Anspruch auf Erlass von Beiträgen in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung
Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers für eine Entscheidung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 SGB IV
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass ihrer Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.11.2013.
Die 1949 geborene Klägerin war bis 11.11.2006 Pflichtmitglied bei der BKK H.-W. (Rechtsvorgängerin der Beklagten). Am 31.12.2013
zeigte die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Auffang-Pflichtversicherung ab 01.04.2007 bei der Beklagten
zu 1) an. Mit Bescheid vom 22.07.2014 stellte die Beklagte zu 1) die Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) ab dem 01.04.2007 fest und setzte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach der Mindestbemessungsgrundlage fest.
Für die Zeit vom 01.04.2007 bis 30.11.2013 errechnete sich ein Beitragsrückstand (Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge)
iHv 8.622,65 € (berechnet nach der Mindestbemessungsgrundlage). Dieser könne nach §
256a Abs
2 SGB V erlassen werden, sofern die Klägerin schriftlich erkläre, dass in dieser Zeit keine Leistungsinanspruchnahme erfolgt sei.
Der Bescheid erging auch im Namen der Pflegekasse.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte den Rentenbescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) vom 15.03.2010
vor, wonach sie auf ihren Antrag vom 29.12.2009 ab dem 01.10.2009 eine Altersrente für Frauen erhält, sowie eine Einkommenserklärung
zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Sie gehe davon aus, dass nichts mehr ihrer Mitgliedschaft in der KVdR entgegenstehe.
Ferner beantragte sie am 03.02.2015 den Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen. In der Zeit vom 01.04.2007 bis 31.12.2014
habe sie keine Leistungen der Beklagten in Anspruch genommen.
Mit Bescheid vom 19.03.2015 hob die Beklagte zu 1) den Bescheid vom 22.07.2014 auf und stellte fest, dass die Klägerin ab
dem 29.12.2009 bei ihr als Rentnerin versicherungspflichtig sei. Für die Zeit vom 01.04.2007 bis 28.12.2009 bestünden rückständige
Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und darauf entfallende Säumniszuschläge iHv 4.542,06 €. Diese wurden erlassen.
Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und beantragte, den gesamten Beitragsrückstand vom 29.12.2009 bis 31.12.2013
entsprechend §
256a Abs
2 SGB V zu erlassen. In der Folgezeit wurden Säumniszuschläge und Gebühren für den Zeitraum 29.12.2009 bis 31.12.2013 storniert.
Die Beigeladene setzte mit Bescheid vom 13.04.2015 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2015) den Zahlbetrag der
Altersrente ab 01.05.2015 neu fest und machte nach §
255 SGB V für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.04.2015 die - unverjährten und - rückständigen Beiträge zur KVdR sowie zur Pflegeversicherung
iHv insgesamt 5.687,76 € geltend. Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Karlsruhe mit Urteil vom 14.03.2015 ab
(S 5 R 3690/15); die Klägerin nahm ihre Berufung zurück (L 10 R 1433/16). Die Beigeladene behielt ab 01.07.2017 wegen der Beitragsrückstände nach Prüfung des §
51 Abs
2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) einen Teil der Rente der Klägerin ein (Bescheid vom 06.07.2017; Widerspruch der Klägerin vom 13.07.2017; Widerspruchsbescheid
vom 04.12.2018); die Beitragsforderung war Ende Februar 2018 getilgt. Wegen des Erlasses oder Ermäßigung von Beiträgen zur
Kranken- und Pflegversicherung verwies sie die Klägerin an die Beklagten (Schreiben vom 05.10.2017).
Mit Bescheid vom 22.06.2016 lehnte die Beklagte zu 1) den weiteren Beitragserlass ab, da für die Zeit vom 29.12.2009 bis 31.12.2013
keine Beitragsschulden bestünden. Die Beitragsabführung sei direkt durch die DRV erfolgt. Die Klägerin sei als Rentnerin versicherungspflichtig.
Es müsse daher eine Beitragsabführung mit dem Rentenbezug erfolgen.
Die Klägerin erhob wiederum Widerspruch und forderte die Beklagte auf, der DRV einen Beitragserlass mitzuteilen. Mit Schreiben
vom 17.07.2017 forderte die Klägerin die Beklagte auf, der DRV zu melden, dass sie nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V versichert sei und nicht nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.2017 wies die Beklagte zu 1) die Widersprüche gegen die Bescheide vom 19.03.2015 und 22.06.2016
- auch im Namen der Pflegekasse - als unbegründet zurück. Die Pflichtversicherung in der KVdR sei vorrangig vor der Auffangversicherung
nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V. Demnach könne für die Zeit vom 29.12.2009 bis 30.11.2013 kein Beitragserlass erfolgen. Wegen Verjährung seien nur Beiträge
aus der Altersrente ab 01.01.2011 zu fordern. Entsprechend habe die DRV die Beitragsanteile ab 01.01.2011 aus der Rente einbehalten.
Ein weiterer Erlass für die Beiträge für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2013 sei nicht möglich. Die Voraussetzungen für
einen Erlass nach §
76 Abs
2 Nr
3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) lägen nicht vor. Die Klägerin habe telefonisch mitgeteilt, dass sie ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht offenlegen
wolle. Es seien keine Umstände geltend gemacht worden, die eine unbillige Härte begründeten. Die wirtschaftlichen Folgen seien
lediglich das Resultat der Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten. Unter Ausübung des Ermessens könne nicht festgestellt
werden, dass eine persönliche oder Sachunbilligkeit vorliege. Nachdem die Klägerin mitgeteilt hatte, den Widerspruchsbescheid
nicht erhalten zu haben, erließ die Beklagte diesen unter dem 06.06.2018 nochmals.
Hiergegen richtet sich die am 09.07.2018 (Montag) zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage. Die Klägerin trägt vor, nach den geltenden Bestimmungen seien die Beiträge ab Beginn der Versicherungspflicht
bis zum Ende des Monats, der dem Tag der Anzeige vorhergehe und nicht lediglich bis zum Rentenbeginn zu erlassen. Demnach
seien ihre Beiträge bis zum 30.11.2013 zu erlassen. Sie sei auch über den 28.12.2009 hinaus nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V zu versichern. Dies müsse die Beklagte der DRV entsprechend melden.
Mit Urteil vom 02.10.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.04.2007 bis 28.12.2009
nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V pflichtversichert gewesen sei und ab dem 29.12.2009 eine Pflichtversicherung in der KVdR vorliege. Des Weiteren habe sie
folgerichtig die Beiträge lediglich für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis 28.12.2009 erlassen. Ein darüber hinausgehender Beitragserlass
- wie von der Klägerin beantragt - sei nicht möglich. Vorliegend habe die Klägerin am 31.12.2013 bei der Beklagten das Vorliegen
der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V angezeigt, so dass rückwirkend ab 01.04.2007 die Klägerin in der Auffangversicherung versichert sei. Ab Rentenantragstellung
am 29.12.2009 lägen unstreitig die Voraussetzungen des §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V vor, die Klägerin unterliege seit diesem Zeitpunkt der Pflichtversicherung der Rentner. Danach könne ein Beitragserlass nach
§
256a Abs
2 SGB V nur für die Zeit vom 01.04.2007 bis 28.12.2009 erfolgen. Die Vorschrift, die nach §
60 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) für die Pflegeversicherungsbeiträge entsprechend gelte, betreffe lediglich die Auffang-Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V, nicht auch andere Tatbestände der Versicherungspflicht oder freiwillige Mitglieder. Der Gesetzeswortlaut sei insoweit eindeutig
und nicht auslegungsfähig. Aber auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung, nämlich einen Anreiz für noch nicht erfolgte Anzeigen
und letztlich eine Krankenversicherung für alle zu schaffen, könne sich der Beitragserlass lediglich auf den Zeitraum der
Auffangpflichtversicherung beziehen. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung lediglich diejenigen begünstigen wollen, die sich
aus Angst vor hohen Beitragsschulden nicht bei ihrer Krankenkasse gemeldet hätten. Dass auch pflichtversicherte Rentner von
dieser Begünstigung profitieren sollten, sei nicht einzusehen.
Gegen das ihr am 10.10.2019 zugestellte Urteil richtet sich die am 11.11.2019 (Montag) eingelegte Berufung der Klägerin. Entgegen
der Regelungen in den Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung des GKV-Spitzenverbands vom 04.09.2013
(§ 2) seien die Beiträge nicht bis zum Ende des Monats erlassen worden, der der Anzeige vorhergehe (Nacherhebungszeitraum),
sondern nur bis zum Tag vor Rentenantragstellung. Dies sei so nicht vorgesehen. Es heiße in den Einheitlichen Grundsätzen
nirgends, dass die Voraussetzungen nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V nur solange gälten, bis eine andere Möglichkeit gegeben sei, sondern eindeutig bis zum Ende des Monats vor der Anzeige.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02.10.2019 und die Bescheide der Beklagten vom 22.07.2014, 19.03.2015 und 22.06.2016
jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2017/06.06.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die
Klägerin über den 28.12.2009 hinaus bis zum 30.11.2013 als Versicherte nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V zu melden sowie die Beiträge bis zum 30.11.2013 zu erlassen und der Deutschen Rentenversicherung den richtigen Nacherhebungszeitraum
mitzuteilen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Erlass der Beiträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf das angefochtene Urteil des SG.
Der Senat hat mit Beschluss vom 06.10.2020 den Rentenversicherungsträger beigeladen, der keinen Antrag stellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) ist statthaft (§§
143,
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Bescheide vom 22.07.2014, 19.03.2015 und 22.06.2016 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2017/06.06.2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin war im Zeitraum vom 29.12.2009 bis 30.11.2013 in der KVdR pflichtversichert, sodass ein Beitragserlass nach §
256a SGB V für diesen Zeitraum nicht in Betracht kommt. Für den Zeitraum 29.12.2009 bis 31.12.2010 werden wegen Verjährung schon gar
keine Beiträge mehr gefordert, sodass insoweit ohnehin kein Rechtsschutzbedürfnis für den geltend gemachten Erlass besteht.
Streitig ist der Erlass von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Der Senat hat daher von Amts wegen das Rubrum geändert
und die Pflegekasse als Beklagte zu 2) aufgenommen.
Ein Erlass auf der Grundlage von §
256a SGB V (für die Pflegeversicherungsbeiträge i.V.m. §
60 Satz 1
SGB XI) ist nicht möglich. Nach dieser Vorschrift gilt: Zeigt ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht
nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V erst nach einem der in §
186 Abs
11 Satz 1 und 2
SGB V genannten Zeitpunkte an, soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden
Beiträge angemessen ermäßigen; darauf entfallende Säumniszuschläge nach §
24 SGB IV sind vollständig zu erlassen (Abs
1). Erfolgt die Anzeige nach Abs 1 bis zum 31.12.2013, soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht
nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach §
24 SGB IV erlassen. Satz 1 gilt für bis zum 31.07.2013 erfolgte Anzeigen der Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V für noch ausstehende Beiträge und Säumniszuschläge entsprechend (Abs 2).
Die Vorschrift bezieht sich damit allein auf Beitragsschulden und Säumniszuschläge aus einer Versicherung nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V (allgemeine Meinung, vgl LSG Berlin-Brandenburg 04.02.2015, L 9 KR 179/14; LSG Schleswig-Holstein 06.01.2016, L 5 KR 209/15 B ER, NZS 2016, 279; LSG Nordrhein-Westfalen 17.03.2016, L 16 KR 13/15; Felix in jurisPK-
SGB V, 4. Aufl 2020, §
256a Rn 11; Hebeler in LPK-
SGB V, 5. Aufl 2016, §
256a Rn 2; Hornig in Krauskopf,
SGB V, Stand September 2020, §
256a Rn 7; Mecke in Becker/Kingreen,
SGB V, 7. Aufl 2020, §
256a Rn 5, 7; Peters in Kasseler Kommentar, Stand September 2020, §
256a SGB V Rn 6). Dies ergibt sich schon völlig eindeutig aus dem Wortlaut und ist keiner erweiternden Auslegung zugänglich. Abgesehen
davon ist §
256a SGB V nicht anwendbar auf Fälle, in denen die Beiträge und Säumniszuschläge bereits gezahlt worden sind. Eine Erstattung ist insoweit
mit Blick auf das Ziel der Vorschrift der Reduzierung von Beitragsrückständen weder erforderlich noch geeignet (so die Gesetzesbegründung,
vgl BT-Drs 17/13947 S 29). Entscheidend ist daher der Versichertenstatus der Klägerin im streitigen Zeitraum. Ab 29.12.2009
bestand eine Mitgliedschaft in der KVdR. Die Voraussetzungen der KVdR nach §
5 Abs
1 Nr
11 SGB V (Voraussetzungen für einen Rentenanspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt, Rente beantragt, 9/10-Belegung
in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens) sind ab dem Tag Rentenantragstellung am 29.12.2009 unstreitig erfüllt. §
5 Abs
8a Satz 1
SGB V regelt das Konkurrenzverhältnis, wenn mehrere Versicherungstatbestände erfüllt sind. Danach ist nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V nicht versicherungspflichtig, wer nach §
5 Abs
1 Nr
1 bis
12 SGB V versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach §
10 SGB V (Familienversicherung) versichert ist. Die Auffang-Pflichtversicherung ist also nachrangig zu allen anderen Versicherungstatbeständen
und wird hier von der Pflichtmitgliedschaft in der KVdR verdrängt. Entsprechend hat die Beklagte auch völlig zutreffend der
DRV die Mitgliedschaft in der KVdR ab 29.12.2009 gemeldet.
Nichts Anderes ergibt sich aus den von der Klägerin übersandten Einheitlichen Grundsätzen der Spitzenverbände. So bezieht
sich der von der Klägerin markierte Text in § 2 Abs 1 zum Nacherhebungszeitraum eindeutig auf die Zeit der Versicherungspflicht
nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V und nicht unabhängig davon auf den Zeitraum bis zum Ende des Monats, der dem Tag der Anzeige vorhergeht. Denn es geht stets
und allein um die Versicherungspflicht nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V. Gleiches gilt für das Besprechungsergebnis vom 17.12.2013. Soweit hier die Rede von Rentnern ist, bezieht sich dies allein
auf Versicherungspflichtige nach §
5 Abs
1 Nr
13 SGB V mit Rentenbezug. Das sind solche Rentner, die die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der KVdR nicht erfüllen, insbesondere
wegen fehlender Vorversicherungszeiten. Für Mitglieder in der KVdR haben diese Ausführungen keine Relevanz.
Mithin haben die Beklagten mit Bescheid vom 22.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2017/06.06.2018
den Erlass der Beiträge auch für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.11.2013 nach §
256a SGB V zu Recht abgelehnt.
Zwar haben die Beklagten auch einen Erlass der unverjährten Beiträge zur KVdR vom 01.01.2011 bis zum 30.11.2013 gemäß §
76 Abs
2 Satz 1 Nr
3 SGB IV abgelehnt. Jedoch hat die Klägerin gegen die Beklagten weder einen Anspruch auf Erlass dieser Beiträge nach §
76 Abs
2 Satz 1 Nr
3 SGB IV noch auf eine diesbezügliche ermessensfehlerfreie Entscheidung. Denn die Beklagten sind für eine Entscheidung über den Erlass
von Beiträgen zur KVdR nach §
76 Abs
2 Nr
3 SGB IV nicht zuständig.
Gemäß §
76 Abs
1 SGB IV sind Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Nach §
76 Abs
2 Satz 1 Nr
3 SGB IV darf der Versicherungsträger Ansprüche nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre;
unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beiträge erstattet oder angerechnet werden. Von dem Grundsatz
der rechtzeitigen und vollständigen Erhebung der Einnahmen (§
76 Abs
1 SGB IV) kann daher nur unter den engen Voraussetzungen des §
76 Abs
2 SGB IV abgewichen werden. Ob der Versicherungsträger von dieser Ermächtigung Gebrauch macht, steht in seinem Ermessen ("darf"; vgl
Borrmann in Hauck/Noftz,
SGB IV, §
76 Rn 5; von Boetticher in jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl 2016, § 76 Rn 21; ferner BSG 04.03.1999, B 11/10 AL 5/98 R, SozR 3-2400 § 76 Nr 2 mwN; LSG Nordrhein-Westfalen 23.01.2019, L 3 R 59/15). Zuständig für die Entscheidungen nach §
76 Abs
2 SGB IV ist der "Versicherungsträger" (vgl auch die Regelung über die Zuständigkeit der Einzugsstelle betreffend Ansprüche auf den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag iSd §
28d SGB IV §
76 Abs
3 Satz 1
SGB IV). Hinsichtlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zur KVdR ist die Beigeladene und nicht die Beklagte Versicherungsträger
iSd §
76 Abs
2 Satz 1
SGB IV. Dies folgt aus der Regelung des §
255 SGB V.
Gemäß §
255 Abs
1 Satz 1
SGB V sind Beiträge, die Versicherungspflichtige aus ihrer Rente nach §
228 Abs
1 Satz 1
SGB V zu tragen haben, von den Trägern der Rentenversicherung bei der Zahlung der Rente einzubehalten und zusammen mit den von
den Trägern der Rentenversicherung zu tragenden Beiträgen an die Deutsche Rentenversicherung Bund für die Krankenkassen mit
Ausnahme der landwirtschaftlichen Krankenkasse zu zahlen. Bei einer Änderung in der Höhe der Beiträge ist die Erteilung eines
besonderen Bescheides durch den Träger der Rentenversicherung nicht erforderlich (§
255 Abs
1 Satz 2
SGB V). Nach §
255 Abs
2 Satz 1
SGB V sind für den Fall, dass bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen nach §
255 Abs
1 SGB V unterblieben ist, die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente
einzubehalten; §
51 Abs
2 SGB I gilt entsprechend. Wird die Rente nicht mehr gezahlt, obliegt der Einzug von rückständigen Beiträgen der zuständigen Krankenkasse
(§
255 Abs
2 Satz 2
SGB V). Der Träger der Rentenversicherung haftet mit dem von ihm zu tragenden Anteil an den Aufwendungen für die Krankenversicherung
(§
255 Abs
2 Satz 3
SGB V). Gemäß §
255 Abs
3 Satz 4
SGB V leitet die Deutsche Rentenversicherung Bund die Beiträge nach §
255 Abs
1 und
2 SGB V an den Gesundheitsfonds weiter und teilt dem Bundesversicherungsamt bzw Bundesamt für Soziale Sicherung bis zum 15. des Monats
die voraussichtliche Höhe der am letzten Bankarbeitstag fälligen Beträge mit.
Die Vorschrift des §
255 SGB VI regelt die Zahlung der Beiträge von versicherungspflichtigen Personen aus der Rente also in der Weise, dass die Rentenversicherungsträger
die Beiträge aus den Renten einbehalten und mit ihrem eigenen Anteil abführen (Quellenabzugsverfahren; vgl BSG 31.03.2017, B 12 R 6/14 R, SGb 2018, 368; Beck in Kasseler Kommentar, Stand September 2020, §
255 SGB V Rn 2; Mecke in Becker/Kingreen,
SGB V, 7. Aufl 2020, §
255 Rn 1). Die von dem jeweils zuständigen Rentenversicherungsträger einbehaltenen Beiträge werden nicht an die jeweilige Mitgliedskrankenkasse
des Rentners, sondern an die DRV Bund gezahlt. Diese leitet die Beiträge sodann an den Gesundheitsfond weiter. Mithin sind
die Mitgliedskrankenkassen nicht mit der Einziehung, dh der Erhebung iSd §
76 Abs
1 SGB IV, der Beiträge betraut.
Hinsichtlich des Einbehalts der Beiträge nach §
255 Abs
1 SGB V ist bei Rentnern, die in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, für die Entscheidung über die Tragung
und Höhe der aus der Rente zu zahlenden Pflegeversicherungsbeiträge der Rentenversicherungsträger und nicht die Pflegekasse
sachlich zuständig (BSG 29.11.2006, B 12 RJ 4/05 R, BSGE 97, 292 unter Aufgabe von BSG 06.11.1997, 12 RP 1/97, BSGE 81, 177). Gleiches gilt für die Entscheidung über die Tragung und Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 21.01.2009, B 12 R 11/06 R, SozR 4-2500 § 241a Nr 2 mwN). Weiterhin ist auch hinsichtlich des nachträglichen Einbehalts der Beiträge nach §
255 Abs
2 Satz 1
SGB V der Rentenversicherungsträger, solange die Rente gezahlt wird, für den Beitragseinhalt und die damit verbundenen Entscheidungen
zuständig (vgl BSG 31.03.2017, B 12 R 6/14 R, SGb 2018, 368). Nach dieser Rechtsprechung ist der Rentenversicherungsträger bei einer Einbehaltung der Krankenversicherungsbeiträge aus
der Rente gleichzeitig für die Entscheidung über Beitragspflicht, Beitragshöhe und Beitragstragung sachlich zuständig ist,
sofern nicht aufgrund von Sonderregelungen diese Aufgabe einem anderen Versicherungsträger übertragen ist (zuletzt BSG 31.03.2017, B 12 R 6/14 R, SGb 2018, 368). Die Krankenkasse entscheiden (gegenüber dem Versicherten) nur über die Mitgliedschaft in der KVdR und auch dies nur, wenn
darüber Streit besteht.
Mithin ist es nach §
255 Abs
1 und Abs
2 Satz 1
SGB V Aufgabe der Rentenversicherungsträger, die von den Renten einzubehaltenden Beiträge rechtzeitig und vollständig zu erheben.
Damit umfasst die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nach §
255 Abs
1 und Abs
2 Satz 1
SGB V auch die Zuständigkeit für eine Entscheidung nach §
76 Abs
2 Satz 1
SGB IV. In der Sache hat dies die Beigeladene selbst so gesehen, indem sie aufgrund der Regelung des §
76 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGB IV in die Prüfung einer Stundung eingetreten ist (vgl Schreiben vom 24.02.2017 und 23.05.2017). Ob die Regelung des §
76 Abs
2 Satz 1 Nr
3 SGB IV neben der Regelung des § 255 Abs 2 Satz 1 i.V.m. §
51 Abs
2 SGB I, die wirtschaftlichen Härtefällen Rechnung trägt und von der Beigeladenen beachtet worden ist, überhaupt Anwendung finden
kann, lässt der Senat offen (vgl Plagemann, FD-SozVR 2017, 395325).
Vorliegend stand und steht die Klägerin im Rentenbezug, sodass die Beigeladene für den Einbehalt der Beiträge für die hier
streitige Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.11.2013 nach §
255 Abs
2 Satz 1
SGB V zuständig ist. Dagegen sind die Beklagten nicht berechtigt, die hier streitigen Beiträge zur KVdR nach §
76 Abs
2 Nr
3 SGB IV zu erlassen. Demnach scheidet ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus.
Ob die Klägerin gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Erlass der Beiträge zur KVdR für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum
30.11.2013 hat, braucht der Senat nicht prüfen. Ein solcher Anspruch ist nicht Gegenstand der angefochtenen Bescheide. Im
Übrigen hat die Beigeladene darüber bisher nicht entschieden. Eine Verurteilung der Beigeladenen nach §
75 Abs
5 SGG scheidet aus (vgl BSG 25.03.2004, B 12 AL 5/03 R, NZS 2005, 324; ferner Bundesverfassungsgericht 07.02.2007, B 1 BvR 3/04, NZS 2007, 487).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Außergerichtliche Kosten sind der Beigeladenen, die keinen Antrag gestellt hat, nicht zu erstatten.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG) liegen nicht vor.