Anwendbarkeit der Regelung des § 12 Abs. 2 UWG im sozialgerichtlichen Verfahren bei Rechtsstreit über die Grenzen des Wettbewerbs zwischen gesetzlichen Krankenkassen
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragstellerin gegen die Antragsgegner einen Anspruch auf Unterlassung verschiedener
Äußerungen in einem Informationsblatt der Antragsgegner über die hausarztzentrierte Versorgung hat.
Die Antragstellerin ist Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung und bietet ihren Mitgliedern im Rahmen der hausarztzentrierten
Versorgung nach §
73 b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) ein "A.-Hausarzt Programm" an. Der Antragsgegner zu 1 ist der L. der Betriebskrankenkassen B.-W., die Antragsgegnerin zu
2 eine gesetzliche Betriebskrankenkasse und Mitglied beim B. L. und die Antragsgegnerin zu 3 eine gesetzliche Innungskrankenkasse.
Auf der Homepage der Antragsgegnerin zu 2 war bis zum 12. Mai 2009 ein Informationsblatt unter der Rubrik "hausarztzentrierte
Versorgung - Schlucken Sie nicht jede Pille! - Wichtige Infos zu den umstrittenen Hausarztmodellen" zum Herunterladen eingestellt.
Als Herausgeber firmierten neben den Antragsgegnern zu 1 und 3 der V. d. E. e.V. (VdEK). In dem Informationsblatt wird Folgendes
ausgeführt:
Schlucken Sie nicht jede Pille! Gut versorgt beim Hausarzt? - eine Versicherten-Information Ihrer Krankenkassen
Sie wurden bereits von Ihrem Arzt auf neue Modelle, die den Hausarzt als Versorger in den Mittelpunkt stellen, angesprochen.
Hier die wichtigsten Fakten
- Ihr Hausarzt möchte Sie nur noch im Rahmen eines Hausarztmodells behandeln? o Eine Teilnahme am Hausarztmodell ist völlig
freiwillig. Sie haben jederzeit das Recht auf eine qualifizierte hausärztliche Behandlung. (Ihr Arzt darf seine allgemeine
Unzufriedenheit mit seiner Honorarsituation nicht auf Ihrem Rücken austragen.) Sollte Ihr Arzt Sie ohne Einschreibung in ein
Hausarztmodell nicht behandeln, wenden Sie sich bitte unbedingt an einen Kundenberater Ihrer Krankenkasse.
Im Übrigen ist die Teilnahme an dem Modell auch für den Hausarzt freiwillig. Weit mehr als die Hälfte der Hausärzte in B.-W.
haben sich bisher bewusst gegen ein Hausarztmodell entschieden - und damit für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Arzt
und Patient ohne vertragliche Bindung!
- In Hausarztmodellen sind Sie in der Wahl Ihres Arztes eingeschränkt! o Sie binden sich damit vertraglich für mindestens
1 Jahr an einen Hausarzt. o Als Patient ist es Ihr gutes Recht, Ihren Arzt selbst und frei zu wählen! o Wir schreiben Ihnen
die Wahl Ihres Arztes nicht vor. Der richtige Arzt für Sie nimmt sich ausreichend Zeit für das Gespräch mit Ihnen, informiert
Sie über alle Schritte und lässt Sie nicht warten.
- Kein Hausarzt ohne Facharzt! o Neben der qualifizierten hausärztlichen Behandlung halten wir für Sie eine umfassende und
optimale Therapie auch mit Fachärzten und Klinischer Therapie für notwendig. Mit dieser "Hand in Hand - Versorgung" haben
Sie die besten Möglichkeiten zur Genesung.
- Therapiefreiheit für Ihren Hausarzt! o In Hausarztmodellen wird auf die Therapiefreiheit von Ärzten aktiv Einfluss genommen.
Mit dem dadurch eingesparten Geld, soll ein Hausarztmodell vorwiegend finanziert werden.
- Warum hat meine Kasse kein Hausarztmodell? o Die Betriebs- Innungs- und Ersatzkassen verhandeln zurzeit mit in Frage kommenden
Partnern. Sie arbeiten an Lösungen, um die bewährte, gute hausärztliche Versorgung in B.-W. weiter zu verbessern. Nur eine
Versorgung, die auf Ihre Bedürfnisse als Patient zugeschnitten ist, kann hierzu einen Beitrag leisten. Wir sind davon überzeugt,
dass ein durch Druck Ihres Arztes entstandener Zwangsvertrag für Sie nicht der richtige Weg sein kann.
In einer Übersicht zwischen der ärztlichen Versorgung in B.-W. seitens der Antragsgegner Ziffer 1 und 3 sowie des VdEK einerseits
und im Rahmen eines Hausarztprogramms andererseits wird die Versorgung wie folgt dargestellt:
- Eine starke Gemeinschaft für Ihre Versorgung! o Die Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen betreuen in B.-W. rund 58 % aller
Versicherten. Sie arbeiten gemeinsam an der Verbesserung Ihrer Versorgung - ob beim Hausarzt oder Facharzt. Lieber Versicherter,
liebe Versicherte, Sie müssen sich nicht alles gefallen lassen: Bevor Sie eine vertragliche Verpflichtung eingehen, die sich
nachteilig für Sie auswirken kann, wenden Sie sich an Ihre Krankenkasse. Wir unterstützen Sie. Gerne beraten wir Sie persönlich
in einem unserer KundenCenter.
Ärztliche Versorgung in Baden-Württemberg vdeK Die Ersatzkassen BKK L. der Betriebskrankenkasse B.-W. iKKB.-W. und H. HausarztProgramm
Sie sind nicht per Vertrag an einen Hausarzt gebunden
&8730; Sie können den Hausarzt jederzeit - also nicht erst nach Ablauf eines Jahres - wechseln
- Vor dem Wechsel Ihres Hausarztes müssen Sie nicht schriftlich kündigen
- Es erfolgt keine aktive Einflussnahme auf die Therapiefreiheit Ihres Arztes
- Freie Facharztwahl ist auch ohne vorherigen Hausarzttermin möglich
- Sprechstunden von Montag bis Freitag
Mit Schriftsätzen vom 30. April 2009 und 14. Mai 2009 (B. 28 ff, 34 ff der SG-Akte) verlangte die Antragstellerin von den Antragsgegnern die Unterlassung folgender Äußerungen:
"1. In Hausarztmodellen sind Sie in der Wahl Ihres Arztes eingeschränkt! Wir schreiben Ihnen die Wahl Ihres Arztes nicht vor.
2. Therapiefreiheit für Ihren Hausarzt! In Hausarztmodellen wird auf die Therapiefreiheit von Ärzten aktiv Einfluss genommen."
Durch Schreiben vom 06. Mai 2009, 11. Mai 2009 und 15. Mai 2009 lehnten die Antragsgegner die Abgabe einer entsprechenden
Unterlassungsverpflichtungserklärung ab (Bl 40 ff der SG-Akte).
Mit ihrem am 03. Juni 2009 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat die Antragstellerin ihr Unterlassungsbegehren weiterverfolgt.
Zu dessen Begründung hat sie ua vorgetragen, die Äußerungen seien sowohl auf der Internetseite der Antragsgegnerin zu 2 wie
auch in einem Informationsblatt an Versicherte verteilt worden. Die Äußerungen der Antragsgegner enthielten unwahre Tatsachenbehauptungen.
Es sei unzutreffend, dass in Hausarztmodellen die freie Arztwahl eingeschränkt werde. Vielmehr könnten sich die Versicherten
freiwillig an der hausarztzentrierten Versorgung beteiligen und sich den behandelnden Hausarzt aus allen Hausärzten, die an
dem Modell der hausarztzentrierten Versorgung in B.-W. teilnähmen, frei wählen. Die hausarztzentrierte Versorgung gehe auch
mit keiner Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit einher. Der Arzt verpflichte sich lediglich, im Rahmen seiner Therapiefreiheit
die Wirtschaftlichkeit seiner Verordnung zu prüfen und zu beachten. Für die Versicherten als Adressaten der Äußerung sei das
Modell der hausarztzentrierten Versorgung der Antragstellerin ohne Weiteres individualisierbar. Dies ergebe sich auch aus
der tabellarischen Gegenüberstellung der Antragsgegner. Die beantragte Untersagung sei auch erforderlich, um die drohenden
weiteren Rechtsverletzungen durch Verbreitung des Informationsblattes zu Lasten der Antragstellerin zu verhindern. Durch die
Wiederholung der Äußerungen würden bei den Mitgliedern der Antragsstellerin sowie anderen Personen Nachteile und Verwirrungen
eintreten, die im Nachhinein nicht wieder gut zu machen seien.
Mit Beschluss vom 29. Juli 2009, der Antragstellerin zugestellt am selben Tag, hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellerin habe bereits keinen
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die pauschale Behauptung von Nachteilen und Verwirrungen bei den Mitgliedern genügten dafür
nicht ansatzweise. Denn bei der Frage, ob in der Wettbewerbssituation zwischen den Krankenkassen wesentliche Nachteile drohten,
sei auf die wirtschaftlichen Folgen abzustellen. Solche konkreten nachteiligen wirtschaftlichen Folgen infolge von Mitgliederverlusten
habe die Antragstellerin nicht behauptet, geschweige denn hinreichend glaubhaft gemacht. Das für das gewerbliche Wettbewerbsrecht
entwickelte Instrumentarium von deliktischen, negatorischen und ergänzenden Ansprüchen, die auf die Beseitigung eines durch
unlautere Werbemaßnahmen verursachten Schadens abzielten, könne auf die Rechtsbeziehungen und den Wettbewerb zwischen gesetzlichen
Krankenkassen nicht übertragen werden. Grenzen des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen müssten anhand des gesetzlichen
Auftrages und der zu seiner Verwirklichung erlassenen Vorschriften des Sozialgesetzbuches bestimmt werden. Ausgehend hiervon
sei die Behauptung der Antragstellerin, durch die beanstandeten Äußerungen werde ihr "Ruf" in der Öffentlichkeit beeinträchtigt,
nicht geeignet, einen solchen wesentlichen Nachteil zu begründen. Denn die Antragstellerin sei als juristische Person des
öffentlichen Rechts Trägerin hoheitlicher Gewalt und nicht grundrechtsfähig. Sie könne sich deswegen nicht auf ein aus Art
2 Abs
2 Grundgesetz (
GG) abgeleitetes allgemeines Persönlichkeitsrecht berufen.
Mit ihrer dagegen am 17. August 2009 beim SG eingelegten Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, Gegenstand der Äußerungen der Antragsgegner sei eine gesetzliche
Regelung in §
73 b Viertes Buch Sozialgesetzbuch (gemeint
SGB V), die für alle gesetzlichen Krankenkassen gleichermaßen greife und zum Inhalt habe, dass die Krankenkassen ihren Versicherten
eine besondere hausärztliche Versorgung anzubieten hätten. Die Art und Weise der Darstellung als Flugblatt bzw der Präsentation
im Internet sei geeignet, weitere Personenkreise zu erreichen, insbesondere auch die Mitglieder der Antragstellerin. Völlig
unabhängig von der Frage einer Mitgliederwerbung führten die beanstandeten Äußerungen zu Einwirkungen sowohl auf die Leistungserbringer
wie auch die Versicherten selbst und zwar auch auf die Mitglieder der Antragstellerin. Es sei auch unrichtig, dass juristische
Personen des öffentlichen Rechts keinen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen könnten, wenn hierdurch ihr Ruf
in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt werde. Es ginge darum, den Einrichtungen ein Mindestmaß an öffentlicher
Anerkennung zu gewährleisten, welches erforderlich sei, damit die betroffenen Einrichtungen ihre Funktion erfüllen könnten
und das unerlässliche Vertrauen in die Integrität öffentlicher Stellen nicht in Frage gestellt werde. Daher müsse eine Interessenabwägung
vorgenommen werden, wobei die streitgegenständlichen Äußerungen nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt seien, da es keine
Berechtigung gebe, unwahre Äußerungen zu vertreiben. Angesichts der Dauer von Klageverfahren sei es der Antragstellerin auch
nicht zumutbar, das Hauptsacheverfahren abzuwarten, da ihre Anstrengungen, den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen, in ganz
erheblichem Maße und dauerhaft beeinträchtigt blieben. Unstreitig sei, dass das beanstandete Informationsblatt auf der Internetseite
veröffentlicht worden sei, somit auch Wiederholungsgefahr bestünde. Die bloße Ankündigung, das Informationsblatt künftig nicht
mehr zu veröffentlichen, genüge nicht um eine solche Wiederholungsgefahr auszuschließen. Da auf der Kopfleiste des Informationsblattes
sämtliche Antragsgegner gleichrangig als Mitautoren genannt würden, müsse die Handlungsweise der Antragsgegnerin zu 2 auch
den Antragsgegnern zu 1 und zu 3 zugerechnet werden. Die Antragstellerin hat diverse E-Mails von Mitarbeitern vorgelegt, wonach
das streitgegenständliche Informationsblatt auch als Flugblatt verteilt worden sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Juli 2009 aufzuheben und den Antragsgegnern im Wege der einstweiligen Anordnung
aufzugeben, es unter Androhung eines in jedem Falle der Wiederholung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise
Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, die nachfolgend wiedergegebenen Äußerungen zu verbreiten
und/oder verbreiten zu lassen,
a) In Hausarztmodellen sind Sie in der Wahl Ihres Arztes eingeschränkt! o Sie binden sich damit vertraglich für mindestens
1 Jahr an einen Hausarzt o Als Patient ist es Ihr gutes Recht, Ihren Arzt selbst und frei zu wählen! o Wir schreiben Ihnen
die Wahl Ihres Arztes nicht vor.
und/oder
b) Therapiefreiheit für Ihren Hausarzt! o In Hausarztmodellen wird auf die Therapiefreiheit von Ärzten aktiv Einfluss genommen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, dass die Information nicht unrichtig sei. Der Patient habe vielmehr nur eine Wahl, ob er überhaupt
an dem Hausarztmodell der Antragstellerin teilnehmen wolle. Hierbei könne er selbstverständlich unter allen Hausärzten wählen,
welches sich eindeutig auch so aus §
73 b Abs
3 Satz 1 und
2 SGB V ergebe. Anders verhalte es sich jedoch, sobald ein Versicherter erklärt habe, an dem Hausarztmodell teilzunehmen. Ab diesem
Zeitpunkt sei er für mindestens ein Jahr an den von ihm gewählten Hausarzt gebunden. Auch dies sei in §
73 b Abs
3 Satz 3
SGB V klar geregelt. Nichts anderes ergebe sich aus dem Informationsblatt der Antragsgegner. Die Aussage entspreche nicht nur dem
Gesetz, sondern sei auch allgemein verständlich und mache für jedermann klar, dass die Teilnahmeentscheidung zur Bindung an
den vom Patienten gewählten Arzt führe. Die Wortwahl sei auch eindeutig dahingehend, dass keine Arztzuweisung durch die Krankenkasse
erfolge. Es sei auch fernliegend und nicht vom Erfahrungshorizont und der Erwartungshaltung des Adressaten umfasst, dass andere
Kassen ihren Patienten Ärzte aufzwängen.
Auch der Hinweis darauf, dass in Hausarztmodellen auf das Therapieverhalten von Ärzten aktiv Einfluss genommen werde, sei
nicht unrichtig. Dem sei nicht die Aussage zu entnehmen, dass die Therapiefreiheit zwingend eingeschränkt sei. Auf die ärztliche
Therapieentscheidung werde aber aktiv Einfluss genommen. Dieser Einfluss sei systemimmanent und Bestandteil des mit Hausarztmodellen
verfolgten Managed Care-Ansatzes. Der Hausarzt solle bevorzugt Arzneimittel von Pharmaunternehmen verordnen, mit denen die
Antragstellerin einen Rabattvertrag nach §
130 a Abs
8 SGB V geschlossen habe. Der Arzt solle weiter die in dem Behandlungsleitlinien gemäß Anlage 2 des Hausarztvertrages genannten Wirkstoffe
beachten und schließlich solle der Arzt auf die Verwendung preisgünstiger Generika und die Auswahl preisgünstiger Arzneimittel
achten. Er müsse auch eine bestimmte Software zur Arzneimittelverordnung verwenden.
Belege dafür, dass ihr Ruf in der Öffentlichkeit massiv beeinträchtigt werde, habe die Antragsgegnerin nicht geliefert. Sie
werde als solche in dem Informationsblatt gar nicht angegriffen und überhaupt nicht erwähnt. Wenn sich das Informationsblatt
nur an Versicherte der eigenen Kasse wende, fehle jeglicher Bezug zur Antragstellerin. Ein solcher sei nur dann gegeben, wenn
sich die Schrift auch an Versicherte anderer Kassen wende, denn dann handele es sich um Mitgliederwerbung. Die Äußerungen
erfüllten auch nicht den Tatbestand der üblen Nachrede nach §
186 Strafgesetzbuch, welches auch die Antragstellerin nicht behaupte. Der Schutz, den öffentlich-rechtliche Körperschaften über den strafrechtlichen
Ehrenschutz verlangen könnten, werde sehr restriktiv definiert.
Auf die Internet-Plattform der Antragsgegnerin zu 1 hätten Außenstehende keinen Zugriff. Dies sei bei der Antragsgegnerin
zu 2 anders, die das Dokument für kurze Zeit auf ihrer eigenen (öffentlichen) Internetseite zum Download verfügbar gemacht
habe. Die betreffenden Dateien seien bereits am 12. Mai 2009 gelöscht worden. Man habe die Antragsgegnerin zu 2 am 12. Mai
2009 angewiesen, das Informationsblatt nicht mehr zu verwenden. Die Antragsgegnerin zu 3 habe das Informationsblatt nur zur
Information der eigenen Mitarbeiter verwendet und nur an diese verteilt, eine Veröffentlichung im Sinne einer Versendung oder
sonstigen Verfügbarmachung für Dritte sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Eine solche sei auch nicht beabsichtigt. Die vorgelegten
E-Mails genügten zur Glaubhaftmachung nicht. Weder aus dem Schriftsatz der Antragstellerin noch aus den knappen E-Mail-Meldungen
gehe hervor, woher die angeblichen "aufgeschlagenen" Flyer stammten. Es spreche viel dafür, dass es sich um Flyer handele,
die von der Homepage der Antragsgegnerin zu 2 heruntergeladen worden seien. Der angegebene Zeitraum von mindestens drei Monaten
entspreche in etwa der Zeit, die seit der Herunternahme des Flyers von der Homepage der Antragsgegnerin zu 2 verstrichen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und
zweiter Instanz verwiesen.
II. Die gemäß §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragsstellerin ist zulässig. Die Beschwerde ist auch nicht nach §
172 Abs.
3 SGG in der seit 1 April 2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 29 Buchst. b) des Gesetzes zur Änderung des
SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 - SGGArbGÄndG - (BGBl. I, S. 444) ausgeschlossen.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist bindend festgestellt (§
17a Abs
5 Gerichtsverfassungsgesetz; vgl BGH, Beschluss vom 18. September 2009, V ZB 40/08, NJW 2008, 3572); er ergibt sich im Übrigen auch aus §
51 Abs
1 Nr
2, Abs
2 Satz 1
SGG. Für Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen über die Zulässigkeit von Maßnahmen der Mitgliederwerbung ist auch
nach der Rechtsprechung des BGH der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet (BGH, Beschluss vom 15. Januar 1998, I ZB 20/97, GRUR 1998, 744, 745). Maßgeblich hierfür ist, dass das Rechtsverhältnis der gesetzlichen Krankenkassen untereinander durch Vorschriften
des SGB gesondert geregelt ist (BGH, Beschluss vom 9. November 2006, I ZB 28/06, NJW 2007, 1819).
Die Beschwerde ist aber nicht begründet.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz nach §
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG begehrt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt,
eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung
des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte
(Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind nach §
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG auch zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Vorliegend
ist eine Regelungsanordnung, nämlich einer (künftigen) Unterlassung, zu treffen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung
verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen
Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten
einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86 b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung -
ZPO). Die Regelung in § 12 Abs 2 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), wonach zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung einstweilige Verfügungen auch ohne die
Darlegung und Glaubhaftmachung der in §§
935 und
940 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden können, findet im sozialgerichtlichen Verfahren keine Anwendung (LSG für das
Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 7. Mai 2008, L 5 B 8/08 KR ER und 27. Mai 2008, L 11 B 6/08 KR ER, jeweils zit nach juris).
Der Senat ist ebenso wie das das SG der Auffassung, dass es an einem Anordnungsgrund fehlt. Der Antragstellerin drohen keine gegenwärtigen Nachteile durch das
von den Antragsgegnern vertriebene Informationsblatt. Denn die streitigen Informationen sind bereits am 12. Mai 2009 von der
betreffenden Internetseite der Antragsgegnerin zu 2 gelöscht worden und diese wurde angewiesen, das Informationsblatt nicht
mehr zu verwenden. Die Antragstellerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass allein damit eine Wiederholungsgefahr nicht
beseitigt wird. Das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch begründet in Fallkonstellationen
der vorliegenden Art jedoch noch keinen Anordnungsgrund. Zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruches gegen ein tatsächliches
oder vermeintliches Fehlverhalten einer Krankenkasse oder ihres Verbandes im Bereich der Mitgliederwerbung - hierzu rechnet
der Senat das von den Antragsgegnerinnen herausgegebene Informationsblatt - kann den Beteiligten grundsätzlich die Klärung
der streitigen Fragen in einem Hauptsacheverfahren zugemutet werden, da eine mögliche Reaktion der Versicherten auf das beanstandete
Verhalten in der Regel nicht sofort zu größeren wirtschaftlichen Nachteilen bei einer Krankenkasse führt. Solche wirtschaftlichen
Nachteile sind im Übrigen auch nicht konkret bezeichnet und belegt worden.
Ein Anordnungsanspruch ist nach summarischer Prüfung eher wahrscheinlich; der Senat lässt aber offen, ob der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch besteht. Ob sich der Anspruch durch die Erklärung der Antragsgegner, das Informationsblatt nicht mehr
weiterzuverwenden erledigt hat, erscheint zweifelhaft. Das BSG hat jedenfalls im Urteil vom 31. März 1998 (B 1 KR 9/95 R, BSGE 82, 78, 79) darauf abgestellt, dass die (dortige) Beklagte dem Unterlassungsanspruch Rechnung getragen habe, indem sie die von der
Klägerin geforderte Unterlassungserklärung abgegeben hat. Dies haben die Antragsgegner bislang nicht getan.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann sich die Antragstellerin nicht unmittelbar auf die wettbewerbsrechtlichen
Grundsätze des UWG stützen. Die Grenzen des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen sind allein anhand des gesetzlichen Auftrags und der zu seiner
Verwirklichung erlassenen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs zu bestimmen (vgl BSG, Urteil vom 31. März 1998, B 1 KR 9/95 R, BSGE 82, 78, 79). Beschränkungen hinsichtlich Form und Inhalt von Maßnahmen der Mitgliederwerbung ergeben sich aus der Pflicht der Krankenkassen
zur Aufklärung, Beratung und Information der Versicherten (§§
13 bis
15 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs -
SGB I -) sowie dem Gebot bei der Erfüllung dieser und anderer gesetzlicher Aufgaben mit den übrigen Sozialversicherungsträgern
zusammenzuarbeiten. Wird deshalb bei der Werbung die Pflicht zur sachbezogenen Information und zur Rücksichtnahme auf die
Belange der anderen Krankenversicherungsträger nicht beachtet, kann sich daraus im Umkehrschluss ein Anspruch des beeinträchtigten
Trägers auf Unterlassung der unzulässigen Werbemaßnahmen ergeben (BSG aaO.). Dabei handelt es sich um eine eigenständige öffentlich-rechtliche
Anspruchsgrundlage, die nicht auf den Vorschriften des UWG beruht (BSG, Stellungnahme vom 11. Oktober 1988, 3 S 1/88, zit nach juris). Daneben sind die Vorschriften des UWG auf das Verhältnis der Krankenkassen untereinander nicht anwendbar. Dies folgt auch aus der Regelung in §
69 SGB V. Wenn das nationale Wettbewerbsrecht durch die Neufassung des §
69 zum 1. Januar 2000 selbst in den Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und ihren Verbänden zu den Leistungserbringern
keine Anwendung mehr findet (vgl BSG, 31. August 2000, B 3 KR 11/98 R, SozR 3-2500 § 35 Nr 1), muss dies erst recht für das Verhältnis der Krankenkassen untereinander gelten.
Die Antragsgegner könnten mit den von der Antragstellerin beanstandeten Aussagen "In Hausarztmodellen sind Sie in der Wahl
Ihres Arztes eingeschränkt, Sie binden sich damit vertraglich für mindestens ein Jahr an einen Hausarzt, als Patient ist es
ihr gutes Recht, Ihren Arzt selbst und frei zu wählen und wir schreiben Ihnen die Wahl Ihres Arztes nicht vor" und/oder "Therapiefreiheit
für Ihren Hausarzt. In Hausarztmodellen wird auf die Therapiefreiheit von Ärzten aktiv Einfluss genommen" gegen das öffentlich-rechtliche
Gebot der Rücksichtnahme und die Pflicht zur sachbezogenen Information verstoßen. Schon der Umstand, dass die Antragsgegner
die hausarztzentrierte Versorgung nahezu ausschließlich negativ darstellen, dürfte mit einer sachbezogenen Information kaum
vereinbar sein, da es sich dabei um ein besondere Versorgungsform handelt, die nicht nur im Gesetz vorgesehen ist, sondern
die nach §
73b Abs
1 SGB V alle Krankenkassen anbieten müssen. Darüber hinaus spricht viel dafür, dass die Antragsgegner mit diesen Äußerungen den Eindruck
erwecken, den Versicherten werde die Wahl ihres Arztes vorgeschrieben. Dabei ist die Teilnahme an der hausarztzentrierten
Versorgung freiwillig (§
73b Abs
3 Satz 1
SGB V). Die Aussagen zur Therapiefreiheit in Hausarztmodellen entspricht wohl ebenfalls nicht den Tatsachen. Denn die ärztliche
Therapiefreiheit darf in der hauarztzentrierten Versorgung nicht eingeschränkt werden und wird es auch nicht. Die Behauptung
der Antragsgegner, das Informationsblatt sei als interne Argumentationshilfe für Mitarbeiter herausgegeben worden, dürfte
schon durch die Überschrift widerlegt werden. Darin werden die Ausführungen als "Versicherten-Information Ihrer Krankenkassen"
bezeichnet; außerdem werden die Versicherten auch an anderer Stelle direkt angesprochen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs 2 Nr 4, 63 Abs 2 und 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert
von EUR 5.000,00 (Auffangstreitwert) anzunehmen. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin
nicht beziffert werden kann und genügend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen. Hiervon ist ein Abschlag von
50% wegen der Vorläufigkeit der angestrebten einstweiligen Anordnung vorzunehmen; auszugehen ist also von 2.500 EUR. Da die
Antragstellerin von jedem Antragsgegner eigenständig Unterlassung verlangt bzw verlangen kann, auch wenn die materiellen Ansprüche
inhaltsgleich sind, sind die Antragsgegner nicht Gesamtschuldner, so dass für die Unterlassungsanträge Einzelwerte zu bestimmen
sind. Diese sind nicht nur für die Antragstellerin zusammenzurechnen, sondern auch für die Antragsgegner, da sie von demselben
Prozessbevollmächtigten vertreten werden (vgl OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20. April 2009, 14 W 53/08, VersR 2009, 948). Somit beträgt der Streitwert 7.500 EUR.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).