Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Klägerin als Erbin für einen Kostenersatz nach §
102 SGB XII für die ihrem verstorbenen Ehemann gewährte Sozialhilfe.
Der 1947 geborene Ehemann der ebenfalls 1947 geborenen Klägerin litt an einem hirnorganischen Psychosyndrom bei metachromatischer
Leukodystrophie. Der Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 01.07.2003 Eingliederungshilfe, indem er die Kosten eines Arbeitsplatzes
in den L. Werkstätten - Betrieb K. - ohne die Anrechnung von Einkommen und Vermögen - mit Ausnahme der Kosten des Mittagessens
-übernahm. Mit weiterem Bescheid vom 12.01.2005 hob der Beklagte den Bescheid vom 01.07.2003 mit Wirkung zum 01.01.2005 auf
und gewährte ab diesem Zeitpunkt Eingliederungshilfe, indem er die Kosten der Förderstätte für behinderte Menschen K. in Höhe
von kalendertäglich 44,33 EUR und entsprechende Fahrtkosten übernahm. Tatsächlich hatte der Ehemann der Klägerin bereits zum
01.09.2004 in die Förderstätte gewechselt, wobei der Beklagte mit Schreiben vom 03.08.2004 seine Kostenübernahme erklärte.
2006 verstarb der Ehemann der Klägerin. Ausweislich des vom Amtsgericht K. ausgestellten Erbscheins vom 23.05.2006 wurde der
Verstorbene von der Klägerin zu 1/2 und von den Töchtern D. J. und K. A. zu je 1/4 beerbt. Nach den Ermittlungen des Nachlassgerichts
belief sich die Summe der Nachlasswerte auf 159.045,83 EUR, wovon 124.840,83 EUR auf den hälftigen Anteil des Ehemannes an
der gemeinsam mit der Klägerin erworbenen Eigentumswohnung entfielen. Dieser Grundbesitz war in Abteilung II und III des Grundbuchs
unbelastet.
Nach Abschluss der Ermittlungen beim Nachlassgericht und beim Finanzamt E. bat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom
20.10.2006 um Mitteilung der genauen Höhe des Nachlasses. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 17.01.2007 Angaben zu dem
Wert des Nachlasses und den Beerdigungskosten. Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 23.01.2007 mit, dass sich
die Sozialhilfeaufwendungen für den Verstorbenen auf insgesamt auf 37.815,21 EUR beliefen. Im darauf folgenden Schriftwechsel
führte die Bevollmächtigte der Klägerin aus, dass die Inanspruchnahme der Klägerin eine besondere Härte bedeuten würde, weil
die Klägerin das seit Anfang der 70 er Jahre bewohnte Familienheim veräußern müsste, weil anderweitiges liquides Vermögen
nicht bestehe. Auch habe der Beklagte bei der Leistungsbewilligung an den Verstorbenen nicht darauf hingewiesen, dass eine
spätere Inanspruchnahme der Erben in Betracht käme. Aus der Leistungsbewilligung ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen
habe die Familie geschlossen, dass zumindest das geschonte Vermögen unangetastet bliebe. Auch habe die Klägerin ihren Ehemann
bis zu dessen Tode gepflegt. Demgenüber führte der Beklagte aus, dass die Inanspruchnahme der Ehefrau als Erbin nach § 102 SGB XII gerade dann in Betracht käme, wenn eine Immobilie als Vermögen vorhanden sei.
Mit Bescheid vom 18.09.2007 machte der Beklagte gegenüber der Klägerin als Gesamtschuldnerin der Erbengemeinschaft einen Kostenersatzanspruch
nach § 102 SGB XII geltend. Die Ersatzpflicht bestehe für die Kosten, die innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet
worden seien und die einen Freibetrag von 2.046,00 EUR, überstiegen. Damit errechne sich ein Kostenersatzanspruch in Höhe
von 35.769,21 EUR. Die Erben seien als Gesamtschuldner zum Kostenersatz verpflichtet. Härtegesichtspunkte seien weder erkennbar
noch vorgetragen worden.
Die Klägerin erhob hiergegen unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens am 08.10.2007 Widerspruch. Die Härtefallregelung
schaffe auch Spielräume bei der Höhe des verlangten Kostenersatzes.
Die Regierung von Niederbayern wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2008 zurück. Der Wert des Nachlasses
habe nach Abzug der Verbindlichkeiten 151.237,00 EUR betragen. Der Beklagte habe in der Zeit vom 01.10.2003 bis 17.02.2006
Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 37.815,21 EUR erbracht. Unter Berücksichtigung der Freibeträge nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB XII stünden von dem Nachlass rund 133.851,00 EUR zur Verfügung, um den Kostenersatzanspruch als Nachlassverbindlichkeit zu decken.
Eine besondere Härte nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII liege nicht vor, weil kein atypischer Fall vorliege.
Hiergegen hat die Klägerin am 14.02.2008 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben. Sie hat ausgeführt, der zu Grunde gelegte Immobilienwert sei weder ausreichend dargetan noch nachgewiesen. Unabhängig
davon sei im Rahmen der Härtefallregelung zu prüfen, ob den Erben eine Verwertung des ererbten Miteigentumsanteils möglich
und zumutbar sei. Sie - die Klägerin - habe im Wesentlichen einen Hälfteanteil an dem bereits langjährig gemeinsam besessenen
Haus geerbt. Dieses Haus müsse sie zur Erfüllung der Forderung des Beklagten veräußern oder zumindest belasten. Letztere Möglichkeit
erscheine zweifelhaft, weil Kreditgeber nicht lediglich auf eine dingliche Sicherheit abstellten, sondern auch darauf, dass
die regelmäßigen Zahlungen ausreichend bedient werden könnten. Das Haus müsse also - einschließlich des nicht ererbten Anteils
- veräußert werden.
Der Beklagte hat eingeräumt, dass eine ursprünglich zu Unrecht berücksichtigte Versicherungsleistung in Höhe von rund 10.000
EUR nicht zum Nachlass gehörte. Allerdings sei dies auch unerheblich, weil die Klägerin selbst den Wert des hälftigen Grundstücksanteils
mit 124.840,83 EUR angegeben habe und dieser Nachlass ausreiche, um den Kostenersatz zu leisten. Eine Veräußerung des Grundstückes
sei u.U. allein schon deswegen erforderlich, weil die Klägerin im Falle einer Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ohnehin
die Verwertung betreiben müsste. I.Ü. liege keine besondere Härte vor, weil das 1578 qm große Grundstück mit einer Wohnfläche
von 132 qm selbst dann nicht nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII geschützt wäre, wenn die Klägerin selbst sozialhilfebedürftig wäre.
Mit Urteil vom 19.März 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines Kostenersatzanspruchs nach § 102 Abs. 1 SGB XII vorlägen. Die Klägerin sei Erbin ihres verstorbenen Ehemannes, der Sozialhilfeleistungen von dem Beklagten bezogen habe.
Der Beklagte habe rechtmäßig Sozialhilfe gewährt; Vermögen des Ehemannes der Klägerin sei nach § 43 Abs. 2 BSHG (bis 31.12.2004) bzw. nach § 92 Abs. 2 SGB XII nicht zu berücksichtigen. Für die Anwendbarkeit von § 102 SGB XII spiele es keine Rolle, ob vererbte Vermögensgegenstände zu Lebzeiten des Leistungsberechtigten nach §§ 90, 91 SGB XII von der Verwertung ausgenommen waren oder ob - wie hier - Leistungen wegen der besonderen Art der Hilfe generell unabhängig
von vorhandenem Vermögen gewährt wurden (Bayer. VGH, Urteil vom 27.09.2006, 12 BV 05.144 zu der Vorgängervorschrift des § 92c BSHG). Die Aufwendungen des Beklagten beliefen sich innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall auf 37.815,21 EUR; damit überstiegen
sie das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII um 35.769,21 EUR. Der Grundbetrag entspreche dem zweifachen Eckregelsatz (§ 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII); letzterer habe zur Zeit des Erbfalles 341,00 EUR betragen. Damit habe der Beklagte den Freibetrag zutreffend in Höhe von
2.046,00 EUR berücksichtigt (341,00 EUR x 6).
§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB XII stehe der Forderung des Beklagten nicht entgegen. Das SG habe keinen Zweifel daran, dass der Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses ausreiche, um die streitgegenständliche
Forderung zu begleichen. Das Nachlassgericht habe den Wert des ererbten Grundbesitzes mit 124.840,83 EUR angegeben. Bringe
man von dem genannten Wert die ungedeckten Beerdigungskosten in Höhe von 1.800,56 EUR sowie die Freibeträge nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII in Abzug, verblieben 105.654,27 EUR. Dieser Wert übersteigt den streitgegenständlichen Betrag immer noch um 69.885,06 EUR.
Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der vom Nachlassgericht angenommene Wert auch nur annähernd in diesem Maße
überhöht sei, seien nicht ersichtlich und wurden auch von der Klägerin nicht vorgetragen. Eine Beweiserhebung durch Einholung
eines Sachverständigengutachtens habe daher unterbleiben können.
Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, sie sehe sich unter Umständen zu einer Veräußerung der gesamten Eigentumswohnung
- einschließlich des nicht ererbten Anteils - gezwungen und werde so über den Wert des Nachlasses hinaus in Anspruch genommen.
Denn auch im Fall einer Veräußerung verbliebe der Klägerin der Wert der Eigentumswohnung (in Form des Veräußerungserlöses),
soweit er den streitgegenständlichen Betrag übersteige.
Die Berücksichtigung der Freibeträge nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII führe nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Der Wert des Nachlasses übersteige den streitgegenständlichen Betrag so erheblich,
dass die Freibeträge der Klägerin auch verblieben, wenn sie die streitgegenständliche Forderung begleiche.
Der Einwand der Klägerin, nach den Besonderheiten des Einzelfalls liege eine besondere Härte im Sinne von § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII vor, greife nicht durch.
Eine besondere Härte ergebe sich nicht daraus, dass es sich bei dem ererbten Grundbesitz um Miteigentum an der Wohnung handele,
die die Klägerin mit ihrem Ehemann bewohnt habe und nach seinem Tod weiterhin bewohne. Insoweit handele es sich nicht um einen
atypisch gelagerten Fall mit Ausnahmecharakter, wie er Voraussetzung für das Vorliegen einer besonderen Härte sei, sondern
um eine häufig anzutreffende Konstellation.
Der Umstand, dass die Klägerin ihren Ehemann gepflegt habe, könne im Rahmen des § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII nicht berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen des § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII gegeben, so dass die Klägerin Anspruch auf Berücksichtigung eines Freibetrages von 15.340,00 EUR habe.
Der Umstand, dass der Beklagte seinen Anspruch nicht unmittelbar nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin geltend gemacht habe,
begründe keine besondere Härte. Diesbezüglich habe der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 07.10.2008 zu Recht darauf hingewiesen,
dass der Gesetzgeber bei der Gesetzesänderung zum 01.01.1994 bewusst auf den Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalles
abgestellt habe. Damit sollte verhindert werden, dass Erben durch die Übertragung von Nachlassvermögen an Dritte von der Haftung
befreit werden (BT-Drucks. 12/5930, S. 4). Im Übrigen regele § 102 Abs. 4 SGB XII, dass der Kostenersatzanspruch drei Jahre nach dem Tod der leistungsberechtigten Person erlösche, sofern er nicht vorher
durch Leistungsbescheid geltend gemacht werde. Eine nochmalige Berücksichtigung des Zeitpunktes der (erstmaligen) Geltendmachung
im Rahmen der Prüfung einer besonderen Härte komme nicht in Betracht.
Schließlich ergebe sich eine besondere Härte auch nicht daraus, dass die Klägerin vor dem Tod ihres Ehemannes keine Kenntnis
von einem möglichen zukünftigen Kostenersatzanspruch hatte. Dass künftige Erben vor dem Erbfall keinen Überblick über (mögliche)
Nachlassverbindlichkeiten haben, stelle keinen atypisch gelagerten Fall mit Ausnahmecharakter dar, sondern sei häufig anzutreffen.
Die angegriffenen Bescheide seien schließlich auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte von der Klägerin den gesamten
Kostenersatz verlangt habe, obwohl sie ihren Ehemann nur zu 1/2 beerbt habe. Miterben haften nach §
2058 BGB als Gesamtschuldner; dies bedeute, dass der Beklagte den Kostenersatz nach seinem Belieben von jeder der Erbinnen ganz oder
zu einem Teil fordern könne (§
421 Satz 1
BGB).
Der Klägerin stehe kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Inhalts zu, dass der Beklagte zur Aufhebung der streitgegenständlichen
Bescheide verpflichtet sei. Dabei könne offen bleiben, ob der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin als Betreuerin
ihres Ehemannes über die Kostenersatzpflicht der Erben zu informieren. Selbst bei einer Verletzung der Beratungspflicht käme
nämlich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht in Betracht, weil die möglicherweise versäumte Disposition der Klägerin
- der (teilweise) Verzicht auf Sozialhilfe für ihren Ehemann nach §
46 Abs.
1 SGB I - nicht mehr nachgeholt werden könne, nachdem die Leistungen gewährt worden seien (BSG, Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 13/03 R; Rolfs, in: Hauck/Noftz,
SGB I, Stand 7/08, § 46 Rn. 19 m.w.N.; vgl. allgemein Ladage, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 31.10.2007 [B 14/11b AS 63/06 R], SGb 2008, S. 613 ff., 615).
Gegen das am 13.07.2009 zugestellte Urteil des SG vom 19. März 2009 hat die Klägerin am 05.08.2009 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und macht unverändert
geltend, dass der Härtefallregelung nach §
102 Abs.
3 Nr.
3 SGG nicht ausreichend Rechnung getragen worden sei. Der Klägerin drohe der Verlust des langjährigen Familienheims, so dass auch
in ihren eigenen Miteigentumsanteil an der Immobilie eingegriffen werde. Dessen Veräußerung oder Beleihung sei der Klägerin
nicht zumutbar, zumal deren Inanspruchnahme durch den Beklagten für sie völlig überraschend erfolgt sei. Dem verstorbenen
Ehemann der Klägerin seien Sozialhilfeleistungen ausdrücklich ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen gewährt worden. Bislang
sei auch nicht hinreichend gewürdigt worden, dass die Klägerin ihren Ehemann langjährig bis zu dessen Tod zu Hause gepflegt
habe. Ein Verlust des Lebensmittelpunktes sei der Klägerin nicht zumutbar. Auch sei bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen,
dass der Beklagte den Anspruch erstmals im Oktober 2006 angezeigt habe, als die Klägerin nicht mehr über Geldmittel verfügt
habe, mit denen sie ggfs den Anspruch des Beklagten hätte befriedigen können. Die Heranziehung der Klägerin zum Kostenersatz
werde als ungerecht empfunden, weil ein funktionierender Familienverbund, durch dessen Einsatz dem Beklagten höhere Sozialhilfeaufwendungen
erspart wurden, in die Pflicht genommen werde. Es könne der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie nach dem Versterben
des Ehemannes durch Einsatz ihrer Arbeitskraft unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen bleibe und deswegen Schonvermögenstatbestände
nicht in ihrer eigenen Person zum Tragen kämen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Landshut vom 19.März 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
der Regierung von Niederbayern vom 28.01.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das SG Urteil für zutreffend, verkennt jedoch nicht, dass die Klägerin die Inanspruchnahme zum Kostenersatz als hart empfinde. Es
könne aber nicht hingenommen werden, dass auf Kosten der öffentlichen Hand der Nachlass ungeschmälert beim Erben verbleibe.
Der Senat hat die Einkommensverhältnisse der Klägerin nach dem Tod des Ehemannes ermittelt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen, die Verwaltungsakten des Beklagten und die Akten
der Widerspruchsbehörde verwiesen.
Entscheidungsgründe:
In der Sache hat die zulässige Berufung keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 18.09.2007 in Gestalt des Widerspruchbescheids der Regierung von Niederbayern
vom 28.01.2008 über die Inanspruchnahme der Klägerin um Kostenersatz in Höhe von 35.769,21 EUR als Gesamtschuldnerin für gewährte
Sozialhilfeleistungen in der Zeit vom 01.10.2003 bis 17.02.2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten
- §
54 Abs.
2 S. 1
SGG.
Es handelt sich um eine reine Anfechtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG, mit der sich die Klägerin erfolglos gegen die von ihr verlangte Kostenerstattung wendet.
1. Die angegriffenen Bescheide genügen den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach § 33 SGB X. Nach § 33 Abs 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Die Bestimmtheit bezieht sich dabei auf den Entscheidungsausspruch,
also den Verfügungssatz bzw. die Verfügungssätze der Entscheidung (Waschull in Diering/Timme/Waschull, Lehr- und Praxiskommentar
SGB X, 2. Aufl 2007, § 33 Rn. 2). Dies bedeutet, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Zudem
muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (BVerwGE 84, 335, 338). Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden
materiellen Rechts.
Zu den Bestimtheitsanforderungen an einen Kostenersatzbescheid hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem grundlegenden Urteil vom 23.03.2010 Az.:BSG B 8 SO 2/09 R ausgeführt: "Ein Bescheid über den Kostenersatz durch Erben nach § 92c BSHG ist danach schon dann hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann
(...). Neben der Höhe des Kostenersatzes ist weder die konkrete Benennung des Haftungsgrundes noch die Bezeichnung des Zeitraums
erforderlich, für den Kostenersatz begehrt wird, und detailliert aufzulisten, wann und in welcher Höhe die jeweiligen Sozialhilfeleistungen
erbracht worden sind (so aber zu Unrecht Schoenfeld in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 102 Rn. 25). Dies ist vielmehr eine Frage der ausreichenden Begründung (§§ 35, 41 SGB X); eine Verletzung der Begründungspflicht würde vorliegend indes nicht zu einer Aufhebung der Bescheide führen (§ 42 SGB X)."
Hier hat der Beklagte im Bescheid vom 18.09.2007 die Höhe des Kostenersatzes der Erbin als Gesamtrechtsnachfolgerin in Höhe
von 35.769,21 EUR bezeichnet und den Leistungszeitraum der Sozialhilfe (01.10.2003 bis 17.02.2006) sowie den zu berücksichtigenden
Freibetrag bezeichnet. Im Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 28.01.2008 wurde die Erstattungsforderung
ebenfalls dargestellt, so dass der streitgegenständliche Bescheid vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 28.01.2008 (§
153 Abs.
1, §
95 SGG) sowohl dem Bestimmtheitsgrundsatz nach § 33 SGB X als auch dem Begründungserfordernis nach § 35 SGB X genügt. Eine genaue Aufteilung auf die einzelnen bewilligten Leistungen ist nicht erforderlich, zumal der Klägerin als damaliger
Betreuerin ihres Ehemannes die Bewilligungsbescheide vom 01.07.2003 und 12.01.2005 bekanntgegeben wurden.
2. Die materielle Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist gegeben. Sie misst sich an § 102 SGB XII.
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners, falls diese vor der leistungsberechtigten
Person sterben, vorbehaltlich des Abs. 5 zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet. Die Ersatzpflicht besteht nur
für die Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und
die das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 übersteigen (Satz 2). Die Ersatzpflicht des Erben des Ehegatten oder
Lebenspartners besteht nicht für die Kosten der Sozialhilfe, die während des Getrenntlebens der Ehegatten oder Lebenspartner
geleistet worden sind (Satz 3).
Die Ersatzpflicht des Erben gehört gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zu den Nachlassverbindlichkeiten. Der Erbe haftet mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses (Satz
2).
Der Anspruch auf Kostenersatz ist gemäß § 102 Abs. 3 SGB XII nicht geltend zu machen,
1. soweit der Wert des Nachlasses unter dem Dreifachen des Grundbetrages nach
§ 85 Abs. 1 liegt,
2. soweit der Wert des Nachlasses unter dem Betrag von 15.340,00 EUR liegt, wenn der Erbe der Ehegatte oder Lebenspartner
der leistungsberechtigten Person oder mit dieser verwandt ist und nicht nur vorübergehend bis zum Tod der leistungsberechtigten
Person mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt und sie gepflegt hat,
3. soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde.
Gemäß § 102 Abs. 5 SGB XII gilt der Ersatz der Kosten durch die Erben nicht für Leistungen nach dem Vierten Kapitel und für die vor dem 01.01.1987 entstandenen
Kosten der Tuberkulosehilfe.
a) Die Klägerin ist ausweislich des Erbscheines vom 23.05.2006 gemeinsam mit ihren beiden Töchtern Erbin ihres verstorbenen
Ehemannes, der Sozialhilfeleistungen von dem Beklagten bezogen hat. Mit der Aushändigung des Erbscheines ist die positive
Vermutung verbunden, dass demjenigen, der in dem Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht
zusteht (§
2365 BGB). Der Erbschein bindet die Instanzgerichte zwar nicht. Sie dürfen aber - wie hier der Senat- von dieser Berechtigung ausgehen,
solange der Erbschein nicht eingezogen ist (BVerwG Buchholz 427.2 § 9 FG Nr. 13 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 02.02.2006 -
7 B 101/05 -; BFHE 179, 436 ff); weiterer Feststellungen zur Erbenstellung bedarf es nicht (vgl. BSG vom 23.03.2010, Az.: B 8 SO 2/09 R, Rn.13).
b) Der Beklagte dufte von der Klägerin den gesamten Kostenersatz verlangen, obwohl sie ihren Ehemann nur zu 1/2 beerbt hat.
Miterben haften nach §
2058 BGB als Gesamtschuldner; dies bedeutet, dass der Beklagte den Kostenersatz nach seinem Belieben von jeder der Erbinnen ganz oder
zu einem Teil fordern kann (§
421 Satz 1
BGB; offen gelassen vom BSG im Urteil vom 23.03.2010 Rn. 14, so aber Bieback in Grube/Wahrendorf SGB XII Kommentar, 3. Auflage § 102 Rn. 35,).Gleichwohl darf der Sozialhilfeträger einen Erben nur zu dem seinem Erbteil entsprechenden Anteil des Ersatzanspruchs
heranziehen, wenn seine Miterben auf Grund von § 102 Abs. 3 Nr. 2 oder 3 SGB XII nicht ersatzpflichtig sind (Conradis in LPK SGB XII, 8. Auflage §102 Rn. 8, Biebak aaO. Rn. 33; Luthe in Hauck/Noftz SGB XII § 102 Rn. 27; Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII 18. Auflage, 2010, § 102 Rn. 12). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Erbteile der Miterbinnen haben auch nach der Begleichung der streitgegenständlichen
Forderung und nach dem Ausgleich unter den Gesamtschuldnerinnen einen Wert von jeweils mehr als 15.340,00 EUR, so dass nicht
entschieden werden muss, ob ihnen wegen ihrer Beiträge zur Pflege des Vaters Freibeträge in dieser Höhe zustehen. Anhaltspunkte
dafür, dass sich die Miterbinnen der Klägerin darüber hinaus auf eine besondere Härte berufen könnten, sind nicht ersichtlich
und wurden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Für die Klägerin selbst ergibt sich, dass diese selbst dann zum Kostenersatz
in Höhe von 35.769,21 EUR verpflichtet wäre, wenn nur ihr Hälfteanteil am Nachlass (abzüglich der Freibeträge nach § 102 Abs. 3 Nrn. 1 und 2 SGB XII in Höhe von 2.046 EUR und 15.340 EUR) in die Berechnung einfließen würde.
Die beiden Töchter der Klägerin sind als Miterbinnen und Gesamtschuldnerinnen i.Ü. nicht zum Verfahren notwendig beizuladen,
weil die Gesamtschuldner am streitigen Rechtsverhältnis nicht derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung gegenüber allen
Gesamtschuldnern nur einheitlich ergehen kann (Simon in jurisPK-SGB XII § 102 Rn. 74).
c) Der Beklagte hat rechtmäßig Sozialhilfe gewährt; Vermögen des Ehemannes der Klägerin war nach § 43 Abs. 2 BSHG (bis 31.12.2004) bzw. nach § 92 Abs. 2 SGB XII nicht zu berücksichtigen.
Zu der mit § 102 SGB XII inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 92 c BSHG hat das BSG in seinem Urteil vom 23.03.2010, Az.: B 8 SO 2/09 R bereits ausgeführt, dass die Rechtmäßigkeit der Leistungen der Sozialhilfe
ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 92c BSHG sei. Diese einschränkende Auslegung ergebe sich aus der Entwicklung der Kostenersatzpflicht des Erben, die sich schon in
dem bis zum 31.5.1962 geltenden Fürsorgerecht nur auf rechtmäßig gewährte Fürsorgeleistungen bezog (vgl im Einzelnen BVerwGE
78, 165 ff). Wurde die Sozialhilfe rechtswidrig gewährt, ist eine Erstattung nur unter den Voraussetzungen der §§ 45 ff, 50 SGB X möglich. Deshalb sieht § 92 Abs. 1 Halbsatz 2 BSHG vor, dass eine Verpflichtung zum Kostenersatz nach anderen Rechtsvorschriften unberührt bleibt. Dies ist in Literatur und
Rechtsprechung für Kostenersatzansprüche nach dem BSHG unstreitig (BVerwGE 64, 318, 320; 67, 163, 166; 70, 196, 199; W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 92 BSHG Rn. 9 und § 92c BSHG Rn. 7; Zeitler in Mergler/Zink, BSHG, § 92c BSHG Rn. 11b, Stand Juli 1994; Conradis in Lehr- und Praxiskommentar BSHG, 6. Aufl. 2003, § 92c BSHG Rn. 2; ebenso zur Nachfolgeregelung des § 102 SGB XII: Adolph in Linhart/Adolph, Sozialgesetzbuch II/Sozialgesetzbuch XII/Asylbewerberleistungsgesetz, § 102 SGB XII Rn. 56, Stand März 2008; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 102 Rn. 9; Schoenfeld in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 102 Rn. 5; Conradis in LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 102 Rn. 2).
Für die Beurteilung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Rechtmäßigkeit der Leistung sei allerdings nur die Frage zu
beantworten, ob die der Erblasserin gewährten Leistungen dieser nach den materiellrechtlichen Vorschriften des BSHG zugestanden haben, während reine Formverstöße ohne Bedeutung seien (vgl. auch BVerwGE 78, 165 f, wonach ein Anspruch nach § 92c BSHG ausgeschlossen ist, wenn dem Erblasser die Sozialhilfe "materiell" rechtswidrig gewährt worden ist). Denn wenn die Erblasserin
materiellrechtlich einen Anspruch auf die Leistungen hatte, hätte sie auch bei Vorliegen von Formverstößen in jedem Fall Sozialhilfe
- ggf allerdings von einem anderen (zuständigen) Sozialhilfeträger - erhalten. Allein dies sei für einen Ersatzanspruch gegen
den Erben nach
§ 92c BSHG entscheidend."
Der Ehemann der Klägerin hatte ab dem 01.10.2003 Anspruch auf die Gewährung einer Eingliederungshilfe in Form der Übernahme
der Kosten der Unterbringung in einer Werkstätte für behinderte Menschen nach den §§ 39, 40, 100 BSHG bzw. ab 01.01.2005 (bzw. ab 01.09.2004) in Form der Übernahme der Kosten für die Förderstätte nach den §§ 54, 55 SGB XII. Der Erblasser war behinderter Leistungsberechtigter nach § 39 Abs.1 BSHG bzw. ab 01.01.2005 nach § 19 Abs. 3, § 53 Abs. 1 SGB XII i.V.m. §
2 Abs.
1 SGB IX, §§ 2, 3 EinglHV. Die Hilfegewährung erfolgte rechtmäßig ohne die Anrechnung von Einkommen und Vermögen - § 43 Abs. 2 BSHG, § 92 Abs. 2 SGB XII wegen der Besonderheit der Eingliederungshilfe (sog. erweiterte Hilfe). Die Aufbringung der Mittel war nur für die im häuslichen
Bereich ersparten Aufwendungen der Kosten des Lebensunterhaltes zuzumuten (Kosten des Mittagessens). Für die rechtmäßige Leistungsgewährung
an den Erblasser war das hier streitig involvierte Immobilienvermögen des Erblassers nicht unter dem Gesichtspunkt des sog
Schonvermögens nach § 88 Abs. 2 Nr. 7 BSHG bzw. § 90 Abs.2 Nr. 8 SGB XII zu berücksichtigen, weil die Leistungsgewährung gänzlich ohne die Berücksichtigung von Vermögen erfolgte. Unerheblich für
die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung ist, dass der Beklagte im Bewilligungsbescheid vom 12.01.2003 die
Übernahme der Kosten für die Förderstätte zum 01.01.2005 erklärte, obwohl der Erblasser bereits zum 01.09.2004 in die Förderstätte
gewechselt war, weil sich sein Hilfebedarf entsprechend vergrößert hatte. Der Beklagte hatte - dem gestiegenen Hilfebedarf
entsprechend - bereits mit Schreiben vom 03.08.2004 an die L. Werkstätten eine Kostenübernahme erklärt und der Betreuerin
hiervon einen Abdruck zugesandt. Die Leistungen in der Förderstätte in der Zeit vom 01.09.2004 bis 31.12.2004 erfolgten materiell
rechtlich zu Recht.
Zutreffend hat das SG darauf hingewiesen, dass es für die Anwendbarkeit von § 102 SGB XII keine Rolle spielt, ob vererbte Vermögensgegenstände zu Lebzeiten des Leistungsberechtigten nach §§ 90, 91 SGB XII von der Verwertung ausgenommen waren oder ob - wie hier - Leistungen wegen der besonderen Art der Hilfe generell unabhängig
von vorhandenem Vermögen gewährt wurden (Bayer. VGH, Urteil vom 27.09.2006, 12 BV 05.144 zu der Vorgängervorschrift des § 92c BSHG).
d) Die Aufwendungen des Beklagten beliefen sich innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall auf 37.815,21 EUR (Leistungszeitraum
01.10.2003 bis 17.02.2006, Tagessatz Werkstatt für Behinderte 27,64 EUR, Tagessatz Förderstätte 44,33 EUR zuzüglich Fahrtkosten),
damit übersteigen sie das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII um 35.769,21 EUR. Der Grundbetrag entspricht dem zweifachen Eckregelsatz (§ 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII); letzterer betrug es zur Zeit des Erbfalles 341,00 EUR. Damit hat der Beklagte den Freibetrag zutreffend in Höhe von 2.046,00
EUR berücksichtigt (341,00 EUR x 6).
Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Eingliederungshilfe entsprechend der bestehenden Vergütungsvereinbarungen
mit dem Leistungserbringer nach den § 75 Abs. 3 SGB XII geleistet hat (Tagessatz für WfbM täglich 27,64 EUR, Tagessatz für Förderstätte täglich 44,33 EUR). Hierzu ist der Beklagte
gesetzlich im Rahmen des sog. sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses zum Leistungserbringer und Leistungsempfänger verpflichtet
(§ 76 SGB XII). Die Klägerin kann nicht nachträglich reklamieren, dass die für alle Bezirke geschlossenen Vergütungsvereinbarungen zu ihren
Lasten zu hohe Sätze enthielten.
3. § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB XII steht der Forderung des Beklagten nicht entgegen. Es bestehen keine Zweifel, dass der Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles
vorhandenen Nachlasses ausreicht, um die streitgegenständliche Forderung zu begleichen. Das Nachlassgericht hat allein den
Wert des ererbten Grundbesitzes entsprechend der eigenen Angaben der Klägerin mit 124.840,83 EUR angegeben. Dabei hat es berücksichtigt,
dass nur die Hälfte eines 2/3 Miteigentumsanteils vererbt wurde, wie die Anmerkung "Anteil des Verstorbenen am Grundstück
1/3" verdeutlicht. Bringt man von dem genannten Wert die ungedeckten Beerdigungskosten in Höhe von 1.800,56 EUR als Nachlassverbindlichkeit
(Conradis in LPK- SGB XII 8. Auflage, § 102 Rn. 15, Lücking in Hauck-Noftz, SGB XII, § 102 Rn. 16; Simon in juris-PK SGBXII § 102 Rn. 41) sowie die Freibeträge nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII in Abzug, verbleiben 105.654,27 EUR. Dieser Wert übersteigt den streitgegenständlichen Betrag immer noch um 69.885,06 EUR.
Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der vom Nachlassgericht angenommene Wert überhöht ist, sind nicht ersichtlich.
Eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Grundstückswert nach §
106 Abs.
3 Nr.
5 SGG im Rahmen der Amtsermittlung nach §
103 SGG konnte daher unterbleiben.
Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, sie sehe sich unter Umständen zu einer Veräußerung der gesamten Eigentumswohnung
- einschließlich des nicht ererbten Anteils - gezwungen und werde so über den Wert des Nachlasses hinaus in Anspruch genommen.
Denn auch im Fall einer Veräußerung verbliebe der Klägerin der Wert der Eigentumswohnung (in Form des Veräußerungserlöses),
soweit er den streitgegenständlichen Betrag übersteigt. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 102 SGB XII ist gerade auf den Nachlass beschränkt (§ 102 Abs. 2 S. 2 SGB XII) und verlangt vom Erben keine darüber hinausgehenden finanziellen Sonderopfer.
4. Die Berücksichtigung der Freibeträge nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Anzusetzen ist der Freibetrag nach § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII in Höhe des 3 fachen Grundbetrages nach § 85 Ab. 1 SGB XII zur Zeit des Erbfalles (s. o.) sowie der Freibetrag nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 15.340 EUR, weil die Klägerin mit ihrem Ehemann bis zu seinem Tod in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihn gepflegt
hat; ein etwaiger kurzer Krankenhausaufenthalt unmittelbar vor dem Tod ist insoweit unschädlich (Conradis, aaO., Rn. 12 am
Ende; Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 102 Rn. 25).Der Wert des Nachlasses übersteigt den streitgegenständlichen Betrag so erheblich, dass die Freibeträge der Klägerin
auch verbleiben, wenn sie die streitgegenständliche Forderung begleicht. Der Klägerin ist in der Rechtsauffassung zuzustimmen,
dass die an sie ausgezahlte Versicherungsleistung, deren Begünstigte sie war, nicht in den Nachlass gefallen ist (Schellhorn
aaO. Rn. 18). Zutreffend hat der Beklagte in seiner Klageerwiderung vom 16.07.2008 aber darauf hingewiesen, dass die Klägerin
selbst den Immobilienanteil des Erblassers mit 124.840,83 EUR angegeben hat, so dass allein dieser Nachlass über den Freibeträgen
nach § 102 Abs. 3 Nr. 1, 2 SGB XII bei Abzug des Kostenersatzes liegt.
5. Zur Überzeugung des Senats liegt nach den Besonderheiten des Einzelfalls keine besondere Härte im Sinne von § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII vor, die der Inanspruchnahme der Klägerin ganz oder teilweise entgegenstünde.
Nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII ist der Anspruch auf Kostenersatz nicht geltend zu machen, soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des
Einzelfalls eine besondere Härte bedeuten würde. Nach der Kommentierung (vgl. Simon in jurisPK-SGB XII § 102 Rn. 54 ff) findet eine enge Auslegung statt. Darüber hinaus steht die Annahme einer Härte in Relation zur Höhe des geltend
zu machenden Ersatzanspruchs; der Anspruch ist nur insoweit nicht geltend zu machen, als gerade die Geltendmachung einer höheren
Forderung eine besondere Härte begründen würde.
Der Gesetzgeber hat sich nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII nicht auf den Erlass einer allgemeinen Härtefallregelung beschränkt, sondern darüber hinaus eine "besondere" Härte verlangt.
Erforderlich ist demnach, dass im Einzelfall für die Annahme einer besonderen Härte gewichtige Gründe persönlicher und wirtschaftlicher
Art vorhanden sind. Es muss ein besonderer Lebenssachverhalt vorliegen, der von der dem § 102 SGB XII zugrunde liegenden Typik ansonsten nicht abgebildet wird. Als Orientierungspunkt kann die spezielle Regelung des § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII dienen, die auch in der Gesetzesbegründung in die Nähe der Härtefallregelung gerückt wird; danach kann die Annahme einer
besonderen Härte insbesondere dann in Betracht kommen, wenn im Einzelfall zwar die Voraussetzungen der Nr. 2 nicht erfüllt,
aber vergleichbar sind. Allerdings wird in solchen Fällen dann in der Regel auch höchstens der Freibetrag nach Nr. 2 zugestanden
werden können. Die Annahme einer besonderen Härte kann dann in Betracht kommen, wenn der Erbe den Hilfeempfänger gepflegt
hat, die Vergünstigung des § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII aber nur deshalb nicht beanspruchen kann, weil er mit dem Hilfeempfänger zwar nicht verwandt war, aber ein anderweitig begründetes
enges persönliches Verhältnis bestand, ebenso, wenn eine Pflegeperson zusätzliche Strapazen auf sich nimmt, die mit der Entfernung
zwischen Pflegeort und ihrem Aufenthaltsort verbunden sind. Eine besondere Härte ist auch dann angenommen worden, wenn der
Erbe auf ein zum Nachlass gehörendes Haus werterhöhende Aufwendungen zur Renovierung gemacht hat, weil der Erbe ansonsten
gerade deshalb mehr Kosten zu ersetzen hätte, weil er selbst Aufwendungen gemacht hat. Anders ist es aber dann, wenn der Erbe
nach dem Erbfall ein Darlehen aufgewandt hat, um das ererbte Haus zu renovieren und zu modernisieren; denn hierdurch hat das
Haus eine Wertsteigerung erfahren, die dem Erben bei einem Verkauf zugute käme. Eine besondere Härte wird man jedenfalls auch
nicht regelmäßig annehmen können, wenn der Erbe das ererbte Vermögen bereits verbraucht hat; dies würde die Regelung des §
102 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, wonach der Erbe mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Vermögens haftet, unterlaufen. Auch Arbeitslosigkeit
des Erben kann regelmäßig die Annahme einer besonderen Härte nicht ohne weiteres begründen; denn Bezugspunkt der Erbenhaftung
ist der Nachlasswert und nicht das Einkommen des Erben.
Bei der Inanspruchnahme des Erben nach § 102 SGB XII ist nicht (ergänzend) auf § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII (Schonvermögen eigengenutzte Wohnung) zurückzugreifen. Vielmehr sind solche Umstände allein im Rahmen der Härtefallregelung
nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII zu prüfen. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII begründet kein "postmortales Schonvermögen" zugunsten des Erben (LSG Baden-Württemberg v. 22.12.2010 - L 2 SO 5548/08). Diese
Auslegung entspricht der Systematik der §§ 102, 90 SGB XII. § 102 SGB XII geht grundsätzlich von einer Ersatzpflicht des Erben aus und betrifft vielfach gerade Fälle, in denen vor dem Ableben des
Erblassers eine Privilegierung von Vermögen nach § 90 Abs. 2 und Abs. 3 SGB XII bestanden hat. Inwieweit der Erbe vor einer Ersatzverpflichtung nach § 102 SGB XII geschützt ist, ist aus § 102 SGB XII selbst, insbesondere dessen Absätze 2 und 3, zu entnehmen. Der Gesetzgeber hat die Vorschriften über die Kostenersatzpflicht
des Erben gerade nicht in einen Zusammenhang zu den Regelungen über das einzusetzende Vermögen gestellt (vgl. BSG v. 23.03.2010 - B 8 SO 2/09 R).
a) Eine besondere Härte ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem ererbten Grundbesitz um Miteigentum an der Wohnung
handelt, die die Klägerin mit ihrem Ehemann bewohnt hat und nach seinem Tod weiterhin bewohnt. Insoweit handelt es sich nicht
um einen atypisch gelagerten Fall mit Ausnahmecharakter, wie er Voraussetzung für das Vorliegen einer besonderen Härte ist
(Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 102 Rn. 13), sondern um eine häufig anzutreffende Konstellation, wenn nicht sogar um den typischen Fall des § 102 SGB XII (Schellhorn aaO. Rn. 3). Soweit Conradis kritisiert, dass die geltende Regelung zum Verlust von Familienheimen führen kann
(aaO., Rn. 6 und 9), bringt er zum Ausdruck, dass de lege lata - außer einer frühzeitigen Übertragung unter Lebenden oder
einem so genannten Behindertentestament - gerade kein Weg zur Vermeidung dieses Ergebnisses offen steht. Der Kostenersatz
will den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe herstellen und verhindern, dass die Vorschriften über das Schonvermögen auch über
den Tod des Hilfeempfängers hinweg zugunsten des Erben wirken (Bieback aaO. Rn 2).
Insbesondere ergibt sich nicht etwa aus § 90 Abs.2 Nr.8 SGB XII ein über den Tod des bedürftigen Leistungsempfängers hinaus bestehender Schutztatbestand. Hätte der Gesetzgeber einen solchen
Schutztatbestand begründen wollen, hätte er diesen konsequenterweise in die Regelungen über die Haftung der Erben nach § 102 SGB XII dort ausdrücklich in die "Freibetrags"- bzw. Härteregelungen aufnehmen können und müssen (vgl. LSG Baden Württemberg (v.
22.12.2010 - L 2 SO 5548/08).
Ebensowenig lässt sich die Annahme einer besonderen Härte bereits darauf stützen, dass das ererbte Vermögen dem Schonvermögen
des Erblassers zuzurechnen wäre. Der Ersatzanspruch gegen den Erben zielt gerade darauf ab, zu verhindern, dass sich der Schutz
des Schonvermögens des Leistungsberechtigten auch zugunsten des Erben auswirkt, ohne dass in dessen Person eine diesbezügliche
Schutzbedürftigkeit gegeben ist. Allerdings kann eine die Ersatzpflicht ausschließende Härte dann vorliegen, wenn der Vermögensgegenstand
vor dem Erbfall im Miteigentum des Leistungsberechtigten und des Erben stand und daher auch für beide gleichermaßen als Schonvermögen
geschützt war (z.B. bei einem selbst bewohnten Hausgrundstück; zu einem beiden Eheleuten gemeinsam gehörenden landwirtschaftlichen
Betrieb vgl. VGH München, FEVS 44, 461; Bieback in Grube/Warendorf SGB XII Sozialhilfe 3. Aufl. § 102 Rdnr. 26).
Keine besondere Härte begründet für sich der Umstand, dass z.B. der Erbe der Ehegatte des verstorbenen Hilfeempfängers ist
(BVerwG, FEVS 32, 17). Auch z.B. Pflegeleistungen des Ehegatten, eines Verwandten oder einer dritten Person, die angesichts
ihrer Intensität oder ihres Umfangs unterhalb des in § 61 Abs. 1 vorausgesetzten Maßstabs liegen, begründen keine besondere
Härte. Eine besondere Härte kann sich auch nicht aus den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Erben (z.B. Arbeitslosigkeit)
ergeben (vgl. LSG Schleswig-Holstein, ErbR 2006, 59). Denn die Haftung des Erben ist auf den Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles
vorhandenen Nachlasses begrenzt. Ist der Erbe gezwungen, das ererbte Haus, das zu Lebzeiten der leistungsberechtigten Person
Schonvermögen im Sinne von § 90 Abs. 2 bildete, zu veräußern, so führt dies ebenfalls zu keiner besonderen Härte (vgl. zum
vorstehenden LSG Baden-Württemberg aaO.).
Hier ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ohnehin Miteigentümerin der Immobilie zu 1/2 war. Diese bildete aber keine
gemeinsame Erwerbsquelle wie dies in dem oben zitierten Fall des landwirtschaftlichen Anwesens war. Es ist auch nicht ersichtlich,
dass das Immobilienvermögen durch einen besonderen Einsatz der Klägerin gebildet worden sei, so dass aus diesem Gesichtspunkt
heraus ihre Inanspruchnahme eine besondere Härte bedeuten würde.
Im Übrigen liegt in der Person der Klägerin selbst keine Schutzbedürftigkeit nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII vor. Zum einen ist die Klägerin schon nicht Leistungsberechtigte i.S. § 19 SGB XII, weil sie über ausreichendes eigenes Einkommen verfügt, mit dem ihr sozialhilferechtlicher Bedarf gedeckt werden kann. So
bezieht die Klägerin seit dem Tode ihres Ehemannes eine Hinterbliebenenrente in Höhe von rund 850 EUR und erzielte bis 31.08.2008
Erwerbseinkommen in Höhe von rund 750 EUR, anschließend vom 01.09.2008 bis 15.11.2010 Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich
360 EUR und ab 01.12.2010 Altersrente in Höhe von 580 EUR monatlich. Damit sind die Bedarfe der Klägerin an Regelleistungen
und Kosten der Unterkunft (die selbstgenutzte Immobilie ist unbelastet, so dass nur Unterhaltungskosten und Heizkosten anfallen)
gedeckt. Für die Klägerin selbst wäre das von ihr alleine bewohnte Grundstück mit einer Wohnfläche von 132 qm und einer Grundstücksfläche
von 1578 qm kein für einen Einpersonenhaushalt angemessenes Hausgrundstück und damit kein Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII im Fall der Sozialhilfebedürftigkeit. Auf den Schutzcharakter dieser Norm kann sich die Klägerin somit nicht berufen.
Es kann dahinstehen, ob man hierbei der Argumentation der Klägerbevollmächtigten folgt, wonach nicht auf die tatsächlich bestehende
Hilfebedürftigkeit des in Anspruch genommenen Erben, sondern auf eine hypothetische Hilfebedürftigkeit abzustellen ist, wenn
man einen atypischen Sachverhalt annehmen will, weil der Nachlass auch für den Erben Schonvermögen wäre (vgl. BSG Urteil vom 23.03.2010, Az.: B 8 SO 2/09 R, Rn. 28). Hier scheidet die Einordnung der Immobilie als Schonvermögen allein auf
Grund der Größe nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII unabhängig davon aus, dass die Klägerin nach dem Erbfall wegen ihres Einkommens nicht hilfebedürftig nach § 19 Abs. 1, 2 SGB XII war.
b) Der Umstand, dass die Klägerin ihren Ehemann gepflegt hat, kann im Rahmen des § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII nicht erneut berücksichtigt werden. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII gegeben, so dass die Klägerin Anspruch auf Berücksichtigung eines Freibetrages von 15.340,00 EUR hat. Dieser Betrag verbleibt
ihr unabhängig von der Befriedigung des Kostenersatzanspruches.
c) Der Umstand, dass der Beklagte seinen Anspruch nicht unmittelbar nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin geltend gemacht
hat, begründet keine besondere Härte. Diesbezüglich hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei
der Gesetzesänderung zum 01.01.1994 bewusst auf den Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalles abgestellt hat. Damit
sollte verhindert werden, dass Erben durch die Übertragung von Nachlassvermögen an Dritte von der Haftung befreit werden (BT-Drucks.
12/5930, S. 4). Im Übrigen regelt § 102 Abs. 4 SGB XII, dass der Kostenersatzanspruch drei Jahre nach dem Tod der leistungsberechtigten Person erlischt, sofern er nicht vorher
durch Leistungsbescheid geltend gemacht wird. Durch diese Vorschrift trägt der Gesetzgeber dem Interesse der Erben Rechnung,
nicht zeitlich unbegrenzt mit Kostenersatzansprüchen konfrontiert zu werden. Eine nochmalige Berücksichtigung des Zeitpunktes
der (erstmaligen) Geltendmachung im Rahmen der Prüfung einer besonderen Härte kommt nicht in Betracht. Im Übrigen hat der
Beklagte bereits mit seinem Anschreiben vom 23.02.2006 das Nachlassgericht gebeten, die Klägerin auf § 102 SGB XII hinzuweisen und hat den Kostenersatz bereits mit Schreiben vom 20.10.2006 bei der Klägerin angemeldet, so dass in der Zeitspanne
von Februar 2006 (Tod des Erblassers) bis Oktober 2006 keine ungewöhnliche Verzögerung in der Bearbeitung gesehen werden kann,
der unter den Gesichtspunkt einer besonderen Härte nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII zu würdigen wäre.
Ergänzend wird angemerkt, dass die Information der Klägerin über den Kostenersatzanspruch erstmals mit Schreiben vom 20.10.2006
und die dann erst mit Bescheid vom 18.09.2007 erfolgte Inanspruchnahme, auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung nicht
zur "Verschonung" der Klägerin führt. Eine Verwirkung der Ansprüche auf Kostenersatz nach §§ 102 ff. SGB XII ist zwar grundsätzlich möglich. Allerdings ist in der Praxis ein zurückhaltender Umgang mit diesem Rechtsinstitut angezeigt.
Verwirkung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere
Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben
erscheinen lassen (vgl. BFH, DB 1980, 720; zu weit dagegen Schellhorn, in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, § 102 Rn. 35, der eine Verwirkung des Kostenersatzanspruchs bereits dann für möglich hält, wenn der Träger der Sozialhilfe den
Anspruch nicht innerhalb angemessener Zeit nach seiner Entstehung festsetzt). Der Tatbestand der Verwirkung enthält damit
ein zeitliches Moment, nämlich die länger andauernde Untätigkeit des Anspruchsberechtigten, und ein Umstandsmoment, nämlich
ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten und einen hierdurch ausgelösten Vertrauenstatbestand. Jedenfalls letzteres dürfte
in den meisten Fällen nicht gegeben sein, da die schlichte Untätigkeit des anspruchsberechtigten Trägers der Sozialhilfe beim
Ersatzverpflichteten keinen Vertrauenstatbestand schafft. Im Übrigen ist dem Träger der Sozialhilfe auch ein angemessener
Zeitraum für Sachverhaltsermittlungen zuzubilligen. Sofern in der Rechtsprechung erwogen wird, Verwirkung auch ohne vertrauensbedingte
Dispositionen lediglich infolge bloßen Zeitablaufs eintreten zu lassen (vgl. BFH, Entscheidungen v. 08.04.1993 - X B 128/92 - und 24. 6. 1988 - II R 177/85 - jeweils m.w.N.), kann dies vor Ablauf der in § 102 Abs. 4 S. 1 geregelten Frist ohnehin nicht angenommen werden (Bieback
aaO. Rn. 47).
Hier fehlt es für eine Verwirkung zum einen an dem Zeitmoment, zum anderen an dem Vertrauenstatbestand. Der Beklagte musste
zunächst beim Nachlassgericht und beim Finanzamt den Sachverhalt ermitteln, bevor er an die Klägerin herantrat. Diese konnte
nicht darauf vertrauen, dass der Beklagte nach dem umfangreichen Schriftverkehr seit Oktober 2006 den Anspruch nicht mehr
geltend machen wollte.
d) Schließlich ergibt sich eine besondere Härte auch nicht daraus, dass die Klägerin vor dem Tod ihres Ehemannes keine Kenntnis
von einem möglichen zukünftigen Kostenersatzanspruch hatte. Dass künftige Erben vor dem Erbfall keinen Überblick über (mögliche)
Nachlassverbindlichkeiten oder Erbfallschulden haben, stellt keinen atypisch gelagerten Fall mit Ausnahmecharakter dar, sondern
ist häufig anzutreffen. Dies gilt auch dann, wenn ein künftiger Erbe - wie hier - zu Lebzeiten des Erblassers als Betreuer
bestellt war und zumindest über den Wert des Nachlasses informiert war. Aus dem Umstand, dass der Klägerin die Rechtslage
des § 102 SGB XII zur Zeit der Leistungserbringung nicht bekannt war, kann sie keine für sie günstigen Rechtsfolgen ableiten. Der Beklagte
ist nicht verpflichtet, bei jeder Leistungsbewilligung den Leistungsempfänger nach den §§
13-
15 SGB I über eine mögliche spätere Inanspruchnahme zum Kostenersatz "vorzuwarnen".
Die Klägerin hätte ihrer Inanspruchnahme allenfalls bei einer frühzeitigen Übertragung des Miteigentumsanteils des Ehemannes
auf einen begünstigten Beschenkten entgehen können. Dass diese Gestaltungsmöglichkeit nicht gewählt wurde, liegt im allgemeinen
Lebensrisiko der Klägerin.
6. Der Klägerin steht kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Inhalts zu, dass der Beklagte zur Aufhebung der streitgegenständlichen
Bescheide verpflichtet ist. Dabei kann offen bleiben, ob der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin als Betreuerin
ihres Ehemannes über die Kostenersatzpflicht der Erben zu informieren. Selbst bei einer Verletzung einer "zugehenden" (für
eine fehlerhafte, tatsächliche Beratung liegt kein Hinweis vor) Beratungspflicht käme nämlich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
nicht in Betracht, weil die möglicherweise versäumte Disposition der Klägerin - der (teilweise) Verzicht auf Sozialhilfe für
ihren Ehemann nach §
46 Abs.
1 SGB I - nicht mehr nachgeholt werden kann, nachdem die Leistungen gewährt worden sind (BSG, Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 13/03 R; Rolfs, in: Hauck/Noftz,
SGB I, Stand 7/08, § 46 Rn. 19 m.w.N.; vgl. allgemein Ladage, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 31.10.2007 [B 14/11b AS 63/06 R], SGb 2008, S. 613 ff., 615).
7. Dem Beklagten steht gegenüber der Klägerin ein gesamtschuldnerischer Anspruch auf Kostenersatz nach § 102 SGB XII in Höhe von 35.769, 21 EUR zu. Eine Reduzierung dieses Anspruches aus den entsprechend anzuwenden § 105 Abs. 2 SGB XII (Schellhorn aaO. § 102 Rn. 8) kommt nicht in Betracht, weil die an den Erblasser gewährten Soziahilfeleistungen keine Leistungen nach den §§ 27 oder 42 SGB XII waren.
Die Geltendmachung des Kostenersatzes steht nicht im Ermessen des Beklagten, sondern ist von diesem unter den Voraussetzungen
des § 102 SGB XII zwingend geltend zu machen.
Die Frage der Realisierbarkeit des Anspruches (Beleihung der Immobilie, Verwertung, Stundung des Kostenersatzes, Ratenzahlungen)
ist in einem weiteren Schritt zwischen den Beteiligten zu klären, hat aber für das Bestehen des Anspruches keine Auswirkungen
(Ausnahme s.o. bei Identität des Vermögenswertes mit gemeinsamer Erwerbsquelle).
Die Berufung ist nach alledem unbegründet und daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197 a Abs.
1 SGG, §
154 Abs.
2 VwGO. Die Klägerin ist keine nach §
183 SGG kostenprivilegierte Person, weil sie nicht in der Eigenschaft als Versicherte, Leistungsempfängerin oder Sonderrechtsnachfolgerin
klagt, sondern als Erbin in Anspruch genommen wird und sich in dieser Funktion gegen den vom Beklagten geltend gemachten Ersatzanspruch
zur Wehr setzt (vgl. BSG Urteil vom 23.03.2010, Az.: B 8 SO 2/09 R, Rn. 30).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, §
160 Abs.
2 SGG.