LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.04.2021 - 11 KR 3455/20
Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Versorgung mit medizinischen Cannabisblüten in der gesetzlichen Krankenversicherung
Anforderungen an das Vorliegen einer "schwerwiegenden Erkrankung" im Sinne von § 31 Abs. 6 SGB V – hier verneint für ein Reizdarmsyndrom – und an die Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Leistungsbewilligung im
Hinblick auf das Fehlen schutzwürdigen Vertrauens
Ein Reizdarmsyndrom ist keine schwerwiegende Erkrankung iSd § 31 Abs 6 SGB V. Erteilt die Krankenkasse eine Genehmigung zur Versorgung mit Cannabis (§ 31 Abs 6 Satz 2 SGB V), die von Anfang an rechtswidrig ist, fehlt es an einem schutzwürdigen Vertrauen des Versicherten auf den Bestand dieser
Genehmigung, wenn die Krankenkasse die Genehmigung bereits einen Monat später gemäß § 45 SGB X wieder zurücknimmt und der Versicherte in der Zeit zwischen Erteilung und Rücknahme der Genehmigung erkennbar keine Vermögensdisposition
getroffen hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Versicherter die Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Genehmigung infolge
grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X), darf eine nähere Kenntnis der Rechts der GKV von ihm nicht abverlangt werden.
Normenkette: ,
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SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 ,
SGB X § 45 Abs. 4 S. 1
Vorinstanzen: SG Mannheim 22.10.2020 S 4 KR 2284/20
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22.10.2020 abgeändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2020 wird aufgehoben, soweit
damit der Bescheid vom 26.05.2020 auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird.
Die Beklagte wird außerdem verurteilt, dem Kläger 134,26 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klage- und im Berufungsverfahren trägt die Beklagte die Hälfte.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Der Kläger macht einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten (Bedrocan) und die Erstattung
eines Teils der ihm für die Selbstbeschaffung bereits entstandenen Kosten geltend.
Der 1982 geborene Kläger beantragte unter Vorlage eines von seinem T ausgefüllten Arztfragebogens zu Cannabinoiden nach §
31 Abs 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V) vom 26.01.2020 nebst Befundberichten sowie einer Beschwerdeschilderung am 31.01.2020 (Posteingang bei der Beklagten) die
Versorgung mit Cannabisblüten zur Behandlung eines Reizdarmsyndroms.
Mit Schreiben vom 05.02.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Unterlagen an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen
(MDK) zur Beurteilung versandt worden seien und deshalb die Frist bis 09.03.2020 verlängert werde. Unter dem 03.03.2020 informierte
die Beklagte den Kläger, es würden noch weitere Unterlagen vom Arzt für die medizinische Beurteilung benötigt, diese seien
angefordert worden. Eine Entscheidung innerhalb der Fünf-Wochen-Frist sei daher nicht möglich. Der Kläger erhalte daher bis
spätestens 02.04.2020 Nachricht. In einem Gutachten nach Aktenlage vom 10.03.2020 kam der MDK zu dem Ergebnis, die medizinischen
Voraussetzungen für die Leistung seien nicht erfüllt. Nach den vorliegenden Unterlagen könne nicht bestätigt werden, dass
der Kläger unter einer schwerwiegenden Erkrankung leide. Die Einschätzung der behandelnden Ärzte, eine allgemein anerkannte,
dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative könne nicht zur Anwendung kommen, sei nicht nachvollziehbar.
Für die positive Beeinflussung eines Reizdarmsyndroms durch Cannabis fehle es an belastbarer Evidenz.
Mit Fax seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.03.2020 teilte der Kläger der Beklagten mit, es sei eine Genehmigungsfiktion
eingetreten. Das Schreiben der Beklagten vom 03.03.2020 habe er am 10.03.2020 erhalten, die Fünf-Wochen-Frist sei jedoch bereits
am 09.03.2020 abgelaufen. Es liege ohnehin kein hinreichender Grund für eine Verzögerung vor.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13.03.2020 den Antrag gestützt auf das MDK-Gutachten ab. Der Kläger erhob am 25.03.2020
Widerspruch. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom 04.05.2020 ausführlich dar, weshalb ihrer Ansicht
nach eine Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Wörtlich heißt es: "Der Widerspruch war nur vorsorglich erhoben worden, um
weitere spitzfindige Argumentation zu verhindern, und wie man an dem bisherigen Verlauf sieht, zu Recht. Deshalb bleibt der
Widerspruch aufrechterhalten. Die Genehmigungsfiktion besteht unabhängig davon. Ich gehe nicht davon aus, dass es nötig sein
wird, diese völlig eindeutige Situation vor Gericht im Rahmen einer Leistungsklage klären zu müssen. Ich bitte um Übermittlung
der Bestätigung der Genehmigungsfiktion bis spätestens zum 12.05.2020."
Hierauf erwiderte die Beklagte mit Schreiben vom 26.05.2020: "Vielen Dank, dass Sie uns die Hintergründe näher erläutert haben,
die für Ihren Widerspruch entscheidend waren. Wir haben uns nochmals intensiv mit den von Ihnen genannten Argumenten beschäftigt
und können Ihrem Widerspruch abhelfen. Der Antrag auf Kostenübernahme mit der Versorgung von Cannabinoid Bedrocan, zur Dosis
22/1 1.5g/Tag, 10g/Woche wird genehmigt."
Am 06.06.2020 legte der Kläger vier Privatrezepte vom 27.01., 10.02., 26.02. und 13.03.2020 nebst Kassenbelegen von der Apotheke
datierend vom 30.01., 14.02., 27.02. und 17.03.2020 bei der Beklagten vor und machte Kostenerstattung geltend.
Daraufhin erließ die Beklagte den Bescheid vom 23.06.2020, mit dem sie im Wesentlichen ausführte, der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch
scheitere daran, dass der von § 13 Abs 3 SGB V vorausgesetzte Kausalzusammenhang zwischen der Selbstbeschaffung und der Leistungsablehnung nicht bestehe, da sich der Kläger
mit Beginn der Therapie am 30.01.2020 die Leistung selbst beschafft habe, bevor er den Antrag bei der Beklagten am 03.02.2020
gestellt habe. Aufgrund der Nichteinhaltung des Beschaffungswegs sei auch keine Genehmigungsfiktion eingetreten. Der Bescheid
vom 26.05.2020 werde daher nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückgenommen. Der Kläger habe, ohne die Entscheidung der Beklagten abzuwarten, mit der Behandlung begonnen. Es bestehe
daher kein Vertrauensschutz. Da es sich um eine langfristige und kostenintensive Behandlung handele, überwiege das öffentliche
Interesse an der Nichtzahlung der Behandlung.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 01.07.2020 Widerspruch. Es könne kein Bescheid zurückgenommen werden, weil
es einen solchen nicht gebe. Die Genehmigungsfiktion sei kraft Gesetzes eingetreten, also ohne Zutun der Beklagten. Diese
Genehmigungsfiktion habe die Beklagte nur noch bestätigen können, was sie schließlich auch getan habe. Eine solche Bestätigung
eines bereits eingetretenen Ereignisses sei aber kein Bescheid. Die ausdrückliche Genehmigung im Schreiben vom 26.05.2020
sei nur eine Bestätigung der Genehmigungsfiktion, so dass dem Schreiben vom 26.05.2020 die Regelung fehle. Das Schreiben sei
damit nichts weiter als eine Mitteilung, dass die gesetzlichen Folgen der Fristversäumnis in Form der Genehmigungsfiktion
anerkannt würden. Danach sei jetzt alleine § 13 Abs 3a SGB V maßgeblich.
Er erkläre sich damit einverstanden, dass nur die Rezepte bezahlt würden, die nach Eintritt der Genehmigungsfiktion eingelöst
worden seien, und damit nur das Rezept vom 13.03.2020, bezahlt am 17.03.2020. Die Beklagte lege das Datum des Behandlungsbeginns
falsch aus. Er sei seit Anfang Januar 2020 mit Cannabis behandelt worden. Es sei üblich, dass man erst einmal mit einer sehr
kleinen Dosis beginne, da die Patienten die vollständige Therapie meistens finanziell nicht stemmen könnten. Es seien zu keinem
Zeitpunkt Rezepte über die beantragte Menge iHv 10 g Blüten pro Woche verordnet worden. Es sei also von der verordneten Menge
her alleine schon kein Therapiebeginn gewesen. Selbst wenn man aber einen Behandlungsbeginn so annehmen wolle, sei es unerheblich,
da es sich lediglich um Privatrezepte gehandelt habe, über die lediglich im Rahmen der Kostenerstattung entschieden werde.
Das könne sich nicht auf das ursprüngliche Antragsverfahren auswirken. Es treffe auch nicht zu, dass sich aus den nachgereichten
Unterlagen ein neuer Sachverhalt ergebe. Die Unterlagen seien nicht nachgereicht, sondern zur Kostenerstattung überreicht
worden. Jeder Cannabis-Patient könne sich während des Antragsverfahrens und auch davor beliebig privat behandeln lassen. Die
Genehmigung im Sinne von § 31 Abs 6 SGB V müsse vor der ersten Verordnung auf Kassenrezept eingeholt werden. Die Genehmigung beziehe sich nur auf die erste Verordnung,
danach sei keine erneute Genehmigung mehr erforderlich. Es sei mithin § 13 Abs 3a SGB V maßgeblich und nicht Abs 3. Dieser wäre nur dann anzuwenden, wenn keine Genehmigungsfiktion eingetreten wäre.
Das Anerkenntnis vom 26.05.2020 könne auch nicht angefochten werden. Selbst wenn man davon ausgehe, dass es sich bei diesem
Schreiben um einen Verwaltungsakt handele, sei auch § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X keine Rechtsgrundlage für eine Rücknahme, dies sei allenfalls § 45 Abs 1 i.V.m. Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X. Dies sei aber ebenfalls nicht möglich, da die Voraussetzungen mangels Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 26.05.2020 nicht
gegeben seien. Dieser Verwaltungsakt sei nicht rechtswidrig, sondern gebe lediglich die zutreffende Einsicht wieder, nach
der die Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Daran könne nichts rechtswidrig sein. Auch bestehe Vertrauensschutz, da er durchaus
über private Verordnungen habe vorgehen dürfen. Zusätzlich ergebe sich ein Ermessensfehler daraus, dass das Schreiben vom
26.05.2020 kein Verwaltungsakt sei und damit kein Raum für Ermessensausübung gegeben sei. Außerdem seien auch noch sachfremde
Erwägungen angestellt worden. Der Aspekt der langfristigen und kostenintensiven Behandlung sei irrelevant, da es um die Genehmigungsfiktion
gehe und nicht nur um die Aspekte der Behandlung oder medizinische Aspekte. Mithin überwiege sein Interesse und das Interesse
daran, die Sanktionswirkung der Genehmigungsfiktion zu erhalten, gegenüber den Interessen der Beklagten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.08.2020 zurück und wiederholte zur Begründung ihre Argumentation
aus dem Bescheid vom 23.06.2020.
Am 09.09.2020 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zugleich hat er den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Ziel der Verpflichtung der Beklagten,
ihn vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nach vertragsärztlicher Verordnung mit Cannabisblüten
zu versorgen. Hilfsweise hat er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage beantragt.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe mit Schreiben vom 26.05.2020 den Eintritt der Genehmigungsfiktion bestätigt,
nachdem mehrere Schreiben und Telefonate erfolgt seien. Die Beklagte habe den Zugang ihres Schreibens vom 03.03.2020 nicht
nachweisen können, er habe dieses Schreiben erst am 10.03.2020 erhalten. Dies sei nach dem Fristablauf für die Genehmigungsfiktion
gewesen. Es sei die alte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) maßgeblich, nach der der Antrag mit Fristablauf als genehmigt gelte, und noch nicht die geänderte Rechtsprechung, nach der
nur eine vorläufige Genehmigung für die Dauer bis zur Bestandskraft eines Bescheides entstehe. Damit seien die medizinischen
Aspekte, die für eine Genehmigung hätten maßgeblich werden können, irrelevant. Durch das Vorgehen der Beklagten sei nun ein
neuer Streit über die Genehmigungsfiktion entstanden. Der Kläger hat sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt
und vertieft. Außerdem hat er vorgetragen, er könne Cannabis nur in geringstem Umfang privat finanzieren. Das Reizdarmsyndrom
äußere sich mit Schmerzen, Krämpfen, Blähungen und Durchfall, was ohne die Medikation ständig zu ertragen sei.
Die Beklagte hat entgegnet, der Beschaffungsweg sei nicht eingehalten worden. Der Antrag sei bei ihr am 31.01.2020 eingegangen.
Es seien bei Antragstellung keine Unterlagen beigefügt gewesen, aus denen ersichtlich gewesen sei, dass bereits mit der Behandlung
begonnen worden sei. Diese seien erst am 06.06.2020 vorgelegt worden. Damit seien die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch
bei Selbstbeschaffung außerhalb des Sachleistungsprinzips nicht eingehalten. Deshalb bestehe kein Anspruch auf die begehrte
Leistung. Eine Genehmigungsfiktion könne nicht eingetreten sein, da es an einer rechtzeitigen Antragstellung mangele. Das
sei aber Voraussetzung, um das Fristenregime von § 13 Abs 3 SGB V in Gang zu setzen. Daher habe die Beklagte zu Recht nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 2. Alt SGB X den Bescheid vom 26.05.2020 zurückgenommen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er vor Antragstellung mit der Behandlung
begonnen habe. Im Bescheid sei auch Ermessen ausgeübt worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 22.10.2020 hat das SG den Bescheid vom 23.06.2020 und den Widerspruchsbescheid vom 06.08.2020 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den Kläger
nach vertragsärztlicher Verordnung mit dem Cannabinoid Bedrocan, zur Dosis 22/1 1.5g/Tag, 10g/Woche zu versorgen sowie ihm
die ab 06.03.2020 für die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten zu erstatten. Das SG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei zunächst eine Genehmigungsfiktion eingetreten. Diese habe die Beklagten
mit Bescheid vom 13.03.2020 aufgehoben. Auf den Widerspruch des Klägers sei jedoch die begehrte Genehmigung mit Bescheid vom
26.05.2020 erteilt worden. Der Aufhebungsbescheid vom 23.06.2010 sei rechtswidrig, weil es an der erforderlichen Anhörung
fehle, auch seien die Voraussetzungen des § 45 Abs 1 SGB X nicht erfüllt. Es liege kein rechtswidriger Verwaltungsakt vor. Die Genehmigung sei rechtmäßig, denn es sei eine Genehmigungsfiktion
eingetreten. Selbst wenn der Genehmigungsbescheid rechtswidrig wäre, lägen die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X nicht vor, da der Kläger die Rechtswidrigkeit nicht gekannt habe oder hätte kennen müssen. Außerdem habe die Beklagte ihr
Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Damit habe die Genehmigung Bestand. Klarstellend sei im Tenor ausgeführt, dass die
Beklagte zur entsprechenden Versorgung verpflichtet sei. Die Beklagte sei aufgrund von § 13 Abs 3 Satz 7 SGB V zu Kostenerstattung verpflichtet.
Ebenfalls am 22.10.2020 hat das SG die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Kläger vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss
des Klageverfahrens nach vertragsärztlicher Verordnung mit Cannabisblüten zu versorgen. Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs
hat das SG auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid verwiesen. Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben.
Die Beklagte hat am 30.10.2020 die hiesige Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt und Beschwerde gegen den Beschluss
des SG erhoben.
Der Senat hat die Beschwerde mit Beschluss vom 30.11.2020 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufschiebende Wirkung der
Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.08.2020 festgestellt
wird. Mit diesem Bescheid habe die Beklagte die erteilte Genehmigung vom 26.05.2020 wieder zurückgenommen. Die ausdrückliche
Bestätigung einer (vermeintlich oder tatsächlich) gemäß § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V eingetretenen Genehmigungsfiktion durch die Krankenkasse sei eine Regelung. Sie bewirke, dass aus einer bis dahin bloß fingierten
Genehmigung eine Genehmigung kraft verbindlicher Entscheidung werde. Aus einer solchen Genehmigung ergebe sich - anders als
aus einer bloß fingierten Genehmigung - ein Naturalleistungsanspruch. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Rücknahme
der Genehmigung hätten aufschiebende Wirkung. Die Antragsgegnerin müsse somit die als genehmigt zu betrachtenden Leistungen
bei Vorlage entsprechender vertragsärztlicher Verordnungen als Sachleistung erbringen.
Zur Begründung der Berufung führt die Beklagte aus, die Leistung bedürfe bei der ersten Verordnung der nur in begründeten
Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen sei. Der Kläger habe bereits
am 05.01.2020 mit der Behandlung mit Bedrocan begonnen, der Antrag sei erst am 31.01.2020 bei der Beklagten eingegangen. Es
handele sich um einen einheitlichen Behandlungsvorgang. Selbst wenn man der Auffassung des SG folge, die Behandlung im rechtlichen Sinne sei noch nicht begonnen worden, so treffe diese Auffassung nicht für das Privatrezept
vom 27.01.2020 zu, das am 06.06.2020 bei der Beklagten eingereicht worden sei. Nicht stichhaltig sei, dass der Beschaffungsweg
bei § 31 Abs 6 SGB V keine Rolle spiele. Es werde lediglich der Beschaffungsweg gegenüber § 13 SGB V modifiziert, aber nicht außer Kraft gesetzt. Selbst wenn man der Auffassung des SG folge, wonach der Aufhebungsbescheid vom 23.06.2020 rechtsfehlerhaft sei, so sei dem Kläger mit Zugang dieses Bescheides
klar, dass kein Anspruch auf die begehrte Leistung bestehe. Die Genehmigungsfiktion könne maximal für die Leistung eingetreten
sein, die nach Antragstellung am 31.01.2020 bis zum Zugang des Aufhebungsbescheides vom 23.06.2020 selbst beschafft worden
seien. Mit Zugang des Aufhebungsbescheides vom 23.06.2020 bestehe kein schutzwürdiges Interesse mehr im Sinne von § 45 SGB X, da der Bescheid vom 26.05.2020 für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit aufgehoben worden sei. Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X sei bei einer Änderung der rechtlichen Verhältnisse eine Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Zukunft möglich. Die Änderung
der Rechtsprechung durch das Bundessozialgericht führe zu einer Änderung der rechtlichen Verhältnisse.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 22.10.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, § 31 Abs. 6 SGB V stelle ausdrücklich auf die Leistung ab. Die Leistung beziehe sich auf die Kostentragung durch die Krankenversicherung. Der
Antrag müsse vor Beginn der (Kassen-)Leistung gestellt werden. Der Begriff der Leistung habe mit dem Begriff der Behandlung
als solcher nichts zu tun. In § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V sei ganz eindeutig die Leistung im Sinne von Kostentragung gemeint. Es gehe um den Behandlungsbeginn zulasten der Krankenversicherung.
Der Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Privatleistungen könne daran nichts ändern, weil es dann immer noch nicht um eine zulasten
der Krankenversicherung erfolgte Behandlung gehe. Wäre die Argumentation der Beklagten zutreffend, könne jeder rechtsfehlerhafte
Bescheid, der einen rechtmäßigen Bescheid rechtswidrig aufhebe, dafür genutzt werden, sich von der zuvor schon zugesagten
Leistung zu befreien unabhängig davon, wie falsch die Ausführungen in dem Bescheid seien. Die Beklagte verkenne, dass sie
das Verwaltungsverfahren nach Eintritt der Genehmigungsfiktion selbst zum Abschluss gebracht habe, indem sie die Genehmigung
erteilt habe. Es werde lediglich an bereits angefallenen Kosten ein Betrag in Höhe von 134,26 € geltend gemacht. § 45 SGB X komme nur zur Anwendung, wenn es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt handele. Dass der Bescheid nicht rechtswidrig
gewesen sei, sei im angefochtenen Gerichtsbescheid ausführlich erörtert worden. Das schutzwürdige Interesse ergebe sich aus
der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme. Ein solches öffentliches Interesse gebe es nach der früheren
und auch nach der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gerade nicht, weil die Genehmigungsfiktion eine Sanktionsfunktion
habe, wenn die Genehmigung fingiert werde. Für die neue Situation nach Änderung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
könne sich die Beklagte nicht auf § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X berufen. Die einmalig erfolgende Beseitigung eines Verordnungshindernisses dürfte schon kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
sein, sondern eine einmalige Rechtsgestaltung. Die rechtlichen und auch die tatsächlichen Verhältnisse hätten sich jedoch
nicht geändert. Die gesetzliche Grundlage sei ebenfalls nicht geändert worden. Was sich verändert habe, sei nur die Auslegung
der gesetzlichen Grundlage durch das Bundessozialgericht. Eine Änderung der Rechtsprechung wäre nur dann ein Grund, einen
Verwaltungsakt aufzuheben, wenn sich die Änderung zu Gunsten des Berechtigten auswirke.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 29.01.2021 und der Kläger mit Schreiben vom 11.02.2021 das Einverständnis mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter erklärt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz zum Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Az des SG: S 4 KR 2283/20; Az des LSG L 11 KR 3423/20 ER-B) als auch zum Hauptsacheverfahren Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06.08.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit darin die dem Kläger mit Bescheid vom
26.05.2020 erteilte Genehmigung mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wird. Der angefochtene Bescheid ist aber rechtswidrig,
soweit damit der Bescheid vom 26.05.2020 auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wurde. Der Kläger hat außerdem
einen Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten iHv 134,26 €. Insoweit ist die Berufung der Beklagten unbegründet.
Richtige Klageart ist die (isolierte) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 und 2 SGG) gegen den Bescheid der Beklagten vom 23.06.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.08.2020. Mit diesem Bescheid
hat die Beklagte die dem Kläger erteilte Genehmigung vom 26.05.2020 wieder zurückgenommen. Die Aufhebung dieses Bescheides
durch den Senat würde zu einem Aufleben des Bescheides vom 26.05.2020 führen, sodass die Beklagte verpflichtet wäre, den Kläger
im Wege der Sachleistung mit dem begehrten Bedrocan zu versorgen. Soweit die Erstattung der bereits entstandenen Kosten für
das selbstbeschaffte Medizinal-Cannabis iHv 134,26 € geltend gemacht wird, ist die Anfechtungsklage mit einer Leistungsklage
(§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG) zu verbinden.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bescheids vom 26.05.2020 ist § 45 SGB X. Nach Abs 1 dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt
hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4
ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist.
Der Bescheid vom 26.05.2020, den die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid zurückgenommen hat, ist rechtswidrig. Mit diesem
Bescheid hat die Beklagte den Antrag des Klägers "auf Kostenübernahme mit der Versorgung von Cannabinoid Bedrocan, zur Dosis
22/1 1.5g/Tag, 10g/Woche" genehmigt. Darin liegt nicht nur die Bestätigung einer (tatsächlich oder vermeintlich) eingetretenen
Genehmigungsfiktion, sondern auch eine (positive) Entscheidung in der Sache. Nach § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V bedarf die Leistung (Versorgung mit Cannabinoiden) bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten
der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen
ist. Das Schreiben der Beklagten vom 23.06.2020 enthält (auch) diese Genehmigung. Die Beklagte hat mit diesem Schreiben zwar
auch - wie vom Kläger ausdrücklich gewünscht - bestätigt, dass eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs 3a Satz 6 SGBV eingetreten
ist. Die ausdrückliche Bestätigung einer (vermeintlich oder tatsächlich) gemäß § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V eingetretenen Genehmigungsfiktion durch die Krankenkasse ist nach Ansicht des Senats eine Regelung. Sie bewirkt, dass aus
einer bis dahin (möglicherweise) bloß fingierten Genehmigung eine Genehmigung kraft verbindlicher Entscheidung wird. Aus einer
solchen Genehmigung ergibt sich - anders als aus einer bloß fingierten Genehmigung (hierzu BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R, Soz-R 4-2500 § 13 Nr 53) - auch ein Naturalleistungsanspruch. Denn die Beklagte hat mit der von ihr gewählten Formulierung ("Der Antrag auf
Kostenübernahme mit der Versorgung von Cannabinoid Bedrocan, zur Dosis 22/1 1.5g/Tag, 10g/Woche wird genehmigt.") zugleich
die nach § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V erforderliche Genehmigung erteilt.
Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des BSG eine nach Fristablauf fingierte Genehmigung eines Antrags auf Leistungen nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes hat. Durch
den Eintritt der Genehmigungsfiktion wird das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen.
Die Krankenkasse ist weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende
Verwaltungsverfahren abzuschließen (BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R unter Aufgabe seiner früheren Rspr). Ist über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch bindend entschieden oder hat sich
der Antrag anderweitig erledigt, endet das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht auf Selbstbeschaffung der beantragten
Leistung auf Kosten der Krankenkasse. Eine anderweitige Erledigung ist hier nicht eingetreten. Denn der Leistungsantrag des
Klägers ist auf eine Dauerleistung gerichtet, die eine Mehrzahl oder gar eine nicht absehbare Zahl von Beschaffungsvorgängen
erfordert. In einem solchen Fall erledigt sich der Antrag nicht mit dem einzelnen Beschaffungsvorgang (BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R).
Die erteilte Genehmigung war aber bereits bei ihrem Erlass, also von Anfang an, rechtswidrig. Denn das Reizdarmsyndrom, das
mit dem Cannabinoid behandelt werden soll, ist keine schwerwiegende Erkrankung iSd § 31 Abs 6 SGB V. Der Begriff der "schwerwiegenden Erkrankung" wird in § 31 Abs 6 SGB V nicht definiert. Nach der Gesetzesbegründung soll der Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln nur in "eng begrenzten
Ausnahmefällen" gegeben sein (BT-Drs 18/8965 S 14 und 23). Da die Versorgung mit Cannabis als Ersatz für eine nicht zur Verfügung
stehende oder im Einzelfall nicht zumutbare allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung konzipiert
ist, hat es der Senat für sachgerecht erachtet, den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung so wie in § 35c Abs 2 Satz 1 SGB V zu verstehen (LSG Baden-Württemberg 19.09.2017, L 11 KR 3414/17 ER-B, juris Rn 28; LSG Baden-Württemberg 01.10.2018, L 11 KR 3114/18 ER-B, juris Rn 20; so auch Axer in Becker/Kingreen, 7. Aufl 2020, § 31 Rn 65; Nolte in Kasseler Kommentar, Stand 09/2020, § 31 SGB V Rn 75d; Pitz in jurisPK- SGB V, 4. Aufl 2020, § 31 Rn 125; Wagner in Krauskopf, Stand 07/2020, § 31 Rn 48; vgl. ferner LSG Baden-Württemberg, 16.10.2020, L 4 KR 813/19, juris Rn 40). Daher muss es sich um eine Erkrankung handeln, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt
der Erkrankungen abhebt und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl BSG 26.09.2006, B 1 KR 1/06 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 5). Das Reizdarmsyndrom, an dem der Kläger leidet, ist keine solche schwerwiegende Erkrankung. Insoweit schließt sich
der Senat der Auffassung des MDK im Gutachten vom 10.03.2020 an. Der Senat teilt überdies die Beurteilung des MDK, dass die
Einschätzung der den Kläger behandelnden Ärzte, eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative
könne bei dem Reizdarmsyndrom nicht zur Anwendung kommen, nicht nachvollziehbar ist.
Nach § 45 Abs 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand
des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig
ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition
getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Im vorliegenden Fall liegt
ein schutzwidriges Vertrauen des Klägers auf den Bestand des Bescheides vom 26.05.2020 nicht vor. Die von ihm zur Erstattung
eingereichten Privatrezepte datieren alle weit vor der positiven Entscheidung der Beklagten. Große Vermögensdispositionen
kann der Kläger nicht getroffen haben, da der Genehmigungsbescheid von der Beklagten bereits einen Monat später wieder zurückgenommen
wurde. Die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsakts steht im Ermessen der Beklagten. Im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte
zum Ausdruck gebracht, dass sie mit ihrer Begründung das ihr zustehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Sie hat damit
erkennbar eine Ermessensentscheidung getroffen.
Die Rücknahme des Bescheides vom 26.05.2020 ist allerdings nur rechtmäßig, soweit sie mit Wirkung für die Zukunft (dh ab Bekanntgabe
des Bescheides vom 23.06.2020 iSv § 37 Abs 2 SGB X) erfolgt. Die Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakts kann zwar nach § 45 Abs 4 Satz 1 i.V.m. Abs 2 Satz 3 SGB X auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit
1. der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig
oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit
liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. In Betracht kommt ohnehin nur eine Rücknahme nach der Nr 3, dass der Kläger
also hätte wissen müssen, dass ihm die Leistung nicht zustand. Davon geht der Senat nicht aus. Grob fahrlässig handelt nach
der Legaldefinition des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, dh wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen
nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit
insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen
Umständen des Falles zu beurteilen (stRspr). Eine nähere Kenntnis des GKV-Rechts darf den Versicherten nicht abverlangt werden.
Deshalb folgt aus einer ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse für sich genommen noch keine grobe Fahrlässigkeit; auch
dann nicht, wenn die Entscheidung der Krankenkasse auf einer Stellungnahme des MDK beruht (BSG 26.05.2020, B 1 KR 9/18 R).
Aus dem Umstand, dass die mit Bescheid vom 26.05.2020 erteilte Genehmigung nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden
darf, folgt, dass der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der von ihm verauslagten Kosten iHv 134,26 € hat. Ob Rechtsgrundlage
hierfür der bis zu seiner Aufhebung (zwar rechtswidrige, aber dennoch) wirksame Bescheid vom 26.05.2020 ist, mit dem die Beklagte
den Antrag des Klägers unter konkludenter Aufhebung ihres früheren ablehnenden Bescheids vom 13.03.2020 im Wege der Abhilfe
genehmigt hat, oder ob sich ein Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs 3a Satz 7 SGB V aufgrund des Eintritts einer Genehmigungsfiktion ergibt, kann der Senat offen lassen. Da der Kläger das Rezept vom 13.03.2020
erst am 17.03.2020 eingelöst hat, könnte diese Leistung von der im Wege der Abhilfe erfolgten und damit auf den Zeitpunkt
des früheren ablehnenden Bescheids vom 13.03.2020 rückwirkenden Genehmigung umfasst sein. Jedenfalls aber waren die Voraussetzungen
für den Eintritt einer Genehmigungsfiktion erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtig, dass die Klage teilweise erfolgreich war und die Beklagte mit ihrer Vorgehensweise einen
gewissen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1, 2 SGG).
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