Anspruch auf Anerkennung eines Wegeunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung bei geringfügiger Unterbrechung des versicherten
Weges
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung des Ereignisses vom 20.07.2010 als Arbeitsunfall streitig.
Der 1982 geborene Kläger türkischer Staatsangehörigkeit wollte auf dem direkten Heimweg von der Arbeit in Rietheim auf einem
übersichtlichen Stück einer Ortsdurchfahrt (Ermittlungsergebnis der Polizei, Bl. 21 V-Akte) links in ein Privatgrundstück
einbiegen, um dort an einem Verkaufsstand Erdbeeren einzukaufen. Aufgrund des Gegenverkehrs musste er bis zum Stillstand abbremsen.
Nach wenigen Sekunden fuhr die Unfallverursacherin aus Unachtsamkeit ungebremst hinten auf seinen Pkw auf (Fragebogen vom
13.08.2010 und ergänzende Angaben vom 24.08.2010). Die Unfallverursacherin gab in ihrer Beschuldigtenvernehmung am 20.07.2010
an, das klägerische Auto habe plötzlich angehalten, um nach links abzubiegen. Sie habe noch versucht zu bremsen, die Kollision
aber nicht mehr vermeiden können. Das Strafverfahren wegen Körperverletzung gegen die Unfallverursacherin wurde mit Verfügung
vom 14.09.2010 wegen fehlenden öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung und in Ermangelung eines Strafantrags eingestellt
(16 Js 9967/10).
Der bei dem Auffahrunfall angeschnallte und daher nur leicht verletzte Kläger wurde aufgrund der geäußerten starken Schmerzen
in das nächstgelegene Krankenhaus transportiert. Er erlitt eine Stauchung und Zerrung der Halswirbelsäule ohne Zeichen einer
Commotio und wurde zunächst für arbeitsunfähig bis 24.07.2010 erachtet (Durchgangsarztbericht Dr. H. vom Kreiskrankenhaus
T. vom 20.07.2010).
Die Beklagte zog die polizeilichen Ermittlungsakten und das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK bei und lehnte nach deren Auswertung
mit Bescheid vom 16.11.2010 die Anerkennung des Ereignissses vom 20.07.2010 als Arbeitsunfall ab. Sie führte zur Begründung
aus, grundsätzlich stehe es jedem Versicherten frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, sofern es sich
um einen unmittelbaren Weg von der betrieblichen Tätigkeit nach Hause handele. Der innere Zusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und der Zurücklegung des Weges setze aber voraus, dass die Zurücklegung des Weges wesentlich dazu diene, die Wohnung
zu erreichen. Maßgebend sei somit die Handlungstendenz, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls
bestätigt werde. Beim Kläger sei zum Zeitpunkt des Unfalls die Handlungstendenz darauf ausgerichtet gewesen, an dem Straßenstand
Erdbeeren zu kaufen. Nur aus diesem Grund habe er an der späteren Unfallstelle sein Auto zum Stillstand gebracht. Er habe
somit eigenwirtschaftliche Ziele verfolgt, welche nicht im Zusammenhang mit dem grundsätzlich versicherten Weg stünden. Dies
gelte selbst dann, wenn sich das Ereignis, welches Anlass für die private Handlungstendenz sei, auf dem grundsätzlich geschützten
Heimweg ereignet habe.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.12.2010 Widerspruch, zu dessen Begründung er ausführte, die Beklagte verkenne die Grenze,
bis zu welcher der Versicherungsschutz reiche. Denn er habe die Straße gerade nicht verlassen oder gar eine Richtungsänderung
veranlasst. Er sei mit seinem Auto auf der eigentlichen Wegstrecke lediglich zum Stand gekommen und seine Zielrichtung zur
Wohnstätte eingehalten als sich der Unfall ereignet habe. Es liege somit keine mehr als geringfügige Unterbrechung vor, da
es an einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Fahrziels fehle, weil sie ohne
nennenswerte zeitliche Verzögerung, sozusagen im Vorbeigehen und ganz nebenher erledigt werden könne. Wenn keine Unterbrechung
mit Ausnahme des Halts selbst erfolge, mithin der unmittelbare Weg nicht verlassen worden sei, so könne es nicht ausreichend
sein, dass lediglich auf seine Absicht abgestellt werde. Der Kläger führte ferner aus, dass ganz kurze und geringfügige Unterbrechungen
den Zusammenhang des Weges mit der Betriebstätigkeit selbst dann nicht beseitigten, wenn sie eigenwirtschaftlicher Natur seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, sobald der Versicherte
eigenwirtschaftliche Zwecke verfolge, werde der Versicherungsschutz so lange unterbrochen, bis er die Fortbewegung auf sein
ursprüngliches Ziel hin wieder aufnehme. Das sei nicht erst bei Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums der Fall, sondern
bereits mit Beginn der Verwirklichung des eigenwirtschaftlich geprägten Wunsches. Rechtlich ohne Bedeutung sei, ob die eigenwirtschaftliche
Verrichtung im Straßenraum selbst oder außerhalb desselben erledigt werden solle und in welche Richtung sich der Fahrzeugnutzer
bewegen müsse. Gleiches gelte für den dafür erforderlichen Zeitrahmen. Mit dem Stoppen seines Fahrzeugs habe der Kläger dokumentiert,
dass er den ansonsten versicherten Heimweg vorerst nicht mehr fortsetzen wolle. Bereits zum Zeitpunkt des Anhaltens sei sein
Handeln nur noch davon bestimmt gewesen, aus privater Motivation heraus Erdbeeren einzukaufen.
Hiergegen hat der Kläger am 03.05.2011 Klage beim Sozialgericht R. erhoben. Er hat nochmals darauf hingewiesen, dass die Unterbrechung
ausnahmsweise dann dem Versicherungsschutz unterfalle, wenn der Verkehrsraum der zum versicherten Ziel führenden Straße nicht
verlassen werden. Um eine solche rechtlich nicht ins Gewicht fallende Unterbrechung handele es sich, wenn der in Rede stehende
Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit
in seiner Gesamtheit anzusehen sei. Die Unterbrechung stelle noch keine erhebliche Zäsur dar, welche nach allgemeiner Verkehrsauffassung
erst dann anzunehmen sei, wenn der Versicherte die private Handlungstendenz auch durch objektive Umstände konkretisiere.
Mit Urteil vom 15.09.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, im Zeitpunkt des Unfalls
sei die Handlungstendenz des Klägers nicht mehr auf das Zurücklegen des unmittelbaren Weges von der versicherten Beschäftigung,
sondern von privatwirtschaftlichen Interessen getragen gewesen. Dies habe sich auch objektiv im Anhalten und somit der Aufgabe
der Weiterverfolgung des Heimweges niedergeschlagen. Hierbei handele es sich auch nicht nur um eine geringfügige Unterbrechung
des versicherten Weges. Eine Unterbrechung sei als geringfügig zu bezeichnen, wenn sie auf einer Verrichtung beruhe, die bei
natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner
Gesamtheit anzusehen sei. Das sei der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des
ursprünglich aufgenommenen Zieles führe, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung im Vorbeigehen oder ganz nebenher
erledigt werden könne. Die Fahrt auf ein an der gegenüberliegenden Straßenseite liegendes Grundstück, um dort Erdbeeren zu
kaufen, sei nicht mehr als solche geringfügige Unterbrechung zu sehen, da dieser Vorgang eine klare Zäsur im Zurücklegen des
Weges von der versicherten Beschäftigung darstelle. Für diese Beurteilung sei auch auf die abgeschlossene geplante Handlung
des Klägers abzustellen und nicht nur isoliert das Abbremsen zu betrachten. Die Beurteilung der Geringfügigkeit der Abweichung
habe auch die subjektive Komponente zu berücksichtigen. Eine andere Handhabung widerspreche dem Ziel und Zweck der Einbeziehung
von Wegeunfällen in den Versicherungsschutz des Arbeitsunfalls, welcher daraus resultiere, dass bestimmte Wege zwingend notwendige
Vor- beziehungsweise Nachbereitungshandlungen zur versicherten Beschäftigung seien. Eine andere Handhabung würde dazu führen,
dass die Frage des Bestehens des Versicherungsschutzes zufällig davon abhinge, an welcher Stelle der geplanten Abweichung
ein Unfall passiere und damit praktisch nicht beherrschbare Ergebnisse erbringe. Der Kläger habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls
zwar noch geographisch auf dem Heimweg befunden, juristisch jedoch nicht mehr, da er die Zurücklegung dieses Weges zugunsten
einer nicht mit seiner Beschäftigung zusammenhängenden Tätigkeit in nicht nur geringfügiger Weise zumindest vorübergehend
aufgegeben habe.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 30.09.2011 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat der Kläger am 26.10.2011
Berufung eingelegt. Er ist weiterhin der Auffassung, die Unterbrechung sei nur geringfügig gewesen. Zwar sei der beabsichtigte
Erdbeerkauf unzweifelhaft eigenwirtschaftlich gewesen. Die Frage, ob der Versicherungsschutz bereits dann entfalle, wenn der
eigentlich versicherte Weg nicht verlassen werde, sondern nur die Absicht, eigenwirtschaftliche Zwecke zu verfolgen, bestehe
und sich in einer allerersten Handlung manifestiere, nämlich dem Abbremsen des Fahrzeugs, sei bislang von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung noch nicht entschieden worden. Trennscharf abgrenzen könne man nur dort, wo sich die subjektive Komponente
auch in einem objektiven Verhalten zeige, demnach diese subjektive Komponente der Handlung ihr Gepräge gebe. Die Bestimmung
der Handlungstendenz als maßgebendes Abgrenzungskriterium führe demgegenüber zu keinem befriedigenden Ergebnis, denn letztlich
könne nicht entscheidend sein, was der Versicherte wolle, sondern wie er das auch umsetze. Der sachliche Zusammenhang zwischen
der versicherten Tätigkeit und der Fortbewegung als Vor- und Nachbereitungshandlung könne demnach nur dort entfallen, wo eine
tatsächlich ins Gewicht fallende Handlung vollzogen werde, die dem Zweck des Versicherungsschutzes entgegenlaufe. Der unmittelbare
Weg sei eben jener versicherte Weg, ungeachtet dessen, was ein Versicherter beabsichtige zu tun.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts R. vom 15. September 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 16. November 2010 in der Gestalt
des Widerspruchbescheides vom 19. April 2011 aufzuheben und das Ereignis vom 20. Juli 2010 als Arbeitsunfall festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt zur Begründung aus, der Versicherungsschutz werde unterbrochen, sobald ein Versicherter eigenwirtschaftliche Ziele
verfolge, die mit der versicherten Fortbewegung nicht übereinstimmten. Fakt sei, dass der Kläger abgebremst habe, um einem
eigenwirtschaftlichen Interesse - dem Kauf der Erdbeeren - nachzugehen und es aus diesem Grund zum Unfall gekommen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sacherhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Kläger erstrebt im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. §
54 Abs.
1 und §
55 Abs.
1 Nr.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die Aufhebung der das Vorliegen eines Arbeitsunfalls und das Bestehen von Leistungsansprüchen ablehnenden Verwaltungsentscheidungen
sowie die gerichtliche Feststellung des Vorliegens eines solchen Arbeitsunfalls. Nachdem die Beklagte einen Leistungsanspruch
des Klägers insgesamt mit der Begründung verneint hat, ein Arbeitsunfall liege nicht vor, ist zunächst diese Voraussetzung
möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Weitergehenden Anträgen betreffend Leistungsansprüche
gegen die Beklagte kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 - SozR 4-2700 § 8 Nr. 12, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 45/03 - SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
Mit diesem vom Kläger erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag entsprechenden Begehren ist die nach §§
143 und
144 SGG statthafte und nach §
151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers zulässig. Sie ist auch begründet. Denn
er hat Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls vom 20.07.2010.
Nach der Legaldefinition des §
8 Abs.
1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende
Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach
im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer
oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis
- geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht
hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens
(haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl BSG Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262).
Der Kläger war als Beschäftigter nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII versichert. Er hat am 20.07. 2010 bei dem Zusammenstoß als Fahrer eines Pkw, der zu einer Zerrung der Halswirbelsäule und
damit einen Gesundheitserstschaden führte, auch einen Unfall erlitten. Dieser Unfall ist auch ein Arbeitsunfall, weil seine
Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Anhalten im öffentlichen Verkehrsraum - noch im sachlichen Zusammenhang mit
seiner versicherten Tätigkeit stand.
Allgemein für Arbeitsunfälle im Sinne des §
8 SGB VII gilt, dass bei einem nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VIIversicherten Beschäftigten, wie vorliegend dem Kläger, Verrichtungen im Rahmen des dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde
liegenden Arbeitsverhältnisses Teil der versicherten Tätigkeit sind und mit ihr im erforderlichen sachlichen Zusammenhang
stehen. Weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VIInur Unfälle "infolge" der versicherten Tätigkeit Arbeitsunfälle
sind, sind jedoch nicht alle Verrichtungen eines grundsätzlich versicherten Arbeitnehmers im Laufe eines Arbeitstages auf
der Arbeitsstätte versichert. Typischerweise und in der Regel unversichert sind höchstpersönliche Verrichtungen wie zum Beispiel
Essen oder eigenwirtschaftliche Tätigkeiten wie zum Beispiel Einkaufen. Unter Umständen können die Wege an den Ort dieser
Verrichtungen allerdings Versicherungsschutz genießen. Maßgebliches Kriterium für die wertende Entscheidung über den sachlichen
Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist, ob der Versicherte eine dem
Beschäftigungsverhältnis dienende Verrichtung ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände bestätigt
wird (BSG, Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R; BSG, Urteil vom 18.03.2008 - B 2 U 2/07 R; jeweils zitiert nach [...]).
Übertragen auf die Tätigkeit nach §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII, also das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
bedeutet dies, dass als Arbeitsunfall der Weg nur dann versichert ist, wenn er zu oder von dem Ort der Tätigkeit nach der
Handlungstendenz des Betroffenen der Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder der Heimkehr von derselben dient und dies
durch die objektiven Umstände bestätigt wird (BSG, Urteil vom 18.11.2008 - B 2 U 31/07 R - zitiert nach [...]). Der Beschäftigte steht somit auf dem Weg zu oder von dem Ort der Tätigkeit so lange unter Versicherungsschutz,
als seine Handlungstendenz auf das Erreichen dieses Ziels gerichtet ist (BSG, Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 23/03 R - zitiert nach [...]). Unterbricht er den Weg zu oder von dem Ort der Tätigkeit aus privaten Gründen, ist er grundsätzlich
während dieser Zeit nicht versichert.
Die Fälle räumlicher Unterbrechung kennzeichnet das Gesetz in §
8 Abs.
2 Nr.
2 und
3 SGB VII durch den Begriff des "abweichenden Weges". Erfasst werden hiervon den Versicherungsschutz ausschließende Abwege und Umwege.
Sobald der Versicherte die Zielrichtung des zurückgelegten Weges ändert und seine Handlungstendenz nunmehr nicht mehr auf
die versicherte Tätigkeit, sondern auf eine private Verrichtung abzielt, ist ein deshalb eingeschobener Weg als Abweg nicht
versichert. Ein solcher liegt nicht vor, wenn der Versicherte die Zielrichtung aus Gründen ändert, die entweder mit der eigentlichen
versicherten Tätigkeit oder mit dem versicherten Weg, beispielsweise einem Verkehrsstau, zusammenhängen. Aus privaten Gründen
erfolgte Unterbrechungen sind ohne Rücksicht auf ihren Umfang unversichert (BSG, Urteil vom 19.03.1991 - 2 RU 45/90 - zitiert nach [...]). Der Abweg beginnt mit dem Einschlagen der unversicherten Zielrichtung. Die durch einen Abweg bewirkte
Unterbrechung des versicherten Weges endet, wenn sich der Betroffene wieder auf einer Wegstrecke befindet, die er auf seinem
Weg vom oder zum Tätigkeitsort zurücklegen muss (BSG, Urteil vom 19.03.1991 - 2 RU 45/90 - zitiert nach [...]).
Daneben kann eine zeitliche Unterbrechung ohne Verlassen des versicherten Weges den Versicherungsschutz entfallen lassen,
wenn auf dem Weg zu oder von der Arbeitsstelle das Zurücklegen des Weges unterbrochen und eine für die Wegezurücklegung nicht
erforderliche Handlung eingeschoben wird. Dient diese Tätigkeit privaten Zwecken und ist die Unterbrechung nicht nur von geringfügiger
Dauer, ist sie nicht versichert. Eine privaten Zwecken dienende, unerhebliche tatsächliche Unterbrechung, während der der
Versicherungsschutz fortbesteht, liegt vor, wenn die Unterbrechung zeitlich und räumlich nur ganz geringfügig ist und einer
Verrichtung dient, die "im Vorbeigehen" und "ganz nebenher" erledigt wird. Sie darf nach natürlicher Betrachtungsweise und
in Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nur zu einer geringfügigen, tatsächlichen Unterbrechung der versicherten
Verrichtung geführt haben. Dies ist beispielsweise der Fall beim Kauf einer Zeitung an einem Kiosk oder Betrachten eines Schaufensters
während eines versicherten Weges, da sich der Versicherte dabei noch auf seinem Weg befindet und nur in der Fortbewegung aus
privatem Grund für eine kurze Zeit innehält, ohne den Weg zu verlassen. Die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes in
diesen Fällen findet ihre Rechtfertigung darin, dass die in sachlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende
Verrichtung - das Zurücklegen des Weges - der wesentliche Grund dafür ist, dass der Versicherte in dieser Situation ist, in
der er dann ganz nebenher oder im Vorbeigehen die private Verrichtung ausübt. Abgestellt wird also nicht nur auf einen räumlichen
und zeitlichen Zusammenhang, sondern auf die praktisch andauernde Ausübung einer versicherten Verrichtung, in die eine räumlich
und zeitlich unerhebliche private Verrichtung eingeschoben wird. Letztlich handelt es sich um Fallgestaltungen, in denen die
versicherte Verrichtung und die private Verrichtung als tatsächliches Geschehen nur sehr schwer voneinander zu trennen sind.
Die Situation ist also ähnlich der bei einer gemischten Tätigkeit, bei der auch die versicherte von der unversicherten Verrichtung
nicht getrennt werden kann, weil beide zusammen zu einer bestimmten Gesamtlage geführt haben (BSG, Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 11/04 R - unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 28.02.1964 - 2 RU 185/61; BSG, Urteil vom 25.01.1977 - 2 RU 23/76; BSG, Urteil 27.03.1990 - 2 RU 36/89; BSG, Urteil vom 19.03.1991 - 2 RU 45/90; BSG, Urteil vom 27.06.2000 - B 2 U 22/99 R; jeweils zitiert nach [...]).
Nach diesen Maßstäben war der Kläger während des Unfalls am 20.07.2010 versichert. Er stand auf dem Weg von seiner Arbeitsstätte
zur Wohnung grundsätzlich unter Versicherungsschutz nach §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII. Der Weg zur Arbeit wurde auch nicht durch das bloße Anhalten, auch wenn dieses einem Lebensmitteleinkauf dienen sollte,
unterbrochen.
Zwar wäre der Einkauf selbst mit der Einfahrt auf ein Privatgrundstück diesem Weg nicht zuzurechnen, denn es fehlt am inneren
Zusammenhang mit der Beschäftigung. Eine Unterbrechung ist aber nach der Rechtsprechung dann als geringfügig anzusehen, wenn
- wie hier - der öffentliche Verkehrsraum der zur Arbeitsstätte führenden Straße nicht verlassen wird (vgl. zum Folgenden
BSG, Urteil vom 02.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 28). In diesem Zusammenhang kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Versicherte lediglich seine
Fortbewegung beendet, um sich an Ort und Stelle einer anderen, nicht nur geringfügigen Tätigkeit zuzuwenden, oder ob er den
eingeschlagenen Weg verlässt, um an anderer Stelle einer privaten Verrichtung nachzugehen und erst danach auf den ursprünglichen
Weg zurückzukehren (BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 25) .
Die räumliche Unterbrechung beginnt erst dann, wenn der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum seines Weges nach und von
dem Ort der Tätigkeit verlässt, und endet mit dem Erreichen dieses Verkehrsraumes sowie der Wiederaufnahme der Fortbewegung
in Richtung des ursprünglichen Ziels (BSG, Urteil vom 29.04.1980 - 2 RU 17/80 - SozR 2200 § 550 Nr. 44 S. 108, modifiziert durch Urteil vom 09.12.2003 - B 2 U 23/03 R - BSGE 91, 293) .
Die Unterbrechung wird demnach erst mit dem Verlassen der unmittelbar zur Wohnung führenden Straße durch Einbiegen auf den
Privatparkplatz in Gang gesetzt. Der Unfall hat sich indessen noch bevor der Kläger überhaupt die Fahrrichtung geändert hatte
und damit im öffentlichen Verkehrsraum der genutzten Straße in einem Bereich ereignet, den der Kläger auch ohne den Einkauf
der Erdbeeren auf dem Weg von seiner Arbeitsstätte zur Wohnung befahren hat (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.1990 - 2 RU 31/89 - SozR 3-2200 § 550 Nr. 2 S. 7). Der Einkauf der Erdbeeren war zu diesem Zeitpunkt lediglich nach Erreichen des Privatparkplatzes
beabsichtigt.
Dass der Kläger bereits angehalten und damit die Fortbewegung unterbrochen hat, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Er war nämlich erst im Begriff, sich auf diesen unversicherten Abweg zu begeben und hat, da er die Zielrichtung des zurückgelegten
Weges noch nicht geändert hat, den mit dem Einschlagen der unversicherten Zielrichtung beginnenden Abweg noch nicht angetreten.
Das BSG hat zwar entschieden, dass es dem Versicherten nur solange frei steht, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen,
wie die Fortbewegung nach seiner objektivierten Handlungstendenz der Zurücklegung des versicherten Weges zu dienen bestimmt
ist (BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 26/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 32). Im Unterschied dazu hat der Kläger aber seinen Pkw nicht gewendet und dadurch auch nicht unzweifelhaft
dokumentiert, dass er sich (jedenfalls vorläufig) auf dem versicherten Weg nicht weiter fortbewegen will. Er hat sich zum
Zeitpunkt des Unfallereignisses vielmehr sogar noch in Fahrtrichtung befunden, was der Senat der von der Polizei angefertigten
Unfallskizze entnimmt (Bl. 90 V-Akte). Ein Abweg kann aber frühestens dann angenommen werden, wenn der Arbeitsweg eindeutig
verlassen wird (vgl. Urteil des Senats vom 24.11.2011 - L 6 U 5773/09 - zitiert nach [...]).
Das Anhalten des Autos um einen unversicherten Abbiegevorgang durchzuführen, ist gemessen daran zunächst ein neutraler Vorgang.
Das lässt sich daran verdeutlichen, dass das Anhalten selbst bei einem Motivwechsel, also wenn sich der Kläger überlegen würde,
nun doch nicht einzukaufen und seinen Weg fortzusetzen, bei natürlicher Betrachtungsweise eine zeitlich und räumlich ganz
geringfügige Unterbrechung darstellen würde. Selbst wenn der Versicherte nur anhält, wäre die Fortbewegung als nach Ansicht
der Beklagten und des Sozialgerichts maßgebende Abgrenzung unterbrochen und würde der Versicherungsschutz enden, es sei denn,
der Versicherte könnte seinerseits nachweisen, dass er aus versicherten Gründen angehalten hat. Anders gesagt würde die Feststellung
eines Abwegs allein aufgrund der Absichten des Versicherten - ohne dass es objektiv zu einem Verlassen des Verkehrswegs gekommen
ist - zu nicht mehr justitiablen Ergebnissen gerade in den Fällen führen, in denen nicht mehr eindeutig geklärt werden kann,
aus welchem Grund es zu einem Anhalten des Versicherten kam. Deswegen muss es auf das nach außen objektivierbare eindeutige
Verlassen des versicherten Weges ankommen und nicht auf die nach außen nicht objektivierbare Absicht dies zu tun.
Mithin hat sich der Klägers zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch beim versicherten Zurücklegen des Weges vom Tätigkeitsort
zu seiner Wohnung befunden, das bloße Anhalten stellt eine versicherungsunschädliche geringfüge Unterbrechung des versicherten
Weg dar.
Nach alledem war auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben, wobei die
Kostenentscheidung auf §
193 SGG beruht.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.