Krankenversicherungsrecht
Kostenübernahme für eine stationäre Aspirationslipektomie
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
Leistungsanspruch und Qualitätsgebot
Tatbestand
Die 1978 geborene Klägerin, die bei der Beklagten versichert ist, beantragte am 08.09.2011 unter Vorlage eines Befundes des
Universitätsklinikums C-Stadt, Chirurgische Klinik, Sektion Handchirurgie, Plastische Chirurgie und Ästhetische Chirurgie
die Kostenübernahme für eine stationäre Aspirationslipektomie beider Beine. Die Klägerin habe sich am 31.08.2011 in der ambulanten
Behandlung des Klinikums befunden, dabei sei ein Lipödem vom Becken-Beintyp diagnostiziert worden. Insbesondere nach der Geburt
ihres Kindes sei die Konfiguration der Beine im Sinne eines Lipödems massiv progredient. Die Klägerin fühle sich im Alltag,
bei der sportlichen Betätigung und der Bewegung allgemein stark eingeschränkt, zudem komme es im Tagesverlauf zu einem Schweregefühl
und Schmerzen in beiden Beinen. Ein Lymphödem sei aktuell szintigraphisch ausgeschlossen worden. Es werde um Kostenübernahmeerteilung
für eine stationäre Aspirationslipektomie beider Beine, gegebenenfalls in mehreren Etappen, gebeten. Der von der Beklagten
eingeschaltete MDK gab an, dass eine Erkrankung im Sinne des
SGB V nicht vorliege, worauf die Beklagte am 14.09.2011 den Antrag auf Kostenübernahme ablehnte.
Mit Widerspruch vom 04.11.2011 legte die Klägerin mehrere Befunde vor. Die Praxis für Nuklearmedizin Dr. S. hatte am 17.09.2007
festgestellt, dass seit ca. fünf Jahren ein Spannungsgefühl in Armen und Beinen, verbunden mit Schwellung, verstärkt beim
Stehen und insbesondere bei Wärme, verbunden auch mit ziehenden und drückenden, plötzlich beginnenden Schmerzen bestehe. Eine
Lymphtransportstörung sei bei der Untersuchung ausgeschlossen worden. Die Gefäßpraxis Dr. K. attestierte am 06.04.2011 eine
auffällige Umfangsvermehrung beginnend oberhalb des Knöchels über die gesamten Ober- und Unterschenkel. Es wurde die Diagnose
einer Lipomatose der beiden unteren Extremitäten gestellt und die Vorstellung in der plastischen Chirurgie zur Festlegung
der weiteren konservativen und operativen Maßnahmen (Liposuktion) empfohlen. Die behandelnde Hausärztin Dr. D. stellte am
03.11.2011 zunehmende Beschwerden durch das Lipödem fest. Es bestünden so starke Schmerzen, dass die Klägerin nur noch eingeschränkt
belastbar und mobil sei. Außerdem komme eine zunehmende psychische Reaktion dazu. Eine stationäre Lipektomie sei von verschiedenen
Spezialisten angeraten worden.
Der MDK nahm ausführlich nach Aktenlage Stellung. Da die Ursache für die Entstehung eines Lipödems noch nicht klar sei, gebe
es auch keine kausale Therapie, auch die postulierte positive therapeutische Wirkung der Fettgewebsreduzierung könne zumindest
in Frage gestellt werden. Die resultierenden Beschwerden ließen sich mit Leistungen der GKV behandeln und auf ein erträgliches
Maß reduzieren. Bei Übergewichtigen sei ein Normalgewicht anzustreben. Während in frühen Stadien die Therapie mit Kompressionsstrümpfen
das Auftreten eines Ödems verhindere, gelte in späteren Stadien die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) als Methode
der Wahl. Dabei beeinflusse die Kompressionstherapie die Ödeme, nicht aber die eigentliche Fettgewebsmasse, da Fettgewebe
nicht komprimierbar sei. Sobald sich durch die KPE kein weiterer Entstauungserfolg mehr einstelle, folge die Erhaltungsphase
der Behandlung. Am entstauten Bein würden Kompressionsstrümpfe mindestens Klasse 2 bis 3 angelegt. Die Strümpfe seien konsequent
und täglich zu tragen, was eine gute Compliance erfordere. Zur Erhaltung seien auch weiterhin regelmäßige manuelle Lymphdrainagen
durchzuführen. Auch in fortgeschritteneren Stadien könne mit Hilfe der KPE bei den meisten Patienten eine Besserung der Beschwerden
bis hin zur Beschwerdefreiheit erzielt werden, allerdings müsse die Therapie konsequent und lebenslang durchgeführt werden.
Bei Zunahme der Beschwerden und insbesondere bei Bedrohung der Erwerbsfähigkeit solle versucht werden, die Behandlung im Rahmen
einer speziellen Rehabilitationsmaßnahme in einer Lymphfachklinik zu intensivieren. Im vorliegenden Fall sei aktuell von keiner
akut stationären Behandlungsbedürftigkeit auszugehen.
Die Beklagte ermittelte, dass Heilmittelverordnungen im Zeitraum 2008 bis 2011 nicht ausgestellt worden waren. Sie zog das
Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes vom 06.10.2011 zur Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen
bei. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.2012 wurde der Widerspruch wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Der Bescheid
sei am 14.09.2011 zur Post gegeben worden und gelte am 17.09.2011 als bekannt gegeben. Im Anschluss entschied die Beklagte
über einen Antrag nach § 44 SGB X. Die Beklagte habe das Recht nicht unrichtig angewandt, da eine Kostenübernahme für die Liposuktion im Rahmen der ambulanten
vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen sei. Auch auf die Kostenübernahme für eine Liposuktion als stationäre Behandlung
bestehe kein Anspruch, weil die Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht erfüllt seien. Zudem habe die Klägerin
bislang keine manuelle Lymphdrainage in Anspruch genommen und daher die im GKV-System vorhandenen ambulanten Behandlungsmethoden
nicht ausgeschöpft.
Hiergegen erhob die Klägerin am 23.04.2012 Klage zum Sozialgericht München (SG) und trug vor, dass die Uniklinik C-Stadt aufgrund der massiven Beschwerden keine ambulanten Behandlungsmöglichkeiten empfohlen
habe. Ein Negativvotum des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Liposuktion im stationären Bereich gebe es nicht. Vorgelegt
wurde ein Attest des Klinikums der LMU C-Stadt vom 13.06.2012, wonach auf Schreiben der Klägerin vom 11.05.2012 und 24.05.2012
weiterhin bei persistierender Beschwerdesymptomatik eine Aspirationslipektomie als chirurgische Behandlungsmöglichkeit empfohlen
werde. Das SG holte einen Befundbericht des Uniklinikums ein. Danach habe sich die Klägerin zuletzt am 31.08.2012 vorgestellt. Es bestünden
starke Einschränkungen im Alltag bei der Ausübung von Sport und allgemeiner Bewegung sowie im Tagesverlauf ein Schweregefühl
und Schmerzen in den Beinen. Es handele sich um ein klinisch ausgeprägtes Lipödem von Becken-Beintyp, die Beschwerden seien
nach Angaben der Klägerin seit der Geburt des Kindes massiv progredient. Liposuktionen würden zwar auch ambulant durchgeführt,
jedoch erscheine bei einem einzeitigen Vorgehen an beiden Beinen eine stationäre Überwachung nach dem Eingriff angebracht,
da eine große Menge sowohl an Tumeszenzlösung als auch an reseziertem Gewebe zusammen mit einem möglichen deutlichen Blutverlust
die Kreislaufregulation negativ beeinflussen könne.
Auf Anforderung des SG wurde eine aktuelle Verordnung für Krankenhausbehandlung der Dr. D. vom 27.02.2013 vorgelegt. Im Befundbericht vom 19.04.2013
gab die Ärztin an, dass Maßnahmen der Entstauungstherapie üblicherweise vom Facharzt veranlasst würden. Die Klägerin bestätigte,
dass eine Entstauungstherapie, auch mittels Kompressionsstrümpfen, bislang nicht durchgeführt wurde. Die Beklagte schaltete
nochmals den MDK ein, der unabhängig vom Versorgungssektor weiterhin keine Leistungspflicht der GKV sah. Die langfristige
Datenlage zur Liposuktion sei noch schwach. Für einen Nutzen gebe es keine Evidenzbelege aus kontrollierten klinischen Studien.
Im Auftrag des SG erstellte Frau Dr. E., Fachärztin für innere Medizin, Kardiologie, Sozialmedizin und Sportmedizin ein Gutachten nach Untersuchung
der Klägerin am 19.07.2013. Danach sei die Klägerin als Maschinenbedienerin im Schichtwechseldienst beschäftigt gewesen. Diese
Tätigkeit sei mit langen Phasen des Stehens verbunden. Es liege ein Lipödem Typ III von den Hüften bis zu den Knöcheln im
Stadium I bis II mit ausgeprägten Schmerzen, Schwellung und Hämatomneigung vor. Die Klägerin habe sich mit der Form ihrer
Beine arrangiert, leide aber erheblich unter einem ständigen Pochen in den Beinen und starken Schmerzen bei längerem Gehen
und Fahrrad fahren. Auch bekomme sie immer wieder blaue Flecken und müsse ihre Beine in kaltem Wasser baden und hochlegen.
Es gebe keine erfolgversprechenden konservativen Maßnahmen, die zu einer adäquaten Verbesserung der Schmerzzustände führen
könnten. Da das Fettgewebe selbst bereits sehr schmerzhaft sei, könne durch Entstauungsmaßnahmen nichts bewirkt werden. Wegen
der erforderlichen Menge an Tumeszenzlösung und reseziertem Gewebe bestünden auch die Voraussetzungen für eine Behandlung
unter stationären Bedingungen.
Mit Urteil vom 21.01.2015 verurteilte das SG die Beklagte, die Klägerin im Rahmen eines stationären Aufenthaltes mit einer Liposuktion zu versorgen. Der Ausgangsbescheid
vom 14.09.2011 sei nicht bestandskräftig geworden. Die Beklagte könne den Zugang ihres Bescheides bei der Klägerin nicht nachweisen.
Auch habe die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid in der Sache entschieden. Die Klage sei auch begründet, da die Kammer
nicht der Ansicht folge, dass es sich bei der Liposuktion um eine Methode handele, die nicht dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse und den Qualitätsanforderungen des
SGB V entspreche. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine stationäre Behandlung bei der Klägerin vor.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten zum Bayer. Landessozialgericht (LSG). Es sei nicht nachzuvollziehen, wieso
auf konservative Behandlungsversuche verzichtet worden sei, da hierdurch eine Besserung bzw. Beschwerdefreiheit erreicht werden
könne. Im Übrigen wäre zur Behandlung eines Lipödems mittels Liposuktion eine ambulante Behandlung ausreichend. Auch die LMU
C-Stadt gehe davon aus, dass die OP in mehreren Etappen durchgeführt werden könne. In einem solchen Fall sei davon auszugehen,
dass pro Einzeleingriff weniger Tumeszenzlösung verwendet und auch weniger Fett abgesaugt werde. Eine Vorgehensweise in Etappen
sei auch medizinisch sinnvoll, da hierdurch die Risiken gemindert werden könnten. Letztlich gehöre aber auch die stationäre
Durchführung nicht zum Leistungsspektrum der GKV.
Die Klägerin erwiderte, die Methode der Tumeszenzliposuktion entspreche den Regeln der ärztlichen Kunst und stelle keine Außenseitermethode
dar. Es handele sich um eine weltweit durchgeführte Operationsmethode, allein in Deutschland gehe man von 250.000 Eingriffen
pro Jahr aus. Verblindete Studien seien bei dieser Therapiemethode nicht möglich, auch randomisierte Prüfungen seien vor dem
Hintergrund der möglichen Einflussfaktoren nur begrenzt durchführbar. Es bestehe eine ausreichende evidenzbasierte Grundlage
für die stationäre Durchführung der Therapie.
Im Erörterungstermin vom 14.06.2016 gab die Klägerin an, sie verspüre stechende bzw. pumpende Schmerzen in den Unterschenkeln,
insbesondere bei Wärme würden die Beine zusätzlich anschwellen und schmerzen. Bereits ein Druck mit den Fingern rufe Schmerzen
hervor, sie könne nicht einmal Seidenstrümpfe tragen und nehme täglich vier bis fünf Schmerztabletten ausschließlich wegen
der Beschwerden in den Beinen ein. Vor ca. zehn Jahren habe sie Kompressionsstrümpfe getragen, dies sei jedoch wegen der dadurch
hervorgerufenen Schmerzen nicht weiter möglich gewesen. Sie könne auch eine Kompressionstherapie nicht durchführen. Ihre Tätigkeit
als Maschinenanlageführerin wolle sie wieder aufnehmen.
In einer ergänzenden Stellungnahme gab Frau Dr. E. an, dass eine Verteilung des Eingriffs auf mehrere Termine zwar theoretisch
möglich sei, aber psychisch sehr belastend und kaum kostengünstiger wäre. Das Risiko mehrerer kleiner ambulanter Eingriffe
sei nicht generell niedriger, vielmehr könne das Infektionsrisiko ambulant größer sein. Nach wie vor werde die stationäre
Durchführung für angezeigt erachtet auch wegen der kompetenten Nachsorge. Frau Dr. D. gab auf nochmaliges Befragen an, ihr
sei die Schmerzmitteleinnahme der Klägerin nicht bekannt. Zur Notwendigkeit stationärer Behandlung könne sie eine Aussage
nicht treffen.
Nach Ansicht der Beklagten bleibe es unverständlich, weshalb eine Behandlung bislang nicht in Anspruch genommen worden sei.
Die Schmerzen beim Tragen von Kompressionsstrümpfen seien vermutlich auf eine fehlerhafte Versorgung mit rundgestrickter Kompressionsware
zurückzuführen. Bereits nach dem Befundbericht des Uniklinikums solle die Liposuktion in mehreren Etappen durchgeführt werden.
Dies sei aber auch ambulant möglich. Wegen der erforderlichen Nachsorge werde auf das Klinikum A-Stadt verwiesen.
Hierauf hat die Klägerin angegeben, dass sie die Kompressionsstrümpfe seinerzeit habe anpassen lassen und selbst bezahlt habe.
Die Schmerztabletten habe sie sich ohne Rezept besorgt. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass die Liposuktion keinen heilenden
Charakter habe. Die Fettzellen würden dauerhaft entfernt und könnten sich nicht neu bilden. Auch würde die Häufigkeit manueller
Lymphdrainage und des Tragens von Kompressionsstrümpfen reduziert bzw. gänzlich überflüssig werden. Weiter gehe der Einwand
der Beklagten fehl, dass stationäre Behandlungsbedürftigkeit nicht bestehe. Schließlich sei in A-Stadt eine kompetente Nachsorge
nicht vorhanden, da das Klinikum A-Stadt den Bereich Fettabsaugung an niedergelassene Ärzte mit begrenzten Zeiten abgegeben
habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2016 gibt die Bevollmächtigte nach Rücksprache mit der Klägerin an, dass diese nach
ihrer Erinnerung davon ausgehe, dass sie der Bescheid der Beklagten Mitte Oktober erreicht habe. In ihrem Widerspruch habe
sie daher geschrieben: "Ich lege Widerspruch gegen Ihre Ablehnung vom Oktober ein."
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.01.2015 aufzuheben und die Klage der Klägerin abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten und gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerechte eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) und begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die beantragte stationäre Liposuktion, so
dass das Urteil des SG keinen Bestand haben kann.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.03.2012 war zulässig.
Die Beklagte hat die Aufgabe des Bescheides zur Post nicht in ihren Akten vermerkt, so dass die Bekanntgabevermutung des §
37 Abs. 2 SGB X nicht greift. Da die Beklagte für den Zugang ihres Bescheides beweispflichtig ist und den Zugang an einem bestimmten Datum
nicht nachweisen kann, ist davon auszugehen, dass der Zugang tatsächlich erst im Oktober 2011 erfolgt ist, so wie es die Klägerin
in der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2016 ihrer Erinnerung nach angegeben hat. Demzufolge ist der Widerspruch vom 04.11.2011
gegen den Bescheid vom 14.09.2011 als rechtzeitig anzusehen. Damit hat auch die Widerspruchsstelle der Beklagten als zuständige
Stelle über den Widerspruch entschieden und eine Entscheidung in der Sache über den Gegenstand des Ausgangsbescheids getroffen.
Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung zu Lasten der GKV, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu
erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§
27 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Bei der Klägerin liegt eine Krankheit im Sinne des Krankenversicherungsrechts vor. Nach der Rechtsprechung setzt Krankheit
einen regelwidrigen, vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand voraus, der ärztlicher
Heilbehandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (st. Rechtsprechung, vgl. Urteil des BSG vom 22.04.2015, B 3 KR 3/14 R). Nach den vorliegenden Befundberichten, dem eingeholten Sachverständigengutachten und den Einlassungen der Klägerin steht
für den Senat fest, dass ein regelwidriger Körperzustand zu bejahen ist. Auch wenn durch die Form der Beine sicher nicht von
einer Entstellung der Klägerin auszugehen ist, bestehen doch durch die Fettverteilungsstörung unstreitig Funktionseinschränkungen,
vor allem in Form von Schmerzen, aber auch Schwere- und Spannungsgefühl, die das Stehen und Gehen erheblich beeinträchtigen.
Auch wenn das Ausmaß der Schmerzen kaum objektivierbar ist und der Senat Zweifel an der geschilderten täglichen Schmerzmitteldosis
hat, so entsprechen die geschilderten Beschwerden dem typischen Bild eines behandlungsbedürftigen Lipödems.
Da die Klägerin ausschließlich die Übernahme der Kosten für eine Liposuktion im Wege stationärer Behandlung beantragt hat,
sind die Voraussetzungen stationärer Krankenhausbehandlung nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
5 in Verbindung mit §
39 Abs.
1 SGB V zu prüfen. Nach §
39 Abs.
1 Satz 2
SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung
durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch das teilstationäre, vor- und nachstationäre oder
ambulante Behandlung einschließlich häusliche Krankenpflege erreicht werden kann. Konkretisierend hat die Rechtsprechung hierzu
entschieden, dass ein Krankheitszustand vorliegen muss, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses
notwendig macht. Als besondere Mittel des Krankenhauses werden eine apparative Mindestausstattung, geschultes Pflegepersonal
und ein jederzeit präsenter oder rufbereiter Arzt herausgestellt. Es ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der den mit
Aussicht auf Erfolg angestrebten Behandlungszielen und den vorhandenen Möglichkeiten einer vorrangigen ambulanten Behandlung
entscheidende Bedeutung zukommt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 17.11.2015, B 1 KR 18/15 R).
Vor diesem Hintergrund hat der Senat erhebliche Zweifel, ob zur Behandlung der Erkrankung stationäre Krankenhausbehandlung
notwendig ist. Zum einen setzt die Subsidiarität der Krankenhausbehandlung gegenüber ambulanten Behandlungsmöglichkeiten voraus,
dass die ambulanten Therapieoptionen vollständig ausgeschöpft sind. Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da die Klägerin
Heilmittel überhaupt nicht in Anspruch genommen hat und auch nicht feststeht, dass eine in der Vergangenheit erfolgte Kompressionsstrumpfversorgung
fachgerecht durchgeführt wurde. Zwar haben sowohl die gerichtliche Sachverständige als auch die Klägerin unter Bezugnahme
auf den Befund der chirurgischen Abteilung des Universitätsklinikums C-Stadt ausgeführt, dass Kompressionsbehandlungen insgesamt
nicht erfolgsversprechend wären, da die Fettansammlungen physikalisch hierdurch nicht beeinflussbar wären. Dem steht allerdings
das Grundsatzgutachten des MDS und die S1-Leitlinie Lipödem (aktueller Stand Oktober 2015) entgegen, wonach vor allem mit
einer fachgerecht durchgeführten Kompressionsbehandlung durchaus Erfolge zu erzielen sind bis hin zur Schmerzfreiheit der
Betroffenen. Unbestritten ist zwar, dass die überschüssigen Fettzellen durch die einschlägigen ambulanten Behandlungsmethoden
(manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Bewegungstherapie und Hautpflege) nicht vermindert oder gar beseitigt werden
können. Hierauf ist aber nicht abzustellen, denn es kommt im Sinne der Vermeidung eines operativen Eingriffs darauf an, ob
die Beschwerden der Klägerin günstig beeinflussbar sind, das heißt insbesondere eine Ödem- und Schmerzreduktion zu erreichen
sind.
Nicht überzeugen kann den Senat auch der Vortrag der Sachverständigen und der Klägerin, dass eine solche Kompressionstherapie
bzw. Lymphdrainage für die Klägerin unzumutbar sei, weil sie mit nicht erträglichen Schmerzen verbunden wäre. Eine fachgerechte
Behandlung, gegebenenfalls auch in einer Reha-Einrichtung, die auf das Beschwerdebild der Klägerin spezialisiert ist, kann
nach Überzeugung des Senats die Möglichkeit einer Besserung der Beschwerden eröffnen. In jedem Fall ist es der Klägerin zumutbar,
eine solche Behandlung probeweise durchzuführen.
Zweifel bestehen weiter daran, ob zur Durchführung einer Liposuktion ein stationärer Krankenhausaufenthalt erforderlich wäre.
Indem das Uniklinikum bei einem einzeitigen Vorgehen die stationäre Behandlung empfohlen hat, erscheint es möglich, den Eingriff
auch in mehreren Schritten ambulant durchzuführen. Soweit die gerichtliche Sachverständige gegen eine ambulante Behandlung
angeführt hat, dass das Infektionsrisiko ansteigen könne, so ist doch festzustellen, dass bei einer fachgerecht durchgeführten
Liposuktion das Infektionsrisiko ambulant oder stationär beherrschbar erscheint und auch eine ausreichende Nachbehandlung
durch niedergelassene Ärzte sicher gestellt werden kann.
Letztlich muss die Frage der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten nicht abschließend entschieden werden, da jedenfalls für
den Senat feststeht, dass die Liposuktion jedenfalls zur Zeit auch im stationären Bereich nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen
Krankenversicherung gehört. Auch die im stationären Bereich erbrachten Leistungen müssen dem Qualitätsgebot des §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V genügen, um einen Leistungsanspruch der Versicherten auslösen zu können und gegenüber den Krankenkassen abrechenbar zu sein
(ständige Rsp. des BSG, vgl. Urteile vom 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R und vom 17.12.2013, B 1 KR 70/12 R). §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V bestimmt allgemein, dass die Leistungen der Krankenversicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand
der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Diesen Qualitätskriterien
entspricht eine Behandlung, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte und Wissenschaftler) die Behandlungsmethode
befürwortet und, von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens
besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare
Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl
der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung
ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG vom 21.03.2013, B 3 KR 2/12 R).
Das BSG hat mehrfach hervorgehoben, dass die Behandlungsmöglichkeiten im stationären Bereich nicht schrankenlos sind. Gegenteiliges
bedeute, unter Missachtung des Zwecks der GKV die Einheit der Rechtsordnung zu gefährden und ggfs. sogar Schadensersatzansprüche
für Patienten oder strafrechtliche Konsequenzen für Krankenhausärzte auszulösen. Andererseits dürfe die Anforderung an wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen aber nicht als starrer Rahmen missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten
tatsächlich erzielbarer Evidenz gelte. Im Übrigen könne sich eine Abmilderung des Qualitätsgebotes auch daraus ergeben, dass
in einschlägigen Fällen eine grundrechtsorientierte Auslegung der Grenzmaßstäbe stattzufinden habe (vgl. Urteil des 1. Senats
vom 17.12.2013, a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass sich der kurative Erfolg der Liposuktion bislang nicht auf Grundlage evidenzbasierter
Medizin aus wissenschaftlich einwandfrei geführten Studien ergibt. Wie sich aus dem aktualisierten Grundsatzgutachten des
MDK zur Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen ergibt, sind zur Liposuktion bei Lipödem weiterhin nur Publikationen kleinerer
Fallserien bekannt, die grundsätzlich nicht geeignet sind, einen patientenrelevanten Vorteil zu belegen. Eine Änderung der
Bewertung habe sich nicht ergeben. Der Senat hält es aber auch nicht für ausgeschlossen, dass die geforderten wissenschaftlich
nachprüfbaren Aussagen erzielt werden können. Zwar mögen praktische Schwierigkeiten bestehen, Langzeitergebnisse in einem
medizinischen Feld zu gewinnen, das sich im Grenzbereich zur ästhetischen Medizin befindet und das bislang hauptsächlich durch
private Abrechnung der Leistungserbringer gekennzeichnet war. Andererseits wird der medizinische Nutzen der Liposuktion bei
Lipödem gegenwärtig durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) im Verfahren nach §
137c Abs.
1 SGB V überprüft, so dass davon auszugehen ist, dass eine wissenschaftliche Aufarbeitung und Prüfung möglich ist.
Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht durch die Regelung des §
137c Abs.
3 SGB V (in der Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom 16.07.2015, BGBl I S. 1211). Danach dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA im stationären Bereich keine Entscheidung getroffen
hat, angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den
Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Das BSG hat bereits festgestellt, dass sich durch die Änderung des §
137 c SGB V und gleichzeitige Einfügung des §
137e SGB V an der bisherigen Grundkonzeption nichts geändert hat und lediglich Raum für den GBA geschaffen wurde, Richtlinien zur Erprobung
nach §
137e SGB V zu beschließen. Es verbleibe weiter bei dem Qualitätsgebot des §
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V (Beschluss des BSG vom 15.07.2015, B 1 KR 23/15 B). Dies gilt aus Sicht des erkennenden Senats umso mehr, als es sich im vorliegenden Fall nicht um eine im Rechtssinn schwerwiegende
oder gar lebensbedrohliche Erkrankung handelt und es zumutbar erscheint, die noch ausstehende Entscheidung des GBA im Rahmen
des §
137c Abs.
1 SGB V abzuwarten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, da die zugrunde liegenden Rechtsfragen vor dem Hintergrund der geltenden
Rechtslage geklärt sind (§
160 Abs.
2 SGG).