Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Leistungsausschluss bei einer Teilzeitausbildung
Gründe:
I. Die im Jahre 1975 geborene, allein stehende Antragstellerin hat bis zum 30. September 2006 die staatliche Fachschule für
Sozialpädagogik Berlin-Charlottenburg in Vollzeit besucht und bis zu diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem Bundesausbildungs-Förderungsgesetz
(
BAföG) erhalten. Zum 1. Oktober 2006 hat sie diese Ausbildung (nach eigenen Angaben aus gesundheitlichen Gründen) abgebrochen.
Auf ihren Antrag vom 14. September 2006 hin bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 9. Oktober 2006 Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 654,38 Euro für die Zeit vom 1. November 2006 bis zum 31. März 2007.
Zum 1. Februar 2007 nahm die Antragstellerin eine Stelle als Erzieherhilfe in berufsbegleitender Ausbildung beim Kindergarten
Aufgepasst, Yvonne Rösel & Judith Bethlehem GbR auf (wöchentliche Arbeitszeit von 31 Stunden bei einer monatlichen Vergütung
von 100 Euro; Anstellungsvertrag vom 25. Oktober 2006). Zugleich begann sie eine berufsbegleitende Erzieherausbildung am Sozialpädagogischen
Institut Walter May. Es handelt sich dabei um eine sechssemestrige theoretische Ausbildung (wovon der Antragstellerin 2 Semester
aus der vorangegangenen Ausbildung angerechnet werden); dabei finden an einem Vor- und einem Nachmittag insgesamt 12 Stunden
Unterricht pro Woche statt. Diesen Sachverhalt teilte die Antragstellerin bereits am 31. Oktober 2006 dem Antragsgegner mit.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2007 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 9. Oktober 2006 mit Wirkung vom 13. Februar 2007 auf.
Die Ausbildung zur Erzieherin sei grundsätzlich förderungsfähig nach dem
BAföG. Die Antragstellerin erfülle die individuellen Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem
BAföG nicht, da sie sich für eine berufsbegleitende Bildungsmaßnahme entschieden habe. Die erste Ausbildung, die nach dem
BAföG gefördert worden sei, habe sie abgebrochen, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu benennen. Bereits vor Aufnahme des berufsbegleitenden
Bildungsganges habe man ihr hiervon abgeraten, weil sie mit dieser Bildungsmaßnahme keinen Anspruch auf
BAföG habe, gleichzeitig aber für eine Vermittlung nicht zur Verfügung stehe. Die Pflichten aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II, alle
Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen, dürften nicht mit einer Teilzeitbildungsmaßnahme
außer Kraft gesetzt werden. Es bestehe nach § 7 Abs. 5 SGB II ab dem 13. Februar 2007 kein Anspruch auf Leistungen nach dem
SGB II. Die eingetretene Überzahlung von 392,63 Euro sei nach § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu erstatten.
Den beim Sozialgericht (SG) Berlin am 23. Februar 2007 gestellten Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, Leistungen fortlaufend weiter zu gewähren,
hat das SG als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ausgelegt und den so verstandenen Antrag mit Beschluss
vom 16. März 2007 abgelehnt. Der angegriffene Aufhebungsbescheid sei offensichtlich rechtmäßig, da die Voraussetzungen für
die Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 SGB X vorlägen. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe mit Aufnahme der Ausbildung wegen § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II
nicht mehr. Die Ausbildung zur Erzieherin sei als schulische Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig. Unerheblich sei,
dass die von der Antragstellerin gewählte Ausbildungsart in berufsbegleitender Ausbildung nach dem
BAföG nicht förderungsfähig sei. Durch den Anspruchsausschluss solle die Grundsicherung für Arbeitssuchende von einer "versteckten"
Ausbildungsförderung freigehalten werden. Dem würde es nicht gerecht, wenn eine Ausbildung nur dann als dem Grunde nach förderungsfähig
anzusehen sei, wenn sie in ihrer konkreten Art und Weise nach dem
BAföG förderungsfähig sei. Ein Fall der besonderen Härte im Sinne des §
7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liege ebenfalls nicht vor.
II. Die statthafte und zulässige Beschwerde (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) hiergegen, der das Sozialgericht (SG) Berlin nicht abgeholfen hat (§ 174
SGG), ist begründet.
Zutreffend hat das SG den Antrag der Antragstellerin dahin ausgelegt, dass einstweiliger Rechtsschutz nach §
86b Abs.
1 SGG begehrt wird. Denn mit dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 9. Oktober 2006 wurde (für den Bewilligungszeitraum vom
1. November 2006 bis zum 31. März 2007) ein Rechtsgrund geschaffen, aus dem die Antragstellerin für die einzelnen Monate tatsächlich
die Auszahlung der von ihr begehrten Leistungen verlangen kann. Wenn der Antragsgegner meint, diese Leistungsgewährung sei
rechtswidrig geworden, weil eine für die Prüfung der Anspruchsberechtigung wesentliche Änderung eingetreten sei, so bedarf
der leistungsbewilligende Bescheid der Rücknahme gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB
II) i. V. m. § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), §
330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III). Die Antragstellerin hat diesen Aufhebungsbescheid mit einem Widerspruch angegriffen, über den bislang nicht entschieden
worden ist. Nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs will die - nunmehr anwaltlich vertretene - Antragstellerin
nach ihrem ausdrücklich im Beschwerdeverfahren (nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts) gestellten Antrag erreichen. Über
Folgezeiträume wird zunächst der Antragsgegner zu entscheiden haben, wobei im Widerspruch gegen die gänzliche Aufhebung der
Leistung auch der Antrag auf Gewährung für Folgezeiträume zu sehen ist.
Gemäß §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Gesetz - wie
hier in § 39 SGB II - die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nicht vorsieht. Mit § 39 SGB II wird die grundsätzliche
Wertung des Gesetzgebers deutlich, bei der Herabsetzung oder dem Entzug von laufenden Leistungen durch die Leistungsträger
des SGB II solle regelmäßig mit sofortiger Wirkung eine Zahlung nicht mehr vorgenommen werden. Dahinter steht die Befürchtung,
dass später eine Realisierung von eingetretenen Überzahlungen wegen des häufig eingetretenen Verbrauchs der Leistungen nur
schwerlich möglich ist. Daher sind im Rahmen der bei der auch nach §
86b Abs.
1 SGG vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, einstweilen von der belastenden Wirkung des
streitigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, und dem im Gesetz zum Ausdruck gekommenen besonderen allgemeinen Vollzugsinteresse
wesentlich die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mit zu berücksichtigen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Auflage 2005, §
86b RdNr. 12 mwN.; Binder in: Hk -
SGG, 2. Auflage 2006, §
86b RdNrn. 13 und 14). Denn an der Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte kann kein - auch gesetzlich angeordnetes
- öffentliches Interesse bestehen; umgekehrt besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Vollziehung eines offensichtlich
rechtmäßigen Verwaltungsaktes. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, so hat eine allgemeine Interessenabwägung
hinsichtlich der Folgen für die jeweiligen Beteiligten bei der Aufrechterhaltung der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung
zu erfolgen.
Die Ansicht des Antragsgegners, mit Aufnahme der Tätigkeit als Erziehungshelferin und der berufsbegleitenden Ausbildung zur
Erzieherin sei eine wesentliche Änderung der leistungsbegründenden Verhältnisse eingetreten, teilt der Senat nicht. Die Voraussetzungen
für eine Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung nach § 48 SGB X haben damit offensichtlich nicht vorgelegen. Der Aufhebungsbescheid stellt sich als rechtswidrig dar.
Leistungen nach §§ 20, 22 SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das
65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragstellerin allesamt (nach
Aktenlage bis heute).
Von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II wird die Antragstellerin nicht erfasst. Danach haben Auszubildende,
deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches dem Grunde nach
förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Schulausbildung, die die Antragstellerin
durchläuft, ist dem Grunde nach aber nach nicht förderungsfähig nach dem
BAföG. Vollständig in Teilzeitform durchgeführte Ausbildungen unterfallen dem Leistungsausschluss nach §
2 Abs.
5 Satz 1
BAföG. Nach dieser Vorschrift kann nur eine solche Ausbildung durch Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert werden, für die die Auszubildenden im allgemeinen, d.h. im Normalfall, ihre Arbeitszeit ganz einsetzen müssen.
Die von der Antragstellerin durchgeführte Teilzeitausbildung mit 12 Wochenstunden entspricht dieser Anforderung nicht. Dabei
bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit als Erzieherhelferin integrierter Teil der Ausbildung
ist und sich eine wöchentliche Ausbildungszeit von mehr als 12 Stunden ergeben könnte. Denn der Arbeitgeber hat keinerlei
Ausbildungsverpflichtungen übernommen und nach dem Ausbildungsvertrag mit der Fachschule ist nicht einmal die Ausübung einer
einschlägigen Tätigkeit (geschweige denn eine begleitende betriebliche Ausbildung) Voraussetzung für die Teilnahme am theoretischen
Unterricht. Der Leistungsausschluss nach §
2 Abs.
5 Satz 1 Halbs. 2
BAföG betrifft nicht lediglich die Förderung im konkreten Falle, sondern die abstrakte Förderungsfähigkeit, wie das Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG) in der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung (Urteil vom 14. Dezember 1994, Buchholz 436.36 §
7 BAföG Nr. 112) ausführlich unter Bezugnahme auf Wortlaut, Regelungszusammenhang, Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Vorschrift
ausgeführt hat.
Es ist schon vom Wortlaut des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nicht erkennbar, dass im SGB II eine davon abweichende Betrachtung
erlaubt wäre. Sie ist überdies nach Sinn und Zweck des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 5 SGB II auch nicht geboten. Eine
Ausbildung, die dem generellen Ausschluss nach §
2 Abs.
5 Satz 1 2. Halbsatz
BAföG unterfällt, ist deshalb nicht förderungsfähig, weil der entsprechende Ausbildungsgang so gestaltet ist, dass er den Auszubildenden
die Möglichkeit belässt, neben der Ausbildung eine Berufstätigkeit auszuüben und so seinen Lebensunterhalt zu sichern. Es
widerspricht dann aber nicht dem Konzept des SGB II, in den Fällen, in denen die Möglichkeit der Aufnahme einer den Lebensunterhalt
(vollständig) sichernden Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung nicht realisiert werden kann, bedürftigkeitsabhängige Leistungen
zu gewähren. Zwar dienen die Leistungen zur Grundsicherung nicht dem Zweck, gleichsam eine Ausbildungsförderung auf zweiter
Ebene sicherzustellen, nachdem die primär dafür vorgesehenen Leistungen nicht mehr gewährt werden können. Finanziert wird
mit Leistungen des SGB II in Fällen einer vollständig in Teilzeit durchgeführten Ausbildung aber nicht in erster Linie die
Ausbildung. Es wird vielmehr das Risiko der Erwerbslosigkeit abgedeckt, das unabhängig von der nur in Teilzeit durchgeführten
Ausbildung besteht.
Nicht entschieden hat der Senat damit die Frage, ob es der Antragstellerin - den künftigen Bezug von Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende vorausgesetzt - zumutbar im Sinne des § 10 SGB II ist, eine andere, angemessen entlohnte Tätigkeit - sei
es als Erzieherhelferin, sei es in einem anderen Berufsfeld - aufzunehmen. Angesichts der ausgesprochen niedrigen Entlohnung
der derzeitigen Tätigkeit liegt dies nahe. Leistungen nach dem SGB II können unter diesem Gesichtspunkt jedoch nur unter den
Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c SGB II abgesenkt werden bzw. ganz wegfallen. Eine Einstellung von Leistungen
nach dem aus dem Recht des
SGB III entnommen Gesichtspunkt der "fehlenden Verfügbarkeit", den der Antragsgegner im Aufhebungsbescheid angesprochen hat, ist
im SGB II nicht vorgesehen. Für eine fehlende Erreichbarkeit im Sinne des § 7 Abs. 4a SGB II ergibt sich ebenfalls kein Anhalt.
Damit spricht alles dafür, dass der Bescheid vom 8. Februar 2007 rechtswidrig ist. Bei diesen Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage
besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides. Die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs war anzuordnen. Da es um die Deckung des existenzsichernden Bedarfs der Antragstellerin geht, ergeben sich
keine Gründe, die für eine gerichtliche Anordnung mit nur eingeschränkter Rückwirkung sprechen würden (vgl. dazu Puttler in
Sodann/Ziekow,
Verwaltungsgerichtsordnung 2. Auflage 2006, §
80 VwGO RdNr. 169).
Der Widerspruch gegen die festgesetzte Erstattungsforderung hat schon Kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Ein Fall des §
39 SGB II in Verbindung mit §
86a Abs.
4 SGG liegt insoweit nicht vor, denn es fehlt der rechtliche Bezug zu den im SGB II normierten Leistungen (Ansprüchen), wenn nach
erfolgter Aufhebung bzw. Rücknahme einer konkreten Leistungsbewilligung die Rückzahlung der geleisteten Geldbeträge vom Empfänger
nach § 50 SGB X verlangt wird (vgl. nur Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 12. Juli 2006 - L 10 B 345/06 AS ER, juris RdNr. 6). Eine gesonderte Feststellung, dass der eingelegte Rechtsbehelf insoweit aufschiebende Wirkung hat,
hält der Senat vorliegend für entbehrlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).