Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 27.03.2009 als Arbeitsunfall streitig.
Die Klägerin ist seit 2000 als Zugbegleiterin der Deutschen Bahn tätig. Am 09.07.2007 wurde ihr Zug in einen Personenschaden
verwickelt, als eine Frau sich in suizidaler Absicht vor den Zug warf. Die Klägerin leistete bei dem Ereignis Erste Hilfe
und begab sich in der Folgezeit in psychotherapeutische Behandlung. Mit Bescheid vom 27.02.2008 anerkannte die Beklagte das
Ereignis vom 09.07.2007 als Arbeitsunfall.
Laut Unfallanzeige vom 03.08.2009 habe am 27.03.2009 eine Kollegin bei der Dienstübergabe der Klägerin gesagt, dass die Tür
von Wagen 12 der ersten Klasse nicht schließe. Sofort habe sich die Klägerin zum letzten Wagen begeben, um die Tür zu schließen.
In diesem Moment sei der Zug angefahren und die Klägerin habe versucht, die Tür zu schließen bzw. sich in den Wagen zu ziehen.
Da dies nicht gelungen sei, sei sie zurück auf den Bahnsteig gesprungen und habe einen Schock erlitten. Auf Nachfrage der
Beklagten schilderte eine Kollegin der Klägerin am 08.10.2009 den Unfallhergang. Nach diesem Ereignis arbeitete die Klägerin
bis 21.04.2009 weiter und begab sich vom 22.04.2009 bis 10.07.2009 in stationäre Behandlung in das Krankenhaus für Psychiatrie,
Psychotherapie und psychosomatische Medizin in L./M ... Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr.B. vom 12.11.2009
lehnte die Beklagte mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23.11.2009 den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Den hiergegen am 15.12.2009 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2010 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 22.07.2010 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Im Auftrag des SG hat Prof. Dr.Dr.N. gemäß §
106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) am 19.11.2010 ein nervenärztliches Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin erstattet.
Mit Urteil vom 03.03.2011 hat das SG den Bescheid vom 23.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2010 aufgehoben und festgestellt, dass das
Ereignis vom 27.03.2009 ein Arbeitsunfall im Sinne des §
8 Abs
1 SGB VII sei. Das Ereignis vom 27.03.2009 stelle einen Unfall im Sinne des §
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII dar. So führe Prof. Dr.Dr.N. aus, dass die Klägerin auch nach dem Bericht des Nervenkrankenhauses L. nicht das Vollbild einer
sog. posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) geboten habe. Dennoch seien die im Entlassungsbericht erwähnten Suizidimpulse,
massiven Angst- und Panikattacken und die vegetative Symptomatik sowie die flash back-artigen Erinnerungen an den Personenunfall
aus dem Jahr 2007 mit Akzentuierung durch den eigenen, wenn auch vergleichsweise unspektakulären Arbeitsunfall vom 27.03.2009
und wohl auch gefördert durch eine rezidivierende depressive Episode zumindest als gravierende Erlebnisreaktion mit zumindest
partiellen, nicht untypischen Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu werten. Der "alltägliche Sachverhalt" des
Abspringens aus einem anfahrenden Zug überschreite aufgrund der vergangenen Erlebnisse der Klägerin die Schwelle eines Alltagsereignisses
und sei somit als Unfall im Sinne des §
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII anzuerkennen.
Hiergegen richtet sich die beim Bayer. Landessozialgericht am 14.04.2001 eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Berufungsbegründung
trägt die Beklagte insbesondere vor, vorliegend fehle es bereits an der zeitlich begrenzten Einwirkung von außen, dem eigentlichen
Unfallereignis. Der Ereignisablauf sei untraumatisch gewesen. Einer nennenswerten Gefährdung sei die Klägerin nicht ausgesetzt
gewesen. Der nicht gelungene Einstieg in den Zug stelle eine geringe und der Alltäglichkeit zuzurechnende psychische Belastung
dar. Selbst wenn es sich um eine geistig-seelische Einwirkung handele, so müsse diese "von außen kommen". Ein äußerer Geschehensablauf
durch bloßes Weiterdenken des Vorfalls reiche hierfür nicht aus. Diese Tätigkeit sei daneben nicht die allein wesentliche
Ursache für die in der Folge akut gewordene Depression der Klägerin. Nach verwaltungsseitiger Auswertung sei das Ereignis
vom 27.03.2009 nicht geeignet gewesen, zu einer psychischen Störung zu führen. Die Klägerin habe selbst dem Vorkommnis keine
große Bedeutung zugemessen. Sie habe ihre Tätigkeit zunächst bis zum 21.04.2009 fortgesetzt. Eine in erster Linie depressive
Symptomatik habe sich mithin erst knapp vier Wochen später gezeigt. Das Ereignis selbst habe sie ihrer Dienststelle erst im
August 2009 gemeldet, da sie nach eigenen Angaben auch erst in der stationären Behandlung erfahren habe, dass es sich um Unfallfolgen
handeln könnte. Inwieweit der Vorfall am 27.03.2009 Erinnerungen an das Ereignis aus dem Jahre 2007 reaktiviert habe, könne
weder belegt noch bestätigt werden. Das zeitlich frühere Ereignis vom 09.07.2007 habe nach den in den Akten enthaltenen Befundmitteilungen
und den aktuellen Feststellungen keine Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet hinterlassen. Im Übrigen sei zu beachten,
dass gerade im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung jeder Arbeitsunfall und seine Folgen gesondert zu beurteilen sei.
Unerheblich sei, ob ggf. durch einen anderen geschilderten Vorfall die Erkrankung verschlimmert worden sei, da dies Gegenstand
gesonderter Feststellungsverfahren wäre. Es sei insoweit auf die jeweils einzelnen Vorfälle und ihre Folgen abzustellen. Der
Vorfall vom 27.03.2009 sei mithin nur das letzte Ereignis in einer Kette belastender Vorgänge, es könne in seiner Bedeutung
aber nicht als singuläres Geschehen gewertet werden. Die psychische Symptomatologie sei nicht auf das Ereignis vom 27.03.2009
zurückzuführen. Aus dem Leistungsverzeichnis der Krankenkasse ergebe sich, dass die Klägerin bereits seit 1998 unter einer
depressiven Episode gelitten habe. Daneben bestehe eine unfallunabhängige Angststörung, die weder durch ein Unfallereignis
hervorgerufen worden sei noch dadurch eine Verschlimmerung erfahren habe. Die Klägerin selbst habe nach ihren eigenen Angaben
ihre Tätigkeit als Zugbegleiterin bis zu dem streitgegenständlichen Vorfall im März 2009 problemlos verrichten können. Es
sei daher gerade nicht nachvollziehbar, wie der unspektakuläre Vorfall am 27.03.2011 eine solch außergewöhnliche Reaktion
habe hervorrufen können, wenn man berücksichtige, dass die psychischen Beschwerden aus dem früheren Ereignis erfolgreich therapiert
und behandelt worden seien, mithin ausgeheilt gewesen seien. Prof. Dr.Dr.N. habe die Symptome der Klägerin als Zeichen einer
PTBS bewertet, ohne dies näher zu konkretisieren. Es seien hier konkurrierende Kausalitäten zu gewichten, die primäre Persönlichkeitsstörung,
das Miterleben eines schweren Unfalls im Jahr 2007 und das Ereignis des Jahres 2009, das, wie gesagt, lediglich als Missgeschick
bezeichnet werden könne. Da das Ereignis vom 27.03.2009 keine Retraumatisierung begründbar machen könne, lasse sich auch die
etwas später aufgetretene depressive Symptomatik nicht im Zusammenhang mit diesem Ereignis sehen. Insgesamt sei darzulegen,
dass unter Gewichtung der konkurrierenden Kausalitäten die alles überragende Ursache in der unfallunabhängigen Persönlichkeitsanlage
der Klägerin liege.
Zur Berufungserwiderung trägt die Klägerin insbesondere vor, dass das Unfallereignis nicht darin bestehe, dass sie versucht
habe, eine Türstörung zu beseitigen und ihr der Einstieg in den Zug nicht mehr gelungen sei. Vielmehr habe sich der Zug in
Bewegung gesetzt, als sie erst versucht habe, die offene Tür am Zug zu schließen. Sie habe sich dabei zunächst mit beiden
Händen an den Haltegriffen im Bereich der Türe festgehalten, da der Zug schon abgefahren sei. Vom fahrenden Zug, der schon
mindestens 50 m gefahren sei, sei sie dann abgesprungen, als sie gemerkt habe, dass sie sich nicht mehr ins Zuginnere habe
ziehen können. Hierbei habe sie Todesangst gehabt, da sie befürchtet habe, auf die Bahngleise zu stürzen. Sie sei allerdings
tatsächlich auf dem Bahnsteig gelandet und habe sich einen Fuß verknackst. Im Übrigen führe das BSG in seinem Urteil vom 08.12.1998
(Az.: B 2 U 1/98 R) aus, dass bei der rechtlichen Wertung der seelischen Auswirkungen eines Unfalls nicht von vorneherein darauf abgestellt
werden dürfe, wie ein "normaler" Versicherter reagiert hätte. Beklagtenseits werde dies im Rahmen der Berufungsbegründung
allerdings nicht im Ansatz berücksichtigt, sondern vielmehr gerade darauf abgestellt, wie nach Auffassung der Beklagten ein
"normaler" Versicherter in einer Situation reagiert hätte. Wie sich letztlich aus dem Gutachten des Prof. Dr.Dr.N. vom 19.11.2010,
allerdings auch aus dem Arztbrief des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin L./M. vom
09.07.2009 ergebe, sei das hier zur Rede stehende Ereignis allerdings sehr wohl geeignet gewesen, eine erhebliche psychische
Belastung zu verursachen, denn es sei durch den Unfall vom 27.03.2009 zu einer partiellen lebensgeschichtlich nachvollziehbaren,
vorübergehenden reaktiven Störung im Sinne einer schweren depressiven Entwicklung und Teilsymptomen einer PTBS gekommen. Es
liege auch keineswegs ein alltägliches Ereignis vor, da es gerade nicht alltäglich sei, sich mit beiden Händen an den Haltegriffen
eines fahrenden Zuges festzuhalten und von dem fahrenden Zug heraus auf das Bahngleis abzuspringen, nachdem dieser schon eine
Strecke von mehr als 50 m zurückgelegt habe. Aus dem Gutachten des Prof. Dr.Dr.N. (Seite 19) ergebe sich, dass sie am 27.03.2009
nach der Rückfahrt nach Hause und Ankunft bei ihrem Lebenspartner heftig geweint habe. Es möge richtig sein, dass sie sodann
noch einige Wochen ihre Arbeit weiter ausgeübt habe. Dies ändere jedoch nichts daran, dass sie im weiteren Verlauf immer zunehmender
depressiv und suizidal geworden sei, bis sie dann aufgrund massivster depressiver Verstimmungen, Suizidgedanken und Suizidimpulsen
notfallmäßig in das Bezirkskrankenhaus L./M. eingeliefert worden sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergebe sich aus
dem Entlassungsbericht der Klinik L./M. vom 09.07.2009, dass der dortige Aufenthalt ab dem 22.04.2009 sehr wohl unfallbedingt
erfolgt sei. Prof. Dr.Dr.N. habe das Vorliegen wesentlicher Kriterien einer PTBS festgestellt.
In der nichtöffentlichen Sitzung vom 13.10.2011 hat das Gericht die Klägerin zum Unfallhergang befragt. Die Beteiligten haben
ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt, §
155 Absätze 3 und 4
SGG iVm §
124 Abs
2 SGG.
Sinngemäß beantragt die Beklagte,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.03.2011 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 23.11.2009 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2010 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 03.03.2011 zurückzuweisen.
Das Gericht hat 1 Band Akten der Beklagten sowie die Akte des SG (S 13 U 212/10) zum Verfahren beigezogen. Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Gerichtsakte
verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig (§§
143,
144,
151 SGG).
Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 03.03.2011 den Bescheid vom 23.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2010 aufgehoben
und festgestellt, dass das Ereignis vom 27.03.2009 ein Arbeitsunfall im Sinne des §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII ist.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit), §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII. Unfälle sind zeitliche begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder
zum Tod führen, Satz 2.
Zur Überzeugung des Gericht steht fest, dass das Ereignis vom 27.03.2009 einen Unfall im Sinne des §
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII darstellt.
Die Legaldefinition des §
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII stimmt mit der in Rechtsprechung und Schrifttum zuvor verbreiteten Definition überein, wonach unter einem Unfall ein von
außen auf den Menschen einwirkendes, körperlich schädigendes, plötzliches, d.h. zeitlich begrenztes Ereignis zu verstehen
war (vgl. BSGE 23, 139, 41; 61, 113, 115). Durch das Erfordernis der Einwirkung von außen wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Unfall aufgrund innerer
Ursache nicht als Arbeitsunfall anzusehen ist (Hauck/Noftz/Keller,
SGB VII, §
8 Rn 11). Eine äußerliche Verletzung in Form einer körperlich-organischen Schädigung ist nicht erforderlich. Die für einen
Arbeitsunfall erforderliche äußere Einwirkung auf den Körper kann vielmehr auch darin bestehen, dass durch betriebliche Einflüsse
eine Störung im Körperinneren hervorgerufen wird (BSGE 94, 269 - körperliche Kraftanstrengung führt zur Hirnblutung). Der Terminus Ereignis besagt nicht, dass es sich bei dem Unfall zwangsläufig
um einen außergewöhnlichen Vorgang handeln muss oder der Vorgang für die versicherte Tätigkeit untypisch sein muss (vgl. BSGE
9, 222, 224; 61, 127, 130; Breith. 1974, 843, 845).
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt bei dem Ereignis vom 27.03.2009 eine zeitlich begrenzte Einwirkung von außen vor.
Insoweit trägt die Beklagte vor, der Ereignisablauf sei untraumatisch gewesen und die Klägerin sei einer nennenswerten Gefährdung
nicht ausgesetzt gewesen. Der nicht gelungene Einstieg in den Zug stelle eine geringe und der Alltäglichkeit zuzurechnende
psychische Belastung dar. Reduziere man das streitgegenständliche Ereignis auf seinen Kern, so bestehe es darin, dass der
Klägerin, nachdem sie versucht habe, eine Türstörung zu beseitigen, der Einstieg in den Zug nicht mehr gelungen sei. Es gehöre
nun mal zum Tätigkeitsbereich eines Zugbegleiters, Türstörungen zu beseitigen und dadurch bedingt auch nicht mehr rechtzeitig
in den Zug einsteigen zu können. Insofern rechtfertige eine als belastend empfundene Arbeitsbedingung ggf. verbunden mit einem
hohen Stressanteil nicht automatisch ein Unfallereignis.
Bei dieser Argumentation verkennt die Beklagte, dass die Tatbestandsvoraussetzung "Einwirkung auf den Körper von außen" dann
erfüllt ist, wenn ein Unfall nicht aufgrund innerer Ursachen vorliegt, d.h. nicht der eigenen Risikosphäre im Sinne der körpereigenen
Krankheitsentwicklung entspringt.
Unzutreffend ist auch die Auffassung der Beklagten, dass es sich bei einem Unfall zwangsläufig um einen außergewöhnlichen
Vorgang handeln muss oder der Vorgang für die versicherte Tätigkeit untypisch sein muss. Im Übrigen geht das Gericht beim
Unfallgeschehen im vorliegenden Verfahren von einem außergewöhnlichen Ereignis aus, wobei es das Unfallgeschehen zugrundelegt,
das die Klägerin in der nichtöffentlichen Sitzung vom 13.10.2011 - insoweit widerspruchsfrei zu früheren eigenen Darstellungen
- glaubhaft geschildert hat. Danach ist sie nach der Dienstübergabe auf dem Bahnsteig zum letzten Wagen gelaufen und wollte
eine nicht geschlossene Tür von innen schließen. Sie war auf der ersten Stufe und hat sich mit einer Hand am Griff der Tür
und mit der anderen Hand an der Stange festgehalten, als der Zug losfuhr. Da sie es nicht geschafft hat, sich in den Zug zu
ziehen, ist sie mit einem Drehsprung zurück auf den Bahnsteig gesprungen. Dabei trug sie einen Rucksack. Sie hatte ungefähr
eine Wagenlänge versucht, in den Zug zu kommen. Die Geschwindigkeit des Zugs betrug ca. 20 km/h. Beim Sprung hat sie sich
den Fuß verknackst. Unter Zugrundelegung dieses Unfallhergangs ist das Gericht der Überzeugung, dass es keineswegs ein alltäglicher
Vorgang ist, von einem fahrenden Zug heraus mit 20 km/h auf das Bahngleis abzuspringen, nachdem der Zug schon eine Strecke
von mehr als 50 m zurückgelegt hat.
Das Unfallereignis vom 27.03.2009 hat auch einen Gesundheits(-erst-)schaden bei der Klägerin verursacht (haftungsbegründende
Kausalität).
Für die Feststellung der haftungsbegründenden Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSGE 11, 50, 52; 25, 49, 50). Der Unfall ist demgemäß dann als kausal anzusehen, wenn er die wesentliche Bedingung für den Schadenseintritt
ist; nicht erforderlich ist dagegen, dass der Unfall die alleinige Ursache für den Gesundheitsschaden ist. Wesentlich ist
nicht gleichzusetzen mit gleichwertig oder annähernd gleichwertig. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch
verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache
keine überragende Bedeutung hat (BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 8/06 R).
Das Unfallereignis vom 27.03.2009 ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich kausal für eine vorübergehende reaktive
Störung der Klägerin im Sinne einer schweren depressiven Entwicklung und Teilsymptomen einer PTBS bei Neigung zu rezidivierenden
depressiven Störungen und bei primär ängstlich-unsicherer Persönlichkeitsstörung. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts
aufgrund einer Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen ärztlichen Unterlagen und insbesondere aufgrund der schlüssigen
und überzeugenden gutachterlichen Ausführungen des vom SG gemäß §
106 SGG gehörten Prof. Dr.Dr.N. in seinem Gutachten vom 19.11.2010. Nach dem Ergebnis der Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr.Dr.N.
und nach dem Bericht des Nervenkrankenhauses L./M. hat die Klägerin zwar nicht das Vollbild einer sog. PTBS geboten. Dennoch
sind die im Entlassungsbericht erwähnten Suizidimpulse, massiven Angst- und Panikattacken und die vegetative Symptomatik sowie
die flash back-artigen Erinnerungen an den Personenunfall aus dem Jahr 2007 mit Akzentuierung durch den eigenen Unfall vom
27.03.2009 und wohl auch gefördert durch eine rezidivierende depressive Episode zumindest als gravierende Erlebnisreaktion
mit zumindest partiellen, nicht untypischen Zeichen einer PTBS zu werten und stellen einen Gesundheitsschaden im Sinne des
§
8 Abs
1 Satz 2
SGB VII dar.
Insoweit verkennt die Beklagte, dass ein Gesundheitsschaden als Voraussetzung für einen Arbeitsunfall nicht nur dann anzunehmen
ist, wenn bei der Klägerin eine PTBS vorliegt, sondern es genügt ein Gesundheitsschaden, wie er Prof. Dr.Dr.N. zutreffend
bezeichnet hat.
Soweit die Beklagte einwendet, der nicht gelungene Einstieg in den Zug stelle eine geringe und der Alltäglichkeit zuzurechnende
psychische Belastung dar, weshalb das Ereignis vom 27.03.2009 nicht rechtlich wesentlich kausal für den Gesundheitsschaden
der Klägerin sei, vermag das Gericht dieser Argumentation nicht zu folgen. Denn bei der rechtlichen Wertung der seelischen
Auswirkungen eines Unfalls darf nicht von vorneherein darauf abgestellt werden, wie ein "normaler" Versicherter reagiert hätte
(BSG, Urteil vom 08.12.1998, B 2 U 1/98 R). Bei Vorgängen, die mit einer psychischen Belastung verbunden sind, darf nicht unter Anlegung eines generalisierenden Maßstabs
darauf abgestellt werden, ob die Auswirkungen des Unfalls auch beim durchschnittlichen Menschen erfahrungsgemäß gleiche oder
ähnliche Folgen gehabt hätten. Vielmehr ist wesentlich, welche Folgen die Auswirkungen des Unfalls, d.h. die seelische Belastung
gerade bei dem betroffenen Menschen infolge der Eigenart seiner Persönlichkeit gehabt haben. Für die Beurteilung des Ausmaßes
einer psychischen Einwirkung ist vor allem auf die subjektive Reaktion des Betroffenen und weniger auf die objektiven äußeren
Umstände der Einwirkung abzustellen.
Somit ist die haftungsbegründende Kausalität zwischen dem Ereignis vom 27.03.2009 und dem bei der Klägerin festgestellten
Gesundheitsschaden nicht deshalb zu verneinen, weil das außergewöhnlich belastende Erlebnis eines gescheiterten schweren Suizidversuchs
im Fall der Klägerin auf eine Persönlichkeit wirkte, die schon im Wesenskern eher ängstlich-unsicher geprägt war, somit bei
der Verarbeitung eines solchen Eindrucks einer vermehrten Belastung ausgesetzt war und es nur in diesem speziellen Rahmen
nachvollziehbar ist, dass das Ereignis vom 27.03.2009 solch ausgeprägte, außergewöhnlich intensive Reaktionen der Klägerin
hervorrufen konnte, nicht zuletzt auch auf der Basis einer Neigung der Klägerin zu rezidivierenden depressiven Störungen.
Dem steht - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht entgegen, dass die Klägerin nach dem Vorfall vom 09.07.2007 lediglich
bis 15.01.2008 arbeitsunfähig war und ihre Tätigkeit als Zugbegleiterin nach ihren eigenen Angaben bis zum Vorfall von März
2009 wieder problemlos verrichten konnte.
Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass hier konkurrierende Kausalitäten vorliegen, nämlich die Neigung der Klägerin zu rezidivierenden
depressiven Störungen bei primär ängstlich-unsicherer Persönlichkeitsstruktur, das Miterleben eines schweren Unfalls im Jahr
2007 und das Unfallereignis im Jahr 2009. Das Unfallereignis vom 27.03.2009 ist jedoch - entgegen der Auffassung der Beklagten
- rechtlich wesentlich ursächlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung für den von Prof. Dr.Dr.N. bezeichneten
Gesundheitsschaden der Klägerin, denn weder die Persönlichkeitsstörung der Klägerin noch das Miterleben des schweren Unfalls
im Jahr 2007 und auch nicht beide Ursachen zusammen hatten eine überragende Bedeutung für den Gesundheitsschaden der Klägerin,
so dass das Ereignis vom 27.03.2009 nicht als rechtlich unwesentlich demgegenüber zurücktritt.
Auch wenn es nur in dem speziellen Rahmen, d.h. unter Berücksichtigung des Ereignisses aus dem Jahr 2007 nachvollziehbar ist,
dass der Unfall vom 27.03.2009 eine solch ausgeprägte, außergewöhnliche intensive Reaktion hervorrufen konnte, ist das Ereignis
vom 27.03.2009 als neuer Versicherungsfall anzuerkennen und der Gesundheitsschaden der Klägerin nicht lediglich als mittelbare
Folge dem Unfallereignis aus dem Jahr 2007 zuzurechnen. Das Ereignis aus dem Jahr 2007 war nur eine der dargelegten verschiedenen
konkurrierenden Ursachen für den Gesundheitsschaden der Klägerin und hat nicht zum Zustandekommen des späteren Unfalls, sondern
nur zur Schwere des Gesundheitsschadens der Klägerin beigetragen (BSGE 63, 58 = SozR 2200 § 548 Nr 89).
Nach alledem war das Ereignis vom 27.03.2009 als Arbeitsunfall im Sinne des §
8 Abs
1 Satz 1
SGB VII anzuerkennen und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Würzburg vom 03.03.2011 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§
183,
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen.