Herabsetzung des Grades der Behinderung
Kein Dauerverwaltungsakt
Zeitlich punktuelle Wirkung eines Absenkungsbescheides
1. Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren ganz oder teilweise aufgehoben wird,
ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig zu früh einsetzenden Wirkung durch Aufhebung des
Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten werden könnte.
2. Bei einem Entziehungs- bzw. Absenkungsbescheid, der die in einem Dauerverwaltungsakt getroffene günstige Feststellung ändert,
handelt es sich seinerseits nämlich nicht um einen Dauerverwaltungsakt.
3. Seine Wirkung beschränkt sich darauf, den aufzuhebenden Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der von der Behörde intendierten
Wirksamkeit ganz oder teilweise aufzuheben; für nachfolgende Zeiträume enthält er hingegen keinerlei Feststellung.
4. Maßgeblich ist insoweit einzig der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt in der Fassung, die er durch den Entziehungsbescheid
erhalten hat.
5. Diese zeitlich punktuelle Wirkung eines Absenkungsbescheides führt dazu, dass die Entscheidung, die Wirkung der Absenkung
erst später eintreten zu lassen, - anders eine geringer ausfallende Entziehung der Begünstigung - nicht ein Minus gegenüber
der ursprünglichen Regelung darstellt, sondern ein Aliud.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung des bei der Klägerin festgestellten Grades der Behinderung (GdB).
Auf den Antrag der 1963 geborenen Klägerin, bei der im Februar 2004 ein Karzinom im Zungengrund diagnostiziert worden war,
stellte der Beklagte mit Bescheid vom 8. September 2004 bei ihr einen GdB von 80 für die Behinderung
Erkrankung der Mundhöhle in Heilungsbewährung
fest. Als Ergebnis des Anfang 2009 eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24. August 2009,
der am 27. August 2009 zur Post gegeben wurde, unter Aufhebung des Bescheides vom 8. September 2004 mit Wirkung ab dem 24.
August 2009 fest, dass bei der Klägerin ein GdB von mindestens 20 nicht mehr vorläge. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch.
Der Beklagte stellte mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 2010 mit Wirkung ab dem 24. August 2009 bei der Klägerin einen
GdB von 30 fest, wies aber im Übrigen den Widerspruch zurück.
Mit der am 6. Mai 2010 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangenen Klage hat die Klägerin einen GdB von mindestens 50 begehrt.
Nach Einholung von Befundberichten und Beiziehung des im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung Bund eingeholten Gutachtens
des HNO-Arztes Dr. E vom 19. August 2010 hat das Sozialgericht mit Urteil vom 26. Juli 2012 die Klage abgewiesen: Bis zum
Ablauf der Heilungsbewährung sei keine erneute Tumorerkrankung aufgetreten, so dass die Folgen der Krebserkrankung nach ihren
tatsächlichen funktionellen Auswirkungen zu bewerten seien, die lediglich einen GdB von 20 rechtfertigten.
Mit der Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung der Gutachten
des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 15. Mai 2014 und der Ärztin für Psychiatrie G vom 21. Mai 2015.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 26. Juli 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. August 2009 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 2010 insoweit aufzuheben, als bei ihr ein geringerer GdB als 50 festgestellt
worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, den
übrigen Inhalt der Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG-).
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Bescheid vom 24. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April
2010, mit dem der Beklagte den GdB von 80 auf unter 20 herabsetzte, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für den Absenkungsbescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden
Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den ursprünglichen Feststellungsbescheid vom 8. September
2004. Ob im Sinne der genannten Vorschrift in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsakts vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, kann indes dahinstehen, denn der Beklagte hat mit dem angefochtenen Absenkungsbescheid
vom 24. August 2009 hinsichtlich der darin angeordneten Rechtsfolge den Rahmen der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X überschritten: Er hat den Bescheid vom 8. September 2004 nicht mit Wirkung für die Zukunft, sondern mit Wirkung für die Vergangenheit
aufgehoben. Nach dem Verfügungsteil des Bescheides vom 24. August 2009 sollte die Absenkungsentscheidung am selben Tag (innere)
Wirkung entfalten. Tatsächlich erlangte der Bescheid jedoch erst am 30. August 2009 (äußere) Wirksamkeit. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam,
in dem er ihm bekannt gegeben wird. Dies war bei dem am 27. August 2009 zur Post gegebenen Bescheid nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X erst am 30. August 2009 der Fall. Mithin durfte der Beklagte - um den Vorgaben des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu entsprechen, der eine Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft vorsieht - die Wirkung des Absenkungsbescheides gegenüber
der Klägerin erst von diesem Datum an eintreten lassen. Indem er dies im Bescheid vom 24. August 2009 nicht beachtete und
auch im Widerspruchsbescheid vom 15. April 2010 keine entsprechende Korrektur vornahm, senkte er unzulässigerweise den GdB
mit Wirkung für die Vergangenheit herab. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X für eine Aufhebung des Verwaltungsaktes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse liegen hier offensichtlich
nicht vor.
Die Rechtswidrigkeit führt - entsprechend dem Antrag der Klägerin, über den das Gericht nicht hinausgehen darf - insoweit
zur vollständigen Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 24. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15. April 201, als bei ihr ein geringerer GdB als 50 festgestellt worden ist.
Eine Aufhebung nur für die Zeit vor Bekanntgabe des Absenkungsbescheides kommt nicht in Betracht, da dessen Teilbarkeit in
zeitlicher Hinsicht nicht gegeben ist. Ein Bescheid, mit dem eine begünstigende Feststellung im Schwerbehindertenverfahren
ganz oder teilweise aufgehoben wird, ist nicht derart in zeitlicher Hinsicht teilbar, dass einer rechtswidrig zu früh einsetzenden
Wirkung durch Aufhebung des Bescheides nur für einen Teilzeitraum Rechnung getragen und der Bescheid im Übrigen aufrechterhalten
werden könnte (a.A. wohl 11. Senats des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. November 2014 - L 11 SB 178/10). Bei einem Entziehungs- bzw. Absenkungsbescheid, der die in einem Dauerverwaltungsakt getroffene günstige Feststellung ändert,
handelt es sich seinerseits nämlich nicht um einen Dauerverwaltungsakt (so auch LSG Hamburg, Urteil vom 24. Juni 2014, L 3 SB 23/12, juris). Seine Wirkung beschränkt sich darauf, den aufzuhebenden Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der von der Behörde intendierten
Wirksamkeit ganz oder teilweise aufzuheben. Für nachfolgende Zeiträume enthält er hingegen keinerlei Feststellung. Maßgeblich
ist insoweit einzig der ursprüngliche Dauerverwaltungsakt in der Fassung, die er durch den Entziehungsbescheid erhalten hat.
Diese zeitlich punktuelle Wirkung eines Absenkungsbescheides führt dazu, dass die Entscheidung, die Wirkung der Absenkung
erst später eintreten zu lassen, - anders eine geringer ausfallende Entziehung der Begünstigung - nicht ein Minus gegenüber
der ursprünglichen Regelung darstellt, sondern ein Aliud.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt. Dem Streit liegt eine Verwaltungspraxis des Beklagten zugrunde, die er inzwischen geändert hat.