Honorarrückforderung aufgrund nachträglicher sachlich-rechnerischer Berichtigungen der GOP 01100 EBM-Ä
Auffällige Tagesarbeitszeiten
Zweck der Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes
Nachgehende Richtigstellung eines Honorarbescheides
Tatbestand
Im Berufungsverfahren noch streitig ist eine Honorarrückforderung aufgrund nachträglicher sachlich-rechnerischer Berichtigungen
der GOP 01100 EBM-Ä für die Quartale 2/2008 bis 2/2011.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin) ist eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft, Fachrichtung
Anästhesiologie. Wegen auffälliger Tagesarbeitszeiten hatte die Beklagte bei der Klägerin mit Schreiben vom 26.05.2011 eine
Plausibilitätsprüfung für das Quartal 1/2009 eingeleitet, bei der Abrechnungsauffälligkeiten bei den Gebührenordnungspositionen
05230, 01100 und 01414A EBM-Ä festgestellt wurden. Zu der allein noch streitigen GOP 01100 EBM-Ä wies die Beklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) darauf hin, dass diese Ziffer offensichtlich
auch dann abgerechnet worden sei, wenn es sich nicht um eine unvorhergesehene Inanspruchnahme gehandelt habe. Zudem sei die
GOP schematisch neben den GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä abgerechnet worden. Die Klägerin führte hierzu aus, die GOP 01100 EBM-Ä sei im Rahmen des praxiseigenen Bereitschaftsdienstes an Tagen nach den Eingriffen abgerechnet worden. Die abgerechneten
Kontakte würden grundsätzlich zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr erfolgen, es würden keine Sprechzeiten zu den in der Leistungslegende
angegebenen Zeiten abgehalten. Nicht mit den Sprechzeiten zu verwechseln sei der Bereitschaftsdienst der Praxis, der nicht
die Sprechzeiten verlängere. Es bestehe kein Unterschied zur Einzelpraxis, in der der Arzt notfallmäßig zuhause oder mobil
erreichbar sei.
Mit Bescheiden vom 13.03.2012 berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnungen für die Quartale 2/2008 - 3/2009 (auf die GOP 01100 entfielen 10.913,94 EUR) sowie 4/2009 - 4/2010 (auf die GOP 01100 entfielen 10.292,14 EUR). Die Inanspruchnahme sei nicht unvorhergesehen, da die Praxis einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst
vorhalte, mit dem auch auf der Internetseite der Klägerin geworben würde. Im Rahmen dieses Notdienstes müsse jeder Vertragsarzt
damit rechnen, in Anspruch genommen zu werden.
Mit Bescheiden vom 24.09.2012 berichtigte die KVB die Honorarabrechnungen für die Quartale 1/2011 (109 implausible Ansätze,
Rückforderungsquote 97,32 %, 771,25 EUR) und 2/2011 (57 implausible Ansätze, Rückforderungsquote 96,61 %, 504,11 EUR). Auch
hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.
Zur Begründung der Widersprüche wurde vorgetragen, der einzige Unterschied zum Landarzt, der selbstverständlich außerhalb
der Sprechzeiten bei unvorhergesehener Inanspruchnahme z.B. über seine Privattelefonnummer die GOP 01100 abrechnen könne, sei, dass das Anästhesie Center C. , in dem viele Ärzte arbeiteten, die Anrufe auf einen diensthabenden
Arzt kanalisiere. Das Vorhalten eines internen Notfallbereitschaftsdienstes über Handy außerhalb der Sprechzeiten gehöre zum
Leistungsspektrum der Klägerin. Das ändere aber nichts daran, dass die Inanspruchnahme unvorhergesehen erfolge. Grundsätzlich
erhalte der Vertragsarzt die GOP 01100 EBM-Ä stets vergütet, wenn er außerhalb der Sprechstunde und in der Regel auch außerhalb der Praxis zu den in der Leistungslegende
genannten Zeiten in Anspruch genommen werde.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 25.02.2005 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Bescheide vom 13.03.2012 und 24.09.2012
zurück. Der Ansatz der GOP 01100 EBM-Ä sei implausibel, weil die Inanspruchnahme nicht unvorhergesehen erfolgt sei. Unter Hinweis auf die Entscheidung
des Sozialgerichts München vom 24.09.2014 (Az. S 21 KA 1354/14) wurde ausgeführt, unvorhergesehen sei die Inanspruchnahme des Vertragsarztes, wenn dieser zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme
nicht damit rechne, vertragsärztliche Leistungen zu erbringen, er also nicht in einer Dienstsituation in Anspruch genommen
werde. Diese Dienstsituation könne entweder aufgrund einer Sprechstunde oder aufgrund eines angeboten Notdienstes bestehen
oder deshalb, weil der Patient für die Behandlung am Sonntag bestellt war. Anfangs habe auch die Klägerin von einem Bereitschaftsdienst
oder einem 24-Stunden-Notdienst gesprochen. Auffällig sei zudem, dass die Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä meistens in Zusammenhang mit den GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä und zwar am Tag nach der Operation erfolge. Im Übrigen müsse die Initiative vom Patienten ausgehen,
nicht von einem anderen Arzt.
Hiergegen legte die Klägerin jeweils Klage zum Sozialgericht München ein. Bezogen auf die allein noch streitigen Ansätze der
GOP 01100 EBM-Ä argumentierte die Klägerin, das Vorhalten einer Erreichbarkeit über ein Mobiltelefon könne nicht mit einer Inanspruchnahme
im Rahmen von Dienstsituationen, insbesondere in organisierten Sprechstunden, verglichen werden. Die Behandlung jedes Patienten
sei unvorhergesehen, nicht beabsichtigt und nicht geplant gewesen. Insbesondere sei die Situation der Klägerin nicht vergleichbar
mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg vom 07.06.2012 (Az. L 1 KA 59/09) zu Grunde gelegen habe. Dort hätten Ärzte im Ärzteverbund den hausärztlichen Notdienst als Bereitschaftsdienst organisiert.
Die Situation der Klägerin sei vielmehr vergleichbar mit der eines Hausarztes, der zur Unzeit telefonisch kontaktiert und
aufgesucht werde. Würde man der Auffassung der Beklagten folgen, hätte dies zur Folge, dass die Klägerin mangels Teilnahme
am organisierten Notfalldienst auch die Notfallpauschale oder die Notfall-Konsultationspauschalen nicht abrechnen könne. Ihr
Aufwand bleibe somit vollkommen entschädigungslos. Auch aus einer Nebeneinanderabrechnung der GOP 05230 (Aufwandsentschädigung für das Aufsuchen eines Kranken in der Praxis eines anderen Arztes ... zur Durchführung von
...Anästhesien), 40144 (Kostenpauschale für kopierte Unterlagen) und 01602 (Mehrfertigung eines Berichtes oder Briefes) EBM-Ä
könne nicht auf eine Implausibilität der GOP 01100 EBM-Ä geschlossen werden. So würden die Patienten in der Praxis des Operateurs aufgesucht, wo auch die Durchführung
der Narkose stattfinde. Dafür rechneten die Anästhesisten die GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä ab. Sofern der Patient nach einem ambulanten Eingriff zuhause Beschwerden verspüre und daraufhin
einen Anästhesisten der Klägerin kontaktiere, werde für diese Behandlung die GOP 01100 EBM-Ä berechnet. Es finde daher zwischen den Leistungen eine zeitliche Zäsur statt. Im Übrigen beziehe sich die postoperative
Betreuung des Operateurs auf die Grundversorgung, während die Klägerin im Bedarfsfall schmerztherapeutisch tätig werde. Dass
sich Patienten an die Anästhesisten wenden würden, sei dem Umstand geschuldet, dass den Patienten bekannt sei, dass der Anästhesist
für die Schmerztherapie zuständig sei. Soweit die Beklagte darauf abstellen wolle, ob der Arzt mit seiner Inanspruchnahme
rechnen könne, handle es sich um ein untaugliches Kriterium.
Die Beklagte trug vor, es sei entscheidend, ob der Arzt damit habe rechnen können, vom Patienten zur Unzeit in Anspruch genommen
zu werden. Wer - wie die Klägerin - bewusst, geplant und organisiert die postoperative Betreuung übernehme und dies auch so
kommuniziere, befinde sich in einer Dienstsituation, d.h. er sei ständig auf "Abruf". Die Klägerin habe sich bereit erklärt,
rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. Bei diesem Service habe die Klägerin damit rechnen müssen, in Anspruch genommen zu
werden. Das beworbene Serviceangebot entspreche nicht der Situation eines Hausarztes, der außerhalb der Sprechstunde und ohne
einen 24-Stunden-Dienst anzubieten, außerplanmäßig kontaktiert werde. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass sich die Patienten
bei Beschwerden an die Anästhesisten wenden würden, anstatt an den behandelnden Arzt. Es sei zu vermuten, dass das Serviceangebot
der Klägerin auf eine Absprache mit dem Operateur und den Patienten als Ansprechpartner zurückgehe.
In der mündlichen Verhandlung nahm die Klägerin die Klagen hinsichtlich der übrigen zunächst streitigen Gebührenordnungspositionen
zurück.
Das SG hat den Klagen sodann stattgegeben und die Honoraraufhebungsbescheide aus den Plausibilitätsprüfungen 2/2008 bis 2/2011 jeweils
in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 25.02.2015 aufgehoben. Zur Begründung hat es zunächst auf die Urteile des LSG
Hamburg vom 07.06.2012 (L 1 KA 59/09) und 25.04.2013 (L 1 KA 5/12) sowie das Urteil des SG München vom 24.09.2014 (S 21 KA 1354/12) verwiesen. Danach sei der Ansatz der GOP 01100 EBM-Ä nicht möglich, wenn zwar die Inanspruchnahme des Arztes durch den Patienten zu den in der Leistungslegende genannten
Zeiten stattfinde, jedoch innerhalb einer Sprechstunde. Die vorgenannte Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließe, gehe
noch darüber hinaus, indem sie auch bei einem von Ärzten eingerichteten hausärztlichen Notfalldienst in einer Notfallambulanz
der Klinik, bei einem Anbieten von Diensten zu Zeiten, für die eine Ermächtigung erteilt wurde, sowie beim Abhalten einer
faktischen Sprechstunde nicht von einer unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Arztes/der Einrichtung ausgehe, was den Ansatz
der GOP 01100 EBM-Ä ausschließe.
Die Situation der Klägerin sei aber nicht mit der in den bereits von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen vergleichbar.
Ausgangspunkt der Überlegungen sei, dass der Normgeber des EBM-Ä - der Bewertungsausschuss - davon ausgehe, dass grundsätzlich
alle ärztlichen Leistungen im Rahmen der Sprechstundentätigkeit erbracht werden können. Sei dies nicht der Fall, zum Beispiel,
weil eine Erkrankung des Patienten zur Unzeit auftrete, zu der regelmäßig kein Praxisbetrieb stattfinde, solle eine unvorhergesehene
Inanspruchnahme des Arztes durch die GOP 01100 EBM-Ä abgegolten werden. Nach der o.g. Rechtsprechung sei die Inanspruchnahme nicht unvorhersehbar und deshalb die
GOP 01100 EBM-Ä dann nicht anzusetzen, wenn vom Arzt Leistungen bewusst, geplant und organisiert außerhalb der Sprechstunden
angeboten werden, die der Patient annimmt (beispielsweise Einrichtung eines organisierten Notfalldienstes). Damit sei eine
Dienstsituation verbunden. Der leistungserbringende Arzt müsse mit einer Inanspruchnahme rechnen, so dass für ihn die Inanspruchnahme
vorhersehbar sei.
Zwar enthalte die Homepage der Klägerin mehrfach den Hinweis auf einen Bereitschaftsdienst bzw. Rufbereitschaftsdienst. Diese
Hinweise richteten sich zum einen an Patienten, aber auch an die "Hausärzte" und bringe zum Ausdruck, diese könnten sich auch
bei Fragen gerne an den Bereitschaftsdienst wenden.
Ohne Frage bewerbe die Klägerin vor allem gegenüber den Patienten ihren "24-Stunden"- Dienst, stelle diesen aber auf der Homepage
nicht in den Vordergrund ihrer Tätigkeit.
Vorliegend halte die Klägerin - wie die meisten anästhesistischen Praxen - keine Sprechstunden ab und habe damit auch keine
Möglichkeit, die Patienten auf eine Inanspruchnahme zu normalen Sprechstundenzeiten zu verweisen. Die bisher von der Rechtsprechung
aufgestellten Grundsätze könnten daher nur bedingt herangezogen werden. Es hätten somit andere Maßstäbe zu gelten. Auch wenn
die Klägerin nach eigenem Bekunden den Bereitschaftsdienst vorhalte, weil nach dem Eingriff an den folgenden Tagen mit einer
Inanspruchnahme zu rechnen sei, liege nach Auffassung des Gerichts im Hinblick auf die konkrete anästhesiologische Tätigkeit
der Klägerin keine mit der eines normalen Bereitschafts-/Notfalldienstes vergleichbare Dienstsituation vor. Es handle sich
vielmehr um ein bloßes Serviceangebot der Klägerin und an sich um eine Selbstverständlichkeit in unmittelbarem und engem Zusammenhang
mit der operativen Tätigkeit, die den operierten Patienten zu Gute komme, falls nach dem Eingriff Komplikationen entstünden.
In diesem Lichte sei der Begriff "unvorhersehbare Inanspruchnahme" zu interpretieren und deshalb hier weit auszulegen. Demjenigen,
der wie die Klägerin selbst keine Sprechstunden abhalte, könne deshalb auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er halte eine
faktische Sprechstunde ab, indem er dem Patienten für den Fall von Komplikationen nach der Operation eine Notfall-Mobiltelefonnummer
nenne. Dies sei bei ähnlicher Bewerbung durch andere Facharztgruppen allerdings anders zu sehen.
Soweit die Beklagte die Implausibilität der GOP 01100 EBM-Ä auch dadurch verdeutlichen wolle, die Klägerin habe daneben andere Gebührenordnungsziffern, so die GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä (Nebeneinanderabrechnung) abgerechnet, habe die Klägerin dies nach Auffassung des Gerichts nachvollziehbar
begründet. Danach würden Patienten in der Praxis des Operateurs aufgesucht, wo auch die Durchführung der Narkose stattfinde.
Dafür rechneten die Anästhesisten die GOP 05230, 40144 und 01602 EBM-Ä ab. Sofern der Patient nach einem ambulanten Eingriff zuhause Beschwerden verspüre und daraufhin
einen Anästhesisten der Klägerin kontaktiere, werde die GOP 01100 EBM-Ä für diese Behandlung berechnet. Es finde daher zwischen den Leistungen eine zeitliche Zäsur statt. Zwar sei einzuräumen,
dass der Nebeneinander-Ansatz auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar sei, sich aber letztendlich durch die oben beschriebene
Tätigkeit erkläre. Auch sei aus dem Umstand, dass sich die Patienten offensichtlich vorrangig an die Klägerin wenden und nicht
an den Operateur, keine Implausibilität abzuleiten. Dies könne mannigfache Gründe haben, auch den Grund, dass den meisten
Patienten die Zuständigkeit des Anästhesisten für die Schmerztherapie bekannt sei.
Gegen das Urteil des SG hat die Beklagte am 27.06.2017 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Die abgerechneten Inanspruchnahmen
seien nicht "unvorhergesehen" gewesen, denn eine Dienstsituation liege vor, wenn der Arzt Leistungen bewusst, geplant und
organisiert anbiete. Durch den Homepage-Auftritt der Klägerin werde den Patienten vermittelt, eine Kontaktaufnahme sei jederzeit
möglich, so dass die Klägerin zu jeder Tages- und Nachtzeit mit einer Inanspruchnahme durch Patienten rechne. Die Klägerin
bzw. der diensthabende Arzt habe sich damit in einer Dauerdienstsituation befunden, die eine Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä ausschließe.
Der Wortlaut der streitigen GOP sei eindeutig und einer weiten Auslegung - wie das SG meine - nicht zugänglich. Bei dem von der Klägerin angebotenen Bereitschaftsdienst handle es sich um einen eigens organisierten
und den Patienten gegenüber angebotenen Notdienst. Die Klägerin selber begründe die Einrichtung dieses Dienstes damit, dass
nach einem Eingriff auch an den folgenden Tagen mit einer Inanspruchnahme zu rechnen sei, für die sie den Bereitschaftsdienst
vorhalte. Sie ginge damit selbst davon aus, regelmäßig zu Zeiten kontaktiert zu werden, die außerhalb ihrer üblichen Sprechzeiten
lägen. Auf den Bereitschaftsdienst weise die Klägerin die Patienten auch ausdrücklich hin. Dadurch beeinflusse und veranlasse
sie die Inanspruchnahme zu Uhrzeiten ab 19:00 Uhr bzw. an Wochenenden und Feiertagen zumindest mit, was die Abrechnung der
GOP 0100 EBM-Ä ausschließe. Auch die Tatsache, dass die Klägerin als Anästhesiepraxis keine Sprechstunden anbiete, könne eine
weite Auslegung der GOP über den Wortlaut hinaus nicht begründen. Auf das Vor- bzw. Nichtvorliegen von Sprechstunden, Rufbereitschaft, Notdiensten
et cetera komme es nicht an. Maßgeblich und fachgebietsunabhängig sei allein, ob die Inanspruchnahme unvorhergesehen sei.
Das angefochtene Urteil räume dem Fachgebiet Anästhesiologie zu Unrecht eine Sonderstellung ein. Im Übrigen biete die Klägerin
nach deren eigener Einlassung sehr wohl Sprechzeiten an. Bei dem angebotenen Bereitschaftsdienst der Klägerin handle es sich
auch nicht nur um ein bloßes Serviceangebot zu Gunsten des Patienten ohne Auswirkungen auf den EBM-Ä. Die gewollte und geplante
telefonische Erreichbarkeit eines diensthabenden Arztes, der mit einer Inanspruchnahme rechne und allein zum Zwecke der Erbringung
von ärztlichen Leistungen zur Verfügung stehe, gehe über ein bloßes Serviceangebot ohne Auswirkungen auf den EBM-Ä hinaus.
Für andere Fachrichtungen, die einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst anbieten würden, sehe das SG dies ebenso.
Die Rufbereitschaft werde auch auf der aktuellen Homepage der Klägerin (17.07.2017) offiziell und aktiv beworben.
Die Abrechnung der hier streitigen GOP neben den GOP 05230, 40114 und 01602 EBM-Ä jeweils am Tag nach dem Eingriff sei zudem nicht schlüssig. Die behauptete zeitliche Zäsur,
mit der der Nebeneinander-Ansatz angeblichen plausibel erklärt werde, sei nicht nachvollziehbar, denn die Klägerin rechne
die vorgenannten GOP 05230, 40114 und 01602 EBM-Ä dann ab, wenn sich der Patient beim Operateur befinde und der Anästhesist in die Praxis des
Operateurs hinzukomme. Im Übrigen rechne die Klägerin zusätzlich die GOP 01100 EBM-Ä ab, wenn der Patient später oder zuvor von zuhause aus die Klägerin kontaktiere. Die Klägerin habe aber die Gegebenheiten
zur Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä in einer vorangegangenen Stellungnahme bereits dahingehend beschrieben, dass der Anästhesist der Klägerin unvorhergesehen
von dem Operateur zur Behandlung eines Kranken angefordert werde. Die in der mündlichen Verhandlung behauptete zeitliche Zäsur
widerspräche damit der bisherigen Darstellung. Wenn aber die Klägerin vom Operateur im Rahmen der postoperativen Behandlung
- wie anzunehmen - hinzugeholt worden sei, so spreche dies gegen eine unvorhergesehene Inanspruchnahme im Sinne der GOP 01100 EBM-Ä, da es sich bei der postoperativen Behandlung grundsätzlich um eine geplante Inanspruchnahme des Operateurs zu
den normalen Dienstzeiten handle. Hilfsweise machte die Beklagte einen fehlerhaften Tenor des erstinstanzlichen Urteils geltend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 15.05.2017 (Az. S 38 KA 305/15) aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin stellt den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend, es erkenne und berücksichtige die Sondersituation der Klägerin. Nach den
Anmerkungen zu der GOP 01100 EBM-Ä wirke allein leistungsausschließend das Abhalten einer Sprechstunde oder die Einbestellung von Patienten. Auf
die rein subjektive Erwartungshaltung des Individuums könne es bei der Auslegung des Begriffs "unvorhergesehen" nicht ankommen,
da dieser Maßstab zu unbestimmt wäre. Im Übrigen müsse jeder Arzt, soweit der Patient seine Kontaktdaten habe, grundsätzlich
damit rechnen, in Anspruch genommen zu werden, so dass in diesem Fall nie Raum für die Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä wäre. Soweit die Rechtsprechung auf das Vorliegen einer Dienstsituation abstelle, sei auch dieser Begriff unklar
und müsse von Fall zu Fall ausgelegt werden. Der aus der Unklarheit des Begriffs geschlossene Auslegungsmaßstab sei durch
das Sozialgericht München zutreffend bestimmt worden. Das SG gehe zu Recht von der Überlegung aus, dass die streitige GOP Leistungen des Arztes abgelten solle, die dieser außerhalb seiner Sprechzeiten oder einer vergleichbaren Dienstsituation
erbringe. Das Sozialgericht stelle zutreffend fest, dass die bei der Klägerin beschäftigten Anästhesisten keine Sprechstunden
im üblich verstandenen Sinne abhalten würden. Die Tätigkeit der auf die Betreuung ambulanter Operationen spezialisierten Anästhesisten
sei regelmäßig an eine konkrete Operation gebunden. Übliche Sprechzeiten, in denen eine fortgesetzte Behandlung von Patienten
stattfinde oder die vom Patienten als Anlaufmöglichkeit für die Behandlung ihrer gesundheitlichen Probleme wahrgenommen würden,
halte die Klägerin nicht ab. Sprechzeiten in der Art, dass Patienten zu den vereinbarten Operationsterminen an den jeweiligen
Standort, an dem die Operation stattfinde, einbestellt würden, gebe es natürlich. Hierauf habe sich der bisherige Vortrag
im Verfahren bezogen. Durch die 24-Stunden-Mobilfunknummer werde keine Dienstsituation begründet, die mit der eines Bereitschafts-
oder Notfalldienstes auch im Sinne der zu 01100 EBM-Ä ergangenen Rechtsprechung vergleichbar sei. Die Notfallnummer der Klägerin
diene im Wesentlichen nur dazu, den Patienten, bei denen eine Operation durchgeführt worden sei, im Fall von Komplikationen,
insbesondere auftretenden Schmerzen, eine Rückfragemöglichkeit zu eröffnen.
Die Abrechnung der GOP 01100 sei auch plausibel. Soweit es in Ausnahmefällen zur Abrechnung der Ziffer im Zusammenhang mit einer Nachbehandlung
durch den Operateur gekommen sei, so sei dies nur geschehen, wenn der Operateur einen bei der Klägerin beschäftigten Anästhesisten
unvorhergesehen hinzugezogen habe, zum Beispiel bei akuter Kreislaufproblematik. Um eine nach Uhrzeit mit dem Anästhesisten
abgesprochene postoperative Kontrolle habe es sich hierbei nicht gehandelt. Für die Frage, ob die Inanspruchnahme unvorhergesehen
war, spiele es keine Rolle, von wem der Arzt in Anspruch genommen worden sei.
Hierzu ergänzt die Beklagte, die Klägerin habe bisher vorgetragen, dass zwischen der postoperativen Behandlung und der Inanspruchnahme
kein zeitlicher Zusammenhang bestanden habe und die GOP 01100 EBM-Ä nur bei telefonischer Kontaktaufnahme abends oder nachts durch den Patienten abgerechnet würde. Durch den Vortrag,
wonach der Operateur die Klägerin kontaktiere, stelle sich die Annahme des SG München, die vorliegende Abrechnungsweise am
Tag der Operation lasse sich mit einer zeitlichen Zäsur zwischen dem Aufsuchen der Praxis des Operateurs und der Inanspruchnahme
erklären, weil der Patient den Anästhesisten der Klägerin kontaktiere, als falsch dar und entspreche nicht den tatsächlichen
Gegebenheiten. Der Wortlaut der GOP 01100 EBM-Ä setze voraus, dass die Inanspruchnahme durch den Patienten zu erfolgen habe.
Mit Schreiben vom 12.10.2018 hat der Senat den Klägerbevollmächtigten um Klarstellung zum Ablauf der Erreichbarkeit der Praxis
im Notfall gebeten. Nach Ansicht des Gerichts stelle sich die Situation wie folgt dar: Auf der Homepage des OP-Centrums werde
eine Mobilfunknummer genannt, unter der jederzeit (24/7) im Notfall ein Arzt zu erreichen sei. Die Anrufe würden auf das Mobiltelefon
eines hierfür jeweils eingeteilten Arztes der Klägerin weitergeleitet. Bei Inanspruchnahme des Telefondienstes durch einen
Patienten würden sodann durch den jeweils eingeteilten Arzt die erforderlichen Maßnahmen erbracht bzw. eingeleitet. Diese
Darstellung bestätigte die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.10.2018 und ergänzte, den Patienten werde vor der Operation eine
Informationsmappe über den Ablauf des Operationstages zur Verfügung gestellt. In der Mappe finde sich auch die Mobilfunknummer.
In der mündlichen Verhandlung ergänzte die Klägerin auf Frage des Senats, dass die jeweils eingeteilten angestellten Ärzte
während ihrer Erreichbarkeit über das Mobiltelefon vergütet würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Sie ist auch begründet, denn die Beklagte war berechtigt, die Abrechnungen der Klägerin sachlich-rechnerisch im erfolgten
Umfang richtig zu stellen.
1. Das SG hat mit seiner Entscheidung, in Ziffer 1 des Tenors des Urteils vom 15.05.2017 die angefochtenen Honorarrückforderungsbescheide
aus den Plausibilitätsprüfungen 2/08 bis 2/11 jeweils in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 25.02.2015 vollumfänglich
aufzuheben, über mehr als den Streitgegenstand der Klageverfahren entschieden und damit gegen den Grundsatz "ne ultra petita"
(§
123 SGG) verstoßen. Denn ausweislich des Protokolls und der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung war streitig nur noch die
Richtigstellung bzw. Rückforderung der Leistungen der GOP 0100 EBM-Ä. Bezogen auf die übrigen, zunächst noch streitigen GOP (GOP 05230 und 01414) hatte die Klägerin ihre Klagen zurückgenommen, so dass die angefochtenen Bescheide insoweit bestandskräftig
geworden sind. Einer Prozesspartei mehr zuzusprechen, als sie beantragt hat, ist dem Gericht verwehrt (s. §
123 SGG "ne ultra petita" und dazu Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
123 RdNr. 4).
2. Die angefochtenen Bescheide waren auch bezogen auf die allein noch streitige Absetzung der GOP 0100 EBM-Ä zutreffend.
a) Rechtsgrundlage der angefochtenen Berichtigungsbescheide ist §
106a Abs.
2 SGB V in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung (heute §
106d SGB V). Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung
teilnehmenden Ärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der
abgerechneten Sachkosten. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf
die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen
Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind.
Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet
dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheides. Die genannten Bestimmungen stellen
Sonderregelungen dar, die gemäß §
37 Satz 1
SGB I in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB X verdrängen (stRspr, zB BSGE 89, 62, 66 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 42 S 345 f und BSGE 89, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 82 Nr. 3 S 6 f; BSG, SozR 4-5520 § 32 Nr. 2 RdNr 10; BSGE 96, 1, 2 f = SozR 4-2500 § 85 Nr. 22, RdNr 11; BSG, SozR 4-2500 § 106a Nr. 1 RdNr 12). Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Rücknahme des Honorarbescheides
mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (BSG SozR 3-2500 § 76 Nr. 2 S 3; BSGE 89, 62, 75 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 42 S 355; BSGE 96, 1, 3 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 22, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 106a Nr. 1 RdNr 12; aaO Nr. 3 RdNr 18).
Die Tatbestandsvoraussetzung für eine nachträgliche sachlich-rechnerische Richtigstellung nach §
106a Abs.
2 Satz 1
SGB V ist vorliegend erfüllt, weil die Klägerin die GOP 01100 EBM-Ä in den streitgegenständlichen Quartalen zu Unrecht abgerechnet hat und daher die Honorarbescheide vom 09.10.2008
(2/2008), 10.03.2009 (3/2008), 21.04.2009 (4/2008), 23.09.2009 (1/2009), 17.02.2010 (2/2009), 18.05.2010 (3/2009), 19.05.2010
(4/2009), 18.08.2010 (1/2010), 17.11.2010 (2/2010), 16.02.2011 (3/2010), 18.05.2011 (4/2010), 17.08.2011 (1/2011) und 16.11.2011
(2/2011) insoweit rechtswidrig sind. In wessen Verantwortungsbereich die sachlich-rechnerische Unrichtigkeit fällt, ist unerheblich;
einzige tatbestandliche Voraussetzung ist die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides (vgl. BSGE 93, 69, 71 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 11, RdNr 7 - hierzu Engelhard, jurisPR-SozR 44/2004 Anm. 1).
b) Die Beklagte ist zu Recht von einem unzutreffenden Ansatz der GOP 01100 ausgegangen.
aa) Der für die Quartale 2/2008 bis 2/2011 jeweils maßgebliche EBM-Ä enthielt in Abschnitt II (Arztübergreifende allgemeine
Gebührenordnungspositionen), 1. (Allgemeine Gebührenordnungspositionen), 1.1 (Aufwandserstattung für die besondere Inanspruchnahme
des Vertragsarztes durch einen Patienten) unter anderem die GOP 01100. Der Wortlaut der GOP 01100 lautet:
"Unvorhergesehene Inanspruchnahme eines Vertragsarztes durch einen Patienten
- zwischen 19:00 und 22:00 Uhr
- an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 07:00 und 19:00 Uhr
Die Gebührenordnungsposition 01100 ist nicht berechnungsfähig, wenn Sprechstunden vor 07:00 Uhr oder nach 19:00 Uhr stattfinden
oder Patienten zu diesen Zeiten bestellt werden. [ ...]".
bb) Mit der Problematik der unvorhergesehenen Inanspruchnahme bei der GOP 0100 EBM-Ä hat sich das LSG Hamburg in zwei Entscheidungen auseinandergesetzt.
Im Verfahren L 1 KA 5/12 (Urteil vom 25.04.2013) hatte das LSG entschieden, dass keine unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes bzw. einer
ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtung durch Patienten iS von Nr. 01100 EBM-Ä 2008 vorliegt, wenn diese das vorgehaltene
Angebot der Einrichtung annehmen, sich dort zu Zeiten behandeln zu lassen, die ansonsten üblicherweise sprechstundenfrei sind.
Die Klägerin im dortigen Verfahren war auf ihren Antrag hin unter anderem in dem streitigen Quartal ermächtigt, in der Geburtshilflich-Gynäkologischen
Klinik als ärztlich geleiteter Einrichtung für die an sprechstundenfreien Tagen unbedingt notwendige Überwachung von Schwangeren
mit Terminüberschreitung auf Überweisung durch Gynäkologen an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten teilzunehmen.
Da die Klägerin gerade und ausschließlich zu diesen Zeiten ihre Dienste anbiete und ihr auf ihren Antrag hin auch nur für
diese Zeiten die Ermächtigung erteilt worden sei, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen, sei die Behandlung eines
Patienten während dieser Zeiträume nicht unvorhergesehen, sondern beabsichtigt und geplant. Diese Zeiten seien die normalen
Dienstzeiten der Klägerin, sodass die Inanspruchnahme nicht außerhalb von diesen Zeiten stattfinde. Es treffe zwar zu, dass
im Einzelfall nicht vorhersehbar ist, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit eine Schwangere ärztliche Hilfe benötigt. Dadurch
unterscheide sich der Fall aber nicht von einem normalen Praxisbetrieb, in dem auch nicht vorhersehbar ist, zu welchem Zeitpunkt
innerhalb der Sprechstundenzeit ein Patient den Arzt tatsächlich aufsucht. Maßgeblich sei insoweit nur, dass die Klägerin
von den Patienten gerade in den Zeiten aufgesucht wird, in denen sie ihre Dienste regulär anbiete und die Inanspruchnahme
insofern nicht unerwartet erfolge
Streitig im Verfahren L 1 KA 59/09 (Urteil des LSG Hamburg vom 07.06.2012) war die Frage, ob die GOP 01100 auch im Rahmen eines vom Vertragsarzt vorgehaltenen Angebots einer Notfallsprechstunde abrechenbar ist. Das LSG verneinte
die Abrechenbarkeit, denn es sei keine unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes durch einen Patienten, wenn dieser
das vom Vertragsarzt vorgehaltene Angebot einer Notfallsprechstunde annimmt. Es sei zu unterscheiden zwischen der Initiierung
einer Notfallbehandlung durch den Patienten, der unvorhergesehen ärztlicher Behandlung bedürfe, und der Frage, ob diese Inanspruchnahme
ärztlicher Behandlung durch den Patienten für den Arzt unvorhergesehen sei zu einer Zeit, in der er an einem unter seiner
Mitwirkung bereitgestellten Notfalldienst teilnehme.
Das SG München hat sich im Verfahren S 21 KA 1354/12 (Urteil vom 24.09.2014) ebenfalls mit der unvorhergesehenen Inanspruchnahme beschäftigt. In diesem Verfahren ging es um die
Situation, dass ein Vertragsarzt am Sonntag für einbestellte Patienten Sprechstunden abhielt, in dieser Zeit aber auch nicht
angemeldete Patienten behandelte und für diese die GOP 01100 abrechnete. Hier hat das SG das Vorliegen einer Dienstsituation auch für die nicht angemeldeten Patienten gesehen, denn der Kläger habe auch alle nicht
bestellten Patienten, die am Sonntag während seiner Anwesenheit eine Behandlung wünschten, behandelt. Dies entspreche einer
faktischen Sprechstunde, die nach der Rechtsprechung der Abrechnung der GOP 01100 entgegensteht (so unter Bezugnahme auf den Beschluss des BSG vom 29.11.2007, B 6 KA 52/07 B; LSG Hamburg, Urteil vom 25.04.2013, Az. L 1 KA 5/12 und vom 07.06.2012, Az. L 1 KA 50/09).
Diese bereits entschiedenen Konstellationen unterscheiden sich jedoch von der vorliegenden insofern, als dort jeweils eine
Behandlung im Rahmen einer Sprechstunde stattgefunden hatte, sei es im Rahmen einer Ermächtigung, einer Notfallsprechstunde
oder bei der Gelegenheit einer regulären Sprechstunde. Die Klägerin im hier zu entscheidenden Fall hat aber unstreitig zumindest
zu den im Zusammenhang mit der GOP 0100 EBM-Ä abgerechneten Zeiten keine Sprechstunden abgehalten, sondern lediglich einen Bereitschaftsdienst vorgehalten.
cc) Unzweifelhaft ist die GOP 01100 nur abrechenbar für die unvorhergesehene Inanspruchnahme des Vertragsarztes. Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen
ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Nur
soweit dieser zweifelhaft ist, ist Raum für eine systematische oder entstehungsgeschichtliche Interpretation (BSG, unter anderem Urteil vom 15.08.2012, Az. B 6 KA 34/11 R, RdNr. 13; vom 18.08.2010, Az. B 6 KA 23/09 R, RdNr. 11). Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden. Die streitgegenständliche
Berichtigung der Honorarforderung nach der Nr. 01100 EBM-Ä ist danach rechtmäßig, denn es ist keine unvorhergesehene Inanspruchnahme
des Vertragsarztes durch einen Patienten, wenn dieser das vom Vertragsarzt vorgehaltene Angebot einer Inanspruchnahme während
eines Bereitschaftsdienstes annimmt. Es ist zu unterscheiden zwischen der Initiierung einer Notfallbehandlung durch den Patienten,
der unvorhergesehen ärztlicher Behandlung bedarf, und der Frage, ob diese Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung durch den
Patienten für den Arzt unvorhergesehen ist zu einer Zeit, in der er an einem unter seiner Mitwirkung bereitgestellten Bereitschaftsdienst
teilnimmt. Der medizinische Fall kann dabei unvorhergesehen sein, die daraufhin erfolgte Inanspruchnahme des Arztes jedoch
nicht. Eine weite Auslegung des Begriffs der "unvorhergesehenen Inanspruchnahme" kommt nicht in Betracht.
Die GOP 01100 stellt eine Verengung der Voraussetzungen gegenüber der Nr. 5 im bis 31.03.2005 geltenden EBM-Ä dar (vergleiche LSG
Hamburg, Urteil vom 07.06.2012, L 1 KA 59/09, SG München, Urteil vom 24.09.2014, S 21 KA 1354/12), der den Begriff der "unvorhergesehenen Inanspruchnahme" noch nicht kannte. Schon dies spricht gegen eine weite Auslegung
der GOP 01100. Unvorhergesehen ist die Inanspruchnahme des Vertragsarztes, wenn dieser zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme nicht damit
rechnete, vertragsärztliche Leistungen zu erbringen, er also nicht in einer Dienstsituation in Anspruch genommen wurde. Diese
Dienstsituation kann z.B. aufgrund einer Sprechstunde oder aufgrund eines angebotenen Notdienstes bestehen oder deshalb, weil
der Patient für die Behandlung in den genannten Zeiten bestellt war.
Vorliegend hat die Klägerin zwar weder Sprechstunden angeboten noch die Patienten für die Behandlung in den genannten Zeiten
bestellt. Sie hat aber einen Bereitschaftsdienst organisiert, indem sie sowohl den Patienten als auch den behandelnden Ärzten
gegenüber eine Mobil-Notfallnummer bekannt gegeben hat, unter der jederzeit (24/7) ein Arzt der Beklagten erreichbar war.
Nach Vortrag der Beklagten wurde die auch auf der Homepage der Beklagten bekannt gegebene Mobilfunknummer auf das Mobiltelefon
des jeweils dafür eingeteilten Arztes umgeleitet. Dem jeweils eingeteilten Arzt war demnach bewusst, dass er jederzeit für
die Patienten erreichbar war und dieser Bereitschaftsdienst auch Teil des Konzeptes der Beklagten gewesen ist. Soweit der
diensthabende Arzt in dieser Situation durch einen Patienten telefonisch über die Notfallnummer kontaktiert wurde, war dies
für den kontaktierten Arzt gerade nicht unvorhersehbar, da er wusste, dass er zum Bereitschaftsdienst eingeteilt war. Das
Vorliegen einer dem Notdienst vergleichbaren Dienstsituation wird auch durch die Bezahlung der angestellten Ärzte während
ihrer Einteilung zum Bereitschaftsdienst deutlich. Die Inanspruchnahme erfolgte damit nicht wider Erwarten. Eine Dienstsituation
lag somit vor, weil die Klägerin den 24-Stunden-Bereitschaftsdienst bewusst, geplant und organisiert anbietet und der diensthabende
Arzt in dieser Zeit mit einer Inanspruchnahme rechnen muss.
dd) Soweit die Klägerin vorträgt, die Situation sei mit der eines Hausarztes, dessen private Telefonnummer den Patienten bekannt
ist, vergleichbar, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Der Hausarzt, der außerhalb seiner Dienstzeiten über seine private
Telefonnummer kontaktiert wird, hat die Möglichkeit, den Patienten auf die Sprechstunden bzw. den allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst
zu verweisen. Auch ist er nicht gehalten, das Telefongespräch überhaupt anzunehmen, denn er befindet sich gerade nicht in
einer Dienstsituation. Der (Haus)Arzt ist auch nicht verpflichtet, sich außerhalb der Sprechstunden und Bereitschaftsdienste
an einem Ort aufzuhalten, der ihm eine Behandlung seiner Patienten ermöglicht. Demgegenüber ist der insoweit eingeteilte (Bereitschafts)Arzt
der Klägerin verpflichtet, den Anruf, der ihn über die Notfallnummer erreicht, entgegenzunehmen und sich dem Anliegen des
Patienten zu widmen. Denn der Bereitschaftsdienst gehört nach eigenem Bekunden der Klägerin zu ihrem Leistungsspektrum. Mit
der Angabe der Telefonnummer tritt die Klägerin aktiv an die Patienten heran und bietet ihnen an, bei Beschwerden auch abends
und nachts zur Verfügung zu stehen. Dadurch beeinflusst und veranlasst sie die Inanspruchnahme zu Uhrzeiten ab 19:00 Uhr bzw.
am Wochenende und an Feiertagen zumindest mit, was die Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä ausschließt (so auch Kölner Kommentar zum EBM-Ä, GOP 01100, Stand 01.04.2018).
ee) Auch der Gesichtspunkt - wie das SG meint -, dass die Klägerin aufgrund ihrer besonderen Situation als Anästhesiepraxis keine regulären Sprechstunden anbietet,
führt zu keinem anderen Ergebnis. Ob die Klägerin überhaupt und in welchem Umfang Sprechstunden anbietet, spielt für die Abrechnung
der GOP 01100 EBM-Ä keine Rolle, so dass eine Sonderstellung für das Fachgebiet Anästhesiologie nicht gerechtfertigt ist. Maßgeblich
ist allein der Wortlaut der Leistungslegende, d.h. die unvorhergesehene Inanspruchnahme innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens
mit den genannten Einschränkungen. Bei der Auslegung der Klägerin, die GOP 0100 könne immer dann abgerechnet werden, wenn die in der Legende genannten Einschränkungen - Sprechstunde oder Einbestellung
der Patienten - nicht vorlägen, hätte es des Zusatzes "unvorhergesehen" nicht bedurft, weil jede Inanspruchnahme außerhalb
der Sprechstunde und der Einbestellung unter die GOP fiele.
ff) Zudem ist die gehäufte Nebeneinanderabrechnung der GOP 01100 EBM-Ä neben der GOP 05230 EBM-Ä nicht schlüssig dargelegt. Die GOP 05230 vergütet das Aufsuchen der Praxis eines anderen Arztes, im vorliegenden Fall des Operateurs. Geht man - wie vom SG angenommen und vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen - von einer zeitlichen Zäsur zwischen der OP und der Inanspruchnahme
der Klägerin aus, so fand die Inanspruchnahme nicht im Zusammenhang mit dem Aufsuchen der Praxis des Operateurs statt. Nicht
nachvollziehbar ist dann jedoch, wozu der Anästhesist am Tag nach dem Eingriff noch einmal die Praxis des Operateurs aufsuchte,
wenn der Operateur an diesem Tag die postoperative Behandlung durchführte. Schmerztherapeutische Leistungen wurden dabei ausweislich
der Abrechnungsdaten jedenfalls nicht erbracht (vergleiche hierzu beispielsweise laut Einzelfall-Nachweis die Behandlung der
Patienten E. W. am 02.02.2010 und R. S. am 12.01.2010). Demgegenüber trägt der Klägerbevollmächtigte im Schriftsatz vom 19.03.2018
vor, eine zeitliche Zäsur habe in Ausnahmefällen nicht vorgelegen, wenn der Operateur bei einer Nachbehandlung einen bei der
Klägerin beschäftigten Anästhesisten unvorhergesehen hinzugezogen habe, zum Beispiel bei Kreislaufproblemen. Um eine nach
Uhrzeit mit dem Anästhesisten abgesprochene postoperative Kontrolle habe sich hierbei nicht gehandelt. Eine Hinzuziehung zur
postoperativen Behandlung bei gleichzeitiger Abrechnung der GOP 01100 EBM-Ä ist aber insofern realitätsfern, als der Operateur seine Patienten dann in der Zeit zwischen 19.00 Uhr und 22:00
Uhr zur routinemäßigen postoperativen Behandlung einbestellt hätte. Es erscheint zumindest ungewöhnlich, wenn eine reguläre
postoperative Kontrolle nach 19.00 Uhr oder am Wochenende stattgefunden haben soll. Aber auch unterstellt, die Uhrzeiten sind
zutreffend, ist davon auszugehen, dass der hinzugezogene Arzt der Klägerin über die Notfallmobilfunknummer der Klägerin gerufen
wurde, so dass auch in dieser Konstellation die Inanspruchnahme nicht unvorhersehbar gewesen ist. Auf die Frage, ob die Abrechenbarkeit
der GOP 01100 bereits dann ausgeschlossen ist, wenn die Initiative zur Inanspruchnahme nicht vom Patienten selbst, sondern von dem
anderen behandelnden Arzt - hier dem Operateur - ausgeht, kommt es insoweit nicht an.
Als Anwendungsfälle für die Nr. 01100 bleiben daher echte Fälle unvorhersehbarer Inanspruchnahme zur kurativen Behandlung
außerhalb der Sprechzeiten oder der Teilnahme an einem angebotenen Notfall/Bereitschaftsdienst, etwa der nächtliche Anruf
beim Haus- oder Kinderarzt des Vertrauens.
3. Die Befugnis der Beklagten zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der fehlerhaften Honorarbescheide war auch nicht
durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes eingeschränkt. Die nachträgliche Korrektur eines Honorarbescheides nach den Vorschriften
über die sachlich-rechnerisch Richtigstellung ist nicht mehr möglich, wenn die Frist von vier Jahren seit Erlass des betroffenen
Honorarbescheides bereits abgelaufen ist (BSGE 89, 90, 103 = SozR 3-2500 § 82 Nr. 3 S 16 mwN; vgl. zur Hemmung der vierjährigen Ausschlussfrist BSG Urteil vom 12.12.2012 - B 6 KA 35/12 R - SozR 4-2500 §
106a Nr. 10; vgl. im Hinblick auf die Durchführung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §
106 SGB V auch: BSG Urteil vom 15.8.2012 - B 6 KA 27/11 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 37 RdNr 19 ff; Urteil vom 15.8.2012 - B 6 KA 45/11 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 36 RdNr 16 ff). Eine Rücknahme des Honorarbescheides ist nach Ablauf der Frist nur noch unter Berücksichtigung
der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X möglich. Diese Fallgruppe ist vorliegend nicht einschlägig, da ersichtlich die Frist von vier Jahren, die nach der Rechtsprechung
des BSG am Tag nach der Bekanntgabe des Honorarbescheides beginnt (vgl. BSGE 89, 90, 103 = SozR 3-2500 § 82 Nr. 3 S 16; BSG Urteil vom 28.3.2007 - B 6 KA 26/06 R - Juris RdNr 16; BSGE 106, 222, 236 = SozR 4-5520 § 32 Nr. 4, RdNr 60 mwN), nicht abgelaufen ist. Der Honorarbescheid für das Quartal 2/08 datiert vom 09.10.2008.
Die Frist von vier Jahren war daher am 13.03.2012, dem Datum des Erlasses des Berichtigungsbescheides für die Quartale 2/08
bis 3/09, noch nicht abgelaufen. Auch die anderen Fallkonstellationen, die die Befugnis der KÄV zur sachlich-rechnerischen
Richtigstellung aus Vertrauensschutzgesichtspunkten einschränken, liegen nicht vor. Entsprechendes wurde von der Klägerin
auch nicht vorgetragen.
Die Berufung hat daher Erfolg. Die streitgegenständlichen Bescheide vom 13.03.20112 und 24.09.2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 25.02.2015 sind nicht zu beanstanden, weshalb das Urteil des SG aufzuheben ist und die Klagen abzuweisen sind.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 VwGO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG.