Anspruch auf Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für eine stationäre Liposuktion
Anforderungen an die Durchführung einer Vorab-Prüfung durch die Krankenkasse
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Liposuktionsbehandlung als Sachleistung streitig.
Die 1964 geborene Klägerin ist aufgrund des Bezugs einer Rente wegen Erwerbsminderung (seit 2015) bei der Beklagten in der
Krankenversicherung der Rentner krankenversichert.
Am 15.08.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Einzelfallentscheidung zur Kostenübernahme einer Liposuktion
und legte Befundberichte des Klinikums F. vom 28.04.2017 (Diagnosen: Lipo-Lymphödem der Beine bei massiver Lipohypertrophie
der Oberschenkel Stadium III, Lipödem der Arme beidseits Stadium I, Adipositas per magna <BMI 48 kg/m2>, arterielle Hypertonie, chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgie, Migräne) und des Klinikums D. vom 09.06.2017 (Diagnosen:
Lipödem-Syndrom der Beine, Ganzbein-Typ, Stadium II, geplante Therapie Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie in sechs Sitzungen)
sowie einen Kostenvoranschlag je ambulanter Sitzung in Höhe von 2.604,16 € vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.08.2017 ab, weil der diagnostische bzw therapeutische Nutzen nicht nachgewiesen
sei. Dies beurteile der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Die Liposuktion sei eine neue Behandlungsmethode, die bisher noch
nicht bewertet worden sei. Dagegen legte die Klägerin am 23.08.2017 Widerspruch ein. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
legte sie weitere Befundberichte vor und führte zur Begründung aus, dass sie seit 1985 unter einem Lipödem der Beine mit Reithosensyndrom,
mittlerweile im Stadium III, leide. Dies führe zu starken Schmerzen über Tag und Nacht sowie körperlichen Beeinträchtigungen
beim Treppensteigen, Fußwegen, Fahrradfahren, Wandern, Gehen, bei der dringend notwendigen Krankengymnastik bezüglich des
Rückens, längeren Autofahrten sowie zu starker Hämatombildung und Langzeitfolgen (Gonarthrose, Hüftarthrose). Eine Gewichtsreduktion
beeinflusse das krankhafte Fettgewebe nicht. Konservative Maßnahmen wie die bereits durchgeführte manuelle Lymphdrainage sowie
das konsequente Tragen von Kompressionsstrumpfhosen führten nicht zu einer Verbesserung der Schmerzsymptomatik. Diese seien
bei ihr seit 30 Jahren erprobt, könnten nicht einmal die Progredienz aufhalten.
Mit Bescheid vom 22.01.2018 lehnte die Beklagte auch eine Liposuktion als stationäre Krankenhausbehandlung ab. Dagegen legte
die Klägerin Widerspruch ein (Schreiben vom 14.02.2018). Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies die Widersprüche der
Klägerin gegen die Bescheide vom 21.08.2017 und 22.01.2018 als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 04.07.2018). Habe
der GBA für eine Methode noch keine positive Empfehlung ausgesprochen, dürften die gesetzlichen Krankenkassen diese grundsätzlich
nicht übernehmen bzw bezuschussen. Die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) lägen nicht vor. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit liege nicht vor. Der Anwendungsbereich des §
137c SGB V, der eine Kostenübernahme im Falle einer nicht beurteilten Untersuchungs- und Behandlungsmethode dem Grunde nach ermögliche,
sei nicht eröffnet.
Dagegen hat die Klägerin am 31.07.2018 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und eine Liposuktion als Sachleistung geltend gemacht. Sie hat zur Begründung ua vorgetragen, dass den Leitlinien
der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie entnommen werden könne, dass zur dauerhaften Reduktion des krankhaften Unterhautfettgewebes
an Beinen und Armen die Liposuktion eingesetzt werde. Diese sei insbesondere dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter
konservativer Therapie noch Beschwerden bestünden bzw wenn eine Progredienz auftrete. Sie - die Klägerin - sei aufgrund der
massiven Folgeerscheinungen der vorliegenden Krankheit Lipödem vorzeitig berentet. Bereits im Alter von 19 Jahren sei bei
ihr ein Lipödem aufgetreten. Damals sei es auch zu einer Gewichtzunahme von 20 kg innerhalb von sechs Wochen gekommen. Die
Diagnose Lipödem sei 1987 erstmalig gestellt worden. Wegen des Lipödems habe ein erster stationärer Klinikaufenthalt 1987
stattgefunden. Seitdem absolviere sie immer wieder stationäre Aufenthalte von mehreren Wochen, wobei während des jeweiligen
Aufenthalts eine komplexe physikalische Entstauung, Sport, Lymphdrainagen und Ernährungsberatung stattgefunden hätten. Sie
- die Klägerin - trage täglich Kompressionsbestrumpfung, gehe zweimal wöchentlich zu Lymphdrainagen, habe wechselnde Diäten
und verschiedene Ernährungsumstellungen durchgeführt. Im weiteren Verlauf habe sich ihr Gesundheitszustand deutlich verschlechtert.
Die Liposuktion stelle bei ihrer Erkrankung die einzig hilfreiche Möglichkeit dar, ihren Gesundheitszustand zu verbessern.
Sie hat ua einen Bericht des Z vom 20.07.2018 mit den Diagnosen Lipödem, Stadium III beidseits Beine, Lipödem Stadium II beidseits
Arme, Fettschürze (Gewicht 112 kg, Größe 164 cm), Lipomatose und Intertrigo sowie mit dem Therapievorschlag fraktionierte
Liposuktion beider Beine in zwei bis drei Sitzungen in Narkose stationär vorgelegt. Die Behandlung des Lipödems sei medizinisch
notwendig, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu vermeiden. Die Liposuktion in Allgemeinanästhesie unter stationären Bedingungen
sei zu empfehlen. Aufgrund der abzusaugenden Fettmenge sei eine postoperative stationäre Überwachung medizinisch indiziert.
In der Zeit vom 31.03.2019 bis zum 12.04.2019 hat sich die Klägerin in stationärer Behandlung im Klinikum F. befunden (Diagnosen
Lipo-Lymphödem der Beine bei massiver Lipohypertrophie der Oberschenkel Stadium III, Lipödem der Arme beidseits Stadium I,
Adipositas per magna <Aufnahmegewicht 113,7 kg, Entlassgewicht 112,1 kg>, arterielle Hypertonie, chronisches Schmerzsyndrom,
Fibromyalgie, Migräne). Von massivem Umfang bleibe die laterale Lipohypertrophie an beiden Oberschenkeln, die sich durch konservative
Maßnahmen nicht beeinflussen lasse. Hier könne lediglich eine Liposuktion zur deutlichen Gewebereduzierung führen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.08.2019 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide vom 21.08.2017 und 22.01.2018 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese
habe weder einen Anspruch auf eine stationäre noch eine ambulante Liposuktionsbehandlung. Der Anspruch auf Krankenbehandlung
in einem zugelassenen Krankenhaus greife nur nach der Maßgabe des für alle Naturalleistungsbereiche geltenden Qualitätsgebots.
Die begehrte Liposuktion unter stationären Bedingungen entspreche nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots (Hinweis auf
Bundessozialgericht <BSG> 24.04.2018, B 1 KR 13/16 R und B 1 KR 10/17 R). Ein Sachleistungsanspruch folge auch nicht aus §
2 Abs
1a SGB V. Die Erkrankungen der Klägerin verliefen nicht regelmäßig tödlich noch seien diese wertungsmäßig gleich zu erachten. Die
Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine ambulante Liposuktion, da es an einer positiven Empfehlung des GBA über den diagnostischen
und therapeutischen Nutzen der Methode fehle.
Gegen den ihrer Bevollmächtigten am 03.09.2019 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 30.09.2019
beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Die Klägerin
hat zur Begründung ua vorgetragen, dass die von ihr vorgelegten Studien deutlich zeigten, dass Liposuktionen das Krankheitsbild
eindeutig verbesserten. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a SGB V vor.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.08.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids
vom 22.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 zu verurteilen, eine Liposuktion im Bereich der Oberschenkel
als stationäre Leistung zu gewähren,
hilfsweise unter Aufhebung des Bescheids vom 21.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.07.2018 die Beklagte zu
verurteilen, eine Liposuktion im Bereich der Oberschenkel als ambulante Behandlung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf ihre getroffenen Entscheidungen sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend
hat die Beklagte ausgeführt, dass die Liposuktion zur Behandlung von ödematösen Fettansammlungen (Lipödem) vom 07.12.2019
bis 31.12.2024 für Personen bei Lipödem der Beine und Arme in Stadium III eine befristete Kassenleistung sei. Ab 01.01.2020
sei die Liposuktion auch im vertragsärztlichen Bereich abrechnungsfähig. Der GBA habe klare Regeln festgelegt, welche Patientengruppen
für die Liposuktion zu Lasten der GKV in Frage kämen. Wenn die vom GBA geregelten Voraussetzungen vorliegen, könne die Klägerin
die Liposuktion als Kassenleistung nach Vorlage ihrer Krankenkassenkarte in Anspruch nehmen.
Die Klägerin hat mitgeteilt, dass sie bisher keinen Arzt gefunden habe, der eine Liposuktion als Kassenleistung anbiete.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens. Der D hat in seinem Gutachten vom 25.01.2021
ein Lipödem Stadium III vom Oberschenkeltyp beidseits, schmerzhafte Lipohypertrophie im Oberschenkelbereich, Adipositas per
magna (BMI 41,5 kg/m2), chronisches Schmerzsyndrom und Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert. Bei der Klägerin liege ein typisches Reithosenphänomen
vor, zusätzlich die für das Stadium III entscheidenden Wammenbildungen im Kniebereich mit überhängenden Gewebsanteilen. Komplizierend
trete die seit langem bestehende Adipositas hinzu, die in den letzten Jahren stabil gewesen sei bzw eine leichte Besserung
mit einem jetzt ermittelten BMI von 41,5 aufweise. Die Klägerin habe alle konservativen Therapiemaßnahmen durchgeführt, die
leitliniengerecht empfohlen würden: Manuelle Lymphdrainagebehandlung, komplexe physikalische Entstauungstherapie, regelmäßige
Bewegungstherapie sowie das Tragen flachgestrickter Kompressionsstrumpfware. Der Befund habe sich bei der Klägerin über Jahre
nicht gebessert, eher sei es zu einer Zunahme der Beschwerdesymptomatik und der sekundären Haut- und Gelenkveränderung gekommen.
Bei fehlendem Nachweis eines begleitenden Lymphödems sei die konservative Therapie meist nicht erfolgreich und bewirke nur
eine kurzfristige Symptomlinderung, weshalb auch durch die regelmäßig durchgeführten manuellen Lymphdrainagen keine weitere
Besserung zu erwarten sei. Auch durch die gewünschte Gewichtsreduktion werde sich kein Effekt erzielen lassen. Unter diesen
Umständen sei eine chirurgische Maßnahme im Sinne einer Liposuktion dringend zu empfehlen, bevor es zu weiteren sekundären
Gelenkdeformitäten komme. Die ausgeprägte Adipositas wirke sich negativ auf die Ödemneigung aus, dies insbesondere im Sinne
eines begleitenden orthostatischen Ödems und eines Lymphödems. Beides liege bei der Klägerin nicht vor. Durch eine Liposuktion
würden sich die Beweglichkeit der Klägerin verbessern und damit die Aussichten auf eine bessere Gewichtskontrolle erhöhen.
Die Adipositas selbst verschlechtere das operative Ergebnis nicht. Von dieser gehe jedoch ein erhöhtes Operationsrisiko (Thromboembolien
und Narkoserisiko) aus. Die Liposuktion sei momentan die einzige Möglichkeit, das ausgeprägte Lipödem der Klägerin zu behandeln
und dadurch eine weitere Progredienz und insbesondere weitere Sekundärschäden im Gelenkbereich zu vermeiden. Die bisher durchgeführten
konservativen Maßnahmen könnten lediglich eine vorübergehende Symptomlinderung bewirken, stellten jedoch keine kausale Therapie
dar. Aufgrund des ausgeprägten Befundes sei eine Mobilisierung von mindestens 5.000 bis 6.000 ml pro Bein in einer Sitzung
erforderlich. Aufgrund der zusätzlich vorliegenden Befunde liege bei der Klägerin ein erhöhtes Operationsrisiko vor. Aus diesem
Grund sei eine poststationäre Überwachung der Kreislaufparameter von mindestens 24 Stunden notwendig.
Die Beklagte hat zu dem Gutachten dahingehend Stellung genommen, dass es leistungsrechtlich dabei bleibe, dass die Leistung,
wenn überhaupt, nur über die Gesundheitskarte abgerechnet werden könne. Der Klägerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die
hiesige Klage. Die Klägerin hat an ihrer Klage festgehalten und noch den Befundbericht des Z vom 25.02.2021 über eine ambulante
Vorstellung am 08.02.2021 vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten
der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Den Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden die Bescheide vom 21.08.2017 und 22.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 04.07.2018 (§
95 SGG), mit denen die Beklagte die Versorgung der Klägerin mit einer Liposuktion sowohl als stationäre als auch als ambulante Leistung
abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§
54 Abs
1 und 4, 56
SGG) und begehrt für die Zukunft die Gewährung einer Liposuktion in stationärer Form als Sachleistung, hilfsweise als ambulante
Leistung. Da die Klägerin sich während des Verfahrens diese Leistung nicht selbst beschafft hat und ihr insofern keine Aufwendungen
entstanden sind, scheidet ein Erstattungsbegehren von vornherein aus (vgl §
99 Abs
3 Nr
3 SGG; ferner zB BSG 26.02.2019, B 1 KR 24/18 R, BSGE 127, 240, juris Rn 8). Zulässige Klageart ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§
54 Abs und 4
SGG).
Die Klage ist zulässig. Der Klage fehlt es - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Die streitgegenständlichen
Ablehnungsbescheide haben sich nicht erledigt und entfalten nach wie vor Regelungswirkung. Ein Verwaltungsakt bleibt gemäß
§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere
Weise erledigt ist. Die von den Ablehnungsentscheidungen ausgehende Beschwer für die Klägerin ist durch Zeitablauf nicht entfallen.
Die von der Klägerin begehrte Leistung wurde zwischenzeitlich weder in Anspruch genommen noch ihr bewilligt. Damit ist weder
der jeweilige Regelungsgegenstand der Bescheide entfallen noch ist die jeweilige Ausführung seines Hauptverfügungssatzes (keine
Leistungen zu gewähren) rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden (vgl zB BSG 24.03.2015, B 8 SO 22/13 R, juris Rn 10). Einen weiteren Leistungsantrag, den die Beklagte beschieden hat und dem Zäsurwirkung
zukommen könnte (vgl zB BSG 02.02.2010, B 8 SO 21/08 R, juris Rn 9), hat die Klägerin nicht gestellt. Damit scheidet eine Begrenzung der zeitlichen Wirkung
der streitgegenständlichen Ablehnungsbescheide aus (vgl zB LSG Baden-Württemberg 16.10.2020, L 4 KR 813/19, juris Rn 26).
Die Klägerin macht einen Anspruch geltend, vorab über das Bestehen eines konkreten Sachleistungsanspruchs zu entscheiden.
Zusagen oder Erklärungen einer Krankenkasse, eine bestimmte Leistung dem Versicherten als vertragsärztliche Leistung zu gewähren
oder die Kosten dafür zu übernehmen, sind zwar häufig nicht notwendig (in einem solchen Fall wäre in der Tat kein Rechtsschutzbedürfnis
für eine Klage gegeben), aber dennoch nicht von vornherein ausgeschlossen. Eine solche hier von der Klägerin eingeklagte Erklärung
der Beklagten stellt keine Zusicherung eines späteren Verwaltungsakts dar, sondern ist bereits selbst dieser Verwaltungsakt
(BSG 20.03.2013, B 6 KA 27/12 R, BSGE 113, 123). Dem Anspruch auf Vorab-Prüfung steht nicht entgegen, dass die meisten Leistungen von den Krankenkassen als Sachleistung
erbracht werden, die grundsätzlich keiner vorherigen Beantragung und Bewilligung bedürfen, sondern für die zum Nachweis der
Berechtigung dieser Inanspruchnahme die Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte genügt (§§
2 Abs
2 Satz 1,
15 Abs
2 und Abs
3 SGB V). Im Regelfall liegt daher der Leistungsgewährung überhaupt kein Verwaltungsakt der Krankenkasse zugrunde (BSG 20.03.2013, B 6 KA 27/12 R, BSGE 113, 123). Allerdings verbleibt auch in diesen Fällen die Kompetenz, Rechtsentscheidungen über das Bestehen oder Nichtbestehen von
Leistungsansprüchen zu treffen und hierüber Verwaltungsakte zu erlassen, allein bei der Krankenkasse (zutreffend SG Dresden
S 26.06.2019, S 25 KR 1284/19; ferner BSG 17.02.2004, B 1 KR 4/02 R, juris Rn 20). Bedeutung hat eine solche Vorab-Prüfung durch die Krankenkasse vor allem in den Fällen, in denen Versicherte
eine Leistung begehren, die grundsätzlich nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen vom Leistungsumfang der gesetzlichen
Krankenversicherung umfasst ist (zB Off-Label-Use bei der Verordnung von Arzneimitteln oder neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden).
Eine Vorab-Prüfung kommt auch vor Durchführung einer stationären Behandlung in Betracht, wenn zweifelhaft ist, ob die von
der Versicherten beanspruchte Behandlungsmethode dem Qualitätsgebot entspricht (vgl SG Dresden S 26.06.2019, S 25 KR 1284/19). In §
2 Abs
1a Satz 2 und
3 SGB V ist eine Vorab-Prüfung sogar gesetzlich geregelt.
Im vorliegenden Fall ist das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Klägerin begehrte Entscheidung deshalb zu bejahen, weil
zunächst fraglich war, ob und ggf unter welchen Voraussetzungen die Liposuktion überhaupt zum Leistungsumfang der gesetzlichen
Krankenversicherung gehört, und die Beklagte, nachdem sich die Rechtslage zu Gunsten der Klägerin geändert hatte, weder ihre
bisherigen Bescheide geändert oder aufgehoben hat noch der Klägerin ein Krankenhaus benennen konnte, welches die von der Klägerin
begehrte Sachleistung erbringt. Die Klägerin bedarf deshalb einer Erklärung der Beklagten, dass sie die Kosten einer stationären
Liposuktion übernehmen wird. Diese Erklärung begründet für das Krankenhaus, in dem dann die Liposuktion durchgeführt wird,
einen Vertrauensschutz, auf den sich das Krankenhaus bei der Geltendmachung seines Vergütungsanspruches gegenüber der Krankenkasse
berufen kann (vgl BSG 20.03.2013, B 6 KA 27/12 R, BSGE 113, 123).
Der Senat hat im Rahmen der vorliegenden Anfechtungs- und Leistungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat am 27.04.2021 zu beurteilen und ggf zwischenzeitlich eingetretene Änderungen der Sach- und Rechtslage
zu berücksichtigen (vgl nur Bieresborn in BeckOKG-
SGG, Stand 01.01.2021, §
54 Rn 161).
Die Klage ist im Hauptantrag begründet, sodass es keiner Entscheidung über ihren Hilfsantrag bedarf. Die Klägerin hat gegen
die Beklagte einen Sachleistungsanspruch auf eine Liposuktion im Bereich beider Oberschenkel in stationärer Form.
Versicherte haben nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V Krankenhausbehandlung. Nach §
39 Abs
1 Satz 1
SGB V (Fassung durch Gesetz vom 12.12.2019 <BGBl I, S 2494> mit Wirkung vom 18.12.2019) wird die Krankenhausbehandlung vollstationär,
stationsäquivalent, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht; sie umfasst auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach §
137c Abs
1 SGB V getroffen hat und die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre
oder stationsäquivalente Behandlung durch ein nach §
108 SGB V zugelassenes Krankenhaus, wenn die Aufnahme oder die Behandlung im häuslichen Umfeld nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich
ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich
häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§
39 Abs
1 Satz 2
SGB V). Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall
nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere
ärztliche Behandlung (§
28 Abs
1 SGB V), Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung; die akutstationäre Behandlung
umfasst auch die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabilitation
(§
39 Abs
1 Satz 3
SGB V).
Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine Liposuktion in stationärer Form. Bei ihr liegen ua ein Lipödem Stadium III vom Oberschenkeltyp
beidseits mit typischem Reithosenphänomen sowie Wammenbildungen im Kniebereich mit überhängenden Gewebsanteilen, eine schmerzhafte
Lipohypertrophie im Oberschenkelbereich sowie eine Adipositas per magna (BMI 41,5 kg/m2) vor. Dies entnimmt der Senat dem aktuellen Gutachten des D, der diese Gesundheitsstörungen aufgrund einer ausführlichen
Anamnese und einer gründlichen Untersuchung in Einklang mit den medizinischen Vorbefunden festgestellt und dokumentiert hat.
Die von der Klägerin begehrte Liposuktion ist notwendig, um die Erkrankung Lipödem an den Oberschenkeln zu heilen bzw ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Liposuktion im Bereich der Oberschenkel ist die
einzige therapeutische Möglichkeit, das ausgeprägte Lipödem an den Oberschenkeln zu behandeln und dadurch eine weitere Progredienz
der Erkrankung sowie eine Zunahme der Sekundärschäden im Gelenksbereich zu verhindern. Auch dies entnimmt der Senat dem Gutachten
des D, der die medizinische Notwendigkeit der Liposuktion im Hinblick auf die jahrzehntelange frustrane Behandlung mittels
manueller Lymphdrainagebehandlung, komplexer physikalischer Entstauungstherapie, regelmäßiger Bewegungstherapie sowie Kompressionstherapie
überzeugend dargelegt hat. Weiterhin ist im Hinblick auf die Begleiterkrankungen der Klägerin und die damit verbundenen Risiken
bei der Durchführung der Liposuktion eine stationäre Behandlung erforderlich; eine teilstationäre, vor- und nachstationäre
oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege würde nicht ausreichen. Auch dies entnimmt der Senat dem
Gutachten des D, der überzeugend begründet hat, dass wegen der bei der Klägerin bestehenden arteriellen Hypertonie, Adipositas
und des Wirbelsäulensyndroms ein erhöhtes Operationsrisiko vorliegt, das eine postoperative stationäre Überwachung der Kreislaufparameter
von mindestens 24 Stunden notwendig macht.
Die strittige Leistung entspricht auch dem Qualitätsgebot für stationäre Leistungen. Das BSG hatte zunächst einen Anspruch aus §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
5 SGB V i.V.m. §
39 Abs
1 Satz 1
SGB V auf die Gewährung einer stationären Liposuktion eines Lipödems als Regelversorgung abgelehnt, weil diese Behandlungsmethode
auch als stationäre Leistung nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V entspreche und auch kein Anspruch aufgrund grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (§
2 Abs
1a SGB V) in Betracht komme (BSG 28.05.2019, B 1 KR 32/18 R, SozR 4-2500 § 137c Nr 13; BSG 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R, BSGE 125, 283). Dabei hat das BSG auf den in seinen Entscheidungen maßgeblichen Beschluss des GBA über eine Änderung der Richtlinie Methoden Krankenhausbehandlung:
Liposuktion bei Lipödem vom 20.07.2017 (BAnz AT 17.10.2017 B3) Bezug genommen, der die Voraussetzungen für einen hinreichenden
Nutzenbeleg der Liposuktion bei Lipödem als nicht erfüllt ansah (BSG 28.05. 2019, B 1 KR 32/18 R, SozR 4-2500 § 137c Nr 13, Rn 34). Das BSG hat jüngst in seinem Urteil vom 25.03.2021 (B 1 KR 25/20 R, Terminbericht Nr. 14/21) seine bisherige Rechtsprechung, dass außerhalb von Erprobungsrichtlinien für den Anspruch Versicherter
auf Krankenhausbehandlungen auch nach Inkrafttreten des §
137c Abs
3 SGB V für die dabei eingesetzten Methoden der volle Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit
der einschlägigen Fachleute erforderlich sei, ausdrücklich aufgegeben. §
137c Abs
3 SGB V beinhalte eine partielle Einschränkung des allgemeinen Qualitätsgebots. Diese Regelung sei mit Blick auf das Qualitätsgebot,
an dem sich auch §
137c SGB V insgesamt ausrichte und das nicht nur der Wirtschaftlichkeit, sondern auch und gerade dem Schutz der Versicherten vor vermeidbaren
Gesundheitsgefährdungen diene, restriktiv auszulegen. Versicherte hätten vor Erlass einer Erprobungsrichtlinie Anspruch auf
die Versorgung mit Potentialleistungen nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs, wenn es 1. um eine schwerwiegende,
die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung gehe, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar
sei und wenn 3. die einschlägigen Regelungen der Verfahrensordnung des GBA für die Annahme des Potentials einer erforderlichen
Behandlungsalternative erfüllt seien.
Unabhängig davon, welche konkreten Qualitätsanforderungen an stationäre Krankenhausleistungen zu stellen sind, hat der GBA
zwischenzeitlich die Liposuktion neu bewertet und am 19.09.2019 nach §
136 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB V die Richtlinie über Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III (Qualitätssicherungs-Richtlinie
zur Liposuktion bei Lipödem im Stadium III/QS-RL Liposuktion) (BAnz AT 06.12.2019 B4), die am 07.12.2019 in Kraft getreten
und zuletzt am 18.06.2020 mit Wirkung zum 16.09.2020 (BAnz AT 15.09.2020 B1) geändert worden ist, erlassen. Der GBA hatte
im Februar 2019 beschlossen, das Verfahren gemäß §§
135 Abs
1,
137c SGB V zur Bewertung der Methode der Liposuktion beim Lipödem für Patientinnen im Stadium III wieder aufzunehmen, da das BSG entgegen der Erwartung des GBA, dass eine Liposuktion bei Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung auch außerhalb der
geplanten Erprobungsstudie möglich sei, einen Anspruch auf die Gewährung einer stationären Liposuktion eines Lipödems als
Regelversorgung abgelehnt hatte (vgl nochmals BSG 28.05.2019, B 1 KR 32/18 R, SozR 4-2500 § 137c Nr 13; BSG 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R, BSGE 125, 283). Da es nun für die schwerer erkrankten Patientinnen nicht mehr möglich war, die Behandlungsoption Liposuktion ohne weiteres
in Anspruch zu nehmen, und Behandlungsalternativen fehlen, zielte die Neubefassung des GBA auf eine Behebung des entstandenen
Mangels an Versorgungsmöglichkeiten für Patientinnen mit Lipödem im Stadium III (Abschlussbericht des GBA vom 06.12.2019,
S 2). Der GBA gelangte in der QS-RL Liposuktion unter der gewichtigeren Bedeutung der medizinischen Notwendigkeit (insbesondere
mangelnde Behandlungsalternativen, Seltenheit und Schwere der Erkrankung im Stadium III) zu dem Ergebnis, dass derzeit die
Voraussetzungen für eine Anerkennung des Nutzens gegeben sind.
Nach der QS-RL Liposuktion sind Ziele der Richtlinie die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Versorgung sowie der
Sicherheit von Patientinnen, bei denen eine Liposuktion durchgeführt werden soll. Die chirurgische Fettabsaugung soll bei
Lipödem im Stadium III insbesondere eine Bewegungseinschränkung beseitigen, um so eine Steigerung der körperlichen Aktivität
zu ermöglichen (§ 2). Nach § 4 Abs 1 der Richtlinie darf die Methode zur Behandlung des Lipödems zu Lasten der Krankenkassen
eingesetzt werden, wenn das Vorliegen eines Lipödems im Stadium III diagnostiziert und die Indikation für eine Liposuktion
gestellt wurde. Ein Lipödem im Stadium III liegt gemäß ICD10-GM bei einer lokalisierten schmerzhaften symmetrischen Lipohypertrophie
der Extremitäten mit Ödem, mit ausgeprägter Umfangsvermehrung und großlappig überhängenden Gewebeanteilen von Haut und Subkutis
vor.
Nach § 4 Abs 2 QS-RL Liposuktion müssen für eine Diagnose des Lipödems im Stadium III alle folgenden Kriterien erfüllt sein:
a) Disproportionale Fettgewebsvermehrung (Extremitäten-Stamm) mit großlappig überhängenden Gewebeanteilen von Haut und Subkutis.
b) Fehlende Betroffenheit von Händen und Füßen.
c) Druck- oder Berührungsschmerz im Weichteilgewebe der betroffenen Extremitäten.
Gemäß § 4 Abs 3 QS-RL Liposuktion kann nach Diagnosestellung gemäß § 4 Abs 2 die Indikationsstellung zur Liposuktion erfolgen,
wenn ärztlich festgestellt wurde, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
a) Trotz innerhalb der letzten sechs Monate vor Indikationsstellung kontinuierlich durchgeführter, ärztlich verordneter konservativer
Therapie konnten die Krankheitsbeschwerden nicht hinreichend gelindert werden.
b) Bei Patientinnen mit einem Body Mass Index (BMI) ab 35 kg/m2 findet eine Behandlung der Adipositas statt.
Nach § 4 Abs 4 QS-RL Liposuktion soll bei einem BMI ab 40 kg/m2 keine Liposuktion durchgeführt werden. Hintergrund für die Regelung des § 4 Abs 4 QS-RL Liposuktion waren für den GBA Stellungnahmen
der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, in denen die Zweckmäßigkeit einer Lipödembehandlung mittels Liposuktion bereits
ab einem BMI von 32 kg/m2 bzw 35 kg/m2 aus medizinischer Perspektive aufgrund einer erwartbaren Unterminierung des Therapieeffekts durch das in diesen Fällen vorherrschende
Beschwerdebild der Adipositas ausdrücklich in Abrede gestellt worden seien (vgl auch zum Folgenden Abschlussbericht des GBA
vom 06.12.2019, S 22). Der GBA hat mit der getroffenen Regelung eine vergleichsweise hohe Grenze angelegt, um einerseits die
Feststellungen der Fachkreise angemessen zu würdigen und andererseits eine ausreichende Versorgung der betroffenen Patientinnenpopulation
zu gewährleisten. Mit der Regelung des § 4 Abs 4 QS-RL Liposuktion will der GBA sicherstellen, dass weder unzweckmäßige oder
risikobehaftete Liposuktionsbehandlungen des Lipödems noch unzulässige Liposuktionsbehandlungen der Adipositas auf Basis der
Richtlinie zu Lasten der Krankenkassen vorgenommen werden. Weiterhin wollte er durch die Soll-Regelung für medizinisch begründete
Ausnahmefälle die Liposuktionsbehandlung des Lipödems auch ab einem BMI von 40 kg/m2 nicht vollständig ausschließen, um allen denkbaren individuellen Bedingungen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Leitendes
Kriterium zur Bestimmung von Ausnahmefällen, in denen eine Lipödembehandlung mittels Liposuktion auch ab einem BMI von 40
kg/m2 gerechtfertigt ist, soll nach Bewertung des GBA die Zweckmäßigkeit einer solchen Behandlung im konkreten Einzelfall sein.
Die ärztliche Einschätzung muss dabei ausschließlich mit Blick auf die Zweckmäßigkeit einer Liposuktionsbehandlung der Lipödem-Erkrankung
und unter Risikoeinschätzung erfolgen. Wesentliche Voraussetzung für die in diesen Fällen begründete Annahme einer medizinischen
Zweckmäßigkeit der operativen Lipödembehandlung ist, dass der negative Einfluss der ab einem BMI von 40 kg/m2 bereits stark ausgeprägten Adipositas den therapeutischen Effekt einer Liposuktionsbehandlung des Lipödems in Anbetracht
des Einzelfalls nicht aufhebt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin an beiden Oberschenkeln
ein Lipödem Stadium III und eine Indikation für eine Liposuktion besteht. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten
des D. Der Sachverständige hat in seinem aktuellen Gutachten auf Grundlage einer ausführlichen Anamnese und einer gründlichen
Untersuchung der Klägerin sowie unter Würdigung des bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlaufs ein Lipödem Stadium III
vom Oberschenkeltyp beidseits mit schmerzhafter Lipohypertrophie im Oberschenkelbereich, Reithosenphänomen und Wammenbildungen
im Kniebereich mit überhängenden Gewebsanteilen sowie fehlender Betroffenheit von Händen und Füßen (Ausschluss eines Lymphödems
und einer chronisch venösen Insuffizienz) diagnostiziert. Weiterhin hat D - wie schon die Ärzte des Klinikum F. und des Klinikums
D. sowie der Z (Befundbericht vom 20.07.2018) - überzeugend die Indikationsstellung zur Liposuktion im Bereich der Oberschenkel
begründet, weil die Krankheitsbeschwerden der Klägerin (insbesondere Schmerzen, Schweregefühl und Berührungsempfindlichkeit
im Bereich der Oberschenkel, schmerzhafte Bewegungseinschränkungen im Knie- und Hüftbereich, Hämatombildungen nach Bagatelltraumen,
Schlafstörungen) trotz der kontinuierlich durchgeführten, ärztlich verordneten Therapie nicht gelindert werden konnten. So
hat die Klägerin, bei der ein Lipödem bereits in den 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts festgestellt worden ist, zuletzt
nach jeweiliger Ausschöpfung der ambulanten konservativen Behandlungsmöglichkeiten mehrwöchige akutstationäre Aufenthalte
im April 2017 sowie April/Mai 2019 zur komplexen stationären Entstauungstherapie absolviert. Sie trägt täglich und konsequent
maßgeschneiderte flachgestrickte Kompressionsstrumpfware der Kompressionsklasse II, erhält wöchentlich eine Lymphdrainagenbehandlung
über jeweils 60 Minuten, geht in den Sommermonaten regelmäßig eine Stunde Schwimmen, führt in den Wintermonaten gymnastische
Übungen durch, geht zusätzlich jeden Tag mit Stöcken für mindestens 30 Minuten spazieren, befindet sich regelmäßig in haus-
und fachärztlicher Behandlung sowie Verhaltenstherapie (ua zum Thema Adipositas). D hat darauf hingewiesen, dass die Klägerin
alle konservativen Therapiemaßnahmen leitliniengerecht durchgeführt hat (manuelle Lymphdrainagenbehandlung, komplexe physikalische
Entstauungstherapie, regelmäßiges Bewegungstraining sowie das Tragen flachgestrickter Kompressionsstrumpfware). Dadurch konnte
ihr Gesundheitszustand über die Jahre nicht gebessert werden. Vielmehr ist es im Verlauf zu einer Zunahme der Beschwerdesymptomatik
und der sekundären Haut- und Gelenkveränderungen gekommen. D. hat darauf aufmerksam gemacht, dass - wie im Falle der Klägerin
- bei fehlendem Nachweis eines begleitenden Lymphödems die konservative Therapie regelmäßig nicht erfolgreich ist und nur
eine kurzfristige Symptomlinderung bewirkt, weshalb auch durch die regelmäßig durchgeführten manuellen Lymphdrainagen keine
weitere Besserung zu erwarten ist.
Schließlich ist im vorliegenden Einzelfall die Durchführung einer Liposuktion nicht nach § 4 Abs 4 QS-RL Liposuktion ausgeschlossen.
Zwar liegt bei der Klägerin eine Adipositas mit einem BMI ab 40 kg/m2 vor, jedoch besteht unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls ein medizinisch begründeter Ausnahmefall,
der die Durchführung einer Liposuktionsbehandlung des Lipödems an den Oberschenkeln rechtfertigt. Denn trotz der bestehenden
erheblichen Adipositas ist bei der Klägerin zur Behandlung des therapieresistenten Lipödems an den Oberschenkeln eine Lipödembehandlung
mittels Liposuktion dringend erforderlich. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des D, der im vorliegenden Einzelfall der
Klägerin eine chirurgische Maßnahme im Sinne einer Liposuktion dringend empfohlen hat, um die gravierende Beschwerdesymptomatik
aufgrund des Lipödems im Bereich der Oberschenkel zu lindern und drohende weitere sekundäre Gelenkdeformitäten zu verhindern.
D. hat darauf hingewiesen, dass der ausgeprägte Befund des Lipödems und die schmerzhafte Lipohypertrophie im Oberschenkelbereich
bei der Klägerin sich nicht durch die auch von ihr selbst gewünschte Gewichtsreduktion positiv beeinflussen lassen. Er hat
keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass die bei der Klägerin bestehende Adipositas, wobei diese bei Bewegungs- und Verhaltenstherapie
ihr Gewicht hält und nicht nachhaltig zu reduzieren vermag (zB Mai 2015 122 kg, September 2017 121 kg, Juli 2018 112 kg, April
2019 113 kg, Januar 2021 114 kg), das Operationsergebnis einer Liposuktion verschlechtern würde. Vielmehr würde die Liposuktion
an den Oberschenkeln die Beweglichkeit der Klägerin verbessern und erst eine Gewichtsreduktion ermöglichen. Mithin besteht
im vorliegenden Einzelfall kein Anhalt dafür, dass durch die stark ausgeprägte Adipositas der therapeutische Effekt einer
Liposuktionsbehandlung des Lipödems im Oberschenkelbereich aufgehoben werden würde. Dem insbesondere durch die Adipositas
begründeten erhöhten Operationsrisiko kann - wie D. ausgeführt hat - durch eine stationäre Durchführung der Liposuktion Rechnung
getragen werden. Im Übrigen bleibt es den Krankenhausärzten vor Durchführung des begehrten Eingriffs vorbehalten, dann die
bei der Klägerin aktuell bestehenden Risiken des Eingriffs festzustellen und mit den Nutzen abzuwägen (vgl § 5 QS-RL Liposuktion).
Demnach hat die Berufung im tenorierten Umfang Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG) liegen nicht vor.