Kein Lauf der Rechtsmittelfrist im sozialgerichtlichen Verfahren bei unzutreffender Belehrung; Kein Anerkenntnis durch Erlass
eines Widerspruchsbescheids im Untätigkeitsklageverfahren
Gründe:
I.
Die Klägerin hat mit ihrer Untätigkeitsklage das Begehren verfolgt, den Widerspruch der Klägerin vom 17. Januar 2012 gegen
den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2012 zu bescheiden, und ist dabei der Auffassung, dass das Verfahren durch angenommenes
Anerkenntnis in der Hauptsache erledigt ist.
Am 18. April 2012 hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten beim Sozialgericht Cottbus Untätigkeitsklage erhoben
und beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, auf den Widerspruch der Klägerin vom 17. Januar 2012 gegen den Bescheid der Beklagten vom
12. Januar 2012 hinsichtlich des Antrages auf Darlehen zur Tilgung der Mietschulden eine Entscheidung zu erlassen,
2. der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schreiben vom 19. November 2013 erklärt, er nehme das Anerkenntnis der Beklagten
ausdrücklich an. Es sei nunmehr geklärt, dass die vorbehaltlose Erfüllung des geltend gemachten Bescheidungsanspruchs ein
Anerkenntnis des mit der Untätigkeitsklage geltend gemachten Bescheidungsanspruchs darstelle (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil
vom 25.06.2013, L 28 AS 1754/12). "Einer Umdeutung in eine Erledigungserklärung wird ausdrücklich widersprochen." Zugleich wurde beantragt, dass der Beklagte
die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten habe.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2013 führte der Bevollmächtigte der Klägerin auf Hinweise des Sozialgerichts zur beabsichtigten
Kostenentscheidung und seiner Auslegung des Schreibens der Klägerin dahingehend, dass damit jedenfalls das Verfahren beendet
werden sollte, aus, eine Beendigung liege nur vor, wenn auch das Gericht von einer Erledigung durch angenommenes Anerkenntnis
ausgehe. Da dies erfahrungsgemäß nicht der Fall sei, sei das Verfahren nicht beendet und folglich fortzusetzen.
Die Beklagte hat eine Übernahme der Kosten abgelehnt.
Mit Beschluss vom 7. Januar 2014 hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Rechtsstreit beendet sei, und entschieden, dass
die Beklagte keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe. Die Beteiligten würden nur noch über die Kostenerstattung
bei einer Untätigkeitsklage streiten. Das Verfahren sei beendet. Die Klägerin habe dies mehrfach erklärt und Kostenantrag
gestellt. Zudem sei der begehrte Bescheid längst erlassen. Diese Kostenentscheidung sei gemäß §
172 Abs
3 Nr
3 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2014 hat die Klägerin anwaltlich die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und diesen Antrag
nach am 10. Februar 2015 beim Sozialgericht eingelegter Beschwerde gegen den am 7. Februar 2014 zugestellten Beschluss mit
Schreiben vom 14. Februar 2015 zurückgenommen. Ihre Beschwerde begründet die Klägerin damit, dass die Klage zwar materiell,
nicht aber prozessual erledigt sei. Zwar gehe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin von einer Erledigung durch angenommenes
Anerkenntnis aus. Ein solches Anerkenntnis bestreite die Beklagte jedoch, so dass Streit über die Beendigung des Verfahrens
bestehe. Das Sozialgericht habe in seinem Beschluss nicht die Frage unbeantwortet lassen dürfen, worin es die prozessuale
Erledigung erblicke. Schlichtweg rechtsirrig sei die Auffassung, die Erledigung folge daraus, dass ein Kostenantrag gestellt
worden sei. Kostenanträge würden typischerweise zusammen mit dem Hauptsacheantrag formuliert. Darin jedes Mal eine Erledigung
anzunehmen, sei absurd.
Die Beklagte hält unabhängig von der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde diese jedenfalls aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidung für unbegründet. Für die Fortsetzung des Rechtsstreites fehle ein Feststellungsinteresse und ein Rechtsschutzbedürfnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten
und auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Bände V und VI), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerde ist gemäß §
172 Abs
1 SGG statthaft.
"(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser
Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.
(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse
über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen
und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen 1. in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung
der Zulassung bedürfte, 2. gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn a) das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen
Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, b) in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder c) das
Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist, 3. gegen Kostengrundentscheidungen
nach § 193, 4. gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des
Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt."
Der Beschluss ist kein Urteil im Sinne von Absatz 1 der Regelung. Es liegt auch keine Verfügung oder ein Beschluss im Sinne
der Absätze 2 und 3 vor. Der Beschluss verlautbart zwei Verfügungssätze, zum einen über die Beendigung des Rechtsstreites
und zum anderen eine Kostengrundentscheidung. Die Auslegung des Beschlusses ergibt, dass beide Verfügungssätze eigenständige
Bedeutung haben und nicht untrennbar verknüpft allein eine Kostengrundentscheidung zum Inhalt haben, wie es der Hinweis auf
die Unanfechtbarkeit im letzten Satz des Beschlusses suggerieren könnte. Dies gilt jedenfalls aus Sicht eines objektiven,
mit dem konkreten Verfahren vertrauten Adressaten, wenn die Prozesssituation berücksichtigt wird, in welcher der Beschluss
erging und die eine Klärung der im ersten Verfügungssatz geregelten Beendigung des Rechtsstreites verlangte. Die Klägerin
hatte anwaltlich vertreten ausdrücklich vorgetragen, dass Erledigung nur angenommen werden könne, wenn ihre Erklärung tatsächlich
durch Annahme eines Anerkenntnisses den Rechtsstreit beende, nicht aber durch einen anderen Erledigungsvorgang. Dem sind Beklagte
und das Sozialgericht nicht gefolgt, weshalb Streit über den Eintritt der Erledigung bestand, der einer Klärung bedurfte.
Diese Klärung erfolgte mit dem ersten Verfügungssatz. Zudem schließen die herausgehobene Stellung dieses Verfügungssatzes
an erster Stelle von beiden Verfügungssätzen und abgehoben von den Gründen, die auf diesen Ausspruch zudem Bezug nehmen, die
Annahme aus, der erste Verfügungssatz könnte keine vom zweiten Verfügungssatz unabhängige Bedeutung haben. Der erste Verfügungssatz
istkeine Kostengrundentscheidung nach §
172 Abs
3 Nr
3 SGG.
Ein Fall des Beschwerdeausschlusses nach §
102 Abs
3 Satz 2
SGG liegt ebenfalls nicht vor, weil kein Fall der Klagerücknahme vorliegt (dazu unten).Das demnach statthafte Rechtsmittel der
Beschwerde wurde ausdrücklich von der Klägerin eingelegt.
Die Beschwerdefrist wurde gewahrt, obwohl die Monatsfrist bei Einlegung der Beschwerde verstrichen war, denn gemäß §
66 Abs
1 und Abs
2 Satz 1 letzter Teilsatz
SGG begann die reguläre Rechtsmittelfrist wegen unzutreffender Belehrung nicht zulaufen (Absatz 1) und hatte den Inhalt, dass
ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei, so dass selbst die Jahresfrist nach §
66 Abs
2 Satz 1
SGG nicht maßgeblich wurde.
Entgegen §
66 Abs
1 SGG wurde eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur nicht erteilt. Vielmehr erfolgte der schriftliche Hinweis, dass ein Rechtsbehelf
nicht gegeben sei. Der letzte Satz des Beschlusses hat den Inhalt, dass "diese Kostengrundentscheidung" nicht mit der Beschwerde
anfechtbar sei. Sie hatte angesichts des Wortlautes aus Sicht eines objektiven, mit dem konkreten Verfahren vertrauten Adressaten
den gesamten Beschluss zum Gegenstand und beschränkte sich daher nicht nur auf dessen zweiten, sondern auch auf den ersten
Verfügungssatz. Daher ist nicht davon auszugehen, dass für den ersten Verfügungssatz eine Rechtsmittelbelehrung schlicht unterblieben
ist, was die Jahresfrist auslösen würde. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass die Auslegung des Beschlussinhalts zwei
Verfügungen ergeben hat, die nicht als eine einzige Kostengrundentscheidung zu bewerten sind. Die insoweit bestehende Widersprüchlichkeit
lässt sich angesichts der Fehlerhaftigkeit der Mitteilung zu möglichen Rechtsbehelfen nicht durch Auslegung auflösen. Vielmehr
kommt dem Umstand maßgebliches Gewicht bei, dass nach der Formulierung ("diese Kostengrundentscheidung") der Eindruck vermittelt
wird, es stehe insgesamt kein Rechtsbehelf zur Verfügung. Unter diesen Umständen lief keine Rechtsmittelfrist. Angesichts
des Prozessverlaufs mit dem Begehren der Klägerin, den Rechtsstreit fortzusetzen, lässt sich auch eine Verwirkung des Rechtsmittels
nicht annehmen.
Die Beschwerde wurde gemäß §
173 Satz 1
SGG formgerecht eingelegt. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich
oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen (§
173 Satz 1
SGG). Schriftlich bedeutet, dass die Beschwerde durch eigenhändig unterschriebenen Schriftsatz als Original oder telegrafisch,
fernschriftlich oder im Wege der Telekopie, also auch durch Tele- oder Computerfax, übermittelt wird (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer:
SGG, 11. Auflage, §
173 RdNr 3, §
151 RdNr 3c, 3d und 3e). Die Beschwerde der Klägerin wahrt diese Form, denn sie ist beim Sozialgericht Cottbus mittels Computerfax
am 10. Februar 2015 eingelegt worden und trägt die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin.
Ein Rechtsschutzinteresse besteht für die Beschwerde, denn der durch den Beschluss vermittelte Rechtsschein einer Beendigung
des Rechtsstreites ist angesichts der schlüssigen Behauptung der Klägerin, der Rechtsstreit sei nicht beendet, zu beseitigen,
wenn sich die Behauptung als zutreffend erweisen sollte.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Untätigkeitsklage ist nicht durch angenommenes Anerkenntnis und auch nicht in anderer Weise durch eine Prozesserklärung
der Klägerin in der Hauptsache erledigt. Das Klageverfahren ist damit fortzuführen und grundsätzlich durch Urteil zu beenden.
Eine Erledigung der erhobenen Untätigkeitsklage ist nicht eingetreten.
Die Klägerin hat eine Untätigkeitsklage im Sinne von §
88 SGG sowohl ausdrücklich der Bezeichnung nach als auch entsprechend ihrem Begehren auf Verurteilung der Beklagten zum Erlass einer
Entscheidung auf ihren Widerspruch erhoben. Nach §
88 Abs
1 Satz 1
SGG ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig, wenn ein Antrag
auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist. Liegt
ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren
bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann (Satz 2). Wird innerhalb dieser Frist dem Antrag
stattgegeben, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären (Satz 3). Das gleiche gilt nach §
88 Abs
2 SGG, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei
Monaten gilt.
Nach Erteilung des Widerspruchsbescheides hat die Klägerin nicht, wie §
88 Abs
1 Satz 3
SGG dies ausdrücklich für die Fälle der Fristsetzung nach Satz 2 vorsieht, die Hauptsache für erledigt erklärt.
Ist die Untätigkeitsklage nach Ablauf der Sperrfrist (im Falle eines Widerspruches von drei Monaten) erhoben und ergeht ein
Bescheid (im Falle eines Widerspruches ein Abhilfebescheid), der dem Widerspruch stattgibt, oder ein Widerspruchsbescheid,
einerlei ob vom Gericht eine Frist gesetzt worden ist oder nicht, ist die Hauptsache für erledigt zu erklären. Die einseitige
Erledigungserklärung des Klägers ist dabei ausreichend, denn das
SGG gibt dem Kläger auch die Möglichkeit, seine Klage einseitig (§
102 SGG) mit der Folge zurückzunehmen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Gibt der Kläger eine solche Erledigungserklärung
nicht ab (und nimmt auch seine Untätigkeitsklage nicht zurück), ist die Klage als unzulässig abzuweisen, weil kein Rechtsschutzbedürfnis
mehr gegeben ist, denn den mit der Untätigkeitsklage begehrten Bescheid hat er erhalten. Der Kläger kann allerdings zur Fortsetzungsfeststellungsklage
nach §
131 Abs.
1 Satz 3
SGG übergehen (Leitherer aaO. §
88 RdNr
11). Der Kläger kann aber auch innerhalb der Klagefrist des §
87 Abs.
1 SGG zur Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage übergehen, wenn ein (für ihn ungünstiger) Widerspruchsbescheid ergangen ist (Leitherer
ebd RdNr 12a). Sieht man die Untätigkeitsklage des §
88 SGG nicht ausschließlich als eine Bescheidungsklage an (so jedoch die g.h.M.: vgl. Leitherer ebd RdNr. 9b) oder ist der Kläger
ausnahmsweise nicht auf eine (reine) Bescheidungsklage beschränkt, kann der Kläger, auch ohne dass eine Klageänderung vorläge,
seine Untätigkeitsklage auf eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage umstellen. Macht der Kläger davon keinen Gebrauch,
wird also die Untätigkeitsklage weiterverfolgt, ist sie mangels Rechtsschutzbedürfnisses ebenfalls als unzulässig abzuweisen,
denn den mit der Untätigkeitsklage begehrten Bescheid hat er erhalten.
Eine Erledigungserklärung liegt nicht vor. Die Klägerin hat ausdrücklich erklärt, eine solche nicht abgeben zu wollen. Die
Untätigkeitsklage ist auch nicht in anderer Weise durch eine Prozesserklärung des Klägers in der Hauptsache erledigt worden.
Ein angenommenes Anerkenntnis i.S.d. §
101 Abs
2 SGG liegt nicht vor. Es fehlt bereits an einem Anerkenntnis.
§
101 Abs
2 SGG bestimmt, dass das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.
Beim Anerkenntnis handelt es sich um eine Prozesshandlung, die den Anforderungen an eine solche genügen muss (Leitherer aaO.,
§ 101 RdNr 21). Eine Prozesshandlung ist eine vom Willen getragene Erklärung, die als prozessgestaltende Betätigung auf einen
bestimmten Erfolg gerichtet ist; eine solche Erklärung kann auch durch schlüssiges Verhalten geäußert werden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer:
SGG, 11. Aufl., vor §
60 RdNr 10 und 11a). Das Anerkenntnis stellt das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis dar, dass
der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht. Es ist gegenüber dem Gericht, nicht gegenüber dem Kläger
abzugeben. Ob ein Anerkenntnis gewollt ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (Leitherer aaO. § 101 RdNr 20 und 21 mwN).
Die Annahme des Anerkenntnisses ist gleichfalls Prozesshandlung. Sie muss vom Kläger erklärt werden (Leitherer ebd RdNr 22).
Als Prozesshandlung muss sie gegenüber dem Gericht abgegeben werden. Ob eine Annahme vorliegt, kann sich mittels Auslegung
ergeben.
Die Beklagte hat ein Anerkenntnis zum mit der Klage geltend gemachten Anspruch weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten
abgegeben.
Weder die Erteilung des Widerspruchsbescheides, noch die Mitteilung der Beklagten gegenüber dem Sozialgericht, dass der Widerspruch
beschieden worden sei, stellen ein Anerkenntnis dar.
Der Erlass des Widerspruchsbescheides kann nicht als Anerkenntnis ausgelegt werden. Es handelt sich - bezogen auf den Prozessgegenstand
- um die Vornahme einer tatsächlichen, das Prozessbegehren erfüllenden Handlung und damit prozessrechtlich um einen Realakt
und nicht um eine prozessuale Willenserklärung.
Die prozessuale Willenserklärung ist eine Willensäußerung, die auf die Erzielung einer konkreten prozessrechtlichen Rechtsfolge
gerichtet ist. Realakte sind Handlungen, an welche die Rechtsordnung unabhängig von einem entsprechenden Willen des Handelnden
Rechtsfolgen knüpft. Im Gegensatz zu den Willenserklärungen, bei denen der Rechtserfolg eintritt, weil er gewollt ist, schließen
sich an Realakte die Rechtswirkungen an, gleichgültig ob sie vom Handelnden gewollt oder nicht gewollt sind. Erfüllender Realakt
und prozessuale Willenserklärung schließen mithin einander aus (vgl. BSG, Urteil vom 23.10.2003, B 4 RA 27/03 R; Beschluss vom 27.06.2012, B 6 KA 65/11 B).
Die Erteilung eines Widerspruchsbescheides, auch wenn sie inhaltlich als Verwaltungsakt selbstverständlich eine Erklärung
darstellt, ist prozessrechtlich schlicht die Erfüllung des prozessualen Begehrens, das bei der Untätigkeitsklage eben auf
Abgabe einer Behördenerklärung gerichtet ist, und daher prozessrechtlich als tatsächliche Handlung ein erfüllender Realakt,
nicht jedoch prozessuale Willenserklärung und somit keine Prozesshandlung. Die mit der Erteilung des Widerspruchsbescheides
eintretende Rechtsfolge, der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers für die Untätigkeitsklage durch die Erfüllung
des prozessualen Verlangens, tritt tatsächlich ein, ohne dass dieser Effekt vom Willen der Behörde abhängig wäre. Wegen der
Erfüllung des Prozessbegehrens kann ein Anerkenntnisurteil nicht mehr ergehen. Auch dieser Umstand spricht gegen eine Auslegung,
der Akt der Erfüllung ließe sich als Prozesserklärung eines vernünftigen Prozessbeteiligten auslegen, die - bei fehlender
Annahme - ein Anerkenntnisurteil ermöglichen würde.
Mithin kann in der Erteilung des Widerspruchsbescheides, ohne zu den Gründen der Untätigkeit etwas vorzutragen, ebenfalls
kein Anerkenntnis enthalten sein. Stellt die Erteilung des Widerspruchsbescheides schon keine prozessuale Willenserklärung
dar, kann eine solche erst recht nicht in einem Schweigen, insbesondere zu den Gründen der Untätigkeit, enthalten sein.
Ungeachtet dessen wurde der Widerspruchsbescheid unmittelbar gegenüber der Klägerin bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten erteilt,
so dass ein Anerkenntnis schon deswegen ausscheidet, weil die Handlung nicht gegenüber dem Gericht vorgenommen worden ist.
Die Mitteilung des Erlasses des Widerspruchsbescheides "zur Kenntnisnahme" an das Sozialgericht enthielt keine prozessuale
Erklärung gegenüber dem Gericht, sondern hatte ebenfalls reinen tatsächlichen Charakter, nämlich die bloße Kenntnisverschaffung
beim Sozialgericht über Aspekte der tatsächlichen Entwicklung, die Bezug zum Streitgegenstand hatten. Es ist nicht erkennbar,
dass die Beklagte damit eine unmittelbare Folge für das Prozessrechtsverhältnis setzen wollte. Sie hat noch nicht einmal eine
Rechtsansicht zum Fortbestand der Klageforderung geäußert.
Fehlt es somit an einem Anerkenntnis der Beklagten, kann die vom Kläger erklärte Annahme eines nicht existierenden Anerkenntnisses
den Rechtsstreit in der Hauptsache, also den mit der Untätigkeitsklage geltend gemachten Anspruch, nicht nach §
101 Abs
2 SGG erledigt haben.
Die rechtlich unwirksame Annahmeerklärung des Klägers ist vorliegend auch nicht als Klagerücknahme auslegungsfähig.
Eine Klagerücknahme braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden. Sie ist auch konkludent möglich. Allerdings muss die Klagerücknahme
eindeutig sein (BSG, Urteil vom 12.06.1992, 11 RAr 139/90). Bei Unklarheit muss das Gericht für eine eindeutige Erklärung sorgen (Leitherer aaO., § 102 RdNr 7b). Ebenso wie die Annahme
eines Anerkenntnisses ist die Klagerücknahme (bzw. die einseitige Erledigungserklärung) Prozesshandlung und auf die Erledigung
der Hauptsache gerichtet. Beide Rechtsinstitute unterscheiden sich dabei lediglich darin, dass dieser Erfolg im letztgenannten
Fall durch eine einseitige Willenserklärung herbeigeführt wird, während im erstgenannten Fall eine zuvor geäußerte inhaltlich
übereinstimmende Erklärung des Prozessgegners erforderlich ist. Angesichts dessen stehen regelmäßig der Auslegung einer unwirksamen
Annahme eines Anerkenntnisses in eine wirksame Klagerücknahme (bzw. einseitige Erledigungserklärung) keine Bedenken entgegen.
Dies gilt allerdings eingeschränkt, wenn ein rechtskundig vertretener Kläger eine bestimmte Art einer Erklärung wählt, mit
der das damit verfolgte Ziel nicht erreicht werden kann. Insbesondere bei einem durch einen Rechtsanwalt vertretenen Kläger,
ist grundsätzlich davon auszugehen, dass einem Rechtsanwalt die Unterschiede zwischen der Annahme eines Anerkenntnisses und
einer Klagerücknahme (bzw. einer einseitigen Erledigungserklärung) und insbesondere auch §
88 Abs
1 Satz 3
SGG, wonach nach Erlass des Widerspruchsbescheides die Hauptsache für erledigt zu erklären ist, bekannt sind. Weicht ein solcher
Kläger mit der von ihm gewählten Art der Erklärung von der üblichen bzw. der im Gesetz vorgesehenen Erklärung ab, kann nicht
ohne Weiteres unterstellt werden, es handele sich dabei um ein (unbeachtliches) Versehen. Vielmehr ist, wenn mit der gewählten
Art der Erklärung das vom Kläger ersichtlich angestrebte Ziel nicht zu erreichen ist, bei einer solchen Unklarheit eine eindeutige
Erklärung zur Klarstellung herbeizuführen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass ein solcher Kläger, aus welchen
Gründen auch immer, nur die von ihm gewählte Erklärung, vorliegend also die Annahme des Anerkenntnisses, nicht jedoch eine
andere Erklärung, nämlich eine Klagerücknahme (bzw. eine einseitige Erledigungserklärung), hat abgeben wollen. Solange diese
Unklarheit besteht, ist die Auslegung einer unwirksamen Annahme eines Anerkenntnisses in eine Klagerücknahme (bzw. einseitige
Erledigungserklärung) mangels Eindeutigkeit ausgeschlossen. Kein Spielraum für eine Auslegung verbleibt, wenn der rechtskundig
vertretene Kläger seine Erklärung von vornherein oder klarstellend später mit der Bestimmung versieht, dass eine andere Auslegung
oder ein Umdeutung ausgeschlossen würden.
Im vorliegenden Fall hat der Rechtsanwalt der Klägerin ausdrücklich ein erklärtes Anerkenntnis angenommen und ebenfalls ausdrücklich
erklärt, eine Erledigungserklärung nicht abzugeben und einer Umdeutung zu widersprechen. Damit ist einer Auslegung als Erledigungserklärung
oder Klagerücknahme der Boden entzogen. Unter diesen Umständen fehlt es an einer wirksamen prozessbeendenden Erklärung, so
dass der Rechtsstreit nicht beendet wurde. Ob der Kläger davon ausgeht, dass der Rechtsstreit beendet sei, ist unerheblich,
denn allein eine unzutreffende Rechtsansicht darüber (und deren ggf wiederholte Äußerung) führt noch nicht zur Beendigung
eines Verfahrens.
Auch in der in der Beschwerdeschrift getätigten Äußerung, die Klage sei zwar materiell, nicht aber prozessual erledigt, kann
eine Erklärung zur Beendigung des Rechtsstreites nicht erblickt werden. Ihr fehlt insofern schon von ihrem Erklärungsgehalt
ein Wille, den Rechtsstreit beenden zu wollen.
In dem Antrag, das Verfahren fortzusetzen, zugleich eine Klagerücknahme (einseitige Erledigungserklärung) zu sehen, was auch
das Sozialgericht zutreffend nicht erwogen hat, scheidet ebenfalls aus, denn die eine Erklärung würde mit der anderen Erklärung
in Widerspruch stehen.
Im Rahmen ihrer Untätigkeitsklage stellt die Klägerin allerdings keinen Sachantrag mehr. Weder hat sie Klage gegen den Widerspruchsbescheid
erhoben noch die Untätigkeitsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Selbst die Feststellung, dass der Rechtsstreit
durch angenommenes Anerkenntnis erledigt sei, wird nicht begehrt. Ohne einen Sachantrag ist eine Untätigkeitsklage wie jede
andere Klage zwar wegen eines essentiellen Mangels unzulässig (Leitherer aaO., § 92 RdNr 17). Allerdings kommt eine Auslegung
auch dieses Umstandes als Klagerücknahme oder Erledigungserklärung nicht in Betracht, wenn sie dem Willen des Klägers widerspricht,
denn eine mögliche Auslegung findet am tatsächlich erklärten oder mutmaßlichen Willen des Klägers seine Grenze. §
123 SGG ist Ausdruck der Dispositionsmaxime (Keller aaO., §
123 RdNr 1), so dass ohne oder sogar gegen seinen Willen auch eine unzulässige Klage nicht durch Auslegung als Klagerücknahme
behandelt werden darf.
Besteht Streit darüber, ob ein angenommenes Anerkenntnis, ein Vergleich oder eine Klagerücknahme wirksam sind, ist das Verfahren
fortzuführen und bei Wirksamkeit des angenommenen Anerkenntnisses, des Vergleiches oder der Klagerücknahme grundsätzlich durch
Urteil festzustellen, dass der Rechtsstreits durch angenommenes Anerkenntnis, durch Vergleich oder durch Klagerücknahme (bzw.
einseitige Erledigungserklärung) beendet ist (Leitherer aaO., § 101 RdNr 24, RdNr 17a, § 102 RdNr 12). Im Übrigen ist über
die Klage bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen inhaltlich zu entscheiden. Liegen die Prozessvoraussetzungen nicht vor,
ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Nur so kann der Kläger eine Entscheidung darüber erreichen, ob der Rechtsstreit erledigt
wurde.
Ist jedoch das fortzusetzende Verfahren durch Urteil bzw Gerichtsbescheid zu beenden, zeigt dies zugleich, dass über dieselbe
Frage, ob der Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis oder durch eine andere Prozesserklärung erledigt ist, nicht (daneben)
in einem Beschwerdeverfahren gegen einen Beschluss entschieden werden kann (vgl. BFH, Beschluss vom 09.05.1972, IV B 99/70, zitiert nach juris, und BFH, Beschluss vom 19.01.1972, II B 26/69, zitiert nach juris, jeweils zu einem Einstellungsbeschluss). Der Beschluss ist daher aufzuheben, so dass das Sozialgericht
anschließend über die Untätigkeitsklage durch Urteil bzw. Gerichtsbescheid zu entscheiden haben wird (vgl. auch BFH, aaO.),
sofern keine Beendigung im Rahmen der Disposition der Beteiligten erfolgen sollte.
Entsprechend dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung bleibt die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens
der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. BFH, Beschluss vom 09.05.1972, aaO.). Die im vorliegenden Fall mit
dem Verfügungssatz zur Beendigung der Hauptsache verbundene Kostenentscheidung ist mit der Aufhebung der Hauptsacheentscheidung
zu kassieren.
Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§
177 SGG).