Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für die Präimplantationsdiagnostik
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte den Klägern die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID)
und die Durchführung einer retroproduktionsmedizinischen Behandlung mittels In-Vitro-Fertilisierung (IVF nach ICSI) als Sachleistung
zu gewähren hat.
Der am 1972 geborene Kläger zu 1) und die am 1975 geborene Klägerin zu 2) sind verheiratet und bei der Beklagten versichert.
Sie sind beide Träger einer Mutation im GLDC-Gen, die zu einer autosomal rezessiv vererbten ketotischen Hyperglycinämie führen
kann. Die Kläger sind Eltern zweier Kinder, wobei eines der Kinder an der autosomal rezessiv vererbten ketotischen Hyperglycinämie
leidet. Neben diesen beiden Kindern hatte die Klägerin zu 2) bereits eine Fehlgeburt, zwei Schwangerschaften wurden nach pränataler
Diagnostik abgebrochen, da der Fötus jeweils von der Erbkrankheit betroffen war.
Unter Vorlage der den Verwaltungsakten der Beklagten nicht beigefügten Unterlagen der PD Dr. P. und der Dr. K., Praxis für
Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Kinderwunsch im Zentrum, M., vom 21. Dezember 2011 wandten sich die
Kläger an die Beklagte und begehrten die Kostenübernahme für eine PID und IVF/ICSI-Behandlung. Die Beklagte erhob das Gutachten
des Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 29. Dezember 2011, der in seinem Gutachten
angab, dass ein Kostenvoranschlag in Höhe von € 2.998,16 für die PID, über € 1.992,68 für jeden weiteren Zyklus und in Höhe
von € 1.028,33 für den Behandlungsanteil der Klägerin zu 2) für die IVF/ICSI-Behandlung vorliege und zusätzlich Kosten für
Hormonbestimmungen, Medikamente und Anästhesie in Höhe von ca. € 3.000,00 anfielen, und zu dem Ergebnis kam, dass die medizinischen
Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Eine IVF nach ICSI sei nur dann zu Lasten der Krankenkasse möglich,
wenn ein unerfüllter Kinderwunsch vorliege und eine männliche Infertilität bestehe. Dies sei hier nicht der Fall. Eine Schwangerschaft
könne auch auf natürliche Weise zu Stande kommen. Im Falle einer Schwangerschaft könne die als medizinisch zweckmäßige und
notwendig anzusehend pränatale Diagnostik entweder als Chorionzottenbiopsie oder im Rahmen einer Amniozentese durchgeführt
werden. Sowohl diese Untersuchung als auch die nachfolgenden humangenetischen Untersuchungen an gewonnenem Biopsiematerial
seien Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Durch diese Diagnostik sei es möglich, vor Austragung der Schwangerschaft
eine präzise Information über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der Erbkrankheit beim Fötus zu erhalten. Auf Basis der
humangenetischen pränatalen Diagnostik wäre ggf. auch eine Schwangerschaftsunterbrechung aus medizinischen Gründen zu rechtfertigen
und Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine lebensbedrohliche Erkrankung der Klägerin zu 2) selbst liege nicht
vor und werde bei Nichtanwendung der Methode auch nicht eintreten.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2012 lehnte die Beklagte mit an den Kläger zu 1) gerichtetem Bescheid die Kostenübernahme ab.
Dagegen legte der Kläger zu 1) Widerspruch ein. Er machte geltend, dass ihnen als Eltern nicht zugemutet werden könne, nochmals
ein lebensfähiges, von der Krankheit betroffenes Kind abzutreiben. Abgesehen davon, dass auch dies erhebliche Kosten verursache,
sei eine Abtreibung für sie körperlich und psychisch nicht mehr zu ertragen. Wenn sie noch einmal eine Schwangerschaft auf
dem normalen Weg versuchen sollten, würden sie eine Abtreibung nicht in Erwägung ziehen. Die Kosten, die ein krankes Kind
verursachen würde, seien viel höher als die Kosten, die die PID verursachen würde. Im Übrigen sei die PID durch den Gesetzgeber
nicht mehr verboten und bei Familien wie ihnen sei es durchaus sinnvoll, diese auch anzuwenden. Die Beklagte holte hierzu
eine erneute Stellungnahme des MDK ein. Dr. S. wies unter dem 2. Mai 2012 unter Bezugnahme auf das Vorgutachten ebenfalls
darauf hin, dass im Rahmen einer weiteren Schwangerschaft ab der zehnten Schwangerschaftswoche eine Chorionenzottenbiospie
und ab der 15. Schwangerschaftswoche eine Fruchtwasseruntersuchung möglich sei, die jeweils Gebührenordnungspositionen des
Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) darstellten. Mit an den Kläger zu 1) gerichtetem Widerspruchsbescheid vom 21. Mai
2012 wies der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss den Widerspruch zurück. Die Grundvoraussetzungen für die Kostenübernahme
für künstliche Befruchtungen lägen bei den Klägern schon deshalb nicht vor, weil sie bereits zwei Kinder hätten. Beim Eintreten
von natürlichen Schwangerschaften scheide eine künstliche Befruchtung generell aus. Nachdem die Grundvoraussetzungen bereits
verneint werden müssten, komme auch die Kostenübernahme für die PID nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
in Betracht. Ihre, der Beklagten, Entscheidung werde durch den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Januar
2007 - L 8/14 KR 314/04 - in [...], auf den verwiesen werde, ausdrücklich bestätigt.
Deswegen erhob der Kläger zu 1) unter Vorlage einer Stellungnahme der Fachärztin für Humangenetik Prof. Dr. H.-F., Medizinisch
Genetisches Zentrum M., vom 9. Februar 2012, die an die Familie des Klägers zu 1) gerichtet ist und die Klägerin zu 2) anspricht
und in der insbesondere der Verweis auf eine weitere Schwangerschaft auf Probe mit einem Schwangerschaftsabbruch kritisiert
und statt dessen auf die Möglichkeit der PID verwiesen wird, Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Auf Nachfrage des SG teilte der Kläger zu 1) mit, dass er die Übernahme der Kosten für eine PID und für eine künstliche Befruchtung nach IVF/ICSI
begehre. Es gehe ihm und der Klägerin zu 2) nicht darum, ein Wunschkind zu zeugen. Sie wollten ein gesundes Kind. Es sei nicht
zu verantworten, dies noch einmal auf normalem Weg zu versuchen. Ein neues Baby, würde, wenn sie ihren Sohn verlieren würden,
was bei der Klägerin zu 2) zu einer tiefen Depression führen würde, etwas Halt geben.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie verwies auf ihren Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2012 und sah sich weiterhin durch
den Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Januar 2007 (a.a.O.) bestätigt.
Das SG hörte PD Dr. P. und Prof. Dr. H.-F. als sachverständige Zeuginnen. Die Ärztinnen bestätigten in ihren Auskünften jeweils
vom 24. September 2012, dass die Kläger Träger einer Mutation im GLDC-Gen seien. Die IVF/ICSI-Therapie und die nachfolgende
PID sollten ambulant erfolgen. Prof. Dr. H.-F. wies ergänzend darauf hin, dass die Kläger eine hohe psychische Belastung durchlaufen
hätten und das Wiederholungsrisiko mit 25 von Hundert (v.H.) anzugeben sei.
Mit Urteil vom 9. November 2012 wies das SG die Klage ab. Die nur seitens des Klägers zu 1) erhobene Klage sei dahingehend auszulegen, dass er auch für die Klägerin
zu 2) Klage erhoben habe. Es seien die Gesamtkosten der IVF/ICSI-Behandlung und der PID, wie sie für beide Kläger entstehen
würden, geltend gemacht worden. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger zu 1) bestätigt, dass er bei Klageerhebung auch
in Vollmacht für die Klägerin zu 2) gehandelt habe. Die Klägerin zu 2) habe die durch den Kläger zu 1) erhobene Klage auch
für sich als erhoben wissen wollen. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Für die Übernahme der Kosten IVF/ICSI-Behandlung
lägen die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vor. Bei den Klägern liege eine Krankheit im Sinne des §
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) nicht vor. Als Rechtsgrundlage komme allenfalls §
27a Abs.
1 SGB V in Verbindung mit §
92 SGB V und den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung - vom 14.
August 1990, geändert am 21. Juli 2011 und zuletzt mit Blick auf die Zählweise der Behandlungsversuche geändert am 18. Oktober
2012 - (Richtlinien über künstliche Befruchtung) in Betracht. Im Falle der Kläger fehle es bereits an der medizinischen Erforderlichkeit
der Durchführung der IVF bzw. ICSI. Denn dies sei nur dann der Fall, wenn die Maßnahmen nötig seien zur Überwindung einer
Unfruchtbarkeit. Eine Unfruchtbarkeit in diesem Sinne bestehe bei den Klägern nicht. Die bereits vorhandenen gemeinsamen Kinder
sowie die weiteren Schwangerschaften belegten, dass Kinder durch die Eheleute auf natürlichem Wege gezeugt werden könnten.
Die Regelung des §
27a Abs.
1 SGB V könne auch nicht im Wege der Analogie auf die Fälle angewandt werden, in denen ungewollt - wie hier zu 25 v.H. - kein gesundes
Kind auf natürlichem Weg gezeugt werden könne. Denn nach den Gesetzgebungsmaterialien handele es sich bei § 27a SG V um eine abschließende Ausnahmevorschrift, die demgemäß eng auszulegen sei. Mit der Änderung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG), insbesondere dessen § 3a Abs. 3, wonach in bestimmten Ausnahmefällen eine PID nicht mehr unter Strafe gestellt werde, hätte der Gesetzgeber reagieren und
die Regelung des §
27a SGB V ändern können, um über die künstliche Befruchtung auch eine PID zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu ermöglichen.
Dies habe er nicht getan. Solange der Gesetzgeber diese Entscheidung nicht treffe, fehle es an einer Rechtsgrundlage für die
Durchführung der IVF und ICSI, in denen kein Fall der Infertilität vorliege. Für die Kostenübernahme der beabsichtigten PID
fehle es überhaupt an einer gesetzlichen Grundlage. Diese hätte mit der Neuregelung des ESchG für die in dessen in § 3a Abs. 3 ESchG genannten Ausnahmefälle im
SGB V geschaffen werden können. Dies sei jedoch nicht geschehen. Da der Gesetzgeber in Fällen, in denen keine Krankheit (im Sinne
des §
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.1
SGB V) vorliege, einen weiten gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum habe, welche Kosten von der Krankenkasse übernommen würden,
sei dies mit der Verfassung vereinbar. Auch wenn man die PID als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode einstufen würde,
sei die Beklagte zur Kostenübernahme nicht verpflichtet, denn der GBA habe diese Behandlungsmethode nicht positiv in seiner
Richtlinie aufgenommen. Ein Grund für ein Systemversagen des GBA sei nicht zu erkennen. Die PID sei erst über die Änderung
des ESchG durch Gesetz vom 21. November 2011 (BGBl. I, S. 2228) in besonderen Ausnahmefällen in Deutschland nicht mehr unter Strafe gestellt. Hieraus könne im Umkehrschluss nicht geschlossen
werden, dass sie deshalb zu Lasten der Krankenversicherung durchgeführt werden können müsse, und schon gar nicht innerhalb
eines Jahres, nachdem die ausnahmslose Strafbarkeit dieser Methode relativiert worden sei.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger am 23. November 2012 Berufung beim SG eingelegt. Sie wiederholen ihr bisheriges Vorbringen und verweisen darauf, dass, wenn der Gesetzgeber die PID bei Erbkrankheiten
nicht mehr verbiete, er auch klären solle, wer die Kosten zu tragen habe. Diese wären für jede einzelne Familie zu hoch, um
sie selbst zahlen zu können. Es wäre auch im Interesse der Krankenkassen, da die Folgekosten im Falle eines krank geborenen
Kindes viel höher seien.
Die Kläger beantragen (sachgerecht gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
16. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2012 zu verurteilen, ihnen eine Präimplantationsdiagnostik
sowie eine In-Vitro-Fertilisation als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte
sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Kläger, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist nach §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG statthaft. Ausweislich der Angaben des Dr. W. in seinem Gutachten vom 29. Dezember 2011 belaufen sich schon die Kosten der
begehrten PID, des Behandlungsanteils der Klägerin zu 2) für die IVF/ICSI-Behandlung und für die Hormonbestimmung etc. auf
über € 9.000,00, womit der Wert des Beschwerdegegenstands von mehr als € 750,00 (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) überschritten ist.
Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet.
Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, war die Klage dahingehend auszulegen, dass auch die Klägerin zu 2) Klage erhoben hat. Zwar war der
Bescheid vom 16. Januar 2012 nur an den Kläger zu 1) gerichtet. Auch hat nur der Kläger zu 1) Widerspruch eingelegt. Er hat
jedoch bereits in der Widerspruchsbegründung auch auf die Interessen der Klägerin zu 2) hingewiesen. Im Widerspruchsbescheid
vom 21. Mai 2012, der ebenfalls nur an den Kläger zu 1) gerichtet ist, führte die Beklagte aus, dass die Grundvoraussetzungen
für die Kostenübernahme für künstliche Befruchtungen bei den Klägern nicht vorlägen. Die Klägerin zu 2) ist damit auch rechtsbetroffen,
denn es wurden auch die Sachleistungen abgelehnt, die für Behandlungen an ihrem Körper anfallen. Etwas anderes ergibt sich
auch nicht deshalb, weil nur der Kläger zu 1) ausdrücklich Klage erhob, denn der Kläger zu 1) handelte hierbei - wie in der
mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. November 2012 klargestellt wurde - auch für die Klägerin zu 2), die ihn hierzu bevollmächtigt hatte. Volljährige Familienangehörige,
wozu Ehegatten gehören, sind als Bevollmächtigte vor dem SG und dem Landessozialgericht gemäß §
73 Abs.
2 Nr.
2 SGG vertretungsbefugt. Eine Vollmacht kann bei Ehegatten gemäß §
73 Abs.
6 Satz 3
SGG unterstellt werden.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2012 ist jedoch rechtmäßig
und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Es besteht weder Anspruch auf Leistung der PID (hierzu 1.) noch der In-Vitro-Fertilisation
(hierzu 2.).
Der Senat geht davon aus, dass die von den Klägern begehrten Leistungen bislang nicht durchgeführt sind und deshalb das Begehren
der Kläger auf "Kostenübernahme" nicht auf Kostenerstattung gerichtet ist, sondern darauf, dass die Beklagte ihnen die begehrten
Leistungen als Sachleistungen (§
2 Abs.
2 Satz 1
SGB V) gewährt. Ferner geht der Senat davon aus, dass die von den Klägern begehrten Leistungen ambulant durchgeführt werden sollen,
wie dies die vom SG als Sachverständige Zeugen gehörten Ärztinnen PD Dr. P. und Prof. Dr. H.-F. angaben.
1.
Die von den Klägern begehrte Leistung der PID unterfällt weder den Anspruchsregelungen der §§
25,
26 SGB V als Maßnahme der Früherkennung (hierzu a)), noch stellt sie eine Maßnahme der Krankenbehandlung nach §
27 SGB V dar (hierzu b)). Die begehrten Leistungen sind auch nicht nach §
27a SGB V zu gewähren (hierzu c)) und es liegt insoweit auch kein Systemmangel vor (hierzu d)).
a) Anspruch auf Früherkennungsuntersuchungen nach §§
25,
26 SGB V haben bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen lebende Versicherte (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 7. August 2008
- L 4 KR 259/07 -, in [...]; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2012 - L 5 KR 2538/10 -, nicht veröffentlicht). Die PID dient im Vorfeld der Entscheidung über eine künstliche Befruchtung dem möglichen Ausschluss
einer Befruchtung von genetisch belasteten Eizellen mit genetisch belasteten Spermien. Die PID soll die Zeugung eines kranken
Kindes und damit gegebenenfalls eine zum Abbruch führende Schwangerschaft oder eine schwerwiegende Gesundheitsstörung beim
Embryo verhindern. Sie findet weder am Körper des Klägers zu 1) noch der Klägerin zu 2) aber auch nicht bei einem schon gezeugten
Embryo statt, weshalb §§
25,
26 SGB V schon deshalb, weil die Untersuchung nicht an einem lebenden Körper stattfindet, den Anspruch der Kläger auf Durchführung
einer PID nicht stützen.
b) Die PID stellt auch keine Maßnahme der Krankenbehandlung im Sinne des §
27 SGB V dar. Nach §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGB V ärztliche Behandlung durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§
76 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Krankheit im Sinne dieser Vorschrift ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder
Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (ständige Rechtsprechung, z.B.
Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 3/03 R - und vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R -, jeweils in [...]). Eine Krankenbehandlung ist hierbei notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand
behoben, gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (ständige
Rechtsprechung seit BSG, Urteil vom 28. April 1967 - 3 RK 12/65 -, in [...]). Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in den Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die
anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1998 - B 1 KR 18/96 R -; Urteil vom 13. Juli 2004 - B 1 KR 11/04 R -; Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R -, alle in [...]). Die bei den Klägern bestehende Genmutation stellt, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, keine Krankheit in diesem Sinne dar. Der Gendefekt selbst ist erkannt, er bedarf bei den Klägern
keiner Behandlung und er macht sie auch nicht arbeitsunfähig. Auch die PID vermag bei den Klägern diese Genmutation weder
zu heilen, noch ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die PID ist keine Maßnahme mit Therapiecharakter,
sondern eine solche, die ausschließlich dazu dient, erbgesunde Zellen aufzufinden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht mit
Blick auf das Kind. Bei Durchführung der PID ist noch kein Kind gezeugt, weshalb auch noch keine Krankenbehandlung an ihm
stattfinden kann.
c) Die Übernahme der Kosten der PID kann auch nicht auf §
27a SGB V gestützt werden. Das
SGB V regelt in §
27a Abs.
1 und
3 Satz 1
SGB V, dass medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu den Sachleistungen der Krankenbehandlung gehören,
wenn u.a. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind und nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht
besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird. Die Voraussetzungen hat der GBA auf der Grundlage
der gesetzlichen Ermächtigung in § 27a Abs. 4 i.V.m. §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
10 und i.V.m. §
135 Abs.
1 SGB V erlassenen Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung näher definiert. Nach Nr. 11.3 der Richtlinien
gelten als medizinische Indikationen zur Durchführung einer IVF, teilweise unter Vorliegen weiterer Voraussetzungen, eine
Tubenamputation, ein Tubenverschluss, ein tubarer Funktionsverlust, eine Sterilität und eine Subfertilität des Mannes. Diese
Indikationen für die Durchführung einer IVF-Behandlung erfüllen die Kläger nicht. Denn die Klägerin zu 2) ist bereits fünfmal
auf natürlichem Weg schwanger geworden und hat auch bereits zwei Kinder geboren. Die im Vorfeld der künstlichen Befruchtung
durchzuführende PID soll nicht deshalb erfolgen, weil nur auf diesem Weg bei der Klägerin zu 2) eine Schwangerschaft herbeizuführen
ist, sondern weil die Möglichkeit der PID die Chance bietet, durch eine mögliche Selektion erbgesunder Zellen und die nachfolgende
Implantation die Chance der Kläger auf die Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen. Dies stellt keine Indikation für die Durchführung
einer künstlichen Befruchtung mittels IVF dar. Damit scheidet §
27a SGB V auch als Anspruchsgrundlage für die von den Klägern im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung begehrte Übernahme der
Kosten für die PID aus.
Abgesehen davon wären die Kosten der PID auch für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen für eine IVF nicht nach §
27a Abs.
1 SGB V zu übernehmen, denn die PID gehört nicht zu den Maßnahmen, die im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung in Betracht
kommen. In den Richtlinien über künstliche Befruchtung ist unter Nr. 12 der Umfang der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit
der künstlichen Befruchtung in Betracht kommen, abschließend aufgezählt. Hierbei ist die PID nicht erwähnt. Eine Analogie
kommt nicht in Betracht. Hiervon ist auch nicht deshalb abzugehen, weil nach § 3a Abs. 3 ESchG in der Fassung vom 21. November 2011, gültig ab 8. Dezember 2011, nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen die PID nicht
mehr strafbar ist. Der Gesetzgeber hat insoweit nur eine Regelung mit Blick auf die Strafbarkeit getroffen. Bezüglich der
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgte im
SGB V keine Änderung. Die Frage, ob die PID vorliegend in Deutschland strafrechtlich bewehrt ist oder nach Maßgabe des § 3a Abs. 2 ESchG als nicht rechtswidrig durchgeführt werden kann, ist von der Frage nach dem aus §
27a SGB V resultierenden Anspruch auf Maßnahmen der Befruchtungsmedizin zu trennen. Nach §
27a SGB V schuldet die beklagte Krankenkasse nur diejenigen Maßnahmen, die zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich sind,
nicht aber solche, die sich darüber hinaus auf die Geburt eines gesunden Kindes richten. Eine erweiternde Auslegung des §
27a SGB V oder des §
27 SGB V im klägerischen Sinne scheidet aus. Die einen ethisch-rechtlich umstrittenen Sachverhalt betreffende Entscheidung, ob über
die Änderung des ESchG hinaus krankenversicherungsrechtlich ein Anspruch für die PID unter welchen Voraussetzungen auch immer bestehen soll, bedarf
einer eindeutigen gesetzgeberischen Entscheidung. Eine solche Entscheidung wäre - wie auch die Kläger vortragen - wünschenswert,
liegt aber tatsächlich nicht vor. Allein die Tatsache, dass eine bestimmte Untersuchungsmethode nicht strafbar ist, hat nicht
zwingend zur Folge, dass in diesem Fall die Krankenkasse dann auch diese Untersuchungsmethode zu gewähren hat. Es gibt eine
Vielzahl von Untersuchungsmethoden, die nicht strafbewehrt sind, die aber dennoch nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
durchzuführen sind, sondern vom Einzelnen selbst zu tragen sind.
d) Ein Leistungsanspruch der Kläger ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Systemmangels. Danach kann eine Leistungspflicht
der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen
ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen
nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde ("Systemversagen"). Ein derartiger Systemmangel wird angenommen, wenn das
Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht
ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2010 - B 1 KR 10/09 R -, in [...]). Voraussetzung für die Annahme eines Systemmangels ist, dass die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode
der Behandlung einer Krankheit dient. Letzteres ist im Zusammenhang mit der PID indessen nicht der Fall. Wie bereits ausgeführt
(vgl. 1. b)) stellt die PID keine Maßnahme der Krankenbehandlung dar. Ein Systemmangel kommt deshalb von vornherein nicht
in Betracht.
2.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung der IVF nach ICSI als Sachleistung. Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit
allein §
27a SGB V in Betracht. Wie ebenfalls bereits ausgeführt (vgl. 1. cc) liegt bei den Klägern keine Indikation für die Durchführung einer
künstlichen Befruchtung vor, da die Klägerin zu 2) nicht ungewollt schwanger ist. Die künstliche Befruchtung soll nicht wegen
einer Fertilitätsstörung der Kläger, sondern ausschließlich deshalb erfolgen, weil allein die im Zusammenhang mit der Befruchtung
durchzuführende PID die Möglichkeit eröffnet, für die Implantation erbgesunde Zellen aufzufinden und damit die Chance zur
Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen. Maßnahmen, die sich auf die Geburt eines gesunden Kindes richten, schuldet die Beklagte
nicht.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.