Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei einer psychischen Erkrankung
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab
Antragstellung (24.02.2005) hat.
Die 1946 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und lebt seit 1970 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hat keine
Berufsausbildung absolviert und war zuletzt bis 2002 mit Unterbrechungen als Löterin bzw. Maschinenarbeiterin in der Sichtkontrolle
versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete infolge arbeitgeberseitiger Kündigung. Ab 01.08.2002 bezog
die Klägerin Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Seit dem Jahr 2005 übt sie eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung
aus.
Am 24.02.2005 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines ärztlichen Attestes ihres behandelnden Internisten Dr.I. vom 24.02.2005
wegen essentieller Hypertonie, Herzrhythmusstörungen und traumatisierter Depression die Gewährung von Erwerbsminderungsrente
bei der Beklagten. Diese holte nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte ein sozialmedizinisches Gutachten von Dr.von G. ein,
der in seinem Gutachten vom 15.03.2005 zu dem Ergebnis kam, dass die Klägerin zwar ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Löterin
nicht mehr ausüben könne, jedoch leichte, teilweise mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung
qualitativer Leistungseinschränkungen noch im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich verrichten könne. Die Beklagte lehnte
darauf hin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 30.03.2005 den Antrag ab, da weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung
bestehe und auch eine Berufsunfähigkeit nach §
240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) nicht gegeben sei. Hiergegen legte die Klägerin am 28.04.2005 Widerspruch mit der Begründung ein, sie könne wegen ihres
Bluthochdrucks, der Schulterschmerzen und Depressionen nicht mal mehr eine Stunde durchhalten, sie sei auch wegen der Krankheiten
gekündigt worden. Nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen holte die Beklagte ein internistisch/sozialmedizinisches
Gutachten von Dr.B. vom 28.11.2005 sowie ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten von Frau Dr.H. vom 24.01.2006 ein. Beide
Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte bis teilweise mittelschwere Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen noch Umfang von mindestens 6 Stunden täglich
auszuüben. Die Beklagte wies sodann den Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.03.2005 mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2006
als unbegründet zurück.
Das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin beigezogen und ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten von Dr.B.
B. eingeholt. Dieser stellte im Gutachten vom 09.10.2006 fest, dass die Klägerin unter Dysthymie, Angststörung, HWS-Wurzelreizsyndrom,
Übergewicht, Bluthochdruck und Z. n. Hepatitis B leide. Die Klägerin könne jedoch gleichwohl noch leichte, gelegentlich mittelschwere
körperliche Arbeiten in wechselnder Körperposition, in geschlossenen Räumen, ohne schweres Heben und Tragen im Umfang von
mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Stresshafte Arbeitsbedingungen
wie Akkord- oder Schichtarbeit sollten vermieden werden. Die festgestellte Leistungsminderung bestehe seit Antragstellung.
Eine wesentliche Änderung seit der Begutachtung durch Frau Dr.H. habe sich im Gesundheitszustand der Klägerin nicht ergeben.
Eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens liege nicht vor. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass die bestehende qualitative
Leistungsminderung behoben werden könne. Die Beeinträchtigungen auf internistischem und orthopädischem Fachgebiet seien nicht
von größerer Bedeutung. Im Rahmen der Stellungnahme zum Gutachten Dr. B. ließ die Klägerin ein Attest ihres behandelnden Nervenarztes
Dr.S. vom 09.11.2006 vorlegen, worin dieser der Bewertung durch Dr. B. widersprach. Die Klägerin leide nicht lediglich unter
Dysthymie, sondern seit Jahren unter einem vorzeitigen Versagenszustand bei einer schweren chronifizierten therapieresistenten
Erschöpfungsdepression mit schweren Unruhezuständen, Selbstwertstörungen, lebensüberdrüssigen Gedanken und schwersten Schlafstörungen.
Außerdem leide die Klägerin unter einer schweren chronifizierten Angststörung bei emotional instabiler Persönlichkeit, insbesondere
Ängste vor schweren Krankheiten, Ängsten das Leben nicht mehr zu meistern, existentiellen Ängsten vor der Zukunft sowie schwere
nächtliche Alb- und Angstträume. Aus dem daraufhin vom SG von Dr.S. angeforderten Befundbericht ergaben sich seit dem 01.07.2004 bis November 2006 lediglich 5 Behandlungstermine sowie
eine medikamentöse Behandlung der Depression mit Mirtazapin 15 mg 1 mal täglich eine halbe Tablette.
Das SG hat mit Urteil vom 26.02.2007 die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin sei nach den vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten
noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang
von mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Damit liege weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung im Sinne
des §
43 SGB VI vor. Da die Klägerin keine berufliche Ausbildung absolviert habe, sondern lediglich ungelernte Arbeiten bzw. Arbeiten mit
einer Anlernzeit von wenigen Monaten verrichtet habe, liege auch keine Berufsunfähigkeit im Sinne des §
240 SGB VI vor. Sie sei unter Berücksichtigung des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar
zu verweisen. Im Hinblick auf die bestehende psychische Erkrankung der Klägerin sei festzuhalten, dass im Zeitraum zwischen
November 2005 bis März 2006 zwar eine Behandlung im monatlichen Abstand stattgefunden habe, danach jedoch erst wieder im November
2006. Von einer konsequenten und langanhaltenden psychiatrischen Behandlung könne deshalb keine Rede sein.
Zur Begründung der hiergegen am 08.06.2007 zur Niederschrift des SG eingelegten Berufung hat die Klägerin einen Bescheid des Versorgungsamtes A-Stadt vom 20.04.2007 vorgelegt, wonach ihr bestandskräftig
ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 zuerkannt wurde, hierbei entfällt ein Einzel-GdB von 60 auf "seelische Krankheit mit
Angststörung und Schlafstörung".
Der Senat hat ärztliche Befundberichte von Dr.I. und Dr.S. sowie die Akte des Versorgungsamtes A-Stadt beigezogen und sodann
Dr. C. mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt. Dr.C. kommt in seinem Gutachten vom 18.04.2009
zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Symptomkomplex bestehend aus Verstimmungszuständen, Ängsten und körperlichen Beschwerden
bestehe, so dass die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie einer undifferenzierten Somatisierungsstörung
zu stellen seien. Zwar könne die Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung in Übereinstimmung mit Dr.B. bei der Klägerin
nicht gestellt werden, es zeigten sich jedoch zumindest emotional instabile und insbesondere histrionische Züge in der Persönlichkeit
der Klägerin. Gegenüber den Begutachtungen von Frau Dr.H. und Herrn Dr.B. zeige sich eine Verschlechterung der depressiven
Störung auf ein mittelschweres Niveau. Es könne aber weder angesichts der durchgeführten Behandlungsmaßnahmen noch angesichts
der geringen psychopharmakologischen Medikation von einer Therapieresistenz ausgegangen werden. Auch der Hinweis auf eine
Medikamentenunverträglichkeit aufgrund der Lebererkrankung sei medizinisch nicht haltbar. Unter Berücksichtigung dieser gesundheitlichen
Beeinträchtigungen sei die Klägerin in ihrer psychophysischen Belastbarkeit eingeschränkt. Sie könne nur noch körperlich leichte
und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen sowie in wechselnder Position ohne schweres Heben und Tragen
von Lasten sowie ohne andauernde Zwangshaltungen verrichten. Zu vermeiden seien außerdem auch Tätigkeiten unter ungünstigen
Umwelteinflüssen, beispielsweise Kälte, Nässe, Lärm. Tätigkeiten mit nervlicher Belastung, z. B. Arbeiten unter Zeitdruck,
in der Nachtschicht, im Akkord, am Fließband sowie mit besonderer Beanspruchung des Konzentrations- und Reaktionsvermögens
seien ebenfalls ungeeignet. Gleichwohl sei die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte und gelegentlich mittelschwere
Tätigkeiten ohne nervliche Belastung mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zusätzliche Pausen seien nicht erforderlich.
Wegefähigkeit sei gegeben. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenarbeiterin in der Sichtkontrolle könne die Klägerin
ebenfalls noch ausüben, sofern es sich hier um keine schwere körperliche Arbeit handele. Eine Besserung ihres Zustandes wäre
bei Intensivierung der nervenärztlichen, insbesondere der psychopharmakologischen und der psychotherapeutischen Therapie durchaus
in absehbarer Zeit möglich, wenngleich die bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen auch bei optimaler Therapie wohl
bestehen bleiben würden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.02.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 13.03.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.03.2005 Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.02.2007 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig, jedoch unbegründet, da das SG zu Recht mit Urteil vom 26.02.2007 die Klage abgewiesen hat. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach §
43 SGB VI. Auch die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI liegen nicht vor.
Gemäß §
43 Abs.1
SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder
Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß §
43 Abs.1 S 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach §
43 Abs.2 Satz 2
SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die Klägerin ist nach Überzeugung des Senats trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der
Lage, leichte bis teilweise mittelschwere Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens
6 Stunden täglich zu verrichten, wenn auch unter Beachtung von qualitativen Leistungseinschränkungen, d. h. bei Vermeidung
von Arbeiten mit Zwangshaltungen, ungünstigen Witterungsverhältnissen und insbesondere Arbeiten mit nervlicher Belastung.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf das eingeholte Sachverständigengutachten von Dr.C., der umfassend und für den Senat
in vollem Umfang nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Klägerin zwar unter einer erheblichen psychischen und psychosomatischen
Erkrankung leidet, diese aber noch nicht als therapieresistent angesehen werden kann, weil sie in der Vergangenheit nur gelegentlich
ambulant und nur unzureichend medikamentös behandelt wurde und eine nachhaltige Intensivierung, gegebenenfalls auch in Form
einer stationären Heilbehandlung, hier in absehbarer Zeit eine Besserung erreichen könnte. Die zur Zeit bestehenden gesundheitlichen
Einschränkungen bedingen lediglich die vom Sachverständigen Dr.C. aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen, führen
aber - zumindest gegenwärtig - noch nicht zu einer Minderung des quantitativen Leistungsvermögens im rentenrechtlich relevanten
Umfang, selbst wenn Dr.C. gegenüber der im Verwaltungsverfahren durchgeführten Begutachtung aus dem Jahr 2005 eine Verschlechterung
der psychischen Erkrankung konstatierte. Die jeweilige Arbeitsmarktlage, d. h. die Frage, ob es der Klägerin gelingen kann,
für ihr vorhandenes Leistungsvermögen auch tatsächlich einen Arbeitsplatz zu finden, ist hierbei gemäß §
43 Abs.3
SGB VI nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit nach §
240 SGB VI, da die Klägerin nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr.C. ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenarbeiterin
in der Sichtkontrolle noch im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann. Soweit Frau Dr.H. im Verwaltungsverfahren
und der gerichtliche Sachverständige Dr. B. die Ansicht vertreten hatten, dass die Klägerin ihre letzte Tätigkeit als Löterin
wegen der damit verbundenen Zwangshaltungen nicht mehr im Umfang von mindestens 3 Stunden täglich ausüben könne, läge zwar
eine Leistungseinschränkung im Sinne des §
240 Abs.2
SGB VI vor. Gleichwohl hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine entsprechende Rentenleistung gegen die Beklagte, weil die Klägerin
sozial zumutbar auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könnte. Die Klägerin hat keine Berufsausbildung
absolviert und hat lediglich ungelernte oder angelernte einfache Arbeiten verrichtet. Sie ist deshalb hinsichtlich ihrer beruflichen
Qualifikation der unteren Stufe des Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (BSGE 55, 45, 46) zuzuordnen und kann auf alle ungelernten und angelernten einfachen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen
werden. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes kann die Klägerin nach den vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten
unter Beachtung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch noch im Umfang von mindestens 6 Stunden verrichten,
sodass auch keine Berufsunfähigkeit im Sinne des §
240 SGB VI vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.2 Nr.1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.