Zulässigkeit der Wiederaufnahme eines sozialgerichtlichen Verfahrens; Fehlen der Unterschrift der Berufsrichter
Tatbestand
Die 1957 geborene Klägerin begehrt die Fortführung eines Berufungsverfahrens.
Im ursprünglichen Berufungsverfahren am Bayerischen Landessozialgericht (LSG) mit dem Aktenzeichen L 7 AS 264/07 begehrte die Klägerin höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2005 bis einschließlich 30.09.2006. Dieses Verfahren endete durch Vergleich im Erörterungstermin
vom 06.10.2008. Durch den Vergleich erhielt die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere Kosten der Unterkunft.
Ziffer III. des Vergleiches lautet: "Die Parteien sind sich darüber einig, dass damit der Rechtsstreit in vollem Umfang erledigt
ist."
Bereits am 30.10.2008 begehrte die Klägerin die Fortsetzung des ursprünglichen Berufungsverfahrens, weil der Vergleich unwirksam
sei. Mit Urteil vom 27.11.2008, Az. L 7 AS 446/08, entschied das LSG wie folgt: "Es wird festgestellt, dass das Verfahren L 7 AS 264/07 durch Prozessvergleich vom 06.10.2008 erledigt worden ist." Die Revision wurde nicht zugelassen. Das Urteil wurde der Klägerin
laut Postzustellungsurkunde am 28.02.2009 zugestellt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht wurde nicht
eingelegt.
Mit Schreiben vom 30.11.2013 beantragte die Klägerin die Fortführung bzw. die Wiederaufnahme des Verfahrens L 7 AS 446/08. Bei Durchsicht ihrer Unterlagen habe sie festgestellt, dass ihr das Urteil vom 27.11.2008 nicht wirksam zugestellt worden
sei. Sie habe nur eine beglaubigte und von der Urkundsbeamtin unterschriebene Ausfertigung erhalten. Die handschriftlichen
Unterschriften der Richter würden fehlen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Berufungsverfahren L 7 AS 446/08 fortzuführen,
hilfsweise
wieder aufzunehmen und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 30.09.2006 höhere Leistungen
nach SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
festzustellen, dass das Verfahren L 7 AS 446/08 durch Urteil vom 27.11.2008 erledigt worden ist.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten des Beklagten und die vorgenannten Akten des Berufungsgerichts
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag, das Berufungsverfahren L 7 AS 446/08 fortzuführen, bleibt erfolglos, weil dieses Verfahren durch Urteil vom 27.11.2008 erledigt worden ist. Das Urteil wurde der
Klägerin ordnungsgemäß zugestellt. Die Klägerin hat kein Rechtsmittel zum Bundessozialgericht eingelegt. Zweifel an der Wirksamkeit
des Urteils vom 27.11.2008 bestehen nicht.
Der Hilfsantrag auf Wiederaufnahme dieses Verfahrens war als unzulässig zu verwerfen.
Nach §
179 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buchs der
Zivilprozessordnung (§§
578 ff
ZPO) wieder aufgenommen werden. Zuständig ist gemäß §
584 Abs.
1 ZPO das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat, mithin gemäß dem Geschäftsverteilungsplan A, VI. 2 c) der 7. Senat des
Bayerischen Landessozialgerichts, der das Urteil vom 27.11.2008 gesprochen hat.
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist gemäß §
589 Abs.
1 Satz 2
ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil es an einer schlüssigen Behauptung eines Anfechtungsgrundes fehlt. Dies ist nach allgemeiner
Auffassung eine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Wiederaufnahmeklage (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.1997, 9 RV 2/96 = BSGE 81, S. 46; Leitherer in Meyer-Ladewig,
Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage 2012, §
179 Rn. 9; Arndt in Breitkreuz / Fichte,
SGG, 2. Auflage 2014, §
179 Rn. 24). Dies lässt sich aus §§
587,
588 ZPO herleiten.
Der Vortrag, dem Urteil vom 27.11.2008 fehle es an Originalunterschriften der erkennenden Richter, ist kein in §§
579,
580 ZPO oder §
179 Abs.
2 SGG genannter Anfechtungsgrund. Das ist auch nicht möglich, weil das Urteil der Klägerin in der nach dem Gesetz vorgesehenen
Form zugestellt wurde. Die Urschrift des Urteils mit den Unterschriften der Richter nach §
153 Abs.
3 SGG befindet sich in den Originalakten des Gerichts. Die Beteiligten erhalten eine Ausfertigung des Urteils, die gemäß §
137 Satz 1
SGG vom Urkundsbeamten unterschrieben und mit dem Gerichtssiegel versehen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O., § 135 Rn.
2).
Der Antrag ist ferner als unzulässig zu verwerfen, weil dieser Antrag nicht binnen der einmonatigen Notfrist nach §
586 Abs.
1 ZPO erhoben wurde. Diese Frist beginnt nach Absatz
2 dieser Vorschrift mit dem Tag, an dem die Partei von dem Anfechtungsgrund (hier den angeblich fehlenden Unterschriften) Kenntnis
erhält, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils. Dies gilt nicht für die - hier nicht vorliegende - Nichtigkeitsklage
wegen mangelnder Vertretung. Der Klägerin lag das Urteil vom 27.11.2008 ohne die Originalunterschriften der Richter bereits
ab Ende Februar 2009 vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SG ersichtlich sind.