laufe des Berufslebens
als Maler oder Lackierer gearbeitet haben. Damit fehlt es aber bereits an einer abgrenzbaren Berufsgruppe mit bestimmter Exposition
gegenüber der Normalbevölkerung, die üblicherweise zu gewissen Zeiten ebenfalls einmal gegenüber Farben und Lacken exponiert
gewesen ist. Da die aufgeführten Personen im Laufe ihres Berufslebens auch andere Tätigkeiten verrichtet haben, über deren
Gefährdungspotential nichts bekannt ist, können sie die in Rede stehende Erkrankung also auch durchaus aus einer anderen beruflichen
Exposition haben. Aus Tabelle 26, S. 60 der Studie ergibt sich darüber hinaus, dass für Maler und Lackierer, die in diesem
Beruf im Leben am längsten gearbeitet haben, das relative Risiko (alkohol- und tabakrauchadjustiert) lediglich noch auf 1,54
erhöht ist. Die Aussagekraft dieses Wertes relativiert sich dann allerdings wiederum im Hinblick darauf, dass er aus lediglich
noch acht Erkrankten und elf Personen der Kontrollgruppe, also einem verhältnismäßig geringen Kollektiv, ermittelt wurde.
Die "Rhein-Neckar-Larynxstudie" hat damit zwar die bisher schon vorhandenen Hinweise auf ein erhöhtes Risiko der Maler und
Lackierer an Kehlkopfkrebs zu erkranken bestätigt, jedoch für die in Rede stehende Berufsgruppe keine Erkenntnisse gebracht,
die auf eine BK-Reife hindeuten könnten. Auch der Sachverständige Dr. D. hat im Rahmen seines Gutachtens eingeräumt, dass
zwar vor allem eine Langzeitexposition gegenüber Farben, Lacken und Lösungsmitteln im Verdacht stehe, eine wesentliche Rolle
für das erhöhte Kehlkopfkrebsrisiko bei Malern zu spielen, es in der Fachliteratur gleichwohl bislang nur wenig epidemiologische
Studien gebe, die diese These untermauern könnten. Der Sachverständige Dr. D. hat auch auf die für den Senat bedeutungsvolle
spezifische Problematik für die Berufsgruppe der Maler und Lackierer hingewiesen, die gegenüber einer Vielzahl von Arbeitsstoffen
exponiert sind, u.a. gegenüber Pigmenten und Füllstoffen (z.B. Chromate, Dioxazin-Pigmente, Quarzmehl), Bindemittel und Härtern
(z.B. Biphenol-Epoxidharze, Polyacrylate, Polyamine, Isocyanate), Löse- und Verdünnungsmitteln (z.B. Isopropanol, Butylglykol,
Toluol und Xylol), Spachtelmassen aus Leinölfirnis oder Harzen und Abbeizmitteln (z.B. scharfe Laugen, Lösungsmittel). Diese
Vielzahl an möglicherweise schädigenden Stoffen erschwert die Identifizierung der krebsauslösenden Noxen ganz erheblich. Auch
die Untersucher der "Rhein-Neckar-Larynxstudie" haben auf diese Problematik im Rahmen ihrer Ausführungen ausdrücklich hingewiesen,
und es in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Farben und Lacken bezüglich ihrer Zusammensetzung um sehr heterogene Arbeitsstoffe
handelt weitere toxikologische Studien dringend für erforderlich erachtet, um die ursächlichen Noxen besser ordnen zu können.
Damit deuten die Ergebnisse der "Rhein-Neckar-Larynxstudie" - wie schon die vorangegangenen Fall-Kontrollstudien der Universität
H. - allenfalls auf ein erhöhtes Larynxkarzinomrisiko bei Malern und Lackierern hin und die Studie zeigt deshalb einen weiteren
Forschungsbedarf für toxikologische Untersuchungen mit Farb- bzw. Lackinhaltsstoffen auf. Sie bietet selbst jedoch - allein
schon wegen der nicht ausreichenden Datenbasis sowie fehlender konkreter Identifizierung der schädigenden Stoffe - keine Grundlage
für die Annahme, insoweit sei BK-Reife eingetreten. Auch Dr. B. hat im Hinblick auf die - auch synkanzerogene - Wirkung von
Arbeitsstoffen eingeräumt, dass für Menschen noch keine wissenschaftlichen Belastungsprofile existieren. Seine Vermutung gründet
sich auf Ergebnisse von Tierversuchen in Bezug auf die Schleimhäute des oberen Atmungstraktes. Rückschlüssen auf Kehlkopfkrebserkrankungen
von Malern und Lackierern lassen sich hieraus ohnehin nicht ziehen.
Entsprechendes gilt letztlich auch im Hinblick auf die Anerkennung der Kehlkopfkrebserkrankung des Klägers durch das Zusammenwirken
von PAK und Asbest. Für das Zielorgan "Lunge" wurde das Zusammenwirken der kanzerogenen Wirkungen dieser Arbeitstoffgruppen
epidemiologisch eindeutig nachgewiesen und dementsprechend "Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und
polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit
von mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht", als BK Nr. 4114 in die Liste der BKen aufgenommen. Anhaltspunkte
dafür, dass entsprechende hinreichend sichere medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse für das Zusammenwirken von PAK und
Asbestfasern im Hinblick das Zielorgan "Kehlkopf" vorliegen, sind demgegenüber nicht vorhanden. Entsprechende Hinwiese lassen
sich insbesondere weder der "Rhein-Neckar-Larynxstudie" entnehmen noch den Ausführungen des Sachverständigen Dr. D ...
Letztlich ist für die Anerkennung der in Rede stehenden Erkrankung als Wie-BK auch im Hinblick auf die Asbestexposition des
Klägers kein Raum. Kehlkopfkrebs durch Asbest hat - wie bereits ausgeführt - als BK Nr. 4104 Eingang in die BK-Liste gefunden.
Danach ist eine BK Lungen- oder Kehlkopfkrebs in Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) bzw. in Verbindung
mit durch Asbeststaub verursachten Erkrankungen der Pleura oder beim Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaubdosis
am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren. Dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt hat die Beklagte mit Bescheid
vom 07.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.03.2002 bestandkräftig abgelehnt. Hinweise darauf, dass hinsichtlich
der insoweit beschriebenen Voraussetzungen - die beim Kläger bestandskräftig festgestellt nicht erfüllt sind - neue medizinische-wissenschaftliche
Erkenntnisse vorliegen, die es erforderlich machen würden, eine entsprechende Ergänzung oder Änderung der Listen-BK vorzunehmen
und dementsprechend die Anerkennung als Quasi-BK rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
Soweit die gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. K. und Dr. D. insbesondere im Hinblick auf die genetische Prädisposition
(GST-Enzymveränderung) des Klägers und fehlender sonstiger erkennbarer Ursachen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der
beim Kläger vorliegenden Erkrankung und beruflichen Einwirkungen bejaht haben, braucht der Senat dem nicht weiter nachgehen.
Denn §
9 Abs.
2 SGB VII lässt es - wie bereits ausgeführt - bei fehlender BK-Reife nicht zu, eine im Einzelfall hinreichend wahrscheinlich durch
die berufliche Tätigkeit verursachte Erkrankung zu entschädigen.
Nach alledem kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.