Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (
SGB VII). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Verletztengeld und Verletztenrente wegen seiner anerkannten
Berufskrankheit nach der Nr.1315 der Anlage 1 der
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) hat.
Der 1960 geborene Kläger ist von Beruf M., Diplom-Betriebswirt und examinierter Theologe. Er hat im August 1987 eine Malerausbildung
absolviert. Seit dem Jahr 1981 ist der Kläger in Malereibetrieben tätig gewesen. Er hat angegeben, bei seinen beruflichen
Tätigkeiten von 1987 bis 1997 mit Farben und Lacken in Berührung gekommen zu sein. Ab dem Jahr 1995 habe er auch Kontakt mit
Beschichtungsstoffen gehabt. Von April 2002 an ist der Kläger als geschäftsführender Gesellschafter und Beschichter eines
Malerbetriebs tätig gewesen, wobei er Kontakt mit Polyharzstoffen hatte.
Der Beklagten ist mit D-Arzt-Bericht vom 31.12.2003 eine Reizgasinhalation des Klägers angezeigt worden. Seit 10.12.2003 bestehe
Arbeitsunfähigkeit. Laut der Unfallanzeige des Arbeitsgebers vom 02.01.2004 seien bei dem Spritzen von Polyharzstoff eine
akute Atemnot und ein Fieberanfall aufgetreten. Der Allgemein- und Umweltmediziner Dr. S. hat der Beklagten am 29.01.2004
den Verdacht auf eine Berufskrankheit wegen Kontakt mit Epoxiden, Ethylacetat, Isocyanat und Methylenchlorid angezeigt. Erstmalig
seien die Beschwerden am 08.12.2003 aufgetreten. Ferner ist ein kurzfristiger Kontakt mit Isocyanaten am 23.12.2003 angegeben
worden, bei dem sich eine deutliche Restriktion und Obstruktion der Lunge ergeben habe. Der Internist Dr. H. hat mit Attest
vom 02.02.2004 den Verdacht auf rezidivierende Alveolitis-Schübe geäußert.
Der Präventionsdienst der Beklagten hat in seiner Stellungnahme vom 30.06.2004 ausgeführt, der Kläger sei bei seiner letzten
Tätigkeit Isocyanaten ausgesetzt gewesen. Die Exposition sei wesentlich intensiver als bei normalen Bodenbeschichtungsarbeiten
gewesen. Der Kläger sei somit gefährdend im Sinne der BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 der
BKV tätig gewesen.
Der Allgemeinarzt A. hat bestätigt, dass der Kläger am 04.01.2005 sich bei ihm erneut wegen Bronchialatmen vorgestellt habe,
weil er an diesem Tag mit Lösungsmitteldämpfen in Kontakt gekommen sei.
Prof. Dr. N. hat mit arbeitsmedizinischem Fachgutachten vom 20.07.2005 eine durch Isocyanate ausgelöste exogen-allergische
Alveolitis im Sinne der BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 zur
BKV diagnostiziert. Der (damals) 45-jährige Kläger sei von April 2002 bis zu 80 % seiner Arbeitszeit gegenüber dem Isocyanat
MDI bei der Ausführung von Beschichtungsarbeiten mit 2-Komponenten-Polyuretanen durch Heißspritzverfahren exponiert. Im Dezember
2003 sowie zuletzt am 21.01.2004 seien sechs bis acht Stunden nach Exposition für eine exogen-allergische Alveolitis typische
Krankheitssymptome mit Fieber, Luftnot und Gliederschmerzen aufgetreten. Diese Symptomatik habe durch eine spezifische Expositionstestung
gegenüber Isocyanat MDI im Rahmen der Begutachtung bestätigt werden können.
Durch den Beratungsärztlichen Dienst der Beklagten ist dies bestätigt worden. In der Folge hat die Beklagte mit Bescheid vom
08.03.2006 eine Atemwegserkrankung durch Isocyanate als BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 zur
BKV anerkannt, aber die Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt, da keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorliege.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Widerspruch vom 08.04.2006 hervorgehoben, dass dem Kläger sämtliche atemwegsbelastenden
Tätigkeiten verschlossen seien, weil das Risiko zu groß wäre, die Atemwege weiter zu belasten. Atemwegsbelastende Tätigkeiten
seien nach einer Zählung der IG-Metall in den alten Bundesländern etwa neun Millionen Arbeitsplätze. Daraus würde sich bezogen
auf den konkreten Fall eine MdE von mindestens 30 v.H. errechnen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 26.04.2006 ergänzt, dass
er vom 15.03.2005 bis zum 13.03.2006 Arbeitslosengeld bezogen habe. Seit dem 01.03.2006 beziehe er eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung. Er beziehe seit dem 20.01.2004 auch kein Arbeitseinkommen mehr von der Firma J. M. im Allgäu. Er habe kein
Krankengeld bezogen, da seine private Krankenversicherung bei Verdacht auf eine Berufskrankheit keine Leistungen erbringe.
Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 08.03.2006 mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2006 zurückgewiesen.
Die bestehende Alveolitis verursache keine Einschränkungen oder Störungen der Lungenfunktion, wodurch sich demzufolge keine
messbare MdE ergäbe. Im Übrigen sei Gegenstand dieses Verfahrens ausschließlich das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der
Nr.1315
BKV und nicht der fragliche Arbeitsunfall vom 09.12.2003. Ob der Kläger Anspruch auf Übergangsleistungen nach §
3 BKV habe, werde gesondert geprüft.
Das sich anschließende Klageverfahren ist vom Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 8 U 239/06 eingetragen worden. Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Klagebegründung vom 09.08.2006 hervorgehoben, gemäß §
56 Abs.2
SGB VII sei eine abstrakte Schadensberechnung erforderlich. Es liege auf der Hand, dass die festgestellte Alveolitis und die festgestellte
Allergie eine Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit bzw. des körperlichen Leistungsvermögens beinhalte. Dem Kläger
seien in den alten Bundesländern etwa neun Millionen Arbeitsplätze mit Atemwegsbelastung verschlossen.
Am 25.09.2006 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, er sei als Vorführer für Dispersionsfarben tätig gewesen, habe die
Tätigkeit jedoch nach einmaligem Kontakt mit dem Material aufgegeben. Der Arbeitgeber des Klägers hat angegeben, dieser sei
vom 01.11.2004 bis zum 31.01.2005 beschäftigt gewesen, seit dem 21.12.2004 jedoch krankgemeldet gewesen.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 18.04.2007 für die Zeit vom 11.02. bis 31.10.2004 und vom 01.02. bis zum 14.03.2005 Verletztengeld
bewilligt. Ein Anspruch für die ersten 21 Tage ist wegen der sog. Karenzzeit abgelehnt worden.
Zur Begründung seines Widerspruches hat der Kläger hervorgehoben, in seinem Tätigkeitsfeld sei er arbeitsunfähig. Er könne
unmöglich Spezialbeschichtungen vornehmen.
Die Beklagte hat den Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.04.2007 mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2007 zurückgewiesen.
Der Kläger könne zwar seine frühere Tätigkeit nicht mehr ausüben, er habe jedoch eine andere Arbeit als Anwendungstechniker
aufgenommen. Dabei habe es sich auch nicht um eine schädliche Arbeit gehandelt.
Die hiergegen gerichtete Klage ist bei dem Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 8 U 190/07 eingetragen worden.
Der Kläger ist zum 01.01.2008 nach Brasilien verzogen und lebt ausweislich der Nachricht vom 15.02.2010 zwischenzeitlich in
Paraguay; er hat glaubhaft jedoch noch einen Wohnsitz in A-Stadt.
Der Kläger hat hinsichtlich der Verletztenrente die Argumente aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Zum Verletztengeld
ist noch ausgeführt worden, dass von einer unschädlichen Arbeit nichts bekannt sei.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 05.12.2006 hervorgehoben, wie für die Hauterkrankungen das Bamberger Merkblatt gebe es
für die BK 1315 der Anlage zur
BKV das Reichenhaller Merkblatt. Der Arbeitsmediziner Prof. Dr. N. habe die dort festgelegten Grundsätze im Rahmen seiner MdE-Bewertung
mitberücksichtigt. Im Übrigen liege bei dem Kläger eine exogen-allergische Alveolitis durch Exposition gegenüber Isocyanat
vor. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nur dadurch erfüllt gewesen, weil sich die Firma J., ursprünglich ein Malerbetrieb,
auf Beschichtungen im Industriebereich spezialisiert habe. Nach den Ausführungen der Präventionsabteilung sei die Exposition
des Klägers gegenüber Isocyanaten, bedingt durch die Verwendung von Produkten mit hohem Gehalt an Isocyanatmonomeren bei den
Beschichtungsarbeiten im Heißspritzverfahren besonders intensiv gewesen. Die Beklagte gehe somit nicht davon aus, dass Isocyanate
auf dem allgemeinen Arbeitsplatz einen besonderen Stellenwert hätten. - Weiterhin hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass
die tatsächliche Arbeitsaufnahme ein praktisch brauchbares Abgrenzungsmerkmal sei. Die Tätigkeit bei der Firma C. N. sei keine
schädigende Tätigkeit gewesen. Andernfalls wäre der Versicherungsfall auch erst mit dem Wegfall dieses Beschäftigungsverhältnisses
eingetreten. Die Arbeitsunfähigkeit sei somit definitiv ab 01.11.2004 beendet gewesen.
In dem Verfahren S 8 U 239/06 hat das Sozialgericht Augsburg eine ergänzende arbeitsmedizinische Stellungnahme von Prof. Dr. N. eingeholt. Dieser hat unter
dem 08.03.2007 gutachtlich ausgeführt, eine bronchiale Hyperreagibilität habe bei dem Kläger auf Grund der unauffälligen Lungenfunktionstestung
ausgeschlossen werden können. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, weshalb dem Kläger sämtliche Arbeitsplätze mit
atemwegsbelastenden Tätigkeiten verschlossen sein sollten. Möglicherweise beruhe dies darauf, dass fälschlicherweise eine
Atemwegserkrankung durch Isocyanate anstatt der Alveolitis angegeben worden sei. Bei dieser handele es sich um ein anderes
Krankheitsbild. Es müsse nur eine erneute Exposition gegenüber Isocyanaten ausgeschlossen werden. Es sollten alle Arbeitsplätze
mit Kontakt zu Beschichtungsstoffen aus Epoxidharz oder Isocyanat vermieden werden. Für die MdE-Bewertung der exogen-allergischen
Alveolitis könne das Reichenhaller Merkblatt nicht herangezogen werden, da es ausschließlich für obstruktive Atemwegserkrankungen
entwickelt worden sei. Das Bamberger Merkblatt bewerte auch die Auswirkungen einer Allergie. Bei einer schwerwiegenden Auswirkung
könne auch ohne funktionelle Beeinträchtigung eine MdE von maximal 0 v.H. angenommen werden: Allerdings sei selbst für einen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weit verbreiteten Allergen wie Latex epidemologisch nicht belegt, dass tatsächlich ein Fünftel
aller Arbeitsplätze verschlossen sei. Eine vergleichbare Typ I-Sensibilisierung der Atemwege gegenüber Latex bei Beschwerdefreiheit
hätte auch nach dem Reichenhaller Merkblatt stets eine MdE unter 20 v.H. zu Folge. Hierauf basierend müsse festgestellt werden,
dass die Allergene von Isocyanaten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich weniger verbreitet sein dürften als das Allergen
Latex. Demzufolge sei eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht zu begründen. Eine besondere berufliche Betroffenheit,
wie sie von dem Gewerbearzt angesprochen worden sei, liege nicht vor. Der Kläger habe lediglich wenige Jahre in dem Spezialberuf
des Beschichters gearbeitet. Er habe zusätzlich eine qualifizierte Ausbildung als Betriebswirt und als Theologe. Die rein
arbeitsmedizinische Beurteilung ergebe eine MdE von 0 v.H.
Das Sozialgericht Augsburg hat die Streitsachen S 8 U 239/06 und S 8 U 190/07 mit Beschluss vom 18.06.2008 gemäß §
113 Abs.1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Nach entsprechender Ankündigung hat das Sozialgericht Augsburg die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.10.2009 abgewiesen. Sowohl
der Bescheid der Beklagten vom 08.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2006 als auch der Bescheid vom 18.04.2007
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2007 seien rechtmäßig und würden den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen.
Denn der Kläger habe keine weitergehenden Anspruch auf Verletztengeld als bereits bewilligt. Für die Zeit ab 01.11.2004 bis
zum 31.01.2005 sei kein Anspruch auf Verletztengeld gegeben, weil der Kläger eine andere zumutbare Tätigkeit ausgeübt habe.
Der Kläger habe seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Tätigkeit als Beschichter und Geschäftsführer
eines Malerbetriebes wegen Krankheit ab 11.02.2004 nicht mehr ausgeübt. Allerdings habe er ab November 2004 eine Tätigkeit
bei der Firma C. N. als Außendienstmitarbeiter bzw. Anwendungstechniker für Farben und Putze aufgenommen. Diese Tätigkeit
habe er bis zur Krankschreibung am 21.12.2004 ausgeübt. Damit sei die Arbeitsunfähigkeit entfallen. Dass es durch die Wiedererkrankung
ab 21.12.2004 zu einem Wiederaufleben bzw. einem neuen Anspruch auf Verletztengeld gekommen sei, sei nicht nachgewiesen. Denn
es sei nicht mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Arbeitsunfähigkeit infolge des Versicherungsfalles der BK nach der Nr.1315
eingetreten sei. Dagegen spräche, dass der Kläger vom 01.11. bis zum 21.12.2004, also etwa sieben Wochen, habe arbeiten können.
Dass es wegen der BK nach der Nr.1315 erst dann zu Krankheitszeichen kommen sollte, sei wenig wahrscheinlich. Zudem liege
beim Kläger eine exogen-allergische Alveolitis vor, jedoch keine Atemwegserkrankung. Dies ergebe sich aus den überzeugenden
Feststellungen des Prof. Dr. N., zuletzt bestätigt in seiner Stellungnahme vom 08.03.2007. Kennzeichen der exogen-allergischen
Alveolitis sei aber, dass sie durch die Inhalation von Antigenen ausgelöst werde. Dies seien Partikel, die in Stäuben, Aerosolen,
Dämpfen oder Gasen enthalten seien, und beim Einatmen bis in die Alveolen gelängen. Es sei demnach gerade kein bloßer Kontakt
in Form eines Hautkontakts ausreichend. Prof. Dr. N. habe sogar weiter ausgeführt, dass eine bronchiale Hyperreagibilität
ausgeschlossen sei. Es müsse nur eine Exposition gegenüber Isocyanaten ausgeschlossen werden, nicht aber gegenüber sonstigen
über die Atemwege aufnehmbaren Stoffen. Wenn der Kläger angegeben habe, er habe in seiner neuen Tätigkeit mit Farben hantiert,
ergäbe sich somit nicht im Vollbeweis das notwendige Einatmen von isocyanathaltigen Dämpfen oder Gasen, wie es bei der früheren
Tätigkeit des Klägers als Beschichter beim Aufsprühen von Farben aufgetreten sei. Schließlich habe der Allgemeinarzt A. angegeben,
der Kläger habe ihn am 04.01.2005 nochmals aufgesucht, weil er an diesem Tag Lösungsmitteldämpfe eingeatmet habe. Da der Kläger
aber ab dem 21.12.2004 nicht mehr gearbeitet hat, ist es unwahrscheinlich, dass der Kläger - außerhalb seiner beruflichen
Tätigkeit und in Kenntnis seiner Anfälligkeit ohne Not - gerade isocyanathaltige Partikel eingeatmet haben sollte. Es sei
vielmehr von einer anderen, nicht auf die Folgen der BK nach der Nr.1315 zurückzuführenden Ursache auszugehen. Darüber hinaus
habe der Kläger nach Aufgabe der früheren Berufstätigkeit auf Grund seiner weiteren beruflichen Qualifikationen als Diplom-Betriebswirt
und Theologe auch auf andere Tätigkeiten als im Malergewerbe verwiesen werden können. Ohnedies sei der Kläger bereits bei
der Firma J. nicht allein als M. bzw. Beschichter, sondern auch als Geschäftsführer beschäftigt gewesen. Daher sei auch dieses
Tätigkeitsfeld eröffnet, bei dem eine Gefährdung im Sinne der
BKV auszuschließen sei.
Weiterhin hat das Sozialgericht Augsburg zur Verletztenrente ausgeführt, dass eine MdE in rentenberechtigendem Grad infolge
der BK nach der Nr.1315 der Anlage 1 zur
BKV nicht vorliege. Das Sozialgericht folge der Einschätzung des Prof. Dr. N., weil sie mit dem vergleichbaren Verweis auf die
Situation beim Allergen Latex nachvollziehbar und tragfähig begründet sei. Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers
angeführte Zahl von neun Millionen verschlossenen Arbeitsplätzen allein in den alten Bundesländern sei nicht realistisch.
Prof. Dr. N. habe deutlich gemacht, dass eben nicht alle atemwegsbelastenden Arbeitsplätze verschlossen seien, sondern nur
solche mit einer Exposition gegenüber Epoxidharzen oder Isocyanaten. Dass deren Zahl weitaus geringer einzustufen sei, folge
bereits aus der Tatsache, dass die BK nach der Nr.1315 gerichtsbekannt zu den eher seltenen Berufskrankheiten zähle (vgl.
Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin "Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2007": Demnach entfielen
auf die BK nach der Nr.1315 im Jahr 2007 nur 2,1 % aller Anerkennungen). Auch eine besondere berufliche Betroffenheit des
Klägers im Sinne des §
56 Abs.2 Satz 3
SGB VII komme nicht in Betracht. Dagegen würden bereits die breitgefächerten beruflichen Qualifikationen des Klägers sprechen. Auch
habe er keine beispielsweise mit einer besonders langen oder kostspieligen Ausbildung verbundenen Kenntnisse oder Erfahrungen
im Malerberuf erworben, die anderweitig nicht mehr oder nicht mehr in diesem Umfange genutzt werden könnten (vgl. BSG, Urteil
vom 27.06.2000 - B 2 U 14/99 R). Ferner sei darauf hinzuweisen, dass ab dem Wegzug des Klägers nach Brasilien zum 01.01.2008 ein Anspruch auf Verletztenrente
auch wegen § 12 Abs.1 des Fremdrentengesetzes nicht gegeben sei.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 14.11.2009 ging am 16.11.2009 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Von
Seiten des Senats wurden die Akten der Beklagten sowie die Streitakten S 8 U 239/06 und S 8 U 190/07 beigezogen.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben zur Berufungsbegründung ausgeführt, anerkannt sei, dass der Kläger beruflich mit Isocyanaten
in Berührung gekommen sei, und zwar als Beschichter eines Malerbetriebes mit entsprechenden Atemnotanfällen. Die Exposition
gegenüber Isocyanaten sei wesentlich intensiver als bei normalen Bodenbeschichtungsarbeiten gewesen. Deshalb seien die arbeitstechnischen
Voraussetzungen der anerkannten Berufskrankheit gegeben. In dem Berufsbild als Beschichter mit Isocyanaten bzw. mit Polyharzstoffen
sei der Kläger nicht wieder arbeitsfähig geworden. Deshalb habe er Verletztengeldanspruch bis auf weiteres, insbesondere für
die Zeit ab 21.12.2004. Der Kläger habe einen Arbeitsversuch unternommen, der mit dem 21.12.2004 auf Grund Krankschreibung
geendet habe. Deshalb sei für die Verletztengeldzahlung anzuknüpfen an die zuletzt ausgeübte Tätigkeit, und zwar an die Beschichtertätigkeit
mit Isocyanaten. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Beklagte den Kläger beruflich rehabilitiert hätte bzw. durch
entsprechende Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben einen entsprechenden Erfolg erzielt hätte. - Spätestens aber ab dem 31.10.2004
schulde die Beklagte zusätzlich zu dem Verletztengeld auch eine Verletztenrente. Dass eine exogen-allergische Alveolitis keine
Atemwegserkrankung wäre, erscheine nicht nachvollziehbar. Es gehe offenbar um die Erkrankung der Lungenbläschen. Da der Kläger
bereits mit schweren Atemnotanfällen reagiert habe, müsse jede weitere Atemwegsgefährdung auch durch andere Arbeiten vermieden
werden, was bei der MdE zu beachten sei. Insoweit gebiete §
56 Abs.2
SGB VII eine abstrakte Schadensberechnung. Bei einem Ausfall von etwa neun Millionen atemwegsbelastenden Arbeitsplätzen in den alten
Bundesländern ergäbe dies eine MdE von 30 v.H.
Das BayLSG regte nach Überprüfung der Akten mit Nachricht vom 22.04.2010 an, die Berufung zurückzunehmen, da von Amts wegen
keine Ermittlungen mehr durchgeführt würden. Für die Stellung eines Antrags nach §
109 SGG wurde eine Frist bis 31.05.2010 gesetzt.
Die Bevollmächtigten des Klägers benannten mit Telefax vom 31.05.2010 Prof. Dr. N. (zu beauftragen ohne Kostenvorschuss).
Das BayLSG erwiderte mit Schreiben vom 08.06.2010, dass der Kläger einen Kostenvorschuss in Höhe von 3.500,00 EUR zu leisten
habe. Dies erachteten die Bevollmächtigten des Klägers entsprechend ihrer Nachricht vom 15.09.2010 als ermessensfehlerhaft.
Mit Beschluss vom 27.09.2010 wurde die Berufung auf den Berichterstatter übertragen (§
153 Abs.5
SGG).
In der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2010 ist für den Kläger niemand erschienen. Die Bevollmächtigten des Klägers haben
bereits mit Schriftsatz vom 14.11.2009 beantragt:
Unter Abänderung/Aufhebung des Gerichtsbescheids vom 08.10.2009 wird nach den Anträgen aus erster Instanz erkannt, dass heiße
auf eine Verletztengeldzahlung aus Anlass der anerkannten BK nach der Nr.1315 (Isocyanate) über den 31.10.2004 hinaus, insbesondere
ab 21.12.2004 bis auf weiteres und auf eine Verletztenrente aus Anlass der exogen-allergischen Alveolitis nach einer rentenberechtigenden
MdE von mindestens 20 v.H. bis auf weiteres. - Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 08.10.2009 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
202 SGG i.V.m. §
540 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie entsprechend §
136 Abs.2
SGG auf die Unterlagen der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Dass es durch die Wiedererkrankung ab 21.12.2004 zu einem Wiederaufleben bzw. einem neuen Anspruch auf Verletztengeld gekommen
ist, ist dies nicht nachgewiesen. Prof. Dr. N. hat sich im Rahmen seines arbeitsmedizinischen Fachgutachtens vom 20.07.2005
eingehend mit den von Herrn A. und Dr. H. bescheinigten AU-Zeiten vom 10.12.2003 bis 18.12.2003, 19.12.2003 bis 29.12.2003,
02.01.2004 bis 16.01.2004, 28.01.2004 bis 18.02.2004 und 17.02.2004 bis 10.03.2004 auseinandergesetzt. Zur Frage des Wiederauflebens
von Verletztengeld ab dem 21.12.2004 ist jedoch das aktenkundige Rentengutachten von Dr. F. vom 17.05.2005 insoweit aussagekräftig,
als dort im Rahmen der Gesamtbeurteilung ausgeführt wird: "Die klinische Untersuchung, die Lungenfunktion, die Laborkontrollen
und das EKG fielen normal aus. Allerdings ist der Untersuchte nicht Chemikalien ausgesetzt worden. Herr A. stellte einen Rentenantrag,
da er auf Isocyanate massiv mit Fieber, Gliederschmerzen, Unruhe, Benommenheit und Atemnot reagiert. Er ist von Beruf M. und
arbeitete vom 01.04.2002 bis 31.10.2004 als selbständiger Beschichter, vom 01.11.2004 bis 31.10.2005 als Anwendungstechniker.
Wegen der Krankheit wurde ihm schließlich gekündigt. Er kann in seinem erlernten oder in damit verwandten Berufen nicht mehr
arbeiten, da eine hochgradige Gefährdung (Alveolitis) besteht. Arbeiten ohne Exposition auf Chemikalien können vollschichtig
zum Beispiel in dem erlernten Beruf als Betriebswirt ausgeführt werden."
Es sprechen somit alle Gesichtspunkte dagegen, dass die Arbeitsunfähigkeit ab dem 21.12.2004 auf eine Exposition von Isocyanaten
zurückzuführen ist, wie sie z.B. bei der früheren Tätigkeit (Heißspritzverfahren) gegeben war.