Schwerbehindertenrecht
Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer
Voraussetzung der fehlenden Konkurrenzfähigkeit auf dem gesamten Arbeitsmarkt wegen der behinderungsbedingten Einschränkungen
Tatbestand:
Der 1951 geborene, verheiratete Kläger ist von Beruf Facharbeiter für Kabelmechanik. Er arbeitete bis Ende 1993 in verschiedenen
Tätigkeiten, u. a. als Kraftfahrer im Staatlichen Kontrolldienst, Gruppenleiter in einem Kinderferienlager, Delegationsbetreuer
bzw. -fahrer im Ministerium der ehemaligen DDR, Abteilungsleiter für mat. techn. Basis im Kverband B, Lehrausbilder des Z-instituts,
Brandschutzinspektor im Zentralen W, Mitarbeiter/technischer Redakteur im Staatlichen Z bzw. Statistischen Z (der ehemaligen
DDR), Bürosachbearbeiter bzw. Sachbearbeiter im Statistischen Bamt. Ab 01. Januar 1994 war der Kläger zunächst arbeitslos.
Der Kläger arbeitete ab 01. April 1995 als vollbeschäftigter Aushilfsangestellter (Fachkraft für IT Schulung) zur Vertretung
für einen anderen Angestellten beim Land Berlin, vertreten durch den P in Berlin zunächst befristet bis zum 31. Dezember 1996.
Der Beginn seiner Beschäftigungszeit nach § 19 des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) wurde auf den 28. August 1993 festgestellt. Für die Zeit ab 01. Januar 1997 wurde der Arbeitsvertrag verlängert ohne Nennung
eines bestimmten Datums, aber abhängig davon, ob für den vertretenen Angestellten eine anderweitige Verwendung gefunden, dieser
umgesetzt, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide oder die Stelle anderweitig frei würde. Am 21. April 1999 schlossen die Arbeitsvertragsparteien
einen Arbeitsvertrag (vom 22. Oktober 1999) auf unbestimmte Zeit, wonach der Kläger als vollbeschäftigter Angestellter weiter
beschäftigt wurde. Zum 01. Oktober 2001 wurde der Kläger auf unbestimmte Zeit als vollbeschäftigter Angestellter bei derselben
Dienststelle als technischer Sachbearbeiter Sicherheitstechnik tätig. Seine Vergütung regelte sich von da an vorläufig nach
der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 21 des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT). Mit Wirkung ab 01. Dezember 2001 richtete sich die Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b BAT. Nach einem Schreiben vom 04. Januar 2002 des P in Berlin sollte der Kläger nach einer achtjährigen Bewährung in der Tätigkeit
als Sachbearbeiter Sicherheitstechnik in die Vergütungsgruppe IV a (Anlage 1 a zum BAT Teil I Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 10 c) BAT frühestens am 01. Dezember 2009 höhergruppiert werden. Der P in Berlin teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. November 2005
mit, dass die von ihm wahrgenommene Aufgabe eines technischen Sachbearbeiters Sicherheitstechnik in der Folge von Umstrukturierungen
wegfalle. Damit einhergehend wurde die mit diesem Aufgabengebiet verbundene Stelle im Haushaltsjahr 2006 mit einem sogenannten
"kw" Vermerk versehen (kw: künftig wegfallend). Infolgedessen wurde der Kläger mit Wirkung zum 01. Juni 2006 aus dienstlichen
Gründen zum Zentralen P versetzt. Für den Zeitraum vom 01. Juni 2006 bis 30. September 2007 ordnete diese Dienstbehörde den
Kläger als technischen Angestellten zum P in Berlin ab. Da sich während der Abordnung des Klägers zum P in Berlin keine weitere
Stellenperspektive ergeben hatte, wurde er mit Wirkung vom 09. Juli 2007 zunächst befristet bis 08. Juli 2008 zum Landesbetrieb
für Gebäudebewirtschaftung in den Bereich Technische Dienste abgeordnet. Mit der Abordnungsverfügung vom 28. Juni 2007 versicherte
ihm seine personalführende Dienststelle, dass seine Tätigkeit seiner bisherigen Vergütungsgruppe entspreche und sie voll von
den arbeitsvertraglichen Grundlagen gedeckt sei. In den Zeiträumen von Januar bis März 2007 sowie August 2007 bis März 2008
war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Mit Wirkung vom 01. Juli 2010 wurde der Kläger für den Zeitraum vom 01. Juli 2010
bis 30. Juni 2011 zu der Dienstbehörde der Senatsverwaltung für S in einen befristeten Übergangseinsatz zur Projektarbeit
mit hohem technischen Verständnis (Gservice) abgeordnet.
Infolge des In Kraft Tretens des Tarifvertrages zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft
deutscher Länder (Angleichungs Tarifvertrag Land Berlin) mit Wirkung zum 01. November 2010 wurde die Vergütung des Klägers
von bislang der Vergütungsgruppe IV b BAT/BAT O nach Maßgabe der Anlage 1 (Entgelttabelle) des Angleichungs-Tarifvertrages
des Landes Berlin in die Entgeltgruppe 10, individuelle Zwischenstufe 4 +, übergeleitet. Zu seinem Bewährungsaufstieg sollte
der Kläger eine gesonderte Mitteilung erhalten. Mit Wirkung zum 01. Juli 2011 wurde seine Abordnung zur Dienststelle der Senatsverwaltung
für S weiterhin für einen befristeten Übergangseinsatz bis 30. Juni 2012 verlängert. Zum 09. August 2012 hatte der Kläger
die geforderte Bewährungszeit für eine Höhergruppierung erfüllt und von diesem Zeitpunkt an wäre seine Vergütung nach der
Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 10 c BAT möglich gewesen. Ab 01. August 2012 bestimmte sich seine Vergütung nach Entgeltgruppe 10 Endstufe 5+.
Als sogenannte Personalüberhangskraft des ehemaligen ZeP wurde der Kläger nach § 3 Abs. 1 des Stellenpoolauflösungsgesetzes
(StPAuflG) mit Wirkung vom 01. Juni 2013 zur Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt versetzt. Eine Änderung seiner
arbeitsvertraglichen Bedingungen ist mit der Versetzung nicht verbunden gewesen. Seine Stelle ist auch dort mit einem kw-Vermerk
versehen. Der Kläger arbeitet bei der Senatsverwaltung für zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Referat P-management und V-wesen.
Durch Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSoz) vom 16. Juni 2005 ist beim Kläger ein Grad der Behinderung
(GdB) von 30 wegen einer Gebrauchsminderung und Funktionseinschränkung der linken Hand bei Zustand nach operativ versorgtem
Handgelenksbruch mit außergewöhnlichem Schmerzsyndrom, regelmäßig wiederkehrenden Bronchitiden, Reizmagen, Migräne mit leichter
Verlaufsform mit ein- bis zweimal monatlichem Anfall, endogenes Ekzem mit wiederkehrenden lokalen Hauterscheinungen ab März
2005 sowie die dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt worden. Durch Bescheid vom 04. November 2009 beträgt
der GdB 40 mit Wirkung ab 7. August 2008. Bei der Feststellung zur dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit verblieb
es.
Der Kläger hatte bereits am 13. Januar 2006 einen Antrag bei der Agentur für Arbeit Berlin-Mitte auf Gleichstellung mit einem
schwerbehinderten Menschen nach §
2 Abs.
3 SGB IX gestellt. Zur Begründung seines Antrages führte er aus, dass sein Arbeitsverhältnis wegen seiner Behinderungen gefährdet
sei. Dies wirke sich durch mehrfach lange und kürzere Krankschreibungen und eine verminderte Arbeitsleistung aus. Die Mithilfe
von anderen Mitarbeitern sei erforderlich. Infolge einer Radiusfraktur und sich daraus ergebenden Problemen befinde er sich
laufend in ärztlicher Behandlung.
Auf Befragen der Beklagten ließ der P in Berlin erklären, dass gesundheitliche Einschränkungen des Klägers ihm bekannt seien
("GdB 30 ohne Gleichstellung"). Sie wirkten sich nicht auf die derzeitige Tätigkeit aus; jedenfalls sei dies nicht bekannt.
Der Arbeitsplatz des Klägers sei aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen nicht gefährdet und auch nicht aus sonstigen
Gründen gefährdet. Eine Möglichkeit zu einer innerbetrieblichen Umsetzung habe nicht bestanden. Die Schwerbehindertenvertretung
ZSE bei dem P in Berlin erklärte auf Befragen der Beklagten, die Arbeitsweise des Klägers sei durch einen Unfall stark eingeschränkt.
Er sei als Berater von Brandmeldeanlagen tätig und müsse hierzu Baustellen und andere Dienststellen der Polizei aufsuchen.
Arbeiten im Büro sowie am PC könnten nur mit starken Beschwerden verrichtet werden. Er habe Medikamente einzunehmen. Im Oktober
2006 sei er zum vierten Mal am Handgelenk operiert worden. Bedingt durch seine Erkrankungen sei es häufiger zu krankheitsbedingten
Fehlzeiten gekommen, dies sei auch zukünftig zu erwarten. Der Arbeitsplatz des Klägers sei aus Sicht der Behindertenvertretung
gefährdet. Auf weitere Ermittlungen der Beklagten erklärte der Personalrat der ZSE, die gesundheitlichen Einschränkungen des
Klägers seien bekannt. Sie wirkten sich auf die derzeitige Tätigkeit durch häufige Fehlzeiten und Einschränkungen am Arbeitsplatz
aus. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen wurde verneint.
Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 11. Mai 2006 die Gleichstellung des Klägers mit einem schwerbehinderten Menschen ab.
Ein Arbeitsplatz sei nicht vorwiegend aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet, sondern eher wegen des geplanten Stellenabbaus
bzw. wegen der geplanten Versetzung zum Stellenpool. Sollte er eine Aussicht auf ein Dauerarbeitsverhältnis haben, werde ihm
anheimgestellt, einen neuen Antrag zu stellen.
Der Kläger legte hiergegen am 02. Juni 2006 Widerspruch ein, zu dem er vortrug, zutreffend sei, dass er nicht in einem Dauerarbeitsverhältnis
stehe. Für ihn sei die Gleichstellung insofern von größter Wichtigkeit, um seine Chancen für die Versetzung auf eine neue
Stelle, ggf. auch in eine andere Behörde, gegenüber den Mitbewerbern zu korrigieren.
Auf nochmalige Anfrage der Beklagten erklärte das ZeP mit Schreiben vom 03. Juli 2006, dass weder das Arbeitsverhältnis des
Klägers zum Land Berlin noch sein konkreter Einsatz (Arbeitsplatz) im Bereich des P aus Gründen der Behinderung gefährdet
sei. Er sei zwischenzeitlich zu ihm (ZeP) versetzt worden. Der Personalrat beim ZeP teilte unter dem 04. August 2006 der Beklagten
mit, der Kläger stünde in einem unbefristeten Dauerarbeitsverhältnis zum Land Berlin. Er habe jedoch zurzeit keine Planstelle
inne, sondern befinde sich in einem befristeten Finanzierungseinsatz auf einer befristeten Stelle beim P in Berlin. Dorthin
sei er vom ZeP abgeordnet worden. Dieses Amt nehme die Arbeitgeberfunktion für das Land Berlin wahr. Wenn er nach Ende der
Beurlaubung des Stelleninhabers beim P nicht dort weiterbeschäftigt werden könne, sei nicht auszuschließen, dass er eine feste
Stelle beim Polizeipräsidenten bekäme, dass er weiter im Rahmen eines Überhangseinsatzes beschäftigt werde oder dass er vom
ZeP anderweitig in einen Übergangseinsatz abgeordnet werde oder dass für ihn eine Planstelle in einer Berliner Verwaltung
gefunden werde.
Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung
aus, der Arbeitsplatz des Klägers sei nicht aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes
könne in dem allgemein geplanten Stellenabbau und der geplanten Versetzung in den Stellenpool gesehen werden. Von diesen strukturellen
Veränderungen beim Arbeitgeber seien jedoch alle Mitarbeiter - ob behindert oder nicht behindert - gleichermaßen betroffen.
Eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen würde bei ihm eine Besserstellung bedeuten, obwohl eine Gefährdung des
Arbeitsplatzes nicht im Zusammenhang mit einer Behinderung stünde.
Der Kläger hat am 09. März 2007 Klage zum Sozialgericht Berlin erheben lassen. Entgegen der Darstellung der Beklagten im Widerspruchsbescheid
seien die gesundheitlichen Einbußen derart gravierend und ausschlaggebend für die Gefährdung des Arbeitsplatzes, dass eine
Gleichstellung berechtigt sei. Seine Versetzung sei einzig und allein aus dem Grund erfolgt, weil er behinderungsbedingt häufiger
ausgefallen sei. Dies könne nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.
Die Beklagte hat ergänzend zu ihren Ausführungen im Widerspruchsbescheid vorgetragen, der Kläger habe nichts vortragen lassen,
dass die Behinderung die wesentliche Ursache für eine mögliche Arbeitsplatzgefährdung sei.
Das Sozialgericht Berlin hat durch Urteil vom 19. August 2010 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen
für eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen lägen beim Kläger nicht vor. Sein Arbeitsplatz sei nicht aufgrund
behinderungsbedingter Auswirkungen gefährdet. Das Schreiben der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung vom 20. Februar
2006, auf das der Kläger in der mündlichen Verhandlung besonders hingewiesen habe, stehe der negativen Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung
als solcher nicht entgegen. Darin werde lediglich die Annahme geäußert, dass, bedingt durch Erkrankungen (Behinderungen) des
Klägers, es häufiger zu krankheitsbedingten Fehlzeiten kommen werde und dass der Arbeitsplatz des Klägers aus der Sicht der
Vertrauensperson gefährdet sowie nach Wegfall von dessen Aufgabengebiet der Kläger gegenüber nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern
nicht wettbewerbsfähig sei. Der Arbeitgeber habe vielmehr überzeugend dargelegt, dass der Kläger infolge Umstrukturierung
in der Behörde seinen bisherigen Arbeitsplatz nicht weiterhin habe einnehmen können. Er stünde in einem unbefristeten Dauerarbeitsverhältnis
zum Land Berlin.
Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 31. August 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. September 2010 Berufung
beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Er nimmt Bezug auf die Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung
vom 20. Februar 2006.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. August 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn einem schwerbehinderten Menschen
gleichzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt im Wesentlichen ihre bereits im Widerspruchsverfahren bzw. Klageverfahren gemachten Ausführungen.
Die Personalakten des Klägers sind vom Land Berlin zum Verfahren beigezogen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten wegen des Verfahrens wird auf die Gerichtsakten, die Akten
der Beklagten sowie zwei Bände Personalakten der Senatsverwaltung Stadtentwicklung und Umweltschutz verwiesen. Die Akten haben
vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Eine Berufungsbeschränkung nach §
144 Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) liegt nicht vor, weil die Klage keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft.
Der Arbeitgeber des Klägers war nicht notwendig beizuladen, weil ihm gegenüber eine Entscheidung nicht ergeht, §
75 Abs.
2, 1. Alternative
SGG. Denn ein Arbeitgeber kann nicht geltend machen, durch die Gleichstellung eines Arbeitnehmers mit einem schwerbehinderten
Menschen in eigenen Rechten verletzt zu sein (BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 2; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 12. August 2010 - L 8 AL 180/08 -, juris). Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
(§
54 Abs.
1 Satz 1, §
56 SGG) zu Recht abgewiesen, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen oder jedenfalls auf
Neubescheidung durch die Beklagte hat.
Nach §
2 Abs.
3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des
Abs. 2 der Vorschrift vorliegen, mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung
ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des §
73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
Bei dem Kläger haben ausweislich des Bescheides des LaGeSoz vom 16. Juni 2005 bereits ab März 2005 - also im Zeitpunkt der
Antragstellung - die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von 30 vorgelegen; mit Wirkung ab 7. August 2008 ist der
GdB mit 40 bewertet worden (Bescheid des LaGeSoz vom 4. November 2009).
Die in §
2 Abs.
3 SGB IX erwähnten "weiteren Voraussetzungen des Abs.
2" sind erfüllt, weil der Kläger in Berlin, zwischenzeitlich in M, Land Brandenburg wohnhaft und aufgrund seiner Anstellungsverträge
bei Dienststellen des Land Berlins beschäftigte Kläger - wie von §
2 Abs.
2 SGB IX gefordert - seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne von
§
73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des Gesetzbuches hatte bzw. hat. Im Ergebnis kann dabei dahingestellt bleiben, ob für Bestimmung
des "Arbeitsplatzes" auf die Ausführungen zu BSG (Urteil vom 06. Mai 1994 - 7 RAr 68/93 -, juris Rn. 32) zum im Wesentlichen inhaltsgleichen § 7 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) im Rahmen einer Entscheidung zur Rechtmäßigkeit von Bescheiden der Beklagten gemäß § 13 Abs. 2 SchwbG über die Anzahl der bei der Klägerin vorhandenen Arbeitsplätze und beschäftigten Schwerbehinderten zurückzugreifen ist oder
auf die Ausführungen im Urteil vom 01. März 2011 (Az.: B 7 AL 6/10 R, juris Rn. 12) zu einem Gleichstellungsverfahren eines Beamten. In der zuerst genannten Entscheidung wird ausgeführt: "Was
Arbeitsplatz iS des § 7 Abs. 1 SchwbG ist, bestimmt sich rein rechnerisch (Großmann ua, aaO., RdNrn 23 und 27 ff zu § 7; Cramer, aaO., RdNr 3 zu § 7; Neumann/Pahlen, SchwbG, 8. Aufl, RdNr 10 zu § 7), nicht etwa in einem gegenständlich-räumlichen Sinne als Beschäftigungsort bzw. in einem funktionalen Sinne als Inhalt dessen,
was arbeitsvertraglich von einem Beschäftigten verlangt wird." Aus der weiteren Entscheidung kann nicht ausgeschlossen werden,
dass wegen der Formulierung: "§
73 SGB IX, der den Begriff des Arbeitsplatzes als Stelle definiert, auf der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen,
Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden" doch
die funktionale Stelle gemeint sein kann (in diesem Sinne Hessisches LSG, Urteil vom 19. Juni 2013 - L 6 AL 116/112 -, juris
Rn. 28).
Eine Erledigung des Rechtsstreits ist nicht eingetreten, weil der Kläger, als er den Gleichstellungsantrag im Januar 2006
stellte, einen Arbeitsplatz (funktional oder als Rechengröße) in der Dienststelle des P in Berlin innehatte. Die funktionale
Beschäftigungsstelle des Klägers bestimmt sich auf der Grundlage seines Arbeitsvertrages zum Land Berlin; anderes ist nicht
festzustellen, wenn Arbeitsplatz als Rechengröße verstanden würde. Ausgehend hiervon ist das Begehren des Klägers, auch nach
seinen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung darauf gerichtet zu verstehen, dass er einen Arbeitsplatz, nicht auf einer
kw-Stelle, beim Land Berlin erhalten möchte. Der Umstand des Wechsels seiner Beschäftigungsstellen, durchaus mit anderen inhaltlichen
Aufgaben seit seinem Wechsel vom P in Berlin, führt nicht zur Erledigung des Rechtsstreits. Dies folgt auch aus der Beurteilung,
auf welche Sach- und Rechtslage maßgeblich abzustellen ist. Das materielle Recht zwingt zu einer differenzierenden Betrachtungsweise
(vgl. zum Folgenden: BSG, Urteil vom 2. März 2000- B 7 AL 46/99 R - juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Gleichstellung ist wegen der Rückwirkung zum Antragszeitpunkt
und des Charakters als Prognoseentscheidung "in erster Linie" (BSG aaO.) der Zeitpunkt der Antragstellung. Allerdings müssen aufgrund der Schutzrichtung und des Zweckes der Regelung neben
dem Sach- und Streitstand bei Antragstellung alle wesentlichen Änderungen der Sach- und Rechtslage bis zur letzten mündlichen
Verhandlung Berücksichtigung finden.
Die Voraussetzungen einer Gleichstellung liegen nicht vor.
Die Gleichstellung zum Erhalt des Arbeitsplatzes dient dazu, bei einer Arbeitsplatzgefährdung den Arbeitsplatz sicherer zu
machen. Für Personen, die einen "sicheren Arbeitsplatz" wie bei Beamten, Richtern auf Lebenszeit und Arbeitnehmern mit besonderem
Kündigungsschutz (Backendorf/Ritz in Bihr/Fuchs/Krauskopf/Ritz,
SGB IX, 2006, §
68 Rn. 39) innehaben, bedarf es einer besonderen Prüfung, ob die Voraussetzungen von §
3 Abs.
2 SGB IX vorliegen. Bei diesen Personengruppen können die allgemeinen Voraussetzungen der Gleichstellung wegen Arbeitsplatzgefährdung
zwar vorliegen, es bedarf aber einer besonderen Begründung, warum trotz Kündigungsschutz der Arbeitsplatz nachvollziehbar
unsicherer ist als bei einem nicht behinderten Kollegen. Dies ist bei einem Beamten beispielsweise der Fall, wenn behinderungsbedingt
die Versetzung in den Ruhestand (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Mai 2002 - L 9 AL 241/01; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. November 1995 - L 6 AR 159/94 -, ZfS 1996, 375 ff; Luthe in jurisPraxiskommentar,
SGB IX, 2010, §
2 Rn. 102; Backendorf/Ritz, aaO., RdNr 39) oder die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht
gleichwertigen Arbeitsplatz droht (Backendorf/Ritz aaO.; Luthe aaO.). Einen Gleichstellungsanspruch wegen Arbeitsplatzgefährdung
nehmen Rechtsprechung und Literatur daneben auch dann an, wenn die Behörde aufgelöst wird (LSG Nordrhein-Westfalen aaO.; Luthe
aaO.), obwohl in einem solchen Fall der Arbeitsplatz nicht (nur) gefährdet ist, sondern tatsächlich wegfällt und auch nicht
zu erkennen ist, weshalb bei der Auflösung einer Behörde der Arbeitsplatz nachvollziehbar unsicherer ist als bei einem nicht
behinderten Kollegen. Hier ist - wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes - eher an eine Gleichstellung zur Erlangung eines
geeigneten (neuen) Arbeitsplatzes zu denken.
Der Kläger hat einen sicheren Arbeitsplatz inne.
Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder - Berlin (TVL-Berlin) können Arbeitsverhältnisse
von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und unter die Regelungen des Tarifgebiets West fallen, nach einer
Beschäftigungszeit (Absatz 3 Satz 1 und 2) von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt
werden. Der Kläger genießt Kündigungsschutz für eine ordentliche Kündigung seines Arbeitgebers. Der Beginn der Beschäftigungszeit
des Klägers, der 1951 geboren worden ist, ist bei ihm ab 28. August 1993 festgestellt worden. Er befand sich durchgehend beim
Land Berlin in einem Arbeitsverhältnis. Ausgehend von diesem Datum war er ab 28. August 2008 nur noch aus wichtigem Grund
kündbar. Seine derzeitige Dienststelle, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, bestätigt diese Auffassung auch.
Besondere Umstände im o.a. Sinne, die prognostisch annehmen lassen, dass der Kläger trotz bestehender Unkündbarkeit eine Arbeitsplatzgefährdung
ausgesetzt ist, liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor. Dem Kläger drohte weder eine Versetzung in den Ruhestand aus
gesundheitlichen Grünen noch drohte ihm die behinderungsbedingte Versetzung oder Umsetzung auf einen anderen nicht gleichwertigen
Arbeitsplatz oder die Auflösung einer Behörde, bei der er beschäftigt war oder noch ist. Auch die Tatsache, dass es seit Stellung
des Gleichstellungsantrages bis zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu keiner Kündigung gekommen ist, spricht als Indiz
gegen eine Arbeitsplatzgefährdung. Eine ordentliche Kündigung - soweit diese noch möglich gewesen ist - ist zur Überzeugung
des Senats auch heute ausgeschlossen. Der Arbeitgeber hat zudem sowohl im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren erklärt,
dass der Arbeitsplatz des Klägers aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen zurzeit nicht gefährdet sei. Auf Befragen der
Beklagten ließ der P in Berlin erklären, dass gesundheitliche Einschränkungen des Klägers ihm bekannt seien ("GdB 30 ohne
Gleichstellung"). Sie wirkten sich nicht auf die derzeitige Tätigkeit aus; jedenfalls sei dies nicht bekannt. Der Arbeitsplatz
des Klägers sei aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen nicht gefährdet und auch nicht aus sonstigen Gründen gefährdet.
Auf weitere Ermittlungen der Beklagten erklärte der Personalrat der ZSE, die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers
seien bekannt. Sie wirkten sich auf die derzeitige Tätigkeit durch häufige Fehlzeiten und Einschränkungen am Arbeitsplatz
aus. Eine Gefährdung des Arbeitsplatzes aufgrund behinderungsbedingter Auswirkungen wurde ebenfalls verneint. Längere Fehlzeiten
wegen einer Arbeitsunfähigkeit lassen sich zwar von Januar bis März 2007 und August 2007 bis März 2008 feststellen. Aktivitäten
des Arbeitsgebers zu einer damals noch möglichen ordentlichen Kündigung des Klägers lassen sich anhand seiner Personalakte
nicht feststellen. Ihr fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass der Arbeitgeber zu irgendeinem Zeitpunkt auch nur die Arbeitsfähigkeit
des Klägers durch ein vertrauensärztliches Gutachten hat untersuchen lassen wollen. Spätere längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit
des Klägers lassen sich nicht aus den Personalakten entnehmen und sind auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung
nicht vorgetragen worden. Vor diesem Hintergrund überzeugt die Erklärung der Schwerbehindertenvertretung ZSE bei dem P in
Berlin den Senat nicht. Starke Beschwerden bei Verrichtung von PC Arbeiten und starke Einschränkungen beim Aufsuchen von Baustellen
und anderen Dienststellen bei der Polizei, lassen nicht erkennen, warum sein Arbeitsplatz wegen seiner Behinderungen nicht
erhalten bleiben soll. Im Wesentlichen dominiert bei den als Behinderungen festgestellten Gesundheitsstörungen die Gebrauchsminderung
und Funktionseinschränkung der linken Hand bei operativ versorgtem Handgelenksbruch mit außergewöhnlichem Schmerzsyndrom.
Einschränkung seiner Fortbewegung lassen sich durch die anerkannten Behinderungen nicht erklären. Soweit der Kläger in der
Vergangenheit Arbeitsplätze nicht innehalten konnte, ist nicht erkennbar, dass hierfür seine behinderungsbedingten Einschränkungen
eine wesentliche Ursache gewesen sind. Der Kläger ist in der Vergangenheit auch nicht auf einen seiner Vergütung nicht gleichwertigen
Arbeitsplatz umgesetzt worden. Derartiges ist auch nicht von Arbeitgeberseite erwogen worden. Hinweise hierzu sind seiner
Personalakte nicht zu entnehmen. Er nahm im Übrigen zum 01. August 2012 an einem Bewährungsaufstieg teil.
Für den Kläger liegen auch keine besonderen Umstände des Einzelfalls vor, die die Voraussetzungen der 1. Alternative des §
2 Abs.
3 SGB IX (Gleichstellung zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes) erfüllen. Solche besonderen Umstände liegen vor, wenn der
ursprüngliche Arbeitsplatz eines Beamten nicht mehr existiert, sei es, weil die Behörde aufgelöst wurde, sei es aus anderen
Gründen, und der Beamte in eine andere Beschäftigung oder Tätigkeit vermittelt werden soll und selbst eine solche Vermittlung
- unabhängig von der Frage eines Anspruchs auf eine amtsangemessene Beschäftigung - wünscht (BSG, Urteil vom 01. März 2011 - B 7 AL 6/10 R -). Maßgeblich auch hierzu ist, dass der Kläger "infolge" seiner Behinderung (Kausalität) bei wertender Betrachtung (im Sinne
einer wesentlichen Bedingung) in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Nichtbehinderten in besonderer Weise beeinträchtigt
und deshalb nur schwer vermittelbar ist. Entscheidendes Kriterium für die Gleichstellung ist deshalb die mangelnde Konkurrenzfähigkeit
des Behinderten wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt, und zwar auf dem Arbeitsmarkt insgesamt, nicht etwa nur bezogen
auf einen bestimmten Arbeitsplatz (BSGE 86, 10, 14 f = SozR 3-3870 § 2 Nr. 1 S. 6 f). An dieser Kausalität fehlt es aber für die vom Kläger in der Vergangenheit bis gegenwärtig
wahrgenommen Tätigkeiten an verschiedenen Arbeitsplätzen. Seine als Behinderung festgestellten Gesundheitsstörungen haben
weder der Vermittlung auf die Tätigkeit wieder beim P in Berlin ab Juni 2006 noch beim Landesbetrieb für G ab Juli 2007 oder
bei der Senatsverwaltung für S ab Juli 2010 entgegengestanden. Wenn der Kläger sein Begehren mit der Begründung geltend macht,
er möchte wieder auf einer nicht mit einem "kw"-Vermerk bewerteten Stelle arbeiten, dann rechtfertigt sich daraus nicht die
Gleichstellung als schwerbehinderter Mensch. Ein "kw"-Vermerk, selbst wenn der Kläger auch gegenwärtig eine solche Stelle
bei der Senatsverwaltung für S bekleidet und seine Tätigkeitsverrichtungen ggf. zukünftig wegfallen sollen, stellen keine
Kriterien dar, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit seinen behinderungsbedingten Einschränkungen stehen. Diese Umstände
resultieren aus haushalterischen oder organisatorischen Gründen. Im Übrigen reicht eine abstrakte Gefährdung des Arbeitsplatzes
für eine Gleichstellung nach §
2 Abs.
3 SGB IX nicht aus. Vielmehr müssen Tatsachen vorliegen, die den Rückschluss zulassen, dass der Arbeitsplatz wegen der Behinderung
konkret gefährdet ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2010, L 19 AL 51/09 [juris]). Das ist hier - wie ausgeführt - nicht der Fall.
Da auch ansonsten die Klage nicht begründet ist, weil darüber hinaus Ermessensfehler bei der angefochtenen Entscheidung der
Beklagten nicht ersichtlich sind, hat nach allem das Gleichstellungsbegehren auch im Berufungsrechtszug keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 und 4
SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG nicht vorliegen.