Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) im Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Oktober
2010.
Die 1959 geborene, geschiedene Klägerin war vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2009 bei der Firma PWC in B (West) beschäftigt
und erzielte dort ein monatliches beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 5.400,- €. Anschließend war sie vom
1. Januar 2010 bis zum 31. Juli 2010 bei der S P GmbH in P beschäftigt und erzielte dort folgende Arbeitsentgelte: Januar
2010: 5.416,87 €; Februar bis Mai 2010: monatlich 5.961,97€; Juni und Juli 2010: 5.416,67 €. Im Juni 2010 wurde zusätzlich
eine Tantieme iHv 9.762,25 € ausbezahlt.
Auf ihren Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 18. August 2010 ab 1. August 2010 Alg für 450 Leistungstage
bis 30. Oktober 2011. Im Bemessungszeitraum vom 31. Juli 2010 bis 1. August 2009 ermittelte die Beklagte ein maßgebliches
Arbeitsentgelt iHv 59.550,- € (August bis Dezember 2009: monatlich 5.400,- € = Beitragsbemessungsgrenze 2009; Januar bis Juli
2010: monatlich 4.650,- € = Beitragsbemessungsgrenze - Ost - 2010). Das sich hieraus ergebende tägliche Bemessungsentgelt
iHv 163,15 € begrenzte die Beklagte auf die Beitragsbemessungsgrenze (Ost) für das Jahr 2010 iHv 155,- € täglich und ermittelte
einen täglichen Leistungssatz iHv 58,81 €. Ab dem 1. November 2010 war die Klägerin wieder sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Mit ihrem Widerspruch wandte sich die Klägerin unter anderem gegen die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze (Ost) des Jahres
2010 für den gesamten Bemessungszeitraum. Dieser Widerspruch wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 29. September
2010 zurückgewiesen mit der Begründung, das im Bemessungszeitraum insgesamt erzielte beitragspflichtige Arbeitsentgelt iHv
59.550,- € und damit durchschnittliche tägliche Bemessungsentgelt iHv 163,15 € sei unter Beachtung der zuletzt ausgeübten
Beschäftigung in Potsdam und der Beitragsbemessungsgrenze (Ost) für das Jahr 2010 auf täglich 155,- € zu begrenzen.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 unter Berücksichtigung
eines täglichen Bemessungsentgeltes iHv 163,15 €. Mit Gerichtsbescheid vom 15. Februar 2012 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Beklagte zur Bewilligung von Alg "nach einem höheren täglichen Bemessungsentgelt als 163,15 €" ab 1. August 2010
verurteilt. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der Weisungslage der Beklagten, wonach es auf den Rechtskreis ankomme,
in welchem die Klägerin überwiegend im Bemessungszeitraum tätig gewesen sei, könne nicht gefolgt werden. Hierfür finde sich
keine gesetzliche Grundlage. Die Beklagte habe vielmehr unter Berücksichtigung auch der Beitragsbemessungsgrenze (West) die
Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Alg zu ermitteln, da der Klägerin ansonsten für gezahlte Beiträge Leistungen vorenthalten
würden. Deshalb habe sie Anspruch auf Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgelts als 155,- € täglich. Hingegen habe
die Klägerin keinen Anspruch auf Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze (West) für den gesamten Bemessungszeitraum
und damit Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgeltes iHv 163,15 €, weshalb die Klage insoweit abzuweisen sei.
Die Beklagte hat zur Begründung ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Berufung ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren
wiederholt und vertieft. Maßgebend seien die Regelungen des Rechtskreises, in dem die Klägerin im Bemessungszeitraum überwiegend
gearbeitet habe.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, es müsse bei der Berechnung ihres Anspruchs auf Alg im Zeitraum 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 eine
Mischkalkulation zu Grunde gelegt werden. Es könne nicht alleine auf den Zeitpunkt des letzten Beitrages ankommen und auch
nicht darauf, wo sie überwiegend im Bemessungszeitraum tätig gewesen sei.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die die Klägerin betreffende Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29. September 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Denn sie hat im hier streitgegenständlichen
Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010 Anspruch auf Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgeltes iHv 163,15
€ bei der Berechnung ihres Anspruchs auf Alg. Der insoweit widersprüchliche Tenor des Gerichtsbescheides war jedoch klarstellend
neu zu formulieren.
Gem. §
129 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (
SGB III) in der hier anwendbaren, bis 31. März 2012 geltenden Fassung (aF) beträgt das Alg für Arbeitslose, die mindestens ein Kind
im Sinne des §
32 Abs.
1,
3 bis
5 des
Einkommensteuergesetzes haben, sowie für Arbeitslose, deren Ehegatte oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des §
32 Abs.
1,
3 bis
5 des
Einkommensteuergesetzes hat, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben,
67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgeltes, das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose
im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Nach §
130 Abs.
1 S. 1
SGB III aF umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten
Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein
Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (S. 2).
Danach ist der hier maßgebliche Bemessungsrahmen der Zeitraum vom 31. Juli 2010 bis zum 1. August 2009. Gem. §
131 Abs.
1 Satz 1
SGB III aF ist Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose
im Bemessungszeitraum erzielt hat. Die Bemessungsgrundlage für das Bemessungsentgelt errechnet sich dabei nach Maßgabe des
§
341 Abs.
3 SGB III aF: maßgebend ist das Bruttoarbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum aufgrund der versicherungspflichtigen
Beschäftigung bis zur Beitragsbemessungsgrenze erzielt hat. Soweit jedoch die Vorschriften des
SGB III bei Entgelten oder Beitragsbemessungsgrundlagen an die Beitragsbemessungsgrenze anknüpfen, ist gemäß §
408 Nr. 2
SGB III aF die Beitragsbemessungsgrenze für das Beitrittsgebiet maßgebend, wenn der Beschäftigungsort im Beitrittsgebiet liegt. Dies
war bei der Klägerin indes nur im Zeitraum Januar bis Juli 2010 während ihrer Beschäftigung in Potsdam der Fall.
Aus diesen Regelungen ergibt sich schon aufgrund des Wortlautes unzweifelhaft, dass die Beklagte zur Ermittlung des Bemessungsentgeltes
im Zeitraum August bis Dezember 2009 die Beitragsbemessungsgrenze (West) anzuwenden hat und für den Zeitraum Januar bis Juli
2010 die Beitragsbemessungsgrenze (Ost), denn "insoweit" (vgl. Wortlaut §
408 SGB III aF) hat die Klägerin im Beitrittsgebiet gearbeitet. Dem Wortlaut der Regelung des §
131 Abs.
1 SGB III aF ist klar zu entnehmen, das maßgebend das "durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt"
ist, wobei zur Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgeltes in jedem Monat auf die Regelungen der §
341 und
408 SGB III aF abzustellen und die Beitragsbemessungsgrenze (Ost) nur für Zeiten der Beschäftigung in den neuen Bundesländern anzuwenden
ist. Diese Regelungen lassen auch für eine andere Auslegung als die hier vorgenommene keinen Raum. Insbesondere findet die
sog. Rechtskreistheorie der Beklagten im Gesetz keine Stütze. Sie vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil unklar bleibt,
wie diejenigen Fälle zu lösen wären, bei denen ein Überwiegen einer Tätigkeit in einem Rechtskreis nicht festgestellt werden
kann und sie führt außerdem zu dem mit Art.
14 Grundgesetz (
GG) und dem damit verbürgten Eigentumsschutz nicht tragbaren Ergebnis, dass den in Zeiten der Tätigkeit in den alten Bundesländern
geleisteten (höheren) Beiträgen ohne sachlichen Grund keine entsprechenden Versicherungsleistungen gegenüberstehen. Der von
der Beklagten in Bezug genommenen Verwaltungsvorschrift lässt sich zudem für die vorliegende Rechtsfrage nichts entnehmen:
sie soll Klarheit in den Fällen schaffen, in welchen zu entscheiden ist, welchem Rechtskreis der Alg-Bezug als solcher zugeordnet
werden soll. Zur Berechnung und damit der Höhe des Alg-Anspruchs verhält sich das von der Beklagten in Bezug genommene Besprechungsergebnis
der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung gerade nicht.
Nach alledem hat die Beklagte bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Alg im streitgegenständlichen Zeitraum
wie folgt vorzugehen:
August bis Dezember 2009: Beschäftigung in Berlin - das Einkommen der Klägerin lag durchweg über der maßgebenden Beitragsbemessungsgrenze
2009 iHv 5.400,- € monatlich. Der Ermittlung des Bemessungsentgeltes sind damit 5 x 5.400,- € zu Grunde zu legen, mithin der
Betrag von 27.000,- €.
Januar bis Juli 2010: Beschäftigung in Potsdam - das Einkommen der Klägerin lag durchweg über der maßgebenden Beitragsbemessungsgrenze
(Ost) 2010 iHv 4.650,- € monatlich. Der Ermittlung des Bemessungsentgeltes sind damit 7 X 4.650,- € zu Grunde zu legen, mithin
der Betrag von 32.550,- €.
Insgesamt ergibt dies ein Bemessungsentgelt iHv 59.550,- €, wie es auch die Beklagte auf Bl. 39/49 ihrer Leistungsakte errechnet
hatte. Das gemäß §
131 Abs.
1 SGB III aF tägliche Bemessungsentgelt ist das "durchschnittlich" auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, im vorliegenden
Fall also 163,15 € (59.550,- € : 365 Tage). Da das tatsächliche Arbeitsentgelt bereits auf die jeweils maßgebende Beitragsbemessungsgrenze
begrenzt wurde, ist für eine weitere Begrenzung - wie von der Beklagten durchgeführt - kein Raum.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür nach §
160 Abs.
1 Nr.
1 und
2 SGG nicht vorliegen.