Gründe
Die am 4. Juni 2021 eingegangene Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. Mai
2021 ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht das Begehren der Antragstellerin vollständig
abgelehnt, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruches gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Februar 2021 anzuordnen,
mit welchem gegen die Antragstellerin als Betreiberin der Cafés „K“ und „L“ Nachforderungen zur Sozialversicherung für die
Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Dezember 2017 in einer Gesamthöhe von 139.025,88 EUR festgesetzt wurden, wovon 94.141,38
EUR auf Beitragsforderungen und 44.884,50 EUR auf Säumniszuschläge entfallen. Nach Erlass des zurückweisenden Widerspruchsbescheides
vom 3. Juni 2021 und anschließender Klageerhebung möchte die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren erreichen, dass der Senat
den angefochtenen Beschluss aufhebt und die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 18.
Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2021 anordnet.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist gemäß §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässig. Denn Widerspruch und Anfechtungsklage haben gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG keine aufschiebende Wirkung, wenn – wie im vorliegenden Fall – Beiträge einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten
nachgefordert werden.
Der Antrag ist auch begründet, soweit Beiträge zur Sozialversicherung sowie Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Dezember
2015 bis zum 30. April 2017 nachgefordert werden. Insoweit überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollziehungsinteresse
der Antragsgegnerin.
Aus dem bereits vom Gesetzgeber grundsätzlich geregelten Vorrang des Vollziehungsinteresses folgt zugleich, dass regelmäßig
nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Interesse an der aufschiebenden Wirkung begründen
können, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs als zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Insoweit müssen ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen, um entgegen dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Gesetzgebers
das Aussetzungsinteresse höher zu gewichten. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten geringer, je schwerer
die angefochtene Entscheidung wirkt. Insofern ist neben den wirtschaftlichen Verhältnissen in die Abwägungsentscheidung auch
einzustellen, ob die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche
Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Januar 2021, L 28 BA 68/20 B ER, Rn. 2; hier und nachfolgend alles zitiert nach JURIS).
Nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bestehen
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Beiträge und Säumniszuschläge für
die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017. Bezüglich der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 ist der
angefochtene Bescheid jedoch rechtmäßig.
Er wurde in Übereinstimmung mit § 24 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) nach vorheriger schriftlicher Anhörung erlassen. Hierbei wurde der Antragstellerin nochmals die Möglichkeit eingeräumt,
für alle Arbeitnehmer vollständige und prüffähige Entgeltaufzeichnungen und sonstige sozialversicherungsrechtlich relevante
Unterlagen vorzulegen.
Die Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides kann nur in § 28p Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 des
Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB IV) liegen. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen
Pflichten nach dem
SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die
Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§
28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht
und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich
der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.
Dem angefochtenen Bescheid steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin keine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin vor
Ort vorgenommen hat. Sie durfte das Ergebnis der vom Hauptzollamt durchgeführten Ermittlungen zu Grunde legen und auf dieser
Grundlage die Prüfung nach § 28p
SGB IV durchführen und durch Verwaltungsakt abschließen. Das Gesetz schreibt in § 28p
SGB IV keinen zwingenden Ort für die Durchführung der Betriebsprüfung vor. Die Behörde bestimmt nach den §§ 20 Abs. 1 Satz 2, 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X Art und Umfang der Ermittlungen und nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen die Beweismittel. Reichen die vom Hauptzollamt ermittelten
Umstände aus, kann sie sich hierauf beschränken und die Betriebsprüfung mit einem Prüfungsbescheid abschließen (Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Februar 2021, L 28 BA 2/21 B ER, Rn. 18; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. März 2021, L 8 BA 36/20 B ER, Rn. 25; Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27. Oktober 2020, L 7 BA 15/19 B ER, Rn. 59; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juni 2017, L 10 R 592/17, Rn. 19 ff.; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 22. April 2016, L 1 KR 228/11, Rn. 31).
Dass die Antragsgegnerin den angefochtenen Bescheid als sogenannten Summenbescheid nach §
28f Abs.
2 Satz 1 bis Satz 4
SGB IV erlassen hat, ist nur hinsichtlich der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift
kann der prüfende Rentenversicherungsträger den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung
von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen, wenn ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht
nicht ordnungsgemäß erfüllt und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden
können. Das gilt aber nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge
nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger
der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln
kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche
Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen.
Die Regelung des §
28f Abs.
2 Satz 1
SGB IV eröffnet eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Feststellung der Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Prüfbescheid
personenbezogen zu erfolgen hat (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2015, B 12 R 11/14 R, Rn. 18; Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R, Rn. 19). Die Regelung bezweckt, Einnahmeverluste der Sozialkassen infolge einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht zu vermeiden
und auszuschließen, dass Arbeitgeber mittels einer Aufzeichnungspflichtverletzung Wettbewerbsvorteile erlangen könnten (vgl.
Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R, Rn. 18; Werner, in Schlegel/Voelzke,
SGB IV, Stand Februar 2022, §
28f Rn. 43).
Die Voraussetzungen für einen Summenbescheid unterliegen der vollen gerichtlichen Überprüfung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil
vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R, Rn. 28). Maßgeblich ist hierbei die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung, hier also bei
Erlass des Widerspruchsbescheides. Einer späteren Änderung der Sachlage ist nach den allgemeinen Regeln nicht durch eine Aufhebung
des angefochtenen früheren Bescheides im Wege der Anfechtungsklage, sondern allenfalls durch dessen teilweisen Widerruf Rechnung
zu tragen (Bundessozialgericht, Beschluss vom 4. April 2018, B 12 R 38/17 B, Rn. 38-39; Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R, Rn. 28).
Die Antragstellerin hat ihre Aufzeichnungspflicht hinsichtlich der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 nicht ordnungsgemäß
erfüllt (§
28f Abs.
2 Satz 1
SGB IV). Ein Arbeitgeber hat gemäß §
28f Abs.
1 Satz 1
SGB IV für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich des
SGB IV in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p
SGB IV) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Dabei steht einer unzureichenden oder fehlenden Dokumentation sowohl eine
Nichtvorlage gegebenenfalls ordnungsgemäß geführter Aufzeichnungen als auch eine unterbliebene Mitwirkung gleich (Bundessozialgericht,
Urteil vom 4. September 2018, B 12 R 4/17 R, Rn. 21). Auf ein Verschulden des Arbeitgebers kommt es nicht an (Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember 2015, B
12 R 11/14 R, Rn. 55; Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R, Rn. 22).
Nach diesen Maßgaben wurde hier die Aufzeichnungspflicht dadurch verletzt, dass die Antragstellerin keine vollständigen Entgeltaufzeichnungen
bezüglich sämtlicher Mitarbeiter für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 vorlegte. Als Ergebnis der Ermittlungen
durfte die Antragsgegnerin hier zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides festhalten, dass die Cafés der Antragstellerin
jedenfalls ab dem 1. Mai 2017 regelmäßig an allen Tagen der Woche durchgehend 24 Stunden geöffnet waren und im Drei-Schicht-System
mit jeweils mindestens einem Mitarbeiter je Schicht betrieben wurden, so dass die Antragstellerin allein mit den zur Sozialversicherung
gemeldeten Arbeitnehmern und den gemeldeten Arbeitsentgelten den Geschäftsbetrieb der betroffenen Cafés nicht aufrechterhalten
konnte. Das folgt zunächst aus den sichergestellten Dienstplänen für die Monate Mai, August und September 2017, aus denen
sich die genannten Öffnungszeiten und Schichten ergeben. Zudem kann sich die Antragsgegnerin auf die Aussage des Zeugen B
vom 4. September 2018 stützen. Dieser war zwar nach eigenen Angaben nur in den Monaten Februar bis Mai 2018 in dem ebenfalls
von der Antragstellerin betriebenen Café „S B“ beschäftigt, sagte aber aus, dass alle vier Cafés der Antragstellerin an allen
Tagen der Woche durchgehend geöffnet gewesen seien. Auch der Zeuge A K, der am 29. Oktober 2017 angab, seit dem 26. April
2017 in dem Café „S B“ beschäftigt gewesen zu sein, bestätigte die durchgehenden Öffnungszeiten dieser Gaststätte. Für Zweifel
an der Glaubhaftigkeit dieser Angaben bestehen keine Anhaltspunkte. Darüber hinaus war anhand gefundener Zahlungsbelege festzustellen,
dass fünf Beschäftigte der Antragstellerin im Oktober 2017 entgegen der Meldung zur Sozialversicherung ein deutlich höheres
als das gemeldete Arbeitsentgelt im Wege der Barzahlung erhalten hatten, so dass Schwarzarbeit im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) vorliegt. Insoweit sagte auch der Zeuge M, der nach eigenen Angaben seit dem 7. September 2016 im Café „S B“ gearbeitet
hatte, am 30. Oktober 2017 aus, dass er für seine wöchentlich geleisteten 40 Arbeitsstunden eine monatliche Überweisung von
150,00 EUR und den Rest als Barzahlung erhalten habe. Zudem gab der Zeuge B an, er habe lediglich einen Stundenlohn von 6,00
EUR bekommen und dabei gewusst, dass das nicht der gesetzliche Mindestlohn gewesen sei. Das monatliche Arbeitsentgelt habe
er jeweils am Ende des Monats in einem Briefumschlag erhalten. Eine Entgeltabrechnung sei jedoch nie ausgestellt worden. Zusammenfassend
lagen jedenfalls ab dem 1. Mai 2017 breit angelegte Aufzeichnungspflichtverletzungen der Antragstellerin vor, die auf ein
planvolles, der vorsätzlichen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen dienendes Vorgehen mit erheblicher krimineller
Energie hindeuten, so dass die Antragsgegnerin jedenfalls schlussfolgern durfte, dass die hier betroffenen Cafés seit dem
genannten Zeitpunkt mit durchgehenden Öffnungszeiten betrieben wurden. Soweit die Antragstellerin mit eidesstattlicher Versicherung
vom 9. April 2021 erklärt hat, dass die Cafés „K“ und „L“ in den Jahren 2015 bis 2017 regelmäßig nur von 10 Uhr bis 24 Uhr
geöffnet gewesen seien, ist dieses Vorbringen hinsichtlich der Zeit ab dem 1. Mai 2017 durch die genannten Beweismittel widerlegt.
Auch auf die sichergestellten Dokumentationen der Arbeitszeit einzelner Mitarbeiter kann sich die Antragstellerin nicht berufen,
da deren Vollständigkeit und Richtigkeit angesichts der ermittelten umfangreichen Unregelmäßigkeiten grundsätzlich zu bezweifeln
ist.
Angesichts des obigen Befundes drängte sich zwar die Vermutung auf, dass die Antragstellerin in derselben Weise auch die Aufzeichnungspflicht
für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017 verletzt hat. Die Antragsgegnerin durfte jedoch nicht ohne weitere
Ermittlungen davon ausgehen, dass die betroffenen Cafés auch in dieser Zeit durchgehend geöffnet waren. Hierfür lagen keine
hinreichenden Beweise vor, insbesondere keine schriftlichen Belege. Lediglich die Angaben der vom Hauptzollamt als Zeugen
vernommenen Beschäftigten M und A K betreffen diesen Zeitraum. Sie beziehen sich jedoch allein auf das Café „S B“, so dass
ohne weitere Beweismittel keine Rückschlüsse auf die hier gegenständlichen Cafés „K“ und „L“ möglich sind. In dem Schlussbericht
des Hauptzollamtes wurde im sachlichen Zusammenhang mit den Öffnungszeiten ausdrücklich angeregt, weitere Beschäftigte der
Antragstellerin zu den Jahren 2015 und 2016 zu befragen. Angesichts des erheblichen Umfanges des Prüfzeitraumes und der Nachforderungen,
der möglichen Feststellung weiterer Pflichtbeitragszeiten (§
55 Abs.
1 des
Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches) zugunsten der Beschäftigten – gegebenenfalls bis zu 17 Monate – sowie in Anbetracht der eidesstattlichen Versicherung der
Antragstellerin hätte die Antragsgegnerin zumindest versuchen müssen, die tatsächlichen Öffnungszeiten der betroffenen Cafés
weiter aufzuklären.
Denn es kann im Einzelfall – wie hier – erforderlich werden, dass sich der Träger der Rentenversicherung nicht auf die Ermittlungen
des Hauptzollamtes beschränkt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, a.a.O., Rn. 21; Sächsisches Landessozialgericht, a.a.O.,
Rn. 31; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2013, L 5 R 605/13 B ER, Rn. 22; Beschluss vom 4. Dezember 2013, L 5 R 652/13 B ER, Rn. 27 ff.; siehe auch Pietrek in jurisPR-SozR 14/2015 Anm. 2). Der Senat verkennt hierbei die nur beschränkten Ermittlungsmöglichkeiten
der Antragsgegnerin im Hinblick auf die Beschäftigten der Antragsgegnerin nicht. Sie kann hierfür, um dem ihr obliegenden
Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X) nachzukommen, unter anderem Beteiligte anhören, Zeugen vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten
und Zeugen einholen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Für Beteiligte gilt indes nach § 21 Abs. 2 SGB X, dass sie bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken, insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben sollen.
Eine weitergehende Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, insbesondere eine Pflicht zum persönlichen Erscheinen
oder zur Aussage, besteht für Beteiligte nur, soweit sie durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist. Letzteres gilt auch
für Zeugen (§ 21 Abs. 3 Satz 1 SGB X).
Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Beschäftigte zwar im straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sinne
als Zeugen zu vernehmen sind, wenn das Verfahren ihre Versicherungspflicht und die darauf beruhende Beitragspflicht ihres
Arbeitgebers betrifft. Sozialrechtlich sind sie indes Beteiligte im Sinne des § 12 SGB X, weil ihnen gegenüber die der Beitragsnachforderung zugrunde liegenden Feststellungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht
rechtsgestaltende Wirkung haben (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. Juni 1983, 12 RK 73/82, Rn. 15; Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Oktober 1988, 12 RK 21/87, Rn. 18). Daher ist der prüfende Träger der Rentenversicherung grundsätzlich gehalten, im Verfahren nach § 28p
SGB IV Beschäftigte des geprüften Arbeitgebers zu befragen, erzwingen kann er entsprechende Angaben der Beschäftigten mangels einer
durch Rechtsvorschrift vorgesehenen Aussagepflicht jedoch nicht.
Der Senat hegt erhebliche Zweifel, dass die Befragung der bei der Antragstellerin im Zeitraum zwischen Dezember 2015 und April
2017 Beschäftigten für die Antragsgegnerin mit einem unverhältnismäßigen Aufwand im Sinne des §
28f Abs.
2 Satz 2
SGB IV) verbunden gewesen wäre. Name und Beschäftigungszeiträume, teilweise auch die Anschriften zahlreicher Beschäftigter waren
der Antragsgegnerin aufgrund eigener Daten (vgl. die Übersicht „Anzeige der Meldungen“ zu der das Café „K“ betreffenden Betriebsnummer,
Blatt 6 der Verwaltungsakte) bekannt oder hätten von ihr durch eine Einsicht in die Ermittlungsakten, gegebenenfalls ergänzt
durch einfache Nachfragen bei den darin genannten Behörden (zum Beispiel dem Jobcenter Berlin Spandau, das eine umfangreiche
Liste von bei der Antragstellerin beschäftigten Leistungsbeziehern nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches zur Verfügung
gestellt hatte) in Erfahrung gebracht werden können. Warum darin ein unverhältnismäßiger Aufwand gemäß §
28f Abs.
2 Satz 2
SGB IV liegen sollte, hat die Antragsgegnerin weder in den angefochtenen Bescheiden noch im gerichtlichen Verfahren dargelegt.
Der Senat weist aber zugleich darauf hin, dass angesichts der fehlenden Aussagepflicht der Beschäftigten Aktivitäten der Antragsgegnerin,
die über eine Befragung (beziehungsweise den einmaligen Versuch hierzu) hinausgehen, also etwa Erinnerungen oder intensivere
Ermittlungen zur aktuellen Anschrift, nicht geboten sein, sondern sich als unverhältnismäßig erweisen dürften.
Wegen der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufzeichnungspflicht konnte die Antragsgegnerin die Versicherungs- oder Beitragspflicht
oder die Beitragshöhe in der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 nicht feststellen (§
28f Abs.
2 Satz 1
SGB IV). Angesichts des Ergebnisses der Ermittlungen musste sie davon ausgehen, dass hier Arbeitnehmer in größerem Umfang als bisher
gemeldet beschäftigt wurden beziehungsweise dass Arbeitnehmer beschäftigt wurden, die bisher nicht zur Sozialversicherung
gemeldet waren. Die konkreten Einzelheiten hierzu waren weitgehend unbekannt, so dass die Antragsgegnerin insoweit keine konkreten
Feststellungen treffen konnte.
Auch konnte für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand nicht
festgestellt werden, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden
kann (§
28f Abs.
2 Satz 2
SGB IV). Die Verhältnismäßigkeit des Summenbescheides unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung, wobei es auf den Zeitpunkt
der Widerspruchsentscheidung ankommt (Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R, Rn. 28). Insoweit ist eine Abwägung zwischen dem im Einzelfall zu erwartenden Verwaltungsaufwand und den Interessen der
Versicherten wie auch des Arbeitgebers vorzunehmen. Im Rahmen dieser Abwägung ist sowohl die Amtsermittlungspflicht des prüfenden
Trägers, der sich sämtlicher in Betracht kommender Beweismittel zu bedienen hat, als auch die Mitwirkungspflicht des zu prüfenden
Arbeitgebers, der über die konkrete Aufzeichnungspflicht hinaus allgemein angemessene Prüfhilfen zu leisten hat (§ 28p Abs.
5 Satz 1
SGB IV), zu berücksichtigen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 4. September 2018, B 12 R 4/17 R, Rn. 22; Urteil vom 16. Dezember 2015, B 12 R 11/14 R, Rn. 58).
Nach diesen Vorgaben war die Antragsgegnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides zur Ermittlung der Arbeitsentgelte
und der Beiträge einzelner Beschäftigter für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 nicht mit zumutbarem Verwaltungsaufwand
in der Lage. Die Ermittlungsmöglichkeiten waren weitgehend ausgeschöpft. Die sichergestellten Geschäftsunterlagen waren bereits
von dem Hauptzollamt ausgewertet worden. Dieses hatte acht Beschäftigte der Antragstellerin zur Vernehmung als Zeugen (im
straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sinn) vorgeladen, von denen lediglich zwei erschienen und vernommen wurden. Drei
der nicht erschienenen „Zeugen“ beriefen sich ausdrücklich auf ihr „Auskunftsverweigerungsrecht“. Eine Befragung der weiteren
Beschäftigten war vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig. Denn die Öffnungszeiten waren bereits durch die vorhandenen Beweismittel
hinreichend nachgewiesen. Im Übrigen wurden die Interessen der Antragstellerin dadurch berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin
ihr mit der schriftlichen Anhörung die Gelegenheit gab, weitere Geschäftsunterlagen zur Prüfung und Ermittlung der tatsächlich
geleisteten Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen und bei deren Aufklärung mitzuwirken. Dem kam die Antragstellerin auch
im Widerspruchsverfahren nicht nach. Dagegen durfte die Antragsgegnerin hinsichtlich der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum
30. April 2017 nicht auf die Befragung der weiteren Mitarbeiter verzichten, da von diesen insbesondere Angaben zu den Öffnungszeiten
in diesem Zeitraum hätten gewonnen werden können.
Lagen somit die Voraussetzungen für einen Summenbescheid bezüglich der Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 vor,
stand der Antragsgegnerin insoweit kein Entschließungsermessen zu. Die gesetzliche Formulierung des §
28f Abs.
1 Satz 1
SGB IV („kann“) ist lediglich als Kompetenzzuweisung zu verstehen (Bundessozialgericht, Beschluss vom 4. April 2018, B 12 R 38/17 B, Rn. 33 ff.).
Die Antragsgegnerin hatte zudem die Höhe der Arbeitsentgelte für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 zu schätzen,
da sie diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln konnte (§
28f Abs.
2 Satz 3
SGB IV). Insoweit wird hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit auf die vorstehenden rechtlichen Ausführungen zu §
28f Abs.
2 Satz 2
SGB IV verwiesen. Die Regelung des §
28f Abs.
2 Satz 3
SGB IV gilt nicht nur, wenn die Lohnsumme für den Erlass eines Summenbescheids nicht festgestellt werden kann, sondern auch, wenn
zwar eine personenbezogene Zuordnung, nicht aber die genaue Bestimmung der Entgelthöhe möglich ist (Bundessozialgericht, Urteil
vom 4. September 2018, B 12 R 4/17 R, Rn. 19; Urteil vom 16. Dezember 2015, B 12 R 11/14 R, Rn. 52). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben verweist der Senat auch in tatsächlicher Hinsicht auf die obigen Ausführungen.
Die angegriffene Schätzung für Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 ist rechtmäßig. Sie ist rechtswidrig, soweit
sie die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017 betrifft. Nach dem Bundessozialgericht ist eine Schätzung nach §
28f Abs.
2 Satz 3
SGB IV so exakt vorzunehmen, wie das unter Wahrung eines noch verhältnismäßigen Verwaltungsaufwandes möglich ist. Sie ist nicht
zu beanstanden und bis zum Nachweis der tatsächlichen Höhe des Arbeitsentgelts (§
28f Abs.
2 Satz 5
SGB IV) verbindlich, wenn sie auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere nicht
gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Innerhalb dieses Rahmens sind die an eine Schätzung zu stellenden Anforderungen
wiederum abhängig von einer Abwägung zwischen der Bedeutung einer größeren Genauigkeit der Schätzung für Versicherte und Arbeitgeber
und dem mit einem bestimmten Vorgehen einhergehenden Verwaltungsaufwand. Dabei sind die Anforderungen an eine Schätzung umso
höher, je größer die für die Versicherten und Arbeitgeber zu befürchtenden Nachteile sind (Urteil vom 4. September 2018, B
12 R 4/17 R, Rn. 23; Urteil vom 16. Dezember 2015, B 12 R 11/14 R, Rn. 60). Hiervon ausgehend durfte die Antragsgegnerin aus den bereits genannten Gründen für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis
zum 31. Dezember 2017 eine tägliche Öffnungszeit von 24 Stunden zur Grundlage ihrer Schätzung machen, nicht jedoch für die
Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017.
Für Fehler bei der konkreten Berechnung der nachgeforderten Beiträge für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017
bestehen keine Anhaltspunkte. Die Antragstellerin hat insoweit auch keine Einwände erhoben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil
vom 4. September 2018, B 12 R 4/17 R, Rn. 25; Urteil vom 7. Juni 2018, B 12 KR 1/17 R, Rn. 25; Urteil vom 18. Januar 2018, B 12 R 3/16 R, Rn. 25).
Die Festsetzung der Säumniszuschläge für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017 ist nach Maßgabe der vorstehenden
Ausführungen rechtswidrig. Für die Zeit vom 1. Mai 2017 bis zum 31. Dezember 2017 folgt sie aus §
24 Abs.
1 Satz 1
SGB IV, wobei zur Berechnung die jeweils hinzuaddierten Beiträge für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 30. April 2017 nicht
zu berücksichtigen sind (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Juni 2021, B 5 RE 7/19 R, Rn. 31; Urteil vom 7. Juli 2020,
B 12 R 28/18 R, Rn. 10).
Soweit der Senat dem Begehren der Antragstellerin nicht stattgibt, führt eine Abwägung ihres Aussetzungsinteresses gegen das
Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin auch im Übrigen zu keinem abweichenden Ergebnis. Dabei ist zunächst dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass das Gesetz das Vollzugsinteresse mit Blick auf den Gegenstand des angefochtenen Bescheides – die
Forderung öffentlicher Abgaben in Form von Beiträgen zur Sozialversicherung – in §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG bereits als sehr hoch einstuft. Demgegenüber sind keine Gründe ersichtlich, aus denen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin
ein höheres Gewicht beizumessen wäre. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung für sie eventuell verbundenen
wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Folge der Erfüllung gesetzlich auferlegter
Pflichten sind. Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wiedergutzumachende Nachteile sind weder von der Antragstellerin
vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Darüber hinaus steht es der Antragstellerin frei, sich wegen der mit einem Forderungseinzug
eventuell verbundenen wirtschaftlichen Härten mit einem Stundungsantrag an die dafür zuständige Einzugsstelle zu wenden (§
28h Abs.
1 Satz 3
SGB IV in Verbindung mit §
76 Abs.
3 SGB IV; vgl. Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 22. September 2021, L 3 BA 3/21 B ER, Rn. 49; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Februar 2021, L 28 BA 2/21 B ER, Rn. 30; Beschluss vom 9. Juli 2018, L 9 BA 29/18 B ER, Rn. 5).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs.
1 SGG in Verbindung mit den §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Das für die Festsetzung des Streitwerts maßgebliche wirtschaftliche Interesse entspricht in Betriebsprüfungsverfahren nach
den §§ 28p ff.
SGB IV in der Regel der Höhe der zu erwartenden Beitragsnachforderung. Wegen des identischen wirtschaftlichen Interesses ist der
Streitwert daher regelmäßig in Höhe eines Bruchteils der Beitragsforderung selbst anzusetzen. Im Übrigen setzt der Senat in
Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens in den Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes nach §
86b Abs.
1 SGG, bei welchen die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prüfen sind, den Streitwert regelmäßig und so auch hier mit
der Hälfte des Streitwerts der Hauptsache an, also mit der Hälfte des Nachforderungsbetrages (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 15. Januar 2021, L 28 BA 68/20 B ER, Rn. 16; Beschluss vom 9. Juli 2018, L 9 BA 29/18 B ER, Rn. 6; Beschluss vom 29. Juli 2014, L 1 KR 131/14 B ER, Rn. 29).
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.