Vergütungsanspruch des Leistungserbringers aus der gesetzlichen Krankenversicherung; Überprüfung der Heilmittelverordnung
des Vertragsarztes durch den Heilmittelerbringer
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung von weiteren vier physiotherapeutischen Behandlungen streitig.
Der Kläger betreibt eine Praxis für Physiotherapie und ist gemäß §
124 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) zur Versorgung der Versicherten der beklagten Krankenkasse mit physiotherapeutischen Leistungen zugelassen. Er ist Mitglied
in einem Berufsverband, der mit dem Landesverband der Beklagten am 16. Juli 2002 den am 1. Dezember 2002 in Kraft getretenen
und mit Wirkung zum 31. Dezember 2006 wieder gekündigten "Rahmenvertrag nach §
125 Abs
2 SGB V" (im Folgenden RV) geschlossen hat.
Der RV regelt die Einzelheiten der Versorgung der Versicherten mit physiotherapeutischen Leistungen, die Vergütung der Leistungen
und deren Abrechnung, die Rechte und Pflichten der Vertragspartner sowie die Folgen von Vertragsverstößen (§ 2 Ziff 1 RV).
Nach § 16 Ziff 1 RV erfolgt die Vergütung der vertraglich erbrachten Leistungen nach einer sich in Anlage 5 befindlichen Preisvereinbarung.
Der Preisvereinbarung ist eine Preisliste beigefügt, aus der sich die Preise für die jeweiligen Leistungen unter Angabe der
Behandlungsdauer ergeben. Nach § 3 Nr 1 Satz 1 RV bestimmt Art und Umfang der Leistungen der Vertragsarzt. Zur Abgabe dieser
Leistungen ist der Leistungserbringer im Rahmen der sich aus Anlage 3 ergebenden Leistungsbeschreibung berechtigt und verpflichtet
(§ 3 Nr 1 Satz 2 RV). In Anlage 3 sind die einzelnen Leistungen beschrieben, wobei in den Grundätzen vereinbart ist, dass
die Leistungsbeschreibung die Heilmittel-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach §
92 Abs
1 S 2 Nr
6 SGB V (im Folgenden HMR) berücksichtigt. Bei Änderungen der HMR sollen Anpassungen erfolgen. Die Leistungsbeschreibungen enthalten
auch Ausführungen zur Regelbehandlungszeit, die als Richtwerte gelten sollen. In § 4 RV ist die "Verordnung/Kooperation zwischen
Leistungserbringer und Vertragsarzt/Behandlungsdurchführung" regelt. Nach Nr 1 der Regelung dürfen Vertragsleistungen der
Anlage 3 nur ausgeführt werden, wenn sie von einem Vertragsarzt verordnet sind. Diagnose, Art und Anzahl der Leistungen ergeben
sich nach Nr 3 der Regelung aus der vom Vertragsarzt ausgestellten Verordnung. Weiter heißt es: "Die vertragsärztliche Verordnung
kann nur ausgeführt werden, wenn diese für die Behandlung erforderlichen Informationen enthalten sind. Dem Leistungserbringer
obliegt insoweit jedoch keine Prüfpflicht." Nach Nr 7 des § 4 RV ist der Leistungserbringer nicht berechtigt, vertragsärztliche
Verordnungen außer nach Nr 8 zu ändern oder zu ergänzen, es sei denn es wurde zuvor telefonische Rücksprache mit dem zuständigen
Vertragsarzt genommen und von dort genehmigte Änderungen der Verordnung werden mit Datum und Handzeichen des Leistungserbringers
auf dem Verordnungsblatt vermerkt. In Nr 8 sind ua Fälle geregelt, in denen bei verspätetem Beginn oder überlanger Behandlungsunterbrechung
die Verordnung ungültig wird. Nach Nr 10 besteht für Leistungen auf der Basis einer ungültigen Verordnung im Sinne des Nr
8 kein Vergütungsanspruch. Bei einer Kündigung bzw Teilkündigung des RV bestehen die Regelungen des RV bzw der jeweiligen
Anlage bis zu einer neuen vertraglichen Regelung unverändert weiter.
Mit der am 9. Juli 2008 ausgestellten Heilmittelverordnung wurden durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. E. an den bei
der Beklagten Versicherten R. zehn Behandlungen Krankengymnastik mit einer Anzahl von zwei bis drei pro Woche, wegen eines
Zustands nach Schulterluxation verordnet (Indikationsschlüssel EX3a). Als Therapieziel wurde angegeben: Wiederherstellung,
Besserung der gestörten Beweglichkeit. Die Verordnung wurde nicht als Verordnung außerhalb des Regelfalls gekennzeichnet,
sondern als Erst-Verordnung. Dementsprechend erfolgte auch keine medizinische Begründung für eine Verordnung außerhalb des
Regelfalls. Der Kläger stellte nach Erbringung der Leistung von Juli bis August 2008, deren Erhalt jeweils unterschriftlich
durch den Versicherten bestätigt wurde, diese der Beklagten mit einem Gesamtbetrag von € 119,60 in Rechnung. Die Beklagte
beglich lediglich sechs Einheiten und bezahlte einen Betrag von € 51,84, der vier physiotherapeutischen Behandlungen entspricht,
nicht mit der Begründung, nach den HMR könnten grundsätzlich lediglich sechs physiotherapeutische Behandlungen verordnet werden.
Der Kläger hätte dies bei Überprüfung der Verordnung erkennen können und deshalb entweder mit dem verordneten Vertragsarzt
Kontakt aufnehmen müssen oder entsprechend den HMR lediglich sechs Behandlungseinheiten erbringen und zur Abrechnung stellen
dürfen.
Am 6. Oktober 2008 hat der Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit der Begründung, nach dem maßgebenden Rahmenvertrag sei er nicht verpflichtet, eine ärztliche Verordnung auf
ihre Vereinbarkeit mit den HMR zu überprüfen. Auch sei er als Therapeut grundsätzlich an die Verordnung des Arztes gebunden
und könne selbst nicht prüfen, ob ein begründeter Einzelfall vorliege. Mit Urteil vom 18. Februar 2009, der Beklagten zugestellt
am 24. Februar 2009, hat das SG die Beklagte verurteilt, an den Kläger 51,84 € nebst 8 Prozent Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 4. September 2008
zu zahlen. Wegen der weitergehenden Zinsforderung hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Vergütungsanspruch des Klägers ergebe sich aus der in Anlage 5 zum Rahmenvertrag geschlossenen Preisvereinbarung.
Ein Heilmittel-Behandlungsvertrag zwischen dem Leistungserbringer und der Krankenkasse sei auch zustande gekommen. Ein Genehmigungsvorbehalt
bestehe nach dem maßgebenden Rahmenvertrag nicht. Der Leistungserbringer müsse lediglich prüfen, ob die vertragsärztliche
Verordnung eine Diagnose und die Beschreibung der Art und Benennung der Anzahl der Leistungen enthalte. Ob die Verordnung
mit den HMR ansonsten in Übereinstimmung stehe, sei nicht Teil einer Prüfobliegenheit des Leistungserbringers. Es könne dahingestellt
bleiben, ob der Kläger daher bei Erbringung seiner Leistungen dem Wirtschaftlichkeitsgebot im Allgemeinen unterliege. Es obliege
ihm insbesondere nicht, die dem Versicherten verordnete Anzahl der Leistungen zu ändern. Der zinsauslösende Verzugsfall sei
erst 28 Tage nach Eingang der vollständigen Abrechnungsunterlagen eingetreten. Das SG hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Mit ihrer am 19. März 2009 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, dass nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen
nur acht statt zehn Behandlungen an den Versicherten abgegeben worden seien. Der Kläger habe indessen zehn Behandlungen abgerechnet.
Soweit der Kläger vorgetragen habe, der verordnete Arzt habe ihm keine ärztliche Begründung für die Überschreitung der Regelvolumina
gegeben, so ergebe sich aus den Unterlagen nicht, dass es zu einer Kontaktaufnahme gekommen sei. Wenn es zu einer solchen
Kontaktaufnahme mit dem verordnenden Vertragsarzt komme und dies auf der Verordnung handschriftlich vermerkt werde, werde
von Kürzungen gegenüber dem Leistungserbringer abgesehen. Die Behauptungen des Klägers seien damit nicht nachgewiesen. Von
den physiotherapeutischen Leistungserbringern werde eine formale Überprüfung der ihnen vorgelegten vertragsärztlichen Verordnungen
dahingehend verlangt, ob diese offensichtlich unvollständig oder unplausibel vom Vertragsarzt ausgefüllt worden sind. In den
HMR seien die Therapeuten auch aufgerufen, sich mit dem Vertragsarzt zu verständigen, wobei einvernehmliche Änderungen auf
dem Verordnungsvordruck zu dokumentieren seien. Hier wendeten sich die HMR ausdrücklich auch an die Therapeuten. Man habe
den Heilmittelleistungserbringern eine Liste mit 26 Punkten zur Verfügung gestellt, in denen offensichtliche Verstöße beschrieben
würden. In diesen Fällen bestünde keine wirksame Vertretungsmacht des Vertragsarztes. Die Krankenkasse könne nicht auf die
Regressmöglichkeiten im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) verwiesen werden. Soweit §
4 Abs.
3 des Rahmenvertrages eine formelle Überprüfung der Verordnung ausschließe, verstoße dies gegen das Wirtschaftlichkeitsverbot
des §
12 Abs
1 Satz 2
SGB V, welches den Anspruch des Versicherten begrenze. Eine vertragsärztliche Verordnung, die über den Leistungsinhalt der HMR
hinausgehe, begründe keinen Versorgungsanspruch des Versicherten. Schon der Wortlaut des § 4 Abs 3 Satz 2 ginge von einer
formellen Überprüfung der vertragsärztlichen Verordnung aus. In medizinisch begründeten Ausnahmefällen könne es zur Erhöhung
des therapeutischen Nutzens erforderlich sein, dass sich an eine Behandlungseinheit unmittelbar eine zweite Behandlungseinheit
anschließe. Solche unmittelbar aufeinander folgenden Behandlungseinheiten würden nach § 4 Nr 4 des Rahmenvertrages als "Doppelbehandlungen"
bezeichnet. So könnten zB bei zehn verordneten Behandlungsleistungen als Doppelbehandlung fünf Doppelbehandlungen erbracht
und zehn Einzelbehandlungen mit der Krankenkasse nach § 4 Nr 4 des Rahmenvertrages abgerechnet werden. Dies gelte für Erst-
und Folgeverordnungen sowie für Verordnungen außerhalb des Regelfalles.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass der Leistungsabgabe eine wirksame Verordnung zugrundegelegt habe, an die er gebunden sei. Das
Mitteilungsschreiben der Beklagten sei nicht geeignet, zu einer Beschränkung der Vertretungsmacht der Vertragsärzteschaft
beim Ausstellen von Heilmittelverordnungen zu führen. Denn die Vertretungsmacht beruhe nicht auf einer Bevollmächtigung durch
Willenserklärung, sondern auf gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen, die die Beklagte durch rechtsgeschäftliche
Willenserklärungen nicht zu ändern vermöge. Das BSG gehe selbst nicht davon aus, dass eine ärztliche Verordnung inhaltlich,
insbesondere medizinisch, durch den Leistungserbringer geprüft werden müsse. Vielmehr sei auch nach der Rechtsprechung des
BSG eine wirksame Verordnung dann vorhanden, wenn die formalen Voraussetzungen hierfür erfüllt seien. Der Rahmenvertrag sei
im Übrigen nach wie vor gültig, denn nach dessen § 23 Abs. 4 gelte er bis zu einer neuen vertraglichen Regelung unverändert
fort. Dieser fortgeltende Rahmenvertrag schließe eine Prüfpflicht aus. Eine Prüfpflicht folge auch nicht aus §
91 Abs.
6 SGB V. Die HMR richte sich nur an die Vertragsärzte selbst, dem Leistungserbringer sei lediglich die Abgabe von Heilmitteln übertragen
worden. Damit liege eine klare Kompetenzverteilung vor, wonach der Leistungserbringer bei der Behandlung mit Heilmitteln grundsätzlich
an die ärztliche Verordnung gebunden sei, es sei denn, es lägen Ausnahmen vor. Die Verordnung sei auch nicht unvollständig
oder unklar, sondern absolut eindeutig und klar ausgefüllt worden. Die Leistungserbringer würden instrumentalisiert, um eine
Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen, die in die alleinige Zuständigkeit der Beklagten falle. Wenn nicht einmal eine Täuschung
des Vertragsarztes die Wirksamkeit seiner ausgestellten Verordnung berühre, könne erst recht ein Abrücken von Vorgaben der
HMR im Einzelfall nicht dazu führen, die Verordnung von vornherein als unwirksam anzusehen.
Die Berichterstatterin hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 29. April 2010 erörtert. Die Beteiligten haben daraufhin
weitere Unterlagen vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach der Zulassung durch das SG gem §§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend
gemachte Vergütung für weitere vier physiotherapeutische Leistungen in Höhe von 51,84 €. Das SG hat die Beklagte zu Unrecht zur Zahlung verurteilt und hätte die Klage daher abweisen müssen.
Die Leistungsklage ist nach §
54 Abs
5 SGG zulässig. Es war weder ein Widerspruchsverfahren durchzuführen noch eine Klagefrist einzuhalten (vgl hierzu ausführlich BSG,
Urteil vom 24. September 2002 - B 3 KR 2/02 R = SozR 3-2500 § 132a Nr 3). Die Klage ist aber nicht begründet. Der von dem Kläger geltend gemachte Vergütungsanspruch besteht
nicht.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist §
125 Abs
2 Satz 1
SGB V iVm §
15 Abs
1 des zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretenen RV und der dem RV als Anlage beigefügten Preisvereinbarung. Der RV ist trotz
der zum 31. Dezember 2006 ausgesprochenen Kündigung gemäß § 23 Nr 4 RV auch für die Zeit danach weiter wirksam, da bislang
eine Folgevereinbarung nicht zustande gekommen ist. Der Vergütungsanspruch der Heilmittelerbringer ist ein vom Leistungsanspruch
der Versicherten unabhängiger eigenständiger Anspruch. Er korrespondiert idR mit dem Leistungsanspruch der Versicherten, kann
aber - unter besonderen Umständen (zB im Fall der Beendigung der Mitgliedschaft des Versicherten, siehe hierzu BSG, Urteil
vom 17. April 1996, 3 RK 19/95, SozR 3-2500 § 19 Nr 2), die hier nicht vorliegen - auch ohne einen solchen Leistungsanspruch bestehen oder trotz Bestehens
eines Leistungsanspruchs nicht gegeben sein (vgl zum Vergütungsanspruch bei Leistungen der häuslichen Krankenpflege Urteil
des Senats vom 20. Juli 2010, L 11 KR 1960/09, veröffentlicht in juris und zum Vergütungsanspruch des Krankenhauses Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung,
§
109 SGB V Rdnr 28 ff; Heberlein GesR 2008, 113, 117). Voraussetzung des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist (neben der Leistungserbringung)
grundsätzlich, dass ein Leistungsanspruch der Versicherten nach §
32 SGB V in der ab 1. April 2004 geltenden Fassung bestanden hat und das Heilmittel vertragsärztlich verordnet worden ist (BSG, Urteil
vom 27. Oktober 2009, B 1 KR 4/09 R, veröffentlicht in juris). Denn die Regelung des §
32 SGB V räumt dem Versicherten lediglich ein Rahmenrecht ein, das noch der Konkretisierung durch eine vertragsärztliche Verordnung
bedarf. Mit seiner Heilmittelverordnung bestimmt der Vertragsarzt deshalb nicht nur, auf welche Heilmittel der Versicherte
einen Anspruch hat. Er schafft damit zugleich eine Voraussetzung für einen dem Leistungsanspruch des Versicherten entsprechenden
Vergütungsanspruch des Heilmittelerbringers gegen die Krankenkasse des Versicherten (vgl zur Arzneimittelversorgung ausführlich
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, veröffentlicht in juris).
Dies setzt allerdings voraus, dass die vertragsärztliche Verordnung gültig bzw wirksam ist. Davon gehen auch die Vertragspartner
des RV aus, wie sich aus § 4 Nr 10 RV ergibt. Dort ist bestimmt, dass ein Vergütungsanspruch nicht besteht, wenn eine (ursprünglich
gültige) Verordnung gemäß § 4 Nr 8 Buchst a) und b) RV ungültig geworden ist. Nichts anderes kann gelten, wenn von vornherein
gar keine gültige Verordnung vorlag. Eine vertragsärztliche Verordnung von Heilmitteln ist ungültig bzw unwirksam, wenn sie
gegen geltendes Recht verstößt. Bei der Verordnung von Heilmitteln gemäß §
73 Abs
2 Nr
7 SGB V hat der Vertragsarzt die vom Gemeinsamen Bundesausschuss auf der Grundlage von §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6 SGB V erlassenen HMR zu beachten. Die HMR legen nicht nur den Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten
Leistungen verbindlich fest, sie sind auch für die Heilmittelerbringer unmittelbar geltendes Recht (BSG, Urteil vom 27. Oktober
2009 aaO.).
Heilmittel sind nur nach Maßgabe der HMR verordnungsfähig (Teil 1 Abschnitt II Nr 8 Satz 1 HMR). Zwar ist der Therapeut grundsätzlich
an die ärztliche Verordnung gebunden (Teil 1 Abschnitt II Nr 9 Satz 2 HMR). Dies bedeutet aber nur, dass er weder andere noch
weitere Leistungen als die vom Vertragsarzt verordneten erbringen und abrechnen darf, nicht aber, dass er - wie der Kläger
meint - berechtigt oder gar verpflichtet ist, jede Verordnung ohne weitere Prüfung auszuführen. Da die HMR auch gegenüber
dem Kläger verbindlich und daher von ihm zu beachten sind, ist ihm die Berufung auf den Inhalt der ärztlichen Verordnung verwehrt,
wenn er erkannt hat oder hätte erkennen müssen, dass die vertragsärztliche Verordnung nicht mit den HMR übereinstimmt. Denn
nach §
2 Abs
4 SGB V haben auch die Leistungserbringer darauf zu achten, dass Leistungen nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.
Daraus sowie aus dem in §
12 SGB V geregelten Wirtschaftlichkeitsgebot und der sich aus den HMR ergebenden Pflicht zur engen Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt
ergibt sich eine Pflicht der Heilmittelerbringer, die Verordnung des Vertragsarztes auf aus ihrer professionellen Sicht erkennbare
Fehler und Vollständigkeit zu überprüfen (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009, aaO.). Gleiches würde gelten, wenn auf die Leistungserbringung
die Vorschriften des Zivilrechts (analog) anzuwenden wären. Denn mit Verordnungen, die mit den HMR nicht übereinstimmen, überschreitet
der Vertragsarzt die ihm eingeräumte Befugnis, den Versicherten Sachleistungen auf Kosten der Krankenkasse zu verschaffen.
Insoweit ist sein Handeln dem eines Vertreters ohne Vertretungsmacht vergleichbar und nach §
179 Abs
3 Satz 1
BGB würde in einem solchen Fall selbst eine Haftung des ohne Vertretungsmacht handelnden Vertreters ausscheiden.
Die sich aus dem
SGB V und den HMR ergebende Prüfpflicht des Leistungserbringers kann durch den Rahmenvertrag nach §
125 Abs
2 SGB V nicht beseitigt werden, da der Rahmenvertrag, auch soweit er als Normsetzungsvertrag zu qualifizieren ist, im Rang unter
dem
SGB V als einem Gesetz im formellen Sinn steht und ihm auch die HMR als höherrangiges Recht vorgehen. Der Kläger kann sich deshalb
nicht auf § 4 Nr 3 Satz 3 RV, der eine Prüfpflicht der Leistungserbringer in Bezug auf die ärztliche Verordnung verneint,
berufen. Diese Regelung ist, so wie sie vom Kläger interpretiert wird, mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und daher unwirksam.
Auch im Übrigen ist vorrangig auf die HMR und nicht auf den RV abzustellen. Ist deshalb ein Vergütungsanspruch des Heilmittelerbringers
wegen Verstoßes gegen die HMR nicht gegeben, kommt es darauf, ob die Bestimmungen des RV eingehalten worden sind, nicht mehr
an.
Der indikationsbezogene Katalog verordnungsfähiger Heilmittel nach §
92 Abs
6 SGB V (Heilmittelkatalog), der Bestandteil der HMR ist, regelt nach Teil 1 Abschnitt II Nr 8 Satz 2 HMR
- die Indikationen, bei denen Heilmittel verordnungsfähig sind,
- die Art der verordnungsfähigen Heilmittel bei diesen Indikationen
- die Menge der verordnungsfähigen Heilmittel je Diagnosegruppe und
- die Besonderheiten bei Wiederholungsverordnungen (Folgeverordnungen).
Den Heilmittelverordnungen liegt in den jeweiligen Abschnitten des Heilmittelkatalogs ein definierter Regelfall zugrunde.
Dieser Regelfall geht von der Vorstellung aus, dass mit dem der Indikation zugeordneten Heilmittel im Rahmen der Gesamtverordnungsmenge
des Regelfalls das angestrebte Behandlungsziel erreicht werden kann. Die Gesamtverordnungsmenge und die Anzahl der Behandlungen
(Einheiten) je Verordnung im Regelfall ergeben sich aus dem Heilmittelkatalog (Teil 1 Abschnitt II Nr 11 HMR).
Auf der Grundlage dieser Vorschriften und Grundsätze ist der vom Kläger geltend gemachte Vergütungsanspruch zu verneinen.
Die Verordnung vom 9. Juli 2008 wurde als Erstverordnung für eine Indikation der im Zweiten Teil der HMR aufgeführten Diagnosegruppe
EX3a ausgestellt. Die Verordnungsmenge je Diagnose beträgt bei der Erstverordnung bis zu 6 Einheiten; die Gesamtverordnungsmenge
des Regelfalls 30 Einheiten bei einer Frequenzempfehlung von einer Behandlung mindestens zweimal wöchentlich. Die Verordnung
von Dr. E. vom 9. Juli 2008 mit zehn Einheiten widerspricht daher den Vorgaben der HMR. Denn die maximale Verordnungsmenge
für Erstverordnungen von sechs Einheiten, die sich (auch) aus den Grundsätzen der Heilmittelverordnung in Teil 1 Abschnitt
II Nr 11.2.3 HMR ergibt, wurde nicht eingehalten. Die Beklagte hat daher zu Recht nur sechs Einheiten vergütet. Will der behandelnde
Arzt mehr als sechs Einheiten Krankengymnastik verordnen, bedarf es hierfür einer Folgeverordnung, die allerdings erst ausgestellt
werden kann, wenn die mit der Erst-Verordnung verordneten Leistungen erbracht worden sind.
Die Abweichungen vom Heilmittelkatalog waren für den Kläger im Rahmen der ihm obliegenden Prüfverpflichtung auch erkennbar.
Die HMR und der Heilmittelkatalog sind dem Kläger aufgrund seiner in der Ausbildung erworbenen Fachkompetenz vertraut und
als Grundlage seiner beruflichen Tätigkeit im Einzelnen bekannt. Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung war der Kläger als Leistungserbringer verpflichtet, die ihm vorgelegten Verordnungen auf ihre formelle
Vereinbarkeit mit den HMR zu überprüfen.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §
197a SGG iVm §§ 52 Abs 1 und 3, 47, 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage und in welchem Umfang Heilmittelerbringer einen
Vergütungsanspruch gegen eine gesetzliche Krankenkasse haben, wenn sie alle von einem Vertragsarzt verordneten Leistungen
gegenüber dem Versicherten tatsächlich erbracht haben, grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).