Anforderungen an die Darlegung einer Anhörungsrüge im sozialgerichtlichen Verfahren bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten;
Auslegung von Prozesserklärungen
Gründe
Mit Beschluss vom 30.07.2015, Az.: L 15 RF 34/15, dem Antragsteller am 06.08.2015 zugestellt, lehnte der Senat eine mit Antrag
vom 17.04.2015 begehrte Entschädigung des Antragstellers wegen des Erscheinens beim Erörterungstermin am 28.11.2014 im Verfahren
mit dem Aktenzeichen L 3 U 67/14 B ER ab. Der Senat begründete dies damit, dass der Entschädigungsanspruch wegen Versäumung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) erloschen sei.
Mit Schreiben vom 12.12.2015, das neben der Lebensgefährtin des Antragstellers auch der Antragsteller selbst unterschrieben
hat, hat die Lebensgefährtin des Antragstellers das Bayer. Landessozialgericht (LSG) "namens und mit Vollmacht" aufgefordert,
die für den Gerichtstermin am 28.11.2014 entstandenen Reisekosten zu erstatten. Sie hat vorgetragen, dass der Antragsteller
selbst keine Fahrzeuge führen könne. Es sei - so die Lebensgefährtin des Antragstellers - "unser Erscheinen als Beschwerdeführer
nachträglich ... angeordnet" worden. Trotz Widerspruch sei kein Ausgleich erfolgt, obwohl der Antrag form- und fristgerecht
"von uns beiden unterzeichnet" worden sei. Sollte die Entschädigung auf dem von ihr angegebenen Konto nicht eingehen, werde
diese anderweitig gerichtlich eingeklagt werden.
Mit Schreiben vom 26.01.2016 hat der Senat die Lebensgefährtin des Antragstellers darum gebeten, näher zu erläutern, wie ihr
Schreiben vom 12.12.2015 zu verstehen sei.
Mit Schreiben vom 01.02.2016 hat sich die Lebensgefährtin an die ehemals zuständige Richterin im unfallversicherungsrechtlichen
Verfahren des Antragstellers gewandt und diese sinngemäß um Unterstützung beim Entschädigungsbegehren gebeten. Nähere Erläuterungen
dazu, wie ihr Schreiben vom 12.12.2015 zu verstehen sei, hat sie nicht gegeben.
II.
Die Anhörungsrüge ist gemäß § 4 a Abs. 4 Satz 2 JVEG als unzulässig zu verwerfen.
1. Auslegung des Schreibens der Lebensgefährtin des Antragstellers vom 12.12.2015
Das Schreiben vom 12.12.2015 ist, wie seine Auslegung ergibt, als Anhörungsrüge zu dem in Sachen des Antragstellers ergangenen
Beschluss vom 30.07.2015, Az.: L 15 RF 34/15, zu sehen.
Maßstab der Auslegung von Prozesserklärungen und Anträgen bei Gericht ist der Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten
(vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 12.12.2013, Az.: B 4 AS 17/13), wobei der Grundsatz einer rechtsschutzgewährenden Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom
29.11.1995, Az.: X B 328/94). Verbleiben Zweifel, ist von einem umfassenden Rechtsschutzbegehren auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 01.03.2011, Az.: B 1 KR 10/10 R), um dem Grundrecht des Art.
19 Abs.
4 Satz 1
Grundgesetz auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt sowie dem damit verbundenen
Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 30.04.2003, Az.:
1 PBvU 1/02, und vom 03.03.2004, Az.: 1 BvR 461/03).
Bei Beachtung dieser Vorgaben ergibt die Auslegung Folgendes:
Das Schreiben vom 12.12.2015 ist als Anhörungsrüge gemäß § 4 a JVEG zum Beschluss vom 30.07.2015, Az.: L 15 RF 34/15 zu betrachten. Damit wird dem Begehren des Antragstellers und seiner Lebensgefährtin
noch am Weitesten Rechnung getragen und dem potentiellen Vorwurf entgegengewirkt, dem Antragsteller oder seiner Lebensgefährtin
würde eine statthafte Möglichkeit des Rechtsschutzes abgeschnitten.
Nicht auszulegen ist das Schreiben vom 12.12.2015 * als weitere Anhörungsrüge hinsichtlich des Beschlusses des Senats vom
30.07.2015, Az.: L 15 RF 26/15, zu einer Anhörungsrüge in Sachen der Lebensgefährtin des Antragstellers, da dem Schreiben
der Lebensgefährtin des Antragstellers vom 12.12.2015 zu entnehmen ist, dass dieses in Vertretung ("namens und mit Vollmacht")
des Antragstellers ergangen ist und zudem eine weitere Anhörungsrüge der Lebensgefährtin in eigener Angelegenheit wegen fehlender
Statthaftigkeit als kostenpflichtig zu verwerfen wäre, * als originärer Entschädigungsantrag der Lebensgefährtin des Antragstellers
wegen ihres Erscheinens beim Erörterungstermin am 28.11.2014, weil dem Schreiben der Lebensgefährtin des Antragstellers vom
12.12.2015 zu entnehmen ist, dass dieses in Vertretung ("namens und mit Vollmacht") des Antragstellers ergangen ist und ein
solcher - jetzt offensichtlich verfristeter - Antrag der Lebensgefährtin in eigener Sache nur einen wiederholenden Antrag
darstellen würde, über den bereits rechtskräftig mit Beschluss des Senats vom 31.03.2015, Az.: L 15 RF 8/15, entschieden worden
ist, * als originärer Entschädigungsantrag des Antragstellers wegen seines Erscheinens beim Erörterungstermin am 28.11.2014,
da dieser - ohnehin offensichtlich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG verfristete - Antrag lediglich einen wiederholenden Antrag darstellen würde, über den bereits rechtskräftig mit Beschluss
des Senats vom 30.07.2015, Az.: L 15 RF 34/15, entschieden worden ist.
2. Für die Anhörungsrüge vorgetragene Gründe des Antragstellers
Der Antragsteller hat durch seine Lebenspartnerin im Schreiben vom 12.12.2015 vorgetragen, dass er selbst keine Fahrzeuge
führen könne. Es sei - so die Lebensgefährtin des Antragstellers - "unser Erscheinen als Beschwerdeführer nachträglich ...
angeordnet" worden. Trotz Widerspruch sei kein Ausgleich erfolgt, obwohl der Antrag form- und fristgerecht "von uns beiden
unterzeichnet" worden sei.
3. Verfristung der Anhörungsrüge
Die Anhörungsrüge ist gemäß § 4 a Abs. 4 Satz 2 JVEG als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 4 a Abs. 2 Satz 1 JVEG erhoben worden ist.
Der Antragsteller hätte innerhalb von zwei Wochen ab dem am 06.08.2015 erfolgten Zugang des Beschlusses vom 30.07.2015, Az.:
L 15 RF 34/15, eine Anhörungsrüge erheben können. Denn zu diesem Zeitpunkt hat er die von ihm geltend gemachten Gründe für
die Anhörungsrüge (vgl. oben Ziff. 2) gekannt. Dass er Kenntnis von einem die Anhörungsrüge eröffnenden Umstand erst später
erlangt hätte, hat der Antragsteller nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, wie dies gemäß § 4 a Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. JVEG erforderlich wäre; im Übrigen wäre dies mit Blick auf den Vortrag des Antragstellers in der Sache auch nicht nachvollziehbar
und nicht plausibel.
Das Schreiben vom 12.12.2015 ist erst deutlich nach Fristablauf bei Gericht eingegangen. Irgendwelche Wiedereinsetzungsgründe
sind weder ersichtlich noch vom Antragsteller geltend gemacht worden.
4. Ergänzende Hinweise
Um dem Antragsteller nicht das Gefühl zu vermitteln, seine Anhörungsrüge habe lediglich aus einem formalen Grund, nämlich
wegen der Verfristung, keinen Erfolg gehabt, obwohl er eigentlich im Recht wäre, weist der Senat der Vollständigkeit halber
darauf hin, dass die Anhörungsrüge, auch wenn sie fristgerecht erhoben worden wäre, was tatsächlich nicht der Fall ist (vgl.
oben Ziff. 3), keinen Erfolg gehabt hätte.
4.1. Hinweis im Schreiben des Antragstellers vom 12.12.2015 auf Anordnung des persönlichen Erscheinens, Notwendigkeit einer
Begleitung zum Gerichtstermin, Kosten einer Anreise mit PKW anstelle der Bahn
Sofern im Schreiben vom 12.12.2015 auf die für die Frage des Ob und der Höhe einer Entschädigung maßgeblichen Gesichtspunkte
der Anordnung des persönlichen Erscheinens, der Notwendigkeit einer Begleitung zum Gerichtstermin und der Kosten einer Anreise
mit PKW anstelle der Bahn hingewiesen worden ist, wäre die Anhörungsrüge unzulässig, da sie nicht den Anforderungen des §
4 a Abs. 2 Satz 5 JVEG entspricht.
Gemäß § 4 a Abs. 2 Satz 5 JVEG muss die Anhörungsrüge die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 4 a Abs. 1 Nr. 2 JVEG genannten Voraussetzungen ("das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher
Weise verletzt hat") darlegen.
Die Erfüllung des Darlegungserfordernisses ist wegen § 4 a Abs. 4 Satz 1 JVEG Zulässigkeitsvoraussetzung (ständige Rspr., vgl. z.B. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 07.04.2005, Az.: B 7a AL 38/05 B; Beschluss des Senats vom 24.07.2012, Az.: L 15 SF 150/12 AB RG, L 15 SF 151/12 AB RG). Eine Anhörungsrüge ist daher nur dann zulässig, wenn sich dem Vorbringen zweierlei entnehmen lässt, nämlich zum einen
die Verletzung des Anspruchs des die Rüge erhebenden Beteiligten auf rechtliches Gehör durch das Gericht, zum anderen, dass
die Verletzung entscheidungserheblich ist (vgl. auch zur Anhörungsrüge nach dem
Sozialgerichtsgesetz -
SGG -: Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders.,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
178 a, Rdnr. 6a).
Bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten dürfen - auch mit Blick auf die kurze Darlegungsfrist von zwei Wochen - die
Anforderungen nicht überspannt werden, da auch im
SGG zwingende Begründungsanforderungen ansonsten nur für Verfahren vor dem BSG mit Vertretungszwang aufgestellt werden. Auch von einem rechtsunkundigen Beteiligten müssen jedoch gewisse Mindestanforderungen
erfüllt werden. Dies ist zum einen ein substantiierter Vortrag, aus dem erkennbar ist, warum das rechtliche Gehör nicht gewährt
worden ist, oder der schlüssig die Umstände aufzeigt, aus denen sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht
ergibt. Zum anderen ist darzulegen, weshalb ohne den Verstoß eine günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann
(vgl. Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl. 2015, § 4 a JVEG, Rdnrn. 28 ff.; zum
SGG: Leitherer, a.a.O., §
178 a, Rdnr. 6a).
An einem solchen Vortrag fehlt es hier. Wie im zugrunde liegenden Beschluss vom 30.07.2015, Az.: L 15 RF 34/15, ausführlich
dargestellt worden ist, hat der Senat die Gewährung einer Entschädigung für das Erscheinen beim Erörterungstermin am 28.11.2014
im Verfahren mit dem Aktenzeichen wegen Versäumung der Antragsfrist des § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG abgelehnt. Wegen der Verfristung der Beantragung der Entschädigung war dem Senat eine Befassung mit einzelnen Entschädigungstatbeständen
und eine Auseinandersetzung mit der Höhe einer etwaigen Entschädigung verwehrt. Auf die im Schreiben vom 12.12.2015 aufgezeigten
Fragen (Anordnung des persönlichen Erscheinens, Notwendigkeit einer Begleitung zum Gerichtstermin, Kosten einer Anreise mit
PKW anstelle der Bahn) kam es daher überhaupt nicht an. Dies war auch für einen juristischen Laien wie den Antragsteller unzweifelhaft
aus den Gründen des Beschlusses vom 30.07.2015 zu ersehen. Wenn der Antragsteller nunmehr - erneut - inhaltliche Argumente
für den geltend gemachten Anspruch vorbringt, ist damit keine Darlegung verbunden, aus der erkennbar wäre, welchen konkreten
und entscheidungserheblichen Vortrag des Antragstellers der Senat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt haben sollte.
Denn auf den jetzt geltend gemachten Vortrag des Antragstellers kam es bei der Entscheidung überhaupt nicht an. Ein Vortrag
des Antragstellers betreffend die rechtzeitige Antragstellung, der eine Anhörungsrüge zulässig machen hätte können, ist damit
nicht erfolgt.
4.2. Hinweis im Schreiben des Antragstellers vom 12.12.2015 auf einen "form- und fristgerecht, von uns beiden unterzeichneten"
Entschädigungsantrag
Sofern im Schreiben vom 12.12.2015 durch die Lebensgefährtin des Antragstellers ausgeführt wird, dass "der Antrag form- und
fristgerecht, von uns beiden unterzeichnet," gestellt worden sei, wäre dies ein im Rahmen der Anhörungsrüge maßgeblicher Gesichtspunkt.
Die im Schreiben vom 12.12.2015 aufgestellte Behauptung ist jedoch nachweislich falsch. Der - innerhalb der Antragsfrist gestellte
- Entschädigungsantrag vom 18.12.2014 ist nur von der Lebensgefährtin des Antragstellers mit " B." unterschrieben, nicht aber
vom Antragsteller. Dies ist im Übrigen bereits in dem in Sachen der Lebensgefährtin des Antragstellers ergangenen Beschluss
vom 31.03.2015, Az.: L 15 RF 8/15, (siehe dort drittletzter Absatz) als auch in dem in Sachen des Antragstellers selbst erlassenen
und mit der Anhörungsrüge angegriffenen Beschluss vom 30.07.2015, Az.: L 15 RF 34/15, (siehe dort Ziff. 3) erläutert worden.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 4 a Abs. 6 JVEG) und ist unanfechtbar (§ 4 a Abs. 4 Satz 4 JVEG).