Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente; Bindung an den Schuldspruch im Scheidungsurteil
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Geschiedenenwitwenrente.
Die 1941 geborene Klägerin war mit dem 1939 geborenen und am 16.03.2006 verstorbenen K. J. A. (Versicherter) verheiratet (Eheschließung:
22.04.1961). Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen (geb. 1961 und 1965). Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts
(LG) C-Stadt vom 25.10.1973 aus dem Verschulden der Klägerin (Ehefrau) rechtskräftig geschieden. Die Klägerin habe eine schwere
Eheverfehlung begangen, da sie grundlos die Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft verweigert habe. Dem Protokoll
der Sitzung des LG vom 25.10.1973 ist zu entnehmen, dass die Klägerin vernommen wurde. Sie hatte u.a. erklärt, dass sie sich
weigere, die Ehe mit ihrem Mann fortzusetzen, selbst wenn dieser hierzu bereit wäre. Gründe für ihr Verhalten wolle sie nicht
angeben. Über die Folgen ihres Verhaltens sei sie belehrt worden. Ausweislich des Protokolls verzichteten die Eheleute für
den Fall der Scheidung gegenseitig für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf Unterhalt, auch für den Fall des Notbedarfs.
Die elterliche Gewalt über die ehelichen Kinder sollte auf die Klägerin (Ehefrau) übertragen werden. Der Versicherte verpflichtete
sich, für die Kinder Unterhalt zu zahlen. Auf die Anfrage des Vormundschaftsgerichtes C-Stadt zur Sorgerechtsregelung teilte
das Landratsamt C-Stadt (Kreisjugendamt) mit Schreiben vom 04.02.1974 mit, dass gegen die Vereinbarung über die elterliche
Gewalt keine Bedenken bestünden. Die Klägerin, die auch schon während der Ehe berufstätig gewesen sei, sei halbtags in einer
Kleiderfabrik beschäftigt. Sie verdiene etwa 1.135 DM brutto monatlich.
Die Klägerin beantragte am 13.07.2006 die Gewährung von Witwenrente. Zu ihren Einkommensverhältnissen zum Zeitpunkt der Auflösung
der Ehe gab sie an, monatlich 1.400 DM netto verdient zu haben. Der Versicherte habe keinen Unterhalt geleistet und sei hierzu
auch nicht verpflichtet gewesen. Im Scheidungsurteil seien beide Ehegatten für schuldig erklärt worden.
Mit Bescheid vom 21.08.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die Ehe aufgrund Verschuldens der Klägerin geschieden
worden sei und ihr daher kein Unterhaltsanspruch zugestanden habe. Des Weiteren habe die Klägerin auf den Unterhalt verzichtet.
Dagegen wandte die Klägerin mit Widerspruch vom 14.09.2006 ein, der Unterhaltsverzicht stehe außer Frage. Aufgrund ihres damaligen
Bruttomonatsverdienstes von 1.135 DM hätte sie keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Ihr stehe Geschiedenenwitwenrente nach §
243 Abs
3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) zu.
Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31.10.2006). Nach dem Scheidungsurteil sei der Versicherte nicht
allein oder überwiegend schuldig erklärt worden. Der Versicherte sei daher grundsätzlich nicht zur Unterhaltsleistung an die
Klägerin verpflichtet gewesen.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und vortragen, dass sie wegen der eigenen Erwerbstätigkeit keinen Anspruch auf Unterhalt gehabt hätte.
Auch die übrigen Voraussetzungen des §
243 Abs
3 SGB VI seien erfüllt, weil zum Zeitpunkt der Scheidung noch zwei Kinder vorhanden gewesen seien und sie das 60. Lebensjahr vollendet
habe.
Mit Urteil vom 11.12.2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Nach §
243 Abs
1 und
2 SGB VI sei darauf abzustellen, ob der geschiedene Ehegatte im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten
hat oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatte. Demgegenüber bestimme Abs 3
unter weiteren Voraussetzungen, dass der Anspruch auf große Witwenrente auch dann besteht, wenn der geschiedene Ehegatte einen
Unterhaltsanspruch wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit
oder entsprechende Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatte (Nr 1). Für die Beurteilung
des Unterhaltsanspruchs komme es auf die zum 01.07.1977 außer Kraft getretenen §§ 58 ff des Ehegesetzes vom 20.2.1946 (EheG) an. Danach habe nur der allein oder überwiegend schuldige Teil dem anderen Unterhalt zu gewähren. Damit hänge die Unterhaltspflicht
grundsätzlich vom Schuldausspruch im Tenor des Scheidungsurteils ab. Dieser unterliege nicht der Nachprüfung. Da die Ehe der
Klägerin aus dem Verschulden der Klägerin geschieden worden sei, habe die Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand
vor dem Tod des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch gehabt. Sie habe deshalb auch aus anderen als den in §
243 Abs
3 Nr
1 SGB VI bezeichneten Gründen keinen Anspruch auf Unterhalt gehabt. Auf die Frage des Unterhaltsverzichtes komme es nicht mehr an.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die Ehe sei aus dem alleinigen Verschulden des Versicherten faktisch zerrüttet
gewesen. Sie sei an der Aufrechterhaltung der Ehe nicht mehr interessiert gewesen und habe sobald als möglich die Scheidung
durchsetzen wollen. Möglicherweise habe sie aus diesem Grund auf Unterhalt verzichtet, damit ihr die elterliche Gewalt über
die Kinder im Gegenzug übertragen werde. Im Übrigen wäre eine Unterhaltsleistung im Hinblick auf die Höhe der Einkünfte des
verstorbenen Ehemannes und dessen Lebensweise kaum realisierbar gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.12.2007 und den Bescheid vom 21.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 31.10.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.08.2006 Geschiedenenwitwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.12.2007 zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils und die Ausführungen im angefochtenen Bescheid bzw. Widerspruchsbescheid.
Ergänzend wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-), aber unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 31.10.2006 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente an den geschiedenen Ehemann.
Nach §
243 Abs
1 SGB VI besteht auch für geschiedene Ehegatten ein Anspruch auf kleine Witwenrente ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate, wenn
deren Ehe vor dem 01.07.1977 geschieden ist, sie nicht wieder geheiratet haben und sie im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen
Ehegatten (Versicherten) Unterhalt von diesem erhalten hatten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode
einen Anspruch hierauf gehabt hätten, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30.04.1942 verstorben
ist. Nach §
243 Abs
2 SGB VI besteht auch für geschiedene Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente unter der weiteren Voraussetzung, dass sie entweder
ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen (§
46 Abs
2 SGB VI) oder das 45. Lebensjahr vollendet haben oder erwerbsgemindert sind oder vor dem 02. Januar 1961 geboren und berufsunfähig
(§
240 Abs
2 SGB VI) sind oder am 31.12.2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig gewesen sind und dies ununterbrochen sind.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Anspruch auf kleine oder große Witwenrente scheitert daran, dass
die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten weder Unterhalt von diesem erhalten hat noch im letzten wirtschaftlichen
Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf gehabt hätte (§
243 Abs
1 Nr
3, Abs
2 Nr
3 SGB VI).
Tatsächliche Unterhaltsleistungen an die Klägerin hat der Versicherte auch nicht im letzten Jahr vor seinem Tode erbracht.
Die Klägerin kann sich aber auch nicht auf eine Verpflichtung des Versicherten zum Unterhalt berufen. Ob ein Unterhaltsanspruch
besteht, beurteilt sich nach den Vorschriften des mit Ablauf des 30.06.1977 außer Kraft getretenen EheG. Die Vorschriften des EheG über die Scheidung der Ehe und die Folgen der Scheidung sind noch anwendbar, weil die Ehe vor dem Inkrafttreten des Ersten
Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 14.06.1976 am 01.07.1977 durch Urteil vom 25.10.1973 geschieden worden
ist.
Nach den Vorschriften des EheG kommt ein Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen den Versicherten nicht in Betracht. Hier wurde die Ehe durch Urteil des LG
vom 25.10.1973 aus dem Verschulden der Klägerin geschieden. Die Klägerin habe eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 43 EheG begangen. § 58 Abs 1 EheG bestimmt, dass der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen
der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren hat, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer
Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Dagegen regelt Abs 2 dieser Vorschrift, dass die allein oder überwiegend für schuldig erklärte
Frau dem geschiedenen Mann angemessenen Unterhalt zu gewähren hat, soweit er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.
Danach war ein Unterhaltsanspruch des Versicherten gegen die Klägerin möglich, nicht jedoch ein Anspruch der Klägerin gegen
den Versicherten.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Ausführungen der Klägerin, die Ehe sei tatsächlich aus dem alleinigen Verschulden
des verstorbenen Ehemannes geschieden worden. Die Versicherungsträger und die Gerichte sind bei Anwendung des §
243 SGB VI an den Schuldspruch im Scheidungsurteil gebunden (BSG Urteil vom 24.11.1960 - 10 RV 351/58 = SozR Nr 3 zu § 42 BVG; BSG Urteil vom 15.12.1967 - 5 RKn 32/66 = SozR Nr 21 zu § 1291
RVO; BSG Urteile vom 19.12.1968, 5 RKn 17/67 = SozR Nr 25 zu § 1291
RVO, 5 RKn 57/67 = SozR Nr 26 zu § 1291
RVO).
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente nach §
243 Abs
3 SGB VI idF vom 15.12.2004. Danach besteht Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente auch ohne Vorliegen der in §
243 Abs
2 Nr
3 SGB VI genannten Unterhaltsvoraussetzungen für geschiedene Ehegatten, die
1. einen Unterhaltsanspruch nach Absatz 2 Nr 3 wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung
oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten
und
2. im Zeitpunkt der Scheidung entweder
a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen haben (§
46 Abs
2 SGB VI)
oder
b) das 45. Lebensjahr vollendet hatten und
3. entweder
a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen (§
46 Abs
2 SGB VI),
b) erwerbsgemindert sind,
c) vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig (§
240 Abs
2 SGB VI) sind,
d) am 31.12.2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind oder
e) das 60. Lebensjahr vollendet haben,
wenn auch vor Anwendung der Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes weder ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente
für eine Witwe oder einen Witwer noch für einen überlebenden Lebenspartner des Versicherten aus dessen Rentenanwartschaften
besteht.
Zwar hatte die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung noch zwei Kinder des Versicherten erzogen und zum Zeitpunkt ihres Rentenantrages
das 60. Lebensjahr bereits vollendet. Allerdings fehlt es an der Voraussetzung des Abs 3 Nr 1, die kumulativ neben den Nrn
2 und 3 erfüllt sein muss, und zwar dass der Unterhaltsanspruch (nur) deswegen nicht bestanden hat, weil der Versicherte angesichts
seiner Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse nicht unterhaltsfähig und/oder die frühere Ehefrau wegen ihrer Erträgnisse aus
einer Erwerbstätigkeit nicht unterhaltsbedürftig war. Fehlte die Unterhaltspflicht des Versicherten aus anderen Gründen, kann
§
243 Abs
3 SGB VI keinen Rentenanspruch begründen (vgl. BSG Urteil vom 22.07.1992 - 13 RJ 17/91 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 8 mwN). Da der Versicherte hier der Klägerin schon deswegen keinen Unterhalt zu gewähren hatte, weil
die Ehe aus dem Verschulden der Klägerin geschieden wurde, kann die Klägerin einen Rentenanspruch aus §
243 Abs
3 SGB VI nicht beanspruchen. Aus diesen Gründen kommt es auch nicht auf die Frage der Folgen oder der Wirksamkeit des vereinbarten
Unterhaltsverzichtes an, da es schon an einem Unterhaltsanspruch dem Grunde nach fehlt.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gem. §
160 Abs
2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.