Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren.
Der Kläger ist als Radiologe und Nuklearmediziner zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Unter dem 18.4.2006 erließ
die Beklagte einen Bescheid über die sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechungen des Klägers für die Quartale
1/03 bis 4/04. Dem Kläger wurde aufgegeben, Honorar in Höhe von 154.714,43 € zurückzuzahlen. Zur Begründung führte die Beklagte
aus, der Ansatz näher bezeichneter Gebührennummern des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM 96; Geb.-Nrn. 5095, 5160 und
6050) entspreche nicht der Leistungslegende (Nr. 5095: Röntgenuntersuchung natürlich oder krankhaft entstandener Gangsysteme,
Höhlen oder Fisteln, z.B. Sialographie, Galaktographie, Kavernosographie, Vesikulographie, retrograde Urographie; Nr. 5160:
Durchleuchtungen, BV/TV; Nr. 6050: Einbringung des Kontrastmittels in ein Gelenk oder zur Röntgendarstellung natürlicher oder
fehlerhaft entstandener Gänge, Gangsysteme, Höhlen oder Fisteln, ggf. intraoperativ, zusätzlich zu den Leistungen nach den
Nrn. 5036, 5037, 5081, 5082, 5083 oder 5095). Die in Rede stehenden Gebührennummern könnten nur bei diagnostischen Untersuchungen
abgerechnet werden. Die Behandlungsweise des Klägers stelle eine diagnostische Untersuchung jedoch nicht dar. Sein Vorgehen
umschreibe die Kontrolle der Nadellage sowie weitere Darstellungen, die zur Durchführung der Radiosynoviorthese notwendig
seien. Damit habe der Kläger die Leistungen zum einen in ihrem Einsatzzweck fehlangewendet; zum anderen hätten sie nach den
allgemeinen Bestimmungen des EBM ohnehin nicht zusätzlich zur Geb.-Nr. 7070 (Radiosynoviorthese oder Behandlung von Geschwülsten
und/oder Geschwulstmetastasen in einer Körperhöhle oder einem Hohlorgan, einschl. der erforderlichen Kontrollmessungen) abgerechnet
werden dürfen.
Der Kläger beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Dieser erhob namens und in Vollmacht des
Klägers (Vollmacht vom 28.3.2006) mit Schriftsatz vom 16.5.2006 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006;
eine Widerspruchsbegründung legte er nicht vor.
Mit Schreiben (ebenfalls) vom 16.5.2006 legte der Kläger der Beklagten unter Bezugnahme auf ein mit ihr geführtes Telefongespräch
einen Schriftsatz vor, der in einem hinsichtlich der streitigen Fragen nach Auffassung des Klägers vergleichbaren Rechtsstreit
vor dem Sozialgericht Düsseldorf zwischen Radiologen und der KV N. von einem anderen Rechtsanwalt verfasst worden war. Außerdem
erläuterte er sein Behandlungs- und Abrechnungsverhalten.
Mit Bescheid vom 4.7.2006 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers ab. Die Abrechenbarkeit der Geb.-Nrn. 5095, 5160 und
6050 EBM 96 neben der Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 sei nicht ausgeschlossen. Man habe den Sachverhalt der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung zur Stellungnahme vorgelegt. Zu Gunsten des Klägers könne davon ausgegangen werden, dass unter Würdigung
der Abrechnungsmodalitäten nach dem EBM 96 die Berechnung der Geb.-Nrn. 5095, 5160 und 6050 neben der Geb.-Nr. 7070 EBM 96
nicht explizit ausgeschlossen gewesen sei. Die Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 umfasse laut Leistungslegende ausschließlich
nur die erforderlichen Kontrollmessungen. Den Formulierungen des EBM 96 könne nicht entnommen werden, dass eine vor der eigentlichen
Radiosynoviorthese durchgeführte Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei. Pro medico werde
daher der Ansatz der in Rede stehenden Geb.-Nrn. neben der Leistung nach Geb.-Nr. 7070 EBM 96 anerkannt.
Die Beklagte übernahm die Kosten des Widerspruchsverfahrens, erklärte die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren
jedoch für nicht notwendig. Zur Begründung führte sie aus, der Bevollmächtigte des Klägers habe eine Stellungnahme nicht abgegeben.
Außerdem sei der Sachverhalt lediglich medizinisch zu beurteilen gewesen.
Der Kläger legte (über seinen Bevollmächtigten) Widerspruch ein (Widerspruchsschriftsatz vom 31.7.2006). Der Widerspruch richte
sich gegen die Entscheidung, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für nicht notwendig zu erklären. Die
sachlich-rechnerische Berichtigung von Vertragsarzthonoraren sei derart kompliziert, dass der Arzt seine Rechte nicht selbst
wahrnehmen könne. Er benötige daher anwaltliche Hilfe schon bei der Entscheidung, ob er überhaupt Widerspruch einlegen solle
bzw. ob ein eingelegter Widerspruch aufrecht erhalten werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5.3.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach der Rechtsprechung
des BSG bestehe keine Notwendigkeit für die Zuziehung eines Bevollmächtigten, wenn Widerspruch ohne Begründung eingelegt und
diesem von der Behörde nach erneuter Überprüfung abgeholfen werde. Für die Widerspruchseinlegung als solche benötige der Vertragsarzt
keine anwaltliche Hilfe. Der Bevollmächtigte des Klägers habe eine Widerspruchsbegründung auch nach entsprechender Aufforderung
nicht vorgelegt. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger (dessen Bevollmächtigtem) am 7.3.2006 zugestellt.
Am 7.4.2008 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart. Zur Begründung wurde vorgetragen, ohne anwaltliche Beratung
hätte der Kläger nicht handeln können. Sein Bevollmächtigter habe umfangreiche Abklärungen und rechtliche Überprüfungen vorgenommen,
um die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18.4.2006 zu beurteilen. Dazu habe er die Abrechnungen
der Quartale 1/03 bis 4/04 überprüfen müssen. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts rechtfertige sich auch schon wegen der Höhe
des streitigen Kürzungsbetrags (154.714,13 €). Bei Widerspruchseinlegung sei nicht absehbar gewesen, dass die Beklagte abhelfen
würde, da sie bis dahin eine völlig unnachgiebige Haltung eingenommen habe und es trotz mehrerer Versuche (des Klägers) außerhalb
des Rechtsmittelverfahrens zu einer vernünftigen Entscheidung nicht gekommen sei.
Die Beklagte trug vor, nach der Rechtsprechung des BSG sei die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren
(ex ante) danach zu beurteilen, ob der Widerspruchsführer anwaltlichen Beistand im Zeitpunkt der Auftragserteilung für erforderlich
halten durfte. Das sei etwa der Fall, wenn schwierige Sach- oder Rechtsfragen beurteilt werden müssten. Für die bloße Einlegung
des Widerspruchs sei anwaltliche Hilfe aber nicht erforderlich. Der Kläger hätte zunächst selbst Widerspruch gegen den Bescheid
vom 18.4.2006 erheben können. Als er seinen Bevollmächtigten im März 2006 beauftragt habe, hätten schwierige Rechtsfragen
nicht erörtert werden müssen. Vielmehr sei allein die medizinische Beurteilung des Sachverhalts streitig gewesen. Dazu habe
sich der Kläger aber selbst äußern können und sich mit Schreiben vom 16.5.2006 - zeitgleich mit dem Widerspruchsschriftsatz
des Bevollmächtigten vom gleichen Tag - auch selbst geäußert. Eine Widerspruchsbegründung habe der Bevollmächtigte des Klägers
trotz Aufforderung nicht vorgelegt.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.10.2009 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe die
Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 18.4.2006 zu Recht nicht für notwendig
erklärt.
Gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) habe der Rechtsträger der den angefochtenen Verwaltungsakt erlassenden Behörde demjenigen, der Widerspruch erhoben habe,
die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch
erfolgreich sei. Über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten sei im Rahmen der Kostengrundentscheidung zu
befinden (§ 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X).
Maßstab für die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten sei, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs-
und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sach- und Rechtslage eines Rechtsanwaltes bedient hätte (BSG, Urt. v. 15.12.1987, -
6 RKa 21/87 -). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten sei als notwendig anzusehen, wenn es dem Beteiligten bei Beurteilung ex ante, also
im Zeitpunkt der Auftragserteilung, nach den jeweils gegebenen Verhältnissen nicht zugemutet werden könne, das Verfahren selbst
zu führen (BSG, Urt. v. 15.12.1987, aaO.; Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Auf die Gründe für den Erfolg des Widerspruchs komme es nicht an. Der Widerspruchsführer dürfe anwaltlichen Beistand
insbesondere dann für notwendig halten, wenn schwierige Sach- oder Rechtsfragen beurteilt werden müssten und sich ein Bürger
mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers deswegen vernünftigerweise eines Rechtsanwalts bediene. Die
Zuziehung eines Rechtsanwalts in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei notwendig, wenn in der Widerspruchsbegründung
nicht allein medizinische Aspekte der Behandlungsweise, sondern schwierige Sachfragen und/oder Rechtsfragen erörtert würden
(BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -). Wenn Widerspruch aber ohne nähere Begründung eingelegt werde und der Prüfungsausschuss auf Grund eigener nochmaliger
Überprüfung abhelfe, sei die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten nicht notwendig. Der formale
Akt der (bloßen) Widerspruchserhebung sei jedem Vertrags(zahn)arzt ohne anwaltliche Unterstützung zumutbar (BSG, Urt. v. 31.5.2006,
- B 6 KA 78/04 R -).
Davon ausgehend sei die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom
18.4.2006 nicht notwendig gewesen. Der Bevollmächtigte habe Widerspruch ohne Begründung erhoben und sich damit auf den formalen
Akt der Widerspruchseinlegung beschränkt. Die Gespräche zur Beilegung der Honorarstreitigkeit habe der Kläger selbst mit der
Beklagten geführt und sich dieser gegenüber auch schriftlich geäußert und ihr seine (streitige) Behandlungs- bzw. Abrechnungsweise
erläutert. Dabei habe er auf einen Anwaltsschriftsatz verwiesen, der allerdings nicht von seinem Bevollmächtigten verfasst
worden sei. Zur Vorlage dieses Schriftsatzes sei die Unterstützung eines Bevollmächtigten nicht notwendig gewesen. Die Höhe
der streitigen Honorarrückforderung begründe für sich allein die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten nicht,
da gerade bei Radiologen üblicherweise umfangreiche Honoraransprüche Verfahrensgegenstand seien. Der Kläger habe außerdem
(selbst) über den zur Klärung der streitigen Behandlungsweise notwendigen medizinischen Sachverstand und über einschlägige
Erfahrungen aus vergangenen Abrechnungsstreitigkeiten verfügt. Er hätte daher selbst den Widerspruch einlegen können.
Auf den ihm am 9.11.2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4.12.2009 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt
er ergänzend vor, der Umfang anwaltlicher Tätigkeit erschließe sich nicht zwingend aus den Äußerungen des Anwalts gegenüber
Verfahrensbeteiligten. Er (der Kläger) habe unter enger und mehrfacher Absprache und Kontaktaufnahme eine eigene Stellungnahme
verfasst, die sein Bevollmächtigter überprüft und zur Einreichung freigegeben habe. Außerdem habe sein Bevollmächtigter mit
dem Rechtsanwaltskollegen B., der Radiologen in vergleichbaren Verfahren vertreten habe, Gespräche geführt. Am 31.8.2005 habe
ihm sein Bevollmächtigter eine umfangreiche Darstellung zur aktuellen Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der streitigen Geb.-Nrn.
übermittelt, namentlich inwieweit es vorliegend darauf ankomme, ob eine vor der eigentlichen Radiosynoviorthese durchgeführte
Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei. Die Beklagte habe dem Widerspruch auch erst nach wiederholter
Prüfung abgeholfen, woraus die Schwierigkeit der Angelegenheit hervorgehe. Der Abhilfebescheid sei auch dem Bevollmächtigten
zugestellt worden, der dessen Richtigkeit habe überprüfen müssen. Sein, des Klägers, medizinischer Sachverstand sei bei der
Lösung der Abrechnungsstreitigkeit wenig hilfreich gewesen. Er habe ohne Hilfe eines Rechtsanwalts mit besonderen Kenntnissen
des Medizinrechts nicht Widerspruch einlegen können. Außerdem habe bei der Höhe des Regressbetrags auch die Gefahr eines Disziplinarverfahrens
bestanden. Im Widerspruchsverfahren hätten zudem Rechtsfragen im Hinblick auf die Anwendung der streitigen Geb.-Nrn. beurteilt
werden müssen. Nach dem anwaltlichen Gebührenrecht entstehe die (Anwalts-)Gebühr mit der Auftragserteilung, der Entgegennahme
und Überprüfung des Sachverhalts. Die Tätigkeit des Bevollmächtigten habe sich nicht in dem bloß formalen Akt der Widerspruchseinlegung
erschöpft.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.10.2009 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids
vom 4.7.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.3.2008 zu verurteilen, die Zuziehung des Bevollmächtigten für
das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006 für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt ergänzend vor, das Vorbringen des Klägers, er habe in enger und mehrfacher Absprache mit dem Bevollmächtigten eine
Stellungnahme verfasst, die dieser überprüft und für das Verfahren freigegeben habe, rechtfertige keine andere Sicht der Dinge.
Der Bevollmächtigte habe ohne weitere Begründung nur den Widerspruch eingelegt. Dies genüge für die Notwendigkeit der Zuziehung
eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren nicht. Auf das anwaltliche Gebührenrecht bzw. die Voraussetzungen für die
Entstehung einer Anwaltsgebühr komme es vorliegend nicht an; dies betreffe das Rechtsverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 18.10.2010, die Bevollmächtigte der Beklagten hat am 20.10.2010 mündlich
zur Niederschrift (Bl. 22 Rücks.LSG-Akte) erklärt, einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung werde zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die
Akten der Beklagten, des Sozialgerichts und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entschieden hat, ist gem. §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG ohne Zulassung durch das Sozialgericht statthaft.
Gem. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
SGG bedarf die Berufung der Zulassung durch das Sozialgericht oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn
der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Diese Vorschrift ist vorliegend anzuwenden, da die nach Maßgabe des § 63 SGB X zu treffende Kostengrundentscheidung, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten und die
Kostenfestsetzung eine Einheit bilden und die Beschränkung der Berufung gem. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG daher jede dieser Entscheidungen erfasst (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. V. 3.8.2009, - L 10 AS 391/09 NZB - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG und des BVerwG). Auch wenn eine Kostennote des Bevollmächtigten des Klägers
(wohl) noch nicht vorliegt, ist der Beschwerdewert von 750 € in jedem Fall überschritten, da für die Berechnung der Anwaltsgebühren
ein Gegenstandswert von 154.714,13 € (mit dem Widerspruch angefochtene Honorarkürzung) anzusetzen ist und schon die Geschäftsgebühr
nach Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsgebührengesetz (RVG) über 750 € liegt (Geschäftsgebühr 0,5 bis 2,5 der Gebühr von 1.585 €; vgl. Anlage 2 zum RVG). Die Berufung ist auch im Übrigen gem. §
151 SGG zulässig.
Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte hätte die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen
den (Honorarkürzungs-)Bescheid vom 18.4.2006 für notwendig erklären müssen.
II. 1.) Rechtsgrundlage für den zutreffend im Wege der Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist § 63 Abs. 2 SGB X. Die Vorschrift regelt die Kostenerstattungspflicht und Kostenfestsetzung im isolierten Vorverfahren, also in einem förmlichen
Rechtsbehelfsverfahren im Sinne von § 62 SGB X, an das sich - jedenfalls in der Hauptsache - kein gerichtliches Verfahren anschließt. Sie ist auf das Widerspruchsverfahren
gegen einen Bescheid über die Kürzung des Vertragsarzthonorars nach sachlich-rechnerischer Berichtigung (§ 45 Abs. 2 Satz
1 Bundesmantelvertrag-Ärzte [BMV-Ä]/§ 34 Abs. 4 Satz 1 und 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte [EKV-Ä]) anzuwenden.
Gem. § 63 Abs. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat,
die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit sein Widerspruch
erfolgreich gewesen ist (materieller Kostenerstattungsanspruch). In verfahrensrechtlicher Hinsicht verpflichtet § 63 Abs. 2 SGB X die Behörde, im Falle eines ganz oder teilweise erfolgreichen Widerspruchs eine Kostengrundentscheidung zu treffen und darin
auch zu bestimmen, ob die ggf. erfolgte Zuziehung eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten notwendig war.
Einzige tatbestandliche Voraussetzung für die gegenständliche Erstreckung der Kostengrundentscheidung auf die Gebühren und
Auslagen eines Rechtsanwalts ist die Notwendigkeit von dessen Zuziehung. Hingegen bedeutet die in § 63 Abs. 2 SGB X enthaltene Wendung "im Vorverfahren" nicht, dass ein nach § 63 Abs. 1 SGB X entstandener Kostenerstattungsanspruch im Falle der Zuziehung eines Bevollmächtigten auf bestimmte Verfahrensabschnitte begrenzt
und insbesondere ein gegebenenfalls zunächst vor der Ausgangsbehörde durchzuführendes Abhilfeverfahren davon ausgenommen wäre.
Der Begriff "Vorverfahren" in § 63 Abs. 2 SGB X bezeichnet den Verfahrensabschnitt, der mit Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs i. S .von § 62 Abs. 1 SGB X beginnt und entweder durch Abhilfe oder durch einen Widerspruchsbescheid abgeschlossen wird. Er beschreibt genau denselben
Gegenstand, für den § 63 Abs. 1 SGB X die Regelung für das "ob" der Kostenerstattung vorgibt. Die Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrensrechts unterscheiden
sich insoweit nicht von der Regelung im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht. Diesbezüglich ordnet §
72 letzter Satzteil
VwGO explizit eine Kostengrundentscheidung - auf der Grundlage von § 80 Verwaltungsverfahrensgesetz, dem § 63 SGB X nachgebildet ist - an, wenn das Widerspruchsverfahren noch vor der Ausgangsbehörde durch eine Abhilfeentscheidung endet.
Die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren ist danach zu beurteilen, ob der Widerspruchsführer
im Zeitpunkt der Beauftragung seines Bevollmächtigten es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt
unterstützt zu werden (sog ex-ante-Sicht). Dies ist der Fall, wenn es möglich erscheint, dass schwierige Sachfragen oder Rechtsfragen
eine Rolle spielen und deshalb ein Bürger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand des Widerspruchsführers sich vernünftigerweise
eines Rechtsanwalts bedient (vgl. auch BSG, Beschl. V. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Allerdings besteht für den Fall, dass ein Widerspruch ohne nähere Begründung eingelegt wird und die Behörde (bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen
der Prüfungsausschuss) auf Grund eigener nochmaliger Überprüfung dem Rechtsbehelf abhilft, keine Notwendigkeit für die Zuziehung
eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten. Der formale Akte bloßer Widerspruchserhebung ist auch jedem Vertrags(zahn)arzt
ohne anwaltliche Unterstützung zumutbar (so zu alledem BSG, Urt. V. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -; auch BSG, Beschl. V. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Ob der Bevollmächtigte im Verfahren auch Erklärungen im Namen des Vertretenen abgegeben hat, ist hingegen nicht entscheidend
(BSG, Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -).
2.) Hiervon ausgehend war die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren nach Auffassung des Senats für notwendig
zu erklären.
Gegenstand des Vorverfahrens (Widerspruchsverfahrens) war der Bescheid der Beklagten vom 18.4.2006, mit dem das Vertragsarzthonorar
des Klägers für 8 Quartale um insgesamt 154.714,43 € gekürzt worden war. Dem Kläger war vorgehalten worden, Leistungen nach
den Geb.-Nrn. 5095, 5160 und 6050 EBM 96 nicht der einschlägigen Leistungslegende entsprechend abgerechnet zu haben, da die
in Rede stehenden Geb.-Nrn. nur bei diagnostischen Untersuchungen angesetzt werden dürften und der Kläger die Leistungen zum
einen in ihrem Einsatzzweck fehlangewendet und sie nach den allgemeinen Bestimmungen des EBM 96 auch zu Unrecht zusätzlich
zu Leistungen nach der Geb.-Nr. 7070 (Radiosynoviorthese oder Behandlung von Geschwülsten und/oder Geschwulstmetastasen in
einer Körperhöhle oder einem Hohlorgan, einschl. der erforderlichen Kontrollmessungen) abgerechnet habe.
Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist bei dieser Sachlage wegen der außerordentlichen Höhe des Berichtigungs-
bzw. Kürzungsbetrags von über 150.000 € indiziert. Der Kläger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand als Vertragsarzt durfte
- vorbehaltlich besonderer Umstände - schon deswegen aus seiner Sicht (ex ante) vernünftigerweise anwaltlichen Beistand für
notwendig erachten. Dass bei der Fachgruppe der Radiologen im Wege sachlich-rechnerischer Berichtigung nicht selten hohe Honorarkürzungen
festgesetzt werden, ändert daran nichts. Aus diesem Grund kann dem einzelnen Vertragsarzt (Radiologen) nicht zugemutet werden,
sich gegen Honorarkürzungen des vorliegenden Umfangs, die seine wirtschaftliche Existenz berühren können, stets allein, ohne
Zuziehung eines Rechtsanwalts, zur Wehr zu setzen, zumal wegen des Volumens der (angeblichen) Falschabrechnung auch mit Sanktionen
im Sinne eines Disziplinarverfahrens gerechnet werden muss (zu diesem Gesichtspunkt auch BSG, Urt. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -).
Besondere Umstände, wegen derer der Kläger das Widerspruchsverfahren gegen den Kürzungsbescheid selbst und ohne Zuziehung
eines Bevollmächtigten hätte führen müssen, liegen nicht vor. Insbesondere bedurfte es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
der Honorarkürzung bei Sicht ex ante nicht von vornherein ausschließlich solcher Kenntnisse hinsichtlich der medizinischen
Sachverhalte und des vertragsärztlichen Abrechnungswesens, über die der Kläger als Vertragsarzt kraft seines Berufes und seiner
Informationspflichten verfügen muss. Vielmehr erschien es jedenfalls als möglich, dass schwierige Sach- und Rechtsfragen im
Hinblick auf die Auslegung und Anwendung der in Rede stehenden Geb.-Nrn. eine Rolle spielen können, die über die routinemäßige
Handhabung des Gebührenkatalogs hinausgehen (BSG, Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Rechtsfragen solcher Art waren (aus der Sicht des Klägers) offenbar auch (mittelbar) Gegenstand von Gerichtsverfahren,
die Berufskollegen des Klägers vor dem Sozialgericht Düsseldorf im Kern um die gebührenrechtliche Bewertung der Radiosynoviorthese
(im ab 1.4.2005 geltenden EBM) geführt hatten; der Kläger hatte zur Begründung seines Widerspruchs deswegen einen umfangreichen
Anwaltsschriftsatz aus einem dieser Gerichtsverfahren vorgelegt. Die Beklagte hatte den Abrechnungssachverhalt - offenbar
nicht zuletzt wegen dessen auch die (gebühren-)rechtliche Dimension einschließender Bedeutung - der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
zur Stellungnahme vorgelegt. Erst nach Ergehen dieser Stellungnahme ist sie zu der Rechtsauffassung gelangt, dass unter Würdigung
der Abrechnungsmodalitäten nach dem EBM 96 die Berechnung der Geb.-Nrn. 5095, 5160 und 6050 neben der Geb.-Nr. 7070 EBM 96
nicht explizit ausgeschlossen gewesen sei, den Formulierungen des EBM 96 vielmehr nicht entnommen werden könne, dass eine
vor der eigentlichen Radiosynoviorthese durchgeführte Kontrastdarstellung der Gelenke Bestandteil der Radiosynoviorthese sei.
Diese Beurteilung der unter den Beteiligten streitigen Abrechnungsfragen erschöpft sich nicht in fachlich-medizinischen Einschätzungen
und in der Handhabung von Modalitäten der Leistungsabrechnung, die der Vertragsarzt mit seinem Fachwissen und der von ihm
zu erwartenden Kenntnis des Abrechnungswesens auch ohne rechtliche Unterstützung durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten
vornehmen kann. Zu klären waren - jedenfalls aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Widerspruchsführers - tiefer gehende Rechtsfragen
hinsichtlich der genauen Auslegung der Leistungslegenden bzw. des Verhältnisses der in Rede stehenden Geb.-Nrn. zueinander
und zu den allgemeinen Bestimmungen des EBM 96 und nicht lediglich Routinefragen der alltäglichen Abrechnung vertragsärztlicher
Leistungen. In solchen Fällen darf sich der Vertragsarzt wie jeder andere Bürger anwaltlicher Hilfe bedienen.
Dass der Bevollmächtigte allein - ohne Begründung - Widerspruch gegen den Kürzungsbescheid eingelegt und der Kläger selbst
(unter dem gleichen Datum wie die Widerspruchsschrift des Bevollmächtigten) eine Widerspruchsbegründung verfasst und vorgelegt
hatte, lässt die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten nicht entfallen. Nach der Rechtsprechung des BSG bedarf
der Vertragsarzt für den bloß formalen Akt der Widerspruchseinlegung zwar grundsätzlich nicht der Unterstützung durch einen
Bevollmächtigten (BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedenfalls im Ausgangspunkt aber auf Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung, bei
der es im vorgeschalteten Abhilfeverfahren vor dem Prüfungsausschuss (§ 17 EKV-Ä a.F.) typischerweise um medizinische Fachfragen
hinsichtlich bestimmter Behandlungsweisen ging, die der betroffene Vertragsarzt - was ihm bei Sicht ex ante auch bewusst ist
- sachkundig (am besten selbst) mit den Mitgliedern des zuständigen Ausschusses erörtern kann (vgl. BSG, Urt. v. 15.12.1987,
- 6 RKa 21/87 -). In seiner neueren Rechtsprechung hat das BSG Zweifel geäußert, ob an dieser Rechtsprechung angesichts der Rechtsentwicklung
im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung noch festzuhalten ist (BSG, Urt. v. 31.5.2006, - B 6 KA 78/04 R -). Jedenfalls ist nicht für sich allein entscheidend, ob der zum Vorverfahren zugezogene Bevollmächtigte (Rechtsanwalt)
im Verfahren auch Erklärungen im Namen des Vertretenen abgegeben hat (BSG, Beschl. v. 29.9.1999, - B 6 KA 30/99 B -). Maßgeblich ist nach dem Gesagten, ob es der Vertretene (bei Sicht ex ante) für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren
durch einen Bevollmächtigten (Rechtsanwalt) unterstützt zu werden. Es kommt nicht ausschlaggebend darauf an, wie sich die
Tätigkeit der Bevollmächtigte (bei Sicht ex post) nach Auftragserteilung im weiteren Verfahren hinsichtlich Art und Umfang
tatsächlich gestaltet hat. Daher bleibt es bei der festgestellten Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten zum Widerspruchsverfahren
gegen den Kürzungsbescheid vom 18.4.2006, auch wenn der Bevollmächtigte des Klägers eine (eigene) Widerspruchsbegründung nicht
vorgelegt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§
160 Abs.
2 SGG).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.