Kostenerstattung für eine Hörgeräteversorgung über den gesetzlichen Festbetrag hinaus
Versorgung zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine Hörgeräteversorgung über den gesetzlichen Festbetrag hinaus.
1. Die 1967 geborene Klägerin ist wegen Beschäftigung gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten. Die Beigeladene
ist der für die Klägerin zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Klägerin leidet an Schwerhörigkeit beider
Ohren. Deswegen hatte die Beklagte sie bereits 2001 beidseits mit digitalen Hörgeräten als Hilfsmittel versorgt.
Am 16.3.2011 verordnete die behandelnde Hals-Nasen-Ohren-(HNO) Praxis Dr. B./ Dr. P. eine Hörgeräte-Neuversorgung. Hierzu
übersandte die Beklagte am 11.4.2011 ein Informationsschreiben zur Festbetragsversorgung. Die Klägerin führte in den folgenden
Wochen im Hörzentrum S./A-Stadt der Firma S. GmbH, die als Hilfsmittelerbringer zugelassen ist, eine Testung und Anpassung
von neun verschiedenen Hörgeräten durch, wobei sie die Testung z.T. auch zuhause sowie am Arbeitsplatz vornahm. Wegen der
für sie besten Hörergebnisse entschied sich die Klägerin für das streitbefangene Gerät Phonak Audeo S Smart IX Ex. Hierfür
erstellte die Firma S. am 20.5.2011 einen Kostenvoranschlag zum Gesamtpreis von 5.564,00 EUR. Mit Reha-Antrag auf dem Formular
G100 vom 21.5.2011 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen die entsprechende Versorgung. Unter Beifügung detaillierter
Angaben zu ihrem Tätigkeitsfeld, ihres beruflichen Werdegangs sowie einer Stellenbeschreibung machte die Klägerin geltend,
sie sei als Personalbetreuerin in einem Großraumbüro tätig und wegen des akustisch schwierigen beruflichen Umfeldes auf die
gewählte Hörgeräteversorgung angewiesen.
a) Die Beigeladene leitete den am 25.5.2011 bei ihr eingegangenen Antrag an die Beklagte weiter, wo dieser am 7.6.2011 eingegangen
ist. Mit Bescheid vom 30.5.2011 lehnte die Beigeladene die begehrte Hörgeräteversorgung ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren
hat die Klägerin ihr Begehren darauf gestützt, dass sie besonders von ihrer Schwerhörigkeit betroffen sei und arbeitsplatzbedingt
ein qualifiziertes Hörgerät benötige wegen Gleichzeitigkeit von Telefon-, Fax, Drucker-Geräuschen und Gespräch im Großraumbüro.
Mit der Sondertechnik der Phonak-Geräte "Ultra-Zoom" könne sie die Stimmen der Personen heranziehen und Nebengeräusche gleichzeitig
dämmen. Mit "voice-zoom" könne sie infolge der Dualmikrofon-Technologie, bei welcher Phonak Vorreiter sei, Sprache besser
verstehen und zugleich mit "Noise-Block" laute Geräusche ohne Bedeutung für Sprachkommunikation unterdrücken. Die Konsonanten
s, f, th seien durch "SoundRecover" für sie besser verständlich, weil hohe Frequenzen komprimiert und in den für sie verständlichen
Bereich konvertiert werden. Dadurch könne sie ihren Beruf ausüben, welcher optimales Hörverstehen bei Sprachverstehen und
Richtungshören voraussetze. Sie habe selbst das Phonak-Gerät in einer Reihung von Tests als das sprachverständlich beste herausgefunden.
Dem folgte die Beilgeladene nicht. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.2011 verneinte sie eine besondere berufliche Betroffenheit,
eine auf besonders gute Hörfähigkeit angewiesene berufliche Tätigkeit liege nicht vor. Das anschließende Klageverfahren vor
dem Sozialgericht München (Az.: S 15 R 2329/11), in welchem die Klägerin Verurteilung der dortigen Beklagten, der vorliegend Beigeladenen zur Kostenerstattung iHv 4.869,00
EUR beantragt hat, ruht auf Antrag der Beteiligten gem. Beschluss vom 14.2.2012.
b) Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 25.7.2011 den Hörgeräte-Festbetrag iHv 1.035,00 EUR. Die Firma S. stellte der
Klägerin für die Versorgung mit dem Phonak Audeo S Smart IX Ex 5.904,00 EUR in Rechnung, die Klägerin leistete nach Erhalt
des Bescheides eine entsprechende Zahlung. In Berücksichtigung des Festbetrages sowie der gesetzlichen Zuzahlung von 20,00
EUR folgt daraus die Streitsumme 4.869,00 EUR.
Im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin unter Bezug auf Hör- und neurootometrische Testungen sowie Befundberichte der behandelnden
HNO-Praxis Dr. B./Dr. P. geltend gemacht, nur mit den Phonak-Geräten könne sie objektiv ausreichend versorgt werden. In einer
von der Beklagten eingeholten Stellungnahme vom 31.1.2012 kam der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) zu dem Ergebnis,
mit dem zuzahlungsfreien Gerät Siemens Phoenix Eco 113 werde das gleiche Sprachverständnis in Ruhe erreicht wie mit dem beantragten
Phonak. Der gemessene Unterschied von 5 Prozentpunkten bei der Sprachverständlichkeit in Ruhe könne nicht als relevant angesehen
werden nach, da sogar Differenzen bis zu 20 Prozentpunkten als Messgenauigkeit möglich seien. Relevant seien nur Messungen
in Ruhe, nicht im Störschall. Eine Kostenübernahme oberhalb des Festbetrags werde daher nicht empfohlen. Dem folgend entschied
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.8.2012 abschlägig.
2. Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und Kostenerstattung iHv 4.889,00 EUR beantragt. Nur mit
den erworbenen Hörgeräten werde ihre vorhandene Behinderung ausgeglichen angesichts des bestehenden beidseitigen Hörverlustes
mit Tinnitus. In dem Großraumbüro, in dem die Klägerin tätig sei, erreiche sie mit zuzahlungsfreien Geräten nur ein Hörergebnis
von 55 %, mit den Phonak-Geräten jedoch 70 %. Bei absoluter Ruhe sei mit Phonak ein Hörergebnis von 95 % dokumentiert, mit
dem Vertragsgerät von 85 %. Insoweit hat sich die Klägerin auf die vorgelegten Messungen der Firma S. bezogen. Die Beklagte
hat erwidert, die Versorgungspauschalen deckten eine eigenanteilsfreie Hörgeräteversorgung ab. Nach der Rechtsprechung des
BSG werde eine optimale Versorgung nicht geschuldet.
Das Sozialgericht hat auf der Basis der vorgelegten einschlägigen HNO-ärztlichen Befund- und Behandlungsberichte ein Sachverständigengutachten
des HNO-Arztes Dr. W. K. eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 11.6.2013 im Gutachten vom 4.7.2013 zu
dem Ergebnis gekommen ist, die Klägerin leide an gering- bis mittelgradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts sowie
mittelgradiger Schwerhörigkeit links und beidseits leichtem Tinnitus vom Schweregrad I. Es sei nicht ersichtlich, dass im
Alltagsleben mit den Phonak-Geräten ein erheblicher Gebrauchsvorteil erzielt werde. Gegen das Gutachten hat die Klägerin eingewandt,
eine Testung mit einem Vertragsgerät sei nicht vorgenommen worden. Eine Verbesserung von 10 % in Ruhe und 15 % bei Störschall
durch die Phonak-Geräte sei erheblich. In der ergänzenden Stellungnahme vom 7.10.2013 führte Dr. K. aus, ein Unterschied von
10 Prozentpunkten liege im Rahmen der Messungenauigkeit und sei daher medizinisch nicht erheblich. Die Klägerin übersandte
daraufhin ein Schreiben der Firma S. vom 20.3.2014 mit Ergebnissen von im März 2012 vorgenommenen Messungen an den verschiedenen
getesteten Geräten. In weiteren ergänzenden Stellungnahmen vom 7.7.2014 und 23.10.2014 führte Dr. K. aus, bei 60 dB Störschall
und 65 dB Nutzsignal würden mit den Geräten der Firma Phonak 70 %, mit Siemens Phoenix Eco 113 nach Unterlagen der Firma S.
55 % verstanden. In Ruhe mit 65 dB Nutzsignal würden mit den Phonak-Geräten 90 % verstanden, mit den Siemensgeräten 85 %.
Ein Unterschied von 5 Punkten in Ruhe sowie von 15 Prozentpunkten im Störschall liege im Rahmen der Messungenauigkeit und
belege erhebliche Gebrauchsvorteile nicht.
Mit Urteil vom 26.2.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In der Begründung ist das Sozialgericht dem Sachverständigen
dahingehend gefolgt, dass ein Unterschied von 5 Prozentpunkten in Ruhe sowie von 15 Prozentpunkten im Störschall keinen erheblichen
Gebrauchsvorteil der von der Klägerin gewählten Hörgeräteversorgung im Alltagsleben darstellt.
3. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und ihr Kostenerstattungsbegehren - mit Ausnahme der gesetzlichen Zuzahlung
von 20,00 EUR - weiterverfolgt. Im Erörterungstermin vom 21.11.2016 wurden die Beteiligten auf die Entscheidung BSG 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R und die berufliche Betroffenheit der Klägerin hingewiesen. Mit Beschluss vom 9.1.2017 hat das Gericht die Beigeladene beigeladen,
welche von der Beiladung Kenntnis erlangt und die Akten übersandt hat.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.02.2015 sowie den Bescheid vom 25.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 03.08.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen der Klägerin Kosten in Höhe von 4.869,00 EUR für den Erwerb der
Hörgeräte Audio S Smart IX zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen. Darauf
sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegten Berufung der Klägerin ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Kostenerstattung in begehrter Höhe, weil die Beklagte zu Unrecht die Versorgung
mit den Phonak-Geräten Audeo S Smart IX Ex abgelehnt hat. In diesem Anspruch wird die Klägerin verletzt durch den streitgegenständlichen
Bescheid vom 25.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.8.2012, so dass dieser ebenso wie das Urteil des Sozialgerichts
München vom 26.2.2015 aufgehoben werden.
1. Die Beklagte ist zuständiger Leistungs- und Reha-Träger, §
33 SGB IX. Denn die Beigeladene hat den bei ihr am 25.5.2011 eingegangenen Formular-Antrag G100 vom 21.5.2011 einschließlich der Anlagen
binnen weniger als zwei Wochen an die Beklagte weitergeleitet, wo er noch vor Ablauf der Zwei-Wochen-Frist am 7.6.2011 eingegangen
ist, §
14 Abs.
1 und
2 SGB IX. Daran ändert nichts, dass die Beigeladene durch Bescheid vom 30.5.2011/Widerspruchsbescheid vom 29.8.2011 selbst und abschlägig
entschieden hat. Denn diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig geworden, das fristgerecht anhängig gewordene Klageverfahren
ruht auf Antrag beider Beteiligter, welche vorliegend Klägerin und Beigeladene sind. Die Beklagte hat damit in Einbezug des
Reha-Leistungsrechts des
SGB VI über die Hilfsmittelversorgung zu entscheiden (vgl. BSG, 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R - dort Zuständigkeit infolge nicht weitergeleiteten Antrags). Dies hat das Sozialgericht außer Acht gelassen.
Das Schreiben der Beklagten vom 11.4.2011 ist kein Bescheid und regelt daher nicht bestandskräftig die hier strittige Versorgung
mit den Phonak-Geräten. Dazu ist festzustellen, dass das Schreiben vom 11.4.2011 allgemeine Informationen enthält zur Hörgeräteversorgung
im Wege von Festbeträgen und allgemeine, vorformulierte Textbestandteile, nicht aber eine konkrete Einzelfallregelung iSd
§ 33 SGB X. Es enthält zudem - anders als der gegenständliche Bescheid vom 25.7.2011 - keine Rechtsbehelfsbelehrung.
Zum Antrag vom 21.5.2011 ist festzustellen, dass dieser sich richtet auf die Versorgung Hörgeräten unter Berücksichtigung
der besonderen Anforderungen, die an das Hörvermögen am konkret beschriebenen Arbeitsplatz der Klägerin gestellt ist. Er findet
sich auf dem sieben Seiten umfassenden Antrag G100 der Deutschen Rentenversicherung sowie auf fünf Seiten Formularanlagen.
Er ist damit - was unter den Beteiligten zudem nicht strittig ist - ein Antrag auf Teilhabeleistungen iS von §
14 SGB IX. Er ist deshalb gem. §
2 Abs.
2 SGB I als umfassender Leistungsantrag zu werten.
3. Anspruchsgrundlage des Kostenerstattungsanspruches ist nicht §§
13 Abs.
3 SGB V i.V.m. §
33 SGB V, obwohl die Einhaltung des Beschaffungsweges (Antragstellung 20.5.2011 und Ablehnungsbescheid 25.7.2011 vor endgültiger Geräte-Entscheidung
und vor Geräte-Kauf - "Selbst-Verschaffen") festzustellen ist. Vorliegend ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch nicht
auf Grund rechtswidriger Ablehnung eines Hilfsmittelanspruches gem. §
27 Abs.
1 S. 2 Nr.
3 SGB V i.V.m. §
33 SGB V. Denn nach den Ausführungen des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. K. besteht auf Ruhegeräusch und Sprachverständlichkeit
und damit im Alltag kein wesentlicher Gebrauchsvorteil für die Phonak-Geräte (§
12 Abs.
1 SGB V; vgl. "deutliche Gebrauchsvorteile" nach BSG 24.1.2013 - B 3 KR 5/12 R, Rn. 34 - zitiert nach Juris).
Der Kostenerstattungsanspruch ergibt sich aus §
15 Abs.
1 S. 3 und 4
SGB IX und beruht auf §§
9,
15 SGB VI i.V.m. §
26 Abs.
2 Nr.
6 und §
31 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX. Die Versorgung war zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit der Klägerin zwingend erforderlich.
a) Nach der medizinischen Dokumentation, nach den Feststellungen des Dr. K. zur Hörerkrankung sowie unstreitig leidet die
Klägerin seit vielen Jahren an Schwerhörigkeit mit Tinnitus, so dass sie bereits 2001 eine Hörhilfeversorgung benötigt hatte.
Seither hat sich nach den vorgelegten HNO-ärztlichen Befund- und Behandlungsberichten 2011 eine weitere erhebliche Verschlechterung
des Hörvermögens eingestellt. Es besteht ein Verlust nach Sprachabstandsmessung von kleiner 42 % beidseits, nach Tonaudiogramm
von 41 % rechts sowie 51 % links, nach Sprachaudiogramm von 40 % rechts und 50 % links mit Erforderlichkeit der Hörgeräteversorgung
zur erheblichen Verbesserung des Sprachverständnisses sowie des freien Schallfeldes.
b) Zu den Anforderungen der beruflichen Tätigkeit und des Arbeitsplatzes der Klägerin ist in Auswertung der Verwaltungsakten
der Beklagten und der Beigeladenen sowie der glaubhaften, detailreichen, in sich widerspruchsfreien Angaben der Klägerin,
welchen die anderen Beteiligten nicht widersprochen haben, das Folgende festzustellen:
aa) Wie die Stellenbeschreibung ("Funktionsbeschreibung und Kompetenzumfang") belegt, ist die Klägerin im Personalmanagement
als Mitarbeiterbetreuerin mit der Betreuung von Kunden und Mitarbeitern in allen Belangen betraut. Dazu verfügt die Klägerin
namentlich über hohe Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und Belastbarkeit. Ihre Aufgeben umfassen insbesondere die disziplinarische
Führung und Betreuung von Mitarbeitern, die Durchführung von Trainingsmaßnahmen, von Einzel- und Gruppencoachings, Recruiting,
Mitarbeiter-, Kritik- und Entwicklungsgesprächen, die Teilnahme an Meetings und Großveranstaltungen.
bb) Um die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zu erfüllen, stellen sich hohe Anforderungen an das gerichtete Sprachverstehen
bei gleichzeitiger Sprache mehrerer Personen und verschiedenen Hintergrundgeräuschen im Raum.
In Gruppencoachings und bei Großveranstaltungen sind dabei Störgeräusche zu trennen von Gesprächen mit Einzelpersonen sowie
mit Personengruppen. Geräusche aber auch Sprache treten dabei mehrdimensional auf, dh von sich auf die Klägerin zu-, aber
auch von ihr wegbewegenden Tonquellen. Untermalungsmusik kann hinzutreten. Fremdsprachen, insbesondere Englisch mit den Lispellauten
des "th" muss die Klägerin verstehen und sprechen.
Am Arbeitsplatz selbst in einem Großraumbüro sind als Dauergeräusche die Betriebsgeräusche der Klimaanlage sowie ein Dauergrundgeräusch
vorhanden, was stets von mehreren Menschen ausgehend vorhanden ist. Als Geräuschquellen kommen hinzu die von den Mitarbeitern
genutzten Telefone, Telefaxe und Drucker. Zeitgleich dazu finden mehrere Gespräche der Mitarbeiter untereinander, mit Kunden
sowie am Telefon statt.
In diesen Geräuschkulissen bestehen Arbeit und Arbeitserfolg der Klägerin im Gespräch. Sie muss dabei Kommunikation und Teamfähigkeit
vornehmlich im gesprächsweisen Kontakt mit Mitarbeitern und mit Kunden leben. Dabei können zeitgleich immer wieder Telefonate
sowie Mehrpersonengespräche zu führen sein oder dazwischen- sowie hinzutreten. Das erfordert passives und aktives Zuhören
und Verstehen der Klägerin auf höchsten Ebenen der menschlichen Kommunikation und Interaktion.
c) Diese Anforderungen kann die Klägerin allein mit den Phonak-Geräten erfüllen, weil nur diese über mehrere Sondertechniken
unter Einsatz einer besonderen Hard- und Software der Mehrmikrofontechnik zum Sprachverständnis verfügen.
Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin kann diese mit der Sondertechnik "Ultra-Zoom" die Stimmen von Personen gleichsam
heranziehen und zugleich Nebengeräusche hinwegdämmen. Mit "voice-zoom" kann sie Sprache besser verstehen und zugleich mit
"Noise-Block" laute Geräusche ohne Bedeutung für die Sprachkommunikation unterdrücken. Mit Hilfe von "SoundRecover" sind die
Konsonanten s und f sowie der englische Lispellaut "th" besser verständlich, weil hohe Frequenzen komprimiert und in für das
klägerisch Resthörvermögen verständliche Bereiche konvertiert werden. Die Verständigung in Englisch zählt zu den erforderlichen
Arbeitsanforderungen der Klägerin. Die zu unterscheidenden jeweiligen Geräusch-, Stimm-, Höhen- und Laustärken-Volumina sowie
-Richtungen kann die Klägerin dabei besonders in Sprachverständnis und Gesprächskompetenz umsetzen.
Dass diese ganz erheblichen Verständigungsvorteile am Arbeitsplatz durch die Phonak-Geräte besser erreicht werden, belegen
die von der Leistungserbringerin Firma S. dokumentierten Testungen mehrerer Geräte. Entsprechende Testungen hat die Klägerin
glaubhaft auch an ihrer Arbeitsstelle unter der maßgeblichen Mehrfach-Hörbelastung ausprobiert.
Festzuhalten ist ergänzend zur Glaubwürdigkeit der klägerischen Angaben, dass keine Hinweise bestehen, die Klägerin könnte
sich ihre Angaben aus den Fingern saugen, um eine Sozialleistung zu erhalten. Für die Glaubhaftigkeit spricht zudem, dass
sich die Klägerin die Phonak-Geräte auf eigenes Risiko beschafft hatte - ohne dass der Senat dabei eine Beweiserleichterung
für Bemittelte gegenüber nicht Bemittelten schafft.
d) Diese Feststellungen und Einschätzungen sind nicht widerlegt durch die Stellungnahme des MDK im Verwaltungsverfahren sowie
durch das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten (einschließlich ergänzender Stellungnahmen) des Dr. K ...
Denn weder der MDK noch Dr. K. haben die dargestellte berufliche Situation der Klägerin in ihre Überlegungen in erforderlicher
Weise und Ausmaß einbezogen. Unberücksichtigt ist insbesondere geblieben, dass Nutzschall und Störschall in ihren jeweils
unterschiedlichen Gestalten und Ausprägungen in den beruflichen Gesprächen der Klägerin voneinander getrennt werden müssen.
Nicht hinreichend gewürdigt wurde namentlich, dass Vortragstätigkeiten gegenüber größeren Gruppen und die Leitung von Arbeitsgruppen
als relevante besondere berufliche Anforderungen der Klägerin deutlich über die berücksichtigten Anforderungen bei alltäglichen
Mehr-Personen-Gesprächen hinausgehen.
Zudem hat Dr. K. - aus Gründen der Beweissicherheit - die vorgenommenen Messungen unter Idealbedingungen getätigt. Er hat
selbst eingeräumt, dass eine zuverlässige Testung der Hörgeräteleistung unter reellen Arbeitsplatz- oder Störgeräuschbedingungen
nicht möglich sind.
Schließlich ist dem Sachverständigen und dem MDK entgegenzuhalten, dass der dokumentierten, um (nur) wenige Mess-Einheiten
erhöhten Hörverbesserung durchaus Relevanz zukommt, wenn der hier relevante Maßstab dargelegt wird. Insoweit haben zudem weder
MDK noch der Sachverständige dargelegt, dass die Differenz um wenige Mess-Einheiten tatsächlich Mess-Toleranzen sind. Sie
haben vielmehr die Verbesserung um wenige Mess-Einheiten als nicht entscheidungserheblich angesehen, weil diese nur einen
Umfang hatte, welcher den üblichen Mess-Toleranzen entspricht.
e) Die Einholung eines weiteren Gutachtens ist nicht veranlasst. Maßgeblich für den strittigen Kostenerstattungsanspruch sind
Hörvermögen und -verbesserung im Zeitpunkt der Beschaffung im Jahre 2011. Von einem sich eher verschlechternden und sich keinesfalls
verbesserndem Hörstatus der Klägerin ist wegen deren Hörverschlechterung in der Vergangenheit auszugehen. Aus der Einholung
eines um Jahre zu spät kommenden Sachverständigengutachtens kann daher kein Beweisgewinn gezogen werden. Zudem ist die Erforderlichkeit
der Versorgung im beruflichen Umfeld der Klägerin relevant, was aber ein Setting erfordert, das einer belastbaren Testung
nicht zugänglichen ist.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Klägerin Anspruch auf die beiden von ihr erworbenen Phonak-Geräte hatte und
ihr deshalb ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch zusteht. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts
ebenso wie die abschlägige Entscheidung der Beklagten aufgehoben sowie die antragsgemäße Verurteilung zur Kostenerstattung
ausgesprochen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
183,
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.