Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin streitig.
Auf den Antrag der Klägerin vom 4. November 2008 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23. September 2009 einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 fest. Dem lag das Gutachten des Orthopäden J vom 2. Juli 2009
zugrunde.
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Berlin hat die Klägerin die Zuerkennung eines GdB von mindestens 60 begehrt. Ohne weitere
Ermittlungen hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2010 abgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie insbesondere die fehlende Amtsermittlung rügt.
Dem schriftlichen Vorbringen der Klägerin ist der sinngemäße Antrag zu entnehmen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides
vom 9. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2009 zu verurteilen, bei ihr ab 4. November
2009 einen Grad der Behinderung von mindestens 60 festzustellen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt
der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung kann durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden werden, weil die Beteiligten hiermit
einverstanden sind (§
124 Abs.
2 in Verbindung mit §
153; §
155 Abs.
3 und
4 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Denn das Verfahren vor dem Sozialgericht
leidet an einem wesentlichen Mangel (§
159 Abs.
1 Nr.
2 SGG).
Das Sozialgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Aufklärungspflicht aus §
103 SGG verstoßen, da es sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Für die Entscheidung kam es auch aus eigener
Sicht des Sozialgerichts wesentlich auf die Bewertung des Wirbelsäulenleidens der Klägerin an. Hierbei hätte es dem auf den
Befundbericht des Chirurgen Dr. T vom 28. April 2009 gestützten Vorbringen der Klägerin, sie leide an einer voranschreitenden
Schmerzsymptomatik, durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens nachgehen müssen. Weiter hat das Sozialgericht
versäumt, von Amts wegen den Sachverhalt hinsichtlich des von der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. März 2010 vorgetragenen
Auftretens einer psychischen Erkrankung aufzuklären bzw. ihr Gelegenheit zu geben, hierzu - wie ausdrücklich beantragt - weiter
vorzutragen, um nicht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör zu verletzen. Hierbei ist unerheblich, dass das Sozialgericht das
spätere Hinzutreten weiterer Behinderungen möglicherweise nicht für entscheidungserheblich gehalten hat, indem es in den Gründen
des Gerichtsbescheides die Klägerin auf einen Verschlimmerungsantrag verwiesen hat. Derartige Erwägungen verstießen gegen
das Willkürverbot. Der Verfahrensmangel ist auch wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Sozialgericht
nach gebotener Aufklärung zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
Das Sozialgericht hat zudem verfahrensfehlerhaft durch den Kammervorsitzenden als Einzelrichter mittels Gerichtsbescheides
ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§
12 Abs.
1 Satz 2
SGG) entschieden, obwohl die Voraussetzungen des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG nicht vorgelegen haben. Dadurch hat es die Klägerin entgegen Art.
101 Abs.
1 Satz 2
Grundgesetz ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung (§
12 Abs.
1 Satz 1 in Verbindung mit §
125 SGG), entzogen. Nach §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG ist der Erlass eines Gerichtsbescheides nur dann möglich, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder
rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Da der Sachverhalt nicht geklärt war, schied eine Entscheidung durch
Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter aus. Der danach bestehende Besetzungsmangel ist auch wesentlich,
weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer in ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung zu einer anderen Entscheidung
gekommen wäre.
Im Rahmen der nach §
159 SGG auszuübenden Ermessenentscheidung, bei der das Interesse der Klägerin an einer möglichst zeitnahen Erledigung des Rechtsstreites
gegenüber den Nachteilen durch den Verlust einer Tatsacheninstanz abzuwägen sind, hat sich das Gericht angesichts der erheblichen
Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens für eine Zurückverweisung entschieden. Hierbei hat es berücksichtigt, dass der Rechtsstreit
weitere tatsächliche Ermittlungen erfordert, weshalb der Verlust einer Tatsacheninstanz, wie er wegen der vom Sozialgericht
unterlassenen Aufklärung praktisch eingetreten ist, besonders ins Gewicht fiele. Die Zurückverweisung stellt die dem gesetzlichen
Modell entsprechenden zwei Tatsacheninstanzen wieder her.
Das Sozialgericht wird in seiner Kostenentscheidung auch über die Kosten der Berufung zu befinden haben.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.