Statthaftigkeit einer Untätigkeitsklage im sozialgerichtlichen Verfahren, Zulässigkeit der Vorschussgewährung nach Abschluss
des Verwaltungsverfahrens
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerin (Bf) ist die Witwe und Rechtsnachfolgerin des 1960 geborenen und am 11.08.2008 verstorbenen Versicherten
A ... Der Versicherte erlitt am 06.04.2001 einen Wegeunfall mit multiplen Verletzungen. Die Beschwerdegegnerin (Bg) holte
Sachverständigengutachten ein (ua mit Auftrag vom 18.09.2003 ein HNO-ärztliches Gutachten von Prof. Dr. H. - erstellt am 23.08.2005).
Sie zahlte Verletztengeld bis 07.03.2005.
Mit Schreiben vom 15.03.2005 teilte sie dem Versicherten mit, dass dieser einen Vorschuss auf die voraussichtlich zu gewährenden
Geldleistungen an Verletztenrente für die Zeit vom 08.03.2005 bis 30.04.2005 in Höhe von 1.113,00 EUR erhalte. Die Zahlung
erfolge unter dem Vorbehalt, dass ihre Entschädigungspflicht anerkannt werde und dass Leistungen mindestens in Höhe der gezahlten
Vorschüsse zu gewähren seien. Für den Fall, dass eine Leistungspflicht nicht bestehe oder die endgültig zu gewährenden Leistungen
niedriger seien als die gezahlten Vorschüsse, sei der überzahlte Betrag zu erstatten. Zur Begründung wird ausgeführt: Da die
Feststellungen noch nicht hätten abgeschlossen werden können, sei der Höhe des Vorschusses die voraussichtliche Leistung zu
Grunde gelegt worden. Dem Versicherten werde abschließend ein rechtsbehelfsfähiger Verwaltungsakt erteilt. Gleichlautende
Schreiben ergingen am 10.05.2005, 13.06.2005, 13.07.2005, 19.09.2005 sowie am 30.11.2005 jeweils für Vorschusszahlungen in
Höhe von monatlich 627,00 EUR für Zahlungszeiträume bis 31.12.2005. Die Bg stellte die Zahlung der Vorschüsse ein, nachdem
der zuletzt gehörte beratende Arzt das beim Versicherten bestehende Schmerzsyndrom als unfallunabhängig bezeichnet hatte (Stellungnahme
Dr. K. vom 28.02.2006).
Mit Bescheid vom 21.03.2006 und Widerspruchsbescheid vom 18.05.2006 lehnte die Bg die Gewährung einer Verletztenrente ab.
Hiergegen erhob der Versicherte Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg (S 11 U 154/06). Die gezahlten Vorschüsse forderte die Bg mit Bescheid vom 03.05.2006 und Widerspruchsbescheid vom 19.10.2007 zurück. Die
dagegen gerichtete Klage wird beim SG unter dem Az S 11 U 318/07 geführt.
Der Versicherte beantragte mit Schreiben vom 19.05.2006 die Gewährung weiterer Vorschusszahlungen. Dies lehnte die Bg unter
dem 01.06.2006 ab. Sie führte aus, dass die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt worden sei und die Zahlung weiterer
Vorschüsse daher nicht in Betracht komme. Mit Schreiben vom 18.12.2007 verwies der Versicherte darauf, dass die Vorschusszahlung
nachhaltig verfolgt werde.
Der Versicherte hat am 09.01.2008 eine Untätigkeitsklage zum SG erhoben und gleichzeitig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes
beantragt. Die Bg habe mit Bescheid vom 03.05.2006 zugleich über die Einstellung der Vorschussleistungen entschieden. Es sei
eine willkürliche Einstellung, der keinerlei Rechtfertigung zukomme. Die Bg sei verpflichtet, weitere Vorschussleistungen
zu gewähren.
Mit Beschluss vom 25.02.2008 hat das SG die Bewilligung von PKH und die Beiordnung des Rechtsanwaltes abgelehnt. Die Klage sei unzulässig, weil ein Rechtsschutzbedürfnis
nicht bestehe. Die Bg habe mit Bescheid vom 21.03.2006 und Widerspruchsbescheid vom 18.05.2006 einen Anspruch auf Verletztenrente
abgelehnt, so dass ein Anspruch auf Vorschusszahlung nicht mehr in Betracht komme.
Hiergegen hat der Versicherte Beschwerde eingelegt. Aufgrund der vorhergehenden Vorschusszahlungen habe die Bg ihre Verpflichtung
zur Vorschussgewährung anerkannt. Aus den bisherigen Festlungen und Zahlungen ergebe sich eine Bindungswirkung zu Lasten der
Bg.
Die Bg verweist auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Akte der Bg, die Akte des SG und die Akte des vorliegenden Beschwerdeverfahrens Bezug genommen.
II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Bewilligung von PKH und die Beiordnung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes abgelehnt.
Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil
oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
114 Zivilprozessordnung). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das
Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (so
BVerfGE 81, 347, 356 mwN). Da der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip keine vollständige Gleichstellung
Unbemittelter mit Bemittelten verlangt, sondern nur eine weitgehende Angleichung, ist es verfassungsrechtlich unbedenklich,
die Gewährung von PKH davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat
und nicht mutwillig erscheint. PKH darf dann verweigert werden, wenn die Erfolgschance nur eine entfernte ist (BVerfGE aaO.
S 357).
Das SG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht
zukommt. Unabhängig davon, ob die Bg über einen Antrag auf Vorschusszahlungen in angemessener Frist sachlich nicht entschieden
hat, ist zu berücksichtigen, dass die Untätigkeitsklage nach §
88 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) nur auf die Bescheidung schlechthin, nicht aber auf die Stattgabe gerichtet ist. Indes besteht ein Rechtsschutzbedürfnis
für die gerichtliche Durchsetzung der Bescheidungspflicht nicht unbeschränkt. Das formelle Recht auf Bescheidung stellt sich
nicht als Selbstzweck dar, sondern dient der Durchsetzung materieller Ansprüche. Steht fest, dass das vom Kläger verfolgte
Klageziel nicht durch die Erteilung des Bescheides erreicht werden kann, so ist die Untätigkeitsklage mangels Rechtsschutzbedürfnis
abzuweisen (vgl. BayLSG Beschluss vom 19.06.2008 - L 17 U 439/04).
So ist es hier. Entgegen der Auffassung der Bf ist die Bg nicht gehalten, aufgrund der zuvor gewährten Vorschusszahlungen
weiterhin Vorschussleistungen zu erbringen. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Bindungswirkung der Vorschussbescheide als
einstweilige Verwaltungsakte besteht allenfalls bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens (vgl. BSG SozR 4-1200 § 42 Nr
1), also vorliegend bis zum Erlass des Bescheides vom 21.03.2006 und des Widerspruchsbescheid vom 18.05.2006. Auch kommt nach
Abschluss des Verwaltungsverfahrens eine Vorschussgewährung nach §
42 Abs
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) oder eine Vorschusszahlung in entsprechender Anwendung des §
42 Abs
1 SGB I (vgl. hierzu BSG SozR 3-1200 §
42 Nr
2) nicht in Betracht. Vorschüsse werden nur vorläufig und für eine Übergangszeit bis zur Entscheidung über den Sozialleistungsanspruch
getroffen. Mit der Vorschusszahlung wird dem Leistungsträger die Möglichkeit gegeben, bei laufendem Verwaltungsverfahren bis
zur endgültigen Feststellung einer Sozialleistung eine einstweilige Regelung zu treffen. Den Vorschüssen ist es daher wesenseigen,
durch eine in der Zukunft ergehende Entscheidung des Leistungsträgers ersetzt zu werden. Bereits aus der Regelung des §
42 Abs
1 Satz 1
SGB I ergibt sich, dass die Vorschussgewährung die Notwendigkeit weiterer Feststellungen des Leistungsträger voraussetzt, die nach
Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht mehr anzustellen sind.
Dies zugrunde gelegt steht fest, dass nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens die Gewährung von Vorschüssen nicht verlangt
werden und das verfolgte Klageziel nicht erreicht werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG (zur Notwendigkeit einer Kostenentscheidung vgl. BayLSG Beschluss vom 08.12.2008 - L 18 B 611/08 U PKH).
Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt aus §
177 SGG.