Keine Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß BKV Anl. 1 Nr. 4302 für Flugpersonal in der gesetzlichen Unfallversicherung
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin wegen ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin Anspruch auf Feststellung einer
Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) hat.
Die Berufskrankheit (BK) Nr. 4302 lautet: Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen,
die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben
der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die 1971 in der ehemaligen DDR geborene Klägerin war zunächst nach Ausbildung und Maschinenbaustudium (1990/1991) vom 15.05.1991
bis 18.02.1996 als Versicherungsvertreterin und Einrichtungsberaterin tätig und ab 19.02.1996 bei der C. Flugdienst GmbH als
Flugbegleiterin, bis 2000 als Vollzeitkraft, ab 2001/2002 in Teilzeit von 75% und ab 2003 in Teilzeit von 50%, nämlich 6 Monate
im Jahr.
Daneben arbeitete sie von 2000 bis 2003 als Fitnesstrainerin in Fitnesscentern in H-Stadt, absolvierte von Oktober 2002 bis
April 2008 ein Studium der Bewegungswissenschaft an der Universität H-Stadt mit Abschluss als Diplom-Sportwissenschaftlerin
und Bewegungstherapeutin und arbeitete vom 01.09.2006 bis 01.09.2007 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Honorarkraft
der Universität H-Stadt. Ab 10.05.2008 war sie als Flugbegleiterin arbeitsunfähig und wurde mit Wirkung zum 15.10.2008 für
dauerhaft flugdienstuntauglich erklärt. Von September bis November 2009 arbeitete sie als Angestellte eines Fitness-Centers
und war etwa ab 01.05.2010 selbstständig tätig als Sportwissenschaftlerin und Bewegungstherapeutin sowie zusätzlich freiberuflich
in Fitnesscentern.
Am 27.06.2008 ging bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden ebenfalls bezeichnet als Beklagte) eine ärztliche
Anzeige des Betriebsmediziners Dr. G. auf Verdacht einer Berufskrankheit ein unter Hinweis auf eine BK Nr. 1307. Die Klägerin
leide unter Atemnot, bronchialer Reizung, Kopfschmerzen und Herzrasen, wobei erstmals Beschwerden im Februar 2007 aufgetreten
seien.
Der Präventionsdienst sah zunächst keinen begründeten Verdacht für eine BK Nr. 1307, leitete aber Ermittlungen wegen einer
Atemwegserkrankung ein. Auf die von der DAK Krankenkasse mitgeteilten Arbeitsunfähigkeitszeiten und Eintragungen im Ausweis
für Arbeit und Sozialversicherung der DDR wird Bezug genommen.
Ferner wird auf die Angaben der Klägerin zu ihren Tätigkeiten und Beschwerden verwiesen. Die Klägerin schilderte insbesondere
Atemnot in Ruhe und Belastung, oberflächliches Atmen, Kurzatmigkeit, Stechen im Brustbereich, Beklemmung und Engegefühl. Sie
habe nie geraucht. Bei der Arbeit als Flugbegleiterin hätten Öle, Kerosin, Dämpfe, Enteisungsmittel, Gase, Verbrennnungsrückstände,
Ozon und Kohlenmonoxid auf sie eingewirkt, insbesondere in der Kabinenluft. Auf die Frage, wann Atembeschwerden verstärkt
aufträten, kreuzte sie an "am Tage, während der Arbeit", "nach der Arbeit, auch nachts", "zu unterschiedlichen Zeiten" sowie
"auch in arbeitsfreier Zeit (Wochenende, Urlaub)".
Der Internist und Lungenfacharzt Dr. T. berichtete mit Schreiben vom 22.09.2008 und 19.11.2008, dass die Klägerin parallel
zu ihrem Sportstudium als Flugbegleiterin tätig sei und unter Luftnotattacken unklarer Genese leide. Erstmals im Mai 2008
sei bei der Arbeit plötzliche Luftnot mit thorakalem Engegefühl aufgetreten und am Tag danach ein Luftnotgefühl beim Joggen.
Einen eindeutig pathologischen Befund habe er nicht feststellen können, insbesondere keine Erhöhung des zentralen Atemwegswiderstands,
keine Überblähung und kein Nachweis für eine bronchiale Hyperreagibilität im Methacholintest. Die Volumina waren normal mobilisierbar,
die Ergospirometrie ergab eine altersentsprechend normale Belastbarkeit ohne Hinweis auf atemmechanische Leistungslimitierung
oder pulmonale Diffusionsstörung. Bei einem unter Peak-Flow-Protokollierung durchgeführtem Flug seien erneut die beschriebenen
Beschwerden aufgetreten, ohne eindeutige Zeichen einer Obstruktion.
Auf die Bodyplethysmographie vom 17.07.2008, die CT-Aufnahmen der Nasennebenhöhlen vom 04.09.2007 bzw. des Thorax und Oberbauchs
vom 24.06.2008 ohne pathologischen Befund der Lunge sowie die Berichte der Kolleginnen der Klägerin über die durchgeführten
Flüge unter Peak-Flow-Protokollierung am 02.08.2008 (Hin- und Rückflug H-Stadt - P., Dauer knapp 2,5 h) wird Bezug genommen.
Danach beklagte die Klägerin bei dem Flug eine Stunde nach dem Start Herzrasen, Kopfschmerzen, später Schmerzen im Brustkorb
("Lungenschmerzen") bei schneller und oberflächlicher Atmung, Kribbeln in den Fingern, Augenflimmern und eine beginnende Migräneattacke.
Der Betriebsarzt Dr. G. berichtete mit Schreiben vom 23.09.2008, dass sich die Klägerin erstmals im August 2007 vorgestellt
habe, weil seit einiger Zeit migräneartige Kopfschmerzen regelmäßig während und nach Flugeinsätzen bestünden. Im Mai 2008
habe sie über zwei Ereignisse an Bord berichtet, mit Atemnot, Thoraxbeklemmung und substernalem Druckgefühl sowie späteren
heftigen Kopfschmerzen, wobei der bereitgestellte Notsauerstoff die Beschwerden gelindert habe. Die Klägerin habe berichtet,
dass in den Boeing 757-Flugzeugen, auf denen sie ausschließlich eingesetzt werde, häufig der Geruch nach verbrannten Öl auftrete
wegen Verbrennungsrückständen von Motorölen mit Trikresylphosphat (TCP). Nach ihren Recherchen würden Verunreinigungen der
Kabinenluft sowohl neurologische Beschwerden (Kopfschmerzen) als auch pulmologische Beschwerden (Asthma etc.) verursachen.
Das vom Lungenfacharzt verordnete Asthmaspray habe ihr bei weiteren Flugeinsätzen nur wenig bis gar nicht geholfen. Dr. G.
führte aus, dass die vorgelegten peak-flow-Protokolle nach seiner Einschätzung keine signifikanten Veränderungen während der
Flüge zeigen würden.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 25.03.2009 ein. Danach war die Versicherte zu Beginn ihrer
Tätigkeit auf DC 10 (McDonnell Douglas) und Boeing 757-200, dann weit überwiegend auf B 757-300 eingesetzt, in Teilzeit (6
Monate im Jahr), wobei Langstreckenflüge nur etwa 2-5 mal pro Jahr erfolgt seien. Auf die beigefügte Flugstundenübersicht
aus dem Jahr 2007 wurde verwiesen, die laut Klägerin für vorangegangene Jahre vergleichbar sei. Die Klägerin sei weitgehend
in Flugzeugen ohne Ozonkonvertern eingesetzt und damit Ozonwerten in der Größenordnung des ehemaligen Grenzwertes (0,1 ppm
bzw. 0,2 mg/m3 ) ausgesetzt gewesen, was als oxidatives Reizgas schon in niedrigen Konzentrationen auf Augen, Nase, Rachenraum
und Lunge schädigend einwirke mit Wirkungsschwelle für Reizeffekte bei 0,1 ppm und signifikanten Veränderungen in der Lungenfunktion
im Fall längere Expositionen (z.B. 6,6 Std.) bei 0,08 ppm. Eine Gefährdung im Sinne der BK Nr. 4302 liege wegen der Ozon-Einwirkung
vor, mit jeweils kurzzeitigen, aber häufigen Grenzwertüberschreitungen. Ferner sei die Klägerin gelegentlich Gerüchen von
thermisch belasteten oder pyrolisierten Ölen, Enteisungsmitteln (in der Regel Glykole) und Kerosin ausgesetzt gewesen.
Nach Beteiligung des Gewerbearztes lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.05.2009 die Anerkennung der Berufskrankheit Nr.
4302 und Leistungsansprüche ab. Die im Rahmen eines Fluges durchgeführte Peak-Flow-Messung habe kein eindeutiges Zeichen einer
Obstruktion ergeben und es habe keine Erhöhung des zentralen Atemwegswiderstandes, keine Überblähung und kein eindeutiger
Nachweis einer bronchialen Hyperreagibilität festgestellt werden können. Damit lägen die medizinischen Voraussetzungen der
BK Nr. 4302 nicht vor. Hinsichtlich der BK Nr. 1307 ergehe gesonderter Bescheid.
Den Widerspruch des Klägerbevollmächtigten vom 22.05.2009, der nicht begründet wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 11.12.2009 zurück.
Zur Begründung der am 05.01.2010 beim Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Klägerbevollmächtigte am 22.03.2011 auf Untersuchungen über Triaryl- und Trialkylphoshaten in filterdeponiertem
Kabinenluftstaub eines Verkehrsflugzeugs sowie des sogenannten "Aerotoxischen Syndroms" hingewiesen und ausgeführt, dass die
Belastung der Kabinenluft mit Verbrennungsprodukten der im Triebwerk verwandten Hydrauliköle chemisch-irritativ und toxisch
wirkten. Außerdem entstünden durch den Phosphorsäureester TCP beim unbeabsichtigten Austreten der Hydrauliköle und der Oxidation
auf heißen Turbinenteilen stark toxische Stoffe, die generell Noxen der BK 4302 seien. Die Folge sei die bei der Klägerin
vorliegende Atemwegsobstruktion, wahrscheinlich verbunden mit einer Lungenüberblähung.
Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 05.04.2011 mit, dass die Ermittlungen bezüglich Trikresylphosphat (TCP) bereits in einem
gesonderten Verfahren zur BK Nr. 1307 geführt würden und kein Anlass für eine Entscheidung über eine Wie-BK nach §
9 Abs.
2 SGB VII bestünde.
Das SG hat Befundberichte und Unterlagen der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt, insbesondere von Dr. T., des Internisten
Dr. M. von der Universitätsklinik E., des Betriebsarztes Dr. G., des Neurologen Dr. H. vom 25.06.2008, des Internisten und
Kardiologen Dr. Graf von K. vom 17.05.2010 sowie des Allgemeinmediziners Dr. N. vom 12.12.2010.
Bei notärztlicher Behandlung in der Uniklinik E. am 19.07.2008 wegen seit zwei Stunden stechendem oberflächlichem Schmerz
am Sternum, auslösbar durch Druck auf das Sternum, hat keine Dyspnoe oder Obstruktion bestanden bei kardiopulmonal unauffälligem
Befund. Eine sichere Diagnose war nicht möglich; ein Verdacht auf Intercostalneuralgie wurde geäußert.
Der Betriebsarzt Dr. G. hat im Bericht vom 30.03.2010 ausgeführt, dass auch nach Untersuchungen durch Neurologen, Lungenfacharzt
und Kardiologen nur Verdachtsdiagnosen gestellt werden konnten, nämlich auf MCS (multiple chemical sensitivity) oder Somatisierungsstörung
mit asthmoiden Beschwerden und Migräne.
Der Neurologe Dr. H. hat im Arztbrief vom 26.05.2008 über psychologische Belastungsfaktoren berichtet bei unauffälligem neurologischen
Befund. Die Beschwerden seien keinem organischen Krankheitsbild zuzuordnen; eine funktionelle Genese sei hochwahrscheinlich
bei Angst- und Panikreaktionen bzw. psychosomatischer Funktionsstörung.
Dr. Graf von K. führte über Behandlungen im August und September 2008 aus, dass kein Hinweis auf eine strukturelle Herzkrankheit
bestanden habe bei guter linksventrikulärer Pumpfunktion und guter körperlicher Leistungsfähigkeit; im Langzeit-EKG habe sich
in einer Phase subjektiver Tachykardien eine geringe Häufung ventrikulärer Extrasystolen gezeigt. Die Klägerin hatte über
stark wechselnde Leistungsfähigkeit berichtet, so dass häufiger das Joggen wegen Dypnose und thorakaler Enge abgebrochen werden
müsse. Bei Auftreten eines stechenden punktuellen retrosternalen Schmerz abends nach dem Hinlegen habe sie die Universitätsklinik
E. aufgesucht (Bericht s.o.), ohne kardiologischen Befund.
Anschließend hat das SG ein Gutachten des Arbeitsmediziners, Internisten, Lungenfacharztes und Umweltmediziner Prof. Dr. N. vom 21.10.2011 eingeholt
mit Untersuchung der Klägerin am 05.07.2011.
Die Klägerin hat weiterhin das Auftreten von Atemnot, Herzrasen und Müdigkeit, extreme Erschöpfung, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen
sowie fehlende Leistungsfähigkeit z.B. als Bewegungs- und Sporttherapeutin beklagt. Den bisherigen Leistungssport könne sie
nur noch bedingt ausüben. Eine Beschwerdebesserung sei nach Aufgabe der Tätigkeit als Flugbegleiterin nicht eingetreten; eine
leichte Besserung sei nach Einleitung einer Entgiftungsbehandlung zu verzeichnen. Bei Untersuchung sind Thorax und Lunge unauffällig
gewesen, die Lungenfunktionsprüfung hat einen Normalbefund ohne obstruktive oder restriktive Ventilationsstörung ergeben bei
normalem zentralen Atemwegswiderstand, ohne Überblähung und ohne Einengung der kleinen Atemwege. Die Diffusionskapazität und
die Stickstoffmonoxidwerte in der Ausatemluft sind normal gewesen. Der Methacholintest hat eine leichtgradige bronchiale Hyperreagibilität
ergeben. Die cardiopulmonale Leistungsfähigkeit sei im Vergleich zu Sollwerten der Normalbevölkerung leichtgradig, im Vergleich
zu Hochleistungssportlern mittel- bis höhergradig eingeschränkt.
Prof. Dr. N. hat eine somatoforme Störung von Herz und Atmung, ein chronisches Schmerzsyndrom, eine Manifestation als Idiopathic
Environmental Intolerances sowie eine leichtgradige bronchiale Hyperreagibilität diagnostiziert. Eine BK Nr. 4302 liege nicht
vor.
Zwar seien Effekte von Ozon auf das Atemwegssystem und seine reizende Wirkung auf Nase-, Augen- und Rachenraum wissenschaftlich
gut belegt. Langzeiteffekte seien aber nur bei extrem hohen Expositionen bzw. im Rahmen unfallartiger Ereignisse zu erwarten.
Daher könnten die Effekte hinsichtlich Atmung und Kreislauf und die von der Klägerin geschilderte Beschwerdesymptomatik nicht
auf die Ozonwirkung zurückgeführt werden. Relevant sei auch, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin
niemals über konjunktivale oder nasale Reizungen geklagt habe und im Bericht über den Testflug keine nachweisbaren Atemwegsobstruktionen
und keine nasalen oder konjunktivalen Reizzustände dokumentiert seien. Von den behandelnden Pneumologen sei 2008 eine bronchiale
Hyperreagibilität nicht nachgewiesen worden; die Lungenfunktionsprüfung habe keine Obstruktion gezeigt und die Diffusionskapazität
sei uneingeschränkt gewesen. Die im Rahmen kardiologischer Untersuchungen erwähnte und bei eigener Untersuchung festgestellte
grenzwertige bronchiale Hyperreagibilität sei in der Bevölkerung weit verbreitet. Darunter litten bis zu 20% der Bevölkerung.
Zudem sei sie oft bei Hochleistungssportlern nachweisbar. In der Lungenfunktionsprüfung sei aber keine zentrale Obstruktion,
Überblähung oder Einengung der kleinen Atemwege aufgetreten und damit keine Hinweis für eine typische Asthmasymptomatik. Eine
eindeutige chronisch obstruktive Atemwegserkrankung habe bei der Kläger nachweislich weder während ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin
noch in der Folgezeit vorgelegen. Soweit in der wissenschaftlichen Literatur toxische Effekte durch Verbrennungsrückstände
in der Kabinenluft von Flugzeugen diskutiert würden, beträfen diese im Wesentlichen neurologische Symptome. Dagegen gebe es
keine Hinweise auf die Verursachung einer Atemwegsobstruktion bei Flugpersonal durch Öldämpfe oder TCP.
Auf Anregung der Klägerseite zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren hat das SG die Beteiligten zur Entscheidung mit Gerichtsbescheid angehört und mit Gerichtsbescheid vom 14.09.2012 die Klage abgewiesen.
Prof. Dr. N. habe überzeugend aufgeschlüsselt, weshalb bei der Klägerin keine obstruktive Atemwegserkrankung festzustellen
sei bei normalen Lungenwerten und nur geringgradiger bronchialer Hyperreagibilität. Das in der wissenschaftlichen Literatur
diskutierte aerotoxische Syndrom durch Exposition von TCP sei angesichts vorwiegend neurotoxischer Wirkungen nicht im vorliegenden
Verfahren, sondern in dem noch anhängigen Verfahren bezüglich der Berufskrankheit Nr. 1307 abzuhandeln.
Gegen den am 24.09.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Klägerbevollmächtigte am 22.10.2012 Berufung zum Bayerischen
Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Gehe man davon aus, dass eine BK Nr. 4302 ausschließlich in Frage komme, wenn im Sinne
des Vollbeweises eine Atemwegsobstruktion festgestellt sei, fehle es an der im Vollbeweis gesicherten haftungsausfüllenden
Kausalität. Zu einem anderen arbeitsmedizinisch begründbaren Ergebnis komme man, wenn man mit dem Arbeitsmediziner Prof. Dr.
B. von einer "synoptischen Betrachtungsweise" ausgehe. Nicht ausreichend geprüft worden sei, ob die früheren klinischen Symptome
der Klägerin vor Feststellung ihrer Fluguntauglichkeit nicht doch die überwiegend geforderte Atemwegsobstruktion bestätigen
würden.
Das LSG hat dem Klägerbevollmächtigten einen ausführlichen richterlichen Hinweis vom 22.08.2013 übersandt zu den Voraussetzungen
zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach der BSG-Rechtsprechung, die Notwendigkeit des Nachweises der obstruktiven Atemwegserkrankung im Vollbeweis für die Anerkennung der
BK Nr. 4302 und die Beurteilung der gutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. N. im vorliegenden Fall. Für einen Antrag nach
§
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist Frist gesetzt worden.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 26.09.2013 weiterhin die Zurückweisung der Berufung beantragt,
auf das überzeugende Gutachten von Prof. N. hingewiesen und mitgeteilt, dass der Bescheid vom 24.01.2012 über die Ablehnung
einer BK Nr. 1307 der Anlage 1 zur
BKV mangels Widerspruchs bestandskräftig geworden ist. Auf die Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 20.12.2011 hat die Beklagte
hingewiesen.
Auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung hin hat der Klägerbevollmächtigte eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeregt.
Sowohl der Klägerbevollmächtigte als auch die Beklagte haben ausdrücklich mit Schreiben vom 28.01.2015 bzw. 02.02.2015 Einverständnis
mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren erklärt.
Der Klägerbevollmächtigte beantragte,
den Gerichtsbescheid vom 14.09.2012 und die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Berufskrankheit
der Klägerin anzuerkennen.
Die Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts sowie die Akte des
LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A) Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich als unbegründet. Mit ausdrücklichem
schriftlichen Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 SGG konnte der Senat die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren treffen.
Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist hinsichtlich der begehrten Anerkennung einer BK Nr. 4302 der Anlage
1 zur
BKV zulässig. Berufung und Klage erweisen sich aber als unbegründet, denn bei der Klägerin liegt keine BK Nr. 4302 der Anlage
1 zur
BKV vor, wie sich zur Überzeugung des Senats nach durchgeführter Beweisaufnahme ergibt.
Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten
bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VII) begründenden Tätigkeit erleiden (§
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII).
In der Gruppe "43 Obstruktive Atemwegserkrankungen" erfasst die Liste unter Nr. 4302 "Durch chemisch-irritativ oder toxisch
wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die
für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Grundvoraussetzung für die Anerkennung der BK Nr. 4302 ist daher das Vorliegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Zwischen
der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein innerer / sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen
Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus
gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Unterlassungszwangs muss die Aufgabe der
gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt die BK nicht vor (vgl. Urteil des
BSG vom 30.10. 2007 - B 2 U 4/06 R - [...] sowie Urteile vom 18.11.2008 unter dem Az. B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R - jeweils zitiert nach [...]).
Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass im konkreten Fall die berufliche
Tätigkeit wesentliche (Mit-) Ursache für die Gesundheitsstörungen war (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1 und 18). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung sind dabei nur solche
Ursachen rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl.
BSG vom 30.01.2007, Az. B 2 U 23/05 R; vom 02.04.2009 , Az.: B 2 U 9/08 R).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises
- also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen sein. Nur für die nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit
(BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - [...] RdNr. 14 m.w.N.). Diese liegt vor, wenn nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang
spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38).
Für die Bewertung der Krankheit und des Ursachenzusammenhangs zwischen beruflichen Belastungen und BK ist der aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisstand zu berücksichtigen; daher sind neben der Begründung des Verordnungsgebers auch die Merkblätter des zuständigen
Bundesministeriums zu beachten, die Leitlinien der entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften sowie im Bereich der BK
Nr. 4302 die sogenannte Reichenhaller Empfehlung (Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten der Nummern 1315 (ohne
Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) - DGUV - Stand November 2012).
Die Anerkennung der BK Nr. 4302 der Anlage 1 der
BKV setzt daher voraus, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung im Vollbeweis nachgewiesen ist. Kopfschmerzen, Herzpalpitationen,
Müdigkeit, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen oder allgemeine Leistungsschwäche sind keine Erkrankungen im Sinne
dieser BK. Die BK 4302 der Anlage 1 zur
BKV erfasst nicht ohne Weiteres ein eventuelles "aerotoxisches Syndrom", das sich im Übrigen vorwiegend durch neurologische Wirkungen
auszeichnet.
Nach dem Gutachten von Prof. Dr. N. weist aber weder die von ihm erhobene noch die früher beschriebene klinische Symptomatik
auf ein Asthma bronchiale oder auf eine chronisch obstruktive Bronchitis hin. Eine eindeutige chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung
lag bei der Klägerin laut Prof. N. selbst unter Auswertung der vorliegenden Unterlagen zu früheren Untersuchungen weder während
der Tätigkeit der Klägerin als Flugbegleiterin noch in der Folgezeit vor. In der Bodyplethysmographie zeigten sich keine Hinweise
auf zentrale Obstruktion, Überblähung oder Einengung der kleinen Atemwege. Auch 2008 wurde nach den vorliegenden medizinischen
Unterlagen pneumologisch in der Lungenfunktionsanalyse keine Obstruktion oder Diffusionsstörung festgestellt und selbst eine
bronchiale Hyperreagibilität ließ sich damals bei durchgeführtem Methacholintest nicht nachweisen. In durchgeführten Peak-Flow-Kontrollen
an Bord während der Testflüge waren selbst nach Beurteilung der damals behandelnden Ärzte keine asthmatypischen Reaktionen
nachweisbar.
Soweit in späteren kardiologischen Untersuchungen eine grenzwertige bzw. leichtgradige bronchiale Hyperreagibilität genannt
wurde bzw. soweit Prof. Dr. N. drei Jahre nach Berufsaufgabe bei der eigenen Untersuchung am 05.07.2011 durch Methacholintest
eine leichte bronchiale Hyperreagibilität festgestellt hat, hat er überzeugend einen Ursachenzusammenhang mit der beruflichen
Tätigkeit verneint und auf die weite Verbreitung dieses Krankheitsbildes in der Allgemeinbevölkerung und insbesondere bei
Hochleistungssportlern hingewiesen. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben durchaus Leistungssport betrieben und war Norddeutsche
Meisterin im Fitnesssport.
Ferner hat Prof. N. überzeugend ausgeführt, dass die von der Klägerin geschilderten pulmonalen und kardialen Beschwerden nicht
schlüssig auf die Ozonbelastung zurückgeführt werden können. Denn Langzeiteffekte sind nur bei extrem hohen Expositionen bzw.
im Rahmen unfallartiger Ereignisse zu erwarten. Dabei hat Prof. N. berücksichtigt, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit
als Flugbegleiterin niemals über konjunktivale oder nasale Reizungen geklagt hat und im Bericht über den Testflug keine nachweisbaren
Atemwegsobstruktionen und keine nasalen oder konjunktivalen Reizzustände dokumentiert worden sind.
Insbesondere hatte die Klägerin bei Untersuchung durch Prof. N. am 05.07.2011 angegeben, dass nach Berufsaufgabe 2008 subjektiv
kaum Verbesserungen eingetreten sind und dass sie weiterhin - fast drei Jahren nach Berufsaufgabe als Flugbegleiterin - unter
diesen Beschwerden leidet, nur leicht gebessert durch eine "Entgiftungsbehandlung". Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass
geltend gemachte Beschwerden 2008 auch in der Freizeit aufgetreten sind, z.B. plötzlich beim Joggen oder abends nach dem Hinlegen
als plötzlich einsetzender retrosternaler Druck. Trotz umfassender zeitnaher Untersuchungen vermochte keiner der behandelnden
Ärzte die Symptome einem organischen Krankheitsbild zuzuordnen; insbesondere konnte der Lungenfacharzt keine obstruktive Atemwegserkrankung
sichern.
Darüberhinaus hat Prof. N. dargelegt, dass in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise auf Verursachung einer Atemwegsobstruktion
bei Flugpersonal durch Trikresylphosphat fehlen. Dies wird durch die Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 20.12.2011
im Verwaltungsverfahren zur BK Nr. 1307 bestätigt, wonach TCP keine Reizungen der Atmung herbeiführt. Der Senat kann im Rahmen
dieses Verfahren offenlassen, ob die geschilderten übrigen Symptome von einer anderen BK erfasst werden.
Es fehlt daher nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N. somit schon am Nachweis einer obstruktiven
Atemwegserkrankung. Ferner können die beklagten Atembeschwerden bzw. das Druck- und Engegefühl der Brust nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit als Flugbegleiterin als Ursache zurückgeführt werden.
Ob bei der Klägerin eine andere Berufskrankheit der Anlage 1 zur
BKV oder eine Wie-Berufskrankheit im Sinne von §
9 Abs.
2 SGB VII vorliegt, unterliegt nicht der Prüfung im vorliegenden Berufungsverfahren. Insbesondere ist der Bescheid der Beklagten vom
24.01.2012, mit dem die Beklagte eine BK Nr. 1307 (Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen) abgelehnt hat, nicht
Gegenstand des Klage- oder Berufungsverfahrens geworden, weil er den Bescheid vom 07.05.2009, der ausschließlich die BK Nr.
4302 und damit einen anderen Streitgegenstand betrifft, weder abgeändert noch ersetzt hat (§
96 SGG).
B) Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
C) Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.