EU-Ausländer; einstweilige Anordnung; Anordnungsgrund; Beiladung; Sozialhilfe
Gründe:
I.
Die Antragstellerin ist 1986 geboren worden und besitzt die Staatsangehörigkeit eines Landes der Europäischen Union. Sie reiste
im Mai 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und arbeitete als Büglerin und Aushilfskraft. Seit 2014 ist sie arbeitsuchend.
Bis Ende November 2015 bewilligte ihr und ihrem Lebensgefährten, der ebenfalls die Staatsangehörigkeit eines Landes der Europäischen
Union besitzt, das Jobcenter Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Durch Bescheid vom 13. November 2015 lehnte das Jobcenter bezogen auf die Antragstellerin die weitere Gewährung von Arbeitslosengeld
II ab. Ihr Aufenthaltsrecht ergebe sich (mittlerweile wieder) allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Sie sei deshalb nach §
7 Abs. 1 Satz 2 (Nr. 2) SGB II vom Leistungsbezug ausgenommen.
Am 10. Dezember 2015 hat die Antragstellerin vor dem Sozialgericht Berlin die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung
von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - im Wege der einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Nach der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG; Hinweis auf Urteile vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 59/13, 43/15 und 44/15) sei ihr selbst bei fehlender Freizügigkeitsberechtigung Sozialhilfe mindestens im Ermessenswege zu erbringen,
wobei sie bei verfestigtem Aufenthalt (über sechs Monate) regelmäßig Leistungen in gesetzlicher Höhe beanspruchen könne. Ihr
Lebensgefährte verdiene 350,-- € im Monat, die Miete belaufe sich auf 540,23 € brutto monatlich. Der Antragsgegner hat dem
Anliegen der Antragstellerin entgegen gehalten, dass zunächst einmal ein Antrag bei ihm erforderlich sei, der bisher nicht
gestellt worden sei (Schriftsatz vom 18. Dezember 2015).
Durch Beschluss vom 18. Dezember 2015 hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, noch bevor
die von ihm mit Telefax vom 15. Dezember 2015 gesetzte Frist von fünf Tagen an die Bevollmächtigten des Antragsgegners zur
Antwort auf eine Auflage abgelaufen war. Der Antrag sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Antragstellerin habe
sich vorher nicht an den Antragsgegner mit einem Leistungsantrag gewandt, was ihr eine einfachere Möglichkeit eröffnet hätte,
ihr Anliegen durchzusetzen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner das Begehren von vornherein zurückweisen werde.
Auf telefonische Nachfrage des Gerichts habe er erklärt, dass er den Antrag bei Gericht als Leistungsantrag werten und das
Begehren der Antragstellerin prüfen werde. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, anstelle der Verwaltung eine erste Entscheidung
über den geltend gemachten Anspruch zu treffen oder den Entscheidungsprozess der Behörde zu begleiten.
Zu der Auflage des Sozialgerichts vom 15. Dezember 2015 ("Bitte teilen Sie dem Gericht ... mit, weshalb sich die Antragstellerin
vor Stellung des Eilantrags nicht zunächst an den Antragsgegner gewandt hat. Eine Beiladung des SGB II-Trägers wird derzeit nicht für geboten erachtet") erwiderten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin mit Telefax vom 21.
Dezember 2015 ("verweisen wir bezüglich der gerichtlichen Anfrage ... auf den Terminsbericht des BSG vom 03.12.2015 zum Az.: B 4 AS 44/15. ... Das BSG hat damit klargestellt, dass es keiner separaten Antragstellung beim Antragsgegner bedarf."). Der Beschluss vom 18. Dezember
2015 wurde ihnen am 23. Dezember 2015 zugestellt.
Mit der Beschwerde vom 15. Januar 2016 wendet sich die Antragstellerin gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes und
auch von Prozesskostenhilfe. Außerdem beantragt sie Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes. Zur Begründung ihres Anliegens in der Sache wiederholt sie ihre Ausführungen aus dem Verfahren erster Instanz.
Ferner trägt sie vor, dass sie seit dem 9. Januar 2016 eine geringfügige Beschäftigung mit einem Monatseinkommen von voraussichtlich
390,-- € ausübe (Arbeitsvertrag vom 7. Januar 2016; Abrechnung auf Stundenbasis ohne Anspruch auf Mindeststundenzahl). Hiervon
müsse sie derzeit ca. 170,-- € für ihre Krankenversicherung aufwenden.
Der Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss. Der bei ihm geltend gemachte Anspruch habe noch nicht abschließend
geprüft werden können, weil angeforderte Unterlagen erst am 21. Januar 2016 eingegangen seien. Unabhängig davon dürfe spätestens
ab der Aufnahme der Beschäftigung der Antragstellerin wieder ein Anspruch nach dem SGB II bestehen.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist unzulässig, soweit sie sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe
für das Verfahren erster Instanz richtet. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist in dem angefochtenen Beschluss
nicht beschieden worden (auch anderweitig - soweit ersichtlich - noch nicht). Es fehlt deshalb an einer Entscheidung, die
der Überprüfung mittels der Beschwerde zugänglich wäre (§
172 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Im Übrigen ist die Beschwerde zwar zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht hat es durch die angefochtene Entscheidung mit im Ergebnis zutreffender Begründung abgelehnt, den Antragsgegner
zu Zahlungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten. Selbst wenn die jüngste Rechtsprechung des BSG zu Leistungsrechten von EU-Ausländern berücksichtigt wird, ergibt sich daraus nur, dass der Beginn einer etwaigen laufenden
Leistung der Sozialhilfe (auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII) nicht von einem gesondert beim Träger der Sozialhilfe gestellten Antrag abhängt. Diesem wird vielmehr für die nach § 18 Abs. 1 SGB XII zum Einsetzen der Sozialhilfe erforderliche Kenntnis von der Bedarfslage der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zugerechnet (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R -, unter 3 b der Entscheidungsgründe; s. im Übrigen die Terminsberichte der Sitzungen des 4. Senats des BSG vom 3. Dezember 2015 und des 14. Senats des BSG vom 16. Dezember 2015 und 20. Januar 2016).
Die Aussagen des BSG betreffen mit anderen Worten die materielle Rechtslage. Die sich nur auf das Rechtsschutzbedürfnis beziehungsweise den "Anordnungsgrund"
als Voraussetzung für eine Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (§
86b Abs.
2 SGG i.V. mit §§
935,
936,
917 Zivilprozessordnung [ZPO]) beziehenden Ausführungen des Sozialgerichts im ersten Absatz auf Seite 2 des angefochtenen Beschlusses beanspruchen
dagegen auch für den hier vorliegenden Fall Gültigkeit, dass der in Anspruch genommene Leistungsträger vor Einleitung des
gerichtlichen Eilverfahrens tatsächlich noch keine Kenntnis von dem Anliegen der Antragstellerin hatte.
Gründe dafür, dass sich dies vorliegend ausnahmsweise anders darstellen könnte, sind nicht ersichtlich. Im Besonderen war
der Antragstellerin aufgrund des Bescheides des Jobcenters Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf vom 13. November 2015 bekannt,
dass dieser Leistungsträger auf der Grundlage des von ihm anzuwenden Sozialgesetzbuchs/Zweites Buch (SGB II) keine Leistungspflicht sah. Aus dem Bescheid ging dagegen nicht hervor, dass das Jobcenter den Antragsgegner von dem Anliegen
der Antragstellerin in Kenntnis gesetzt hätte, sie also davon hätte ausgehen können, dass sich der Antragsgegner damit auf
der Grundlage des SGB XII befasst.
Für die Zeit ab der Aufnahme der Erwerbstätigkeit am 9. Januar 2016 ist dagegen nicht einmal mehr nach dem eigenen Vortrag
der Antragstellerin wenigstens überwiegend wahrscheinlich, dass ihr Leistungsrechte zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem SGB XII zustehen könnten. Bereits dem Bescheid des Jobcenters vom 13. November 2015 konnte sie entnehmen, dass sie bei einer Beschäftigung
in dem aufgrund des Arbeitsvertrags vom 7. Januar 2016 zu erwartenden Umfang den Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht mehr erfüllen würde und damit Anspruch auf Arbeitslosengeld II hätte, das die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ausschließt (s. in diesem Zusammenhang auch EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009 - C 22/08 und C-23/08 "Vatsouras/Koupatantse" - SozR 4-6035 Art. 39 Nr. 5, im Besonderen Abs. 26ff.).
Das Jobcenter als der an Stelle des Antragsgegners in Betracht kommende Leistungsträger war gleichwohl nicht beizuladen, unabhängig
davon, dass dies in einem gegen ablehnende Bescheide des Antragsgegners gerichteten Hauptsacheverfahren notwendig gewesen
wäre (§
75 Abs.
2 SGG).
Liegen die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung vor, ist sie zwar grundsätzlich auch im Verfahren des Eilrechtsschutzes
anzuordnen (s. stellvertretend Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
86b Rn 38 i.V. mit Rn 16). Wie in einem Hauptsacheverfahren kann die Beiladung aber dann unterbleiben, wenn die zu treffende
Entscheidung den Beigeladenen nicht benachteiligen kann (s. Leitherer aaO. § 75 Rn 13c). So verhält es sich hier. Das Rechtsschutzanliegen
der Antragstellerin wäre in jedem Fall und damit auch gegenüber dem als Beigeladener in Betracht kommenden Jobcenter Berlin
Charlottenburg-Wilmersdorf erfolglos geblieben. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die Antragstellerin gegen dessen Bescheid
vom 13. November 2015 Widerspruch eingelegt hatte, was aus den Akten nicht ersichtlich ist. Für die Verpflichtung des Jobcenters
im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes fehlte es im einen wie im anderen Fall jedenfalls derzeit an einem Anordnungsgrund,
unabhängig davon, ob der nach dem SGB II anspruchsbegründend erforderliche Leistungsantrag (§ 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II) seinerseits durch eine Erklärung gegenüber dem Antragsgegner oder dem Gericht als gestellt anzusehen wäre: Sofern ein Widerspruchsverfahren
gegen das Jobcenter noch anhängig wäre, bedarf es dessen Verpflichtung durch gerichtliche Eilentscheidung jedenfalls solange
nicht, wie die als leistungsbegründend in Betracht kommende Tatsache der Aufnahme einer Beschäftigung nicht in das Widerspruchsverfahren
eingeführt worden ist und er Gelegenheit hatte, sich hierzu zu äußern. Sofern das nicht der Fall wäre, gelten die gleichen
Erwägungen, die einer Verpflichtung des Antragsgegners entgegenstehen.
Etwaige Beratungs- oder Weiterleitungspflichten des Antragsgegners (§§ 14, 16 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) bleiben unberührt.
Der von der Antragstellerin mit der Beschwerde ebenfalls geltend gemachte Verfahrensfehler einer Entscheidung durch das Sozialgericht
noch vor Ablauf einer von ihm selbst gesetzten Frist für eine Auflage eröffnet lediglich die Möglichkeit einer Zurückverweisung
der Sache an das Sozialgericht in entsprechender Anwendung des §
159 SGG. Selbst wenn unterstellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung vorliegen, sieht der Senat
im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens aber davon ab. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist nicht weiter aufklärungsbedürftig
und im Interesse der Gewährung effektiven Rechtsschutzes in einer Angelegenheit betreffend existenzsichernde Leistungen ist
die durch eine Zurückverweisung unweigerlich eintretende Verzögerung bei der Beendigung des Rechtsstreits nicht zu rechtfertigen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung einstweiligen
Rechtsschutzes in dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2015 sind vor dem beschriebenen Hintergrund nicht
erfüllt. Dem Rechtsmittel fehlt die hinreichende Aussicht auf Erfolg (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V. mit §
114 Satz 1
ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten beruht hinsichtlich der Beschwerde betreffend die Versagung von Prozesskostenhilfe auf §
127 Abs.
4 ZPO, im Übrigen auf §
193 SGG.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§
177 SGG).