Berufsausbildungsbeihilfe für eine Zweitausbildung
Prognoseentscheidung
Einbeziehung späterer Erkenntnisse
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung ihres Antrages auf Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe
(BAB) für eine von ihr absolvierte Zweitausbildung.
Die 1989 geborene, zwischenzeitlich verheiratete Klägerin leidet bereits seit ihrem siebten Lebensjahr unter einer rheumatischen
Erkrankung, die über Jahre medikamentös behandelt wurde. Durch die ständige Schmerzmitteleinnahme kam es zur Veränderung ihrer
Darmschleimhaut und zu Durchfallneigung. Seit 2007 leidet sie außerdem unter einer chronischen Bronchitis. Wegen dieser Erkrankungen
wurde ihr vom Versorgungsamt durch Bescheid vom 23. September 2009 ein GdB von 30 zuerkannt. Sie leidet außerdem unter einer
Allergie gegen Zwiebelgemüsesorten, Atemnot und Ekzemen.
Der Klägerin wurde von der Beklagten für eine vom 1. September 2007 bis 31. August 2010 dauernde Ausbildung zur Fachkraft
für Lebensmitteltechnik bei der Firma "F" BAB bewilligt. Im Herbst 2009 teilte die Klägerin der Beklagten anlässlich einer
persönlichen Vorsprache mit, sie könne ihre Ausbildung aus persönlichen Gründen und wegen ihrer chronischen Erkrankungen nicht
fortsetzen. Bei einer weiteren persönlichen Vorsprache am 24. März 2010 und nochmals schriftlich am 8. Juni 2010 informierte
die Klägerin die Beklagte über die beabsichtigte Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses beim W- und Schamt. Sie könne den
Beruf einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben. Nach einer amtsärztlichen Untersuchung
sei ihre gesundheitliche Eignung für den Beruf der Wasserbauerin festgestellt worden, daraufhin habe sie am 12. April 2010
einen Ausbildungsvertrag für eine vom 1. August 2010 bis zum 31. Juli 2013 dauernde Ausbildung zur Wasserbauerin abgeschlossen.
Am 17. Juni 2010 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf BAB für diese Ausbildung. Sie beendete am 5. Juli
2010 ihre Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik erfolgreich, meldete sich mit Wirkung zum 6. Juli 2010 arbeitslos
und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Ab dem 1. August 2010 wurde sie zur Wasserbauerin ausgebildet.
Den Antrag auf Förderung ihrer Zweitausbildung zur Wasserbauerin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 22. September 2010
mit der Begründung ab, eine Förderung durch BAB sei nicht möglich, weil die Beklagte nicht die Möglichkeit gehabt habe, eine
neue berufliche Orientierung im Rahmen einer verkürzten Umschulung nach vorheriger Feststellung der gesundheitlichen Einschränkungen
der Klägerin zu prüfen. Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin auf die mehrmaligen persönlichen Vorsprachen bei der Beklagten
und übersandte ein Attest ihrer behandelnden Ärztin Frau Dipl.-Med. S vom 3. November 2010. Darin führt die Ärztin aus, die
Klägerin solle wegen ihrer Erkrankungen nicht mit Lebensmitteln arbeiten, ein Wechsel des Arbeitsplatzes werde empfohlen.
Durch Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Bei
der Entscheidung über die Förderung einer zweiten Ausbildung durch BAB sei der Vorrang der Vermittlung zu beachten und insbesondere
zu prüfen, ob eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt durch eine überregionale Vermittlung bzw. mit Hilfe der Förderinstrumente
der aktiven Arbeitsförderung erreicht werden könne. Eine dauerhafte Integration der Klägerin in den Arbeitsmarkt hätte im
Falle der Klägerin auf der Basis ihrer Erstausbildung mit Hilfe gezielter Förderleistungen erreicht werden können. Durch den
Abschluss eines Ausbildungsvertrages mit dem W- und Schamt bereits am 12. April 2010 habe für die Beklagte keine Möglichkeit
für Vermittlungsbemühungen mit dem Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt bestanden. Die Ablehnung des Antrages auf BAB
sei deshalb nicht ermessensfehlerhaft.
Hiergegen hat die Klägerin am 3. Januar 2011 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage erhoben und erneut darauf verwiesen,
ihre chronischen Erkrankungen ließen ihre Beschäftigung im Beruf einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik nicht zu. Während
ihrer Ausbildung zur Wasserbauerin habe sie alle, auch körperlich anstrengende Arbeiten ausgeführt. Dies habe gezeigt, dass
sie für den Beruf des Wasserbauers geeignet sei.
Zu den Gerichtsakten gelangte ein Attest der Ärztin S vom 11. Januar 2001 sowie ein ärztliches Zeugnis des Arbeitsmedizinischen
Dienstes der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft vom 31. Mai 2010 über die Untersuchung der Tauglichkeit
der Klägerin als Schiffsführer in der Rheinschifffahrt, eine ärztliche Bescheinigung des BAD G und S GmbH vom 1. Juni 2010
über die arbeitsmedizinische Voruntersuchung der Klägerin sowie ein ärztlicher Bericht der Rheumatologin und Internistin Dr.
F vom 16. Oktober 2009.
Die Beklagte hat sodann ihren ärztlichen Dienst mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, welches nach körperlicher
Untersuchung der Klägerin am 22. März 2011 durch Dr. J erstellt wurde. Darin nennt der Arzt die Diagnosen chronische Bronchitis,
chronische Darmerkrankung mit Durchfallneigung, entzündlich rheumatische Gelenkerkrankung, derzeit beschwerdefrei, ausgeprägte
Allergie gegenüber verschiedenen Lebensmitteln (Zwiebel und Zwiebelgewächse), Verdacht auf angineurotisches Ödem bei obig
benannter Allergie, schmerzhafte, mehrere Tage anhaltende Schwellung von Haut und Schleimhaut, nach eigenen Angaben angeborene
Mangelentwicklung/Abflachung der Hüftgelenkspfanne beidseits, derzeit beschwerdefrei, Lese- und Rechtschreibschwäche, Zn durch
Mobbing bedingter Angststörung mit depressiven Stimmungsschwankungen im ersten Ausbildungsberuf. Zum Leistungsvermögen stellte
Dr. J fest, die Klägerin könne noch vollschichtig überwiegend mittelschwere Tätigkeiten ausführen. Auszuschließen seien hohe
körperliche Belastungen (körperliche Akkordarbeit), inhalative Belastungen durch Staub, Rauch, Gase oder Dämpfe, häufiges
Heben und Tragen schwerer Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, einseitige Körperhaltungen ohne Gelegenheit zum Ausgleich,
Belastungen durch Nässe, Kälte, Zugluft oder Temperaturschwankungen, Belastungen durch relevante Allergene und hohe Anforderungen
an das Lese- und Rechtschreibvermögen. Sanitäre Einrichtungen müssten jederzeit erreichbar sein. Im erlernten Beruf als Fachkraft
für Lebensmitteltechnik sei sie nicht mehr einsetzbar, trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen könne sie ihre laufende
Berufsausbildung zum Wasserbauer weiterhin fortsetzen.
In einer von der Beklagten beauftragten sozialmedizinischen Stellungnahme zum Gutachten des Dr. J hat Frau Dipl.-Med. R am
6. April 2011 ausgeführt, das in "Berufe.net" eingestellte Tätigkeitsprofil eines Wasserbauers sei entgegen den Feststellung
des Gutachters Dr. J nicht mit dem von diesem erarbeiteten Leistungsbild vereinbar. Es liege deshalb keine ausreichende Belastbarkeit
der Klägerin für die dauerhafte Ausübung des Berufs des Wasserbauers vor.
Das Sozialgericht hat sodann Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte angefordert, und zwar der Klinik für P, P
und P F vom 28. September 2011 und der Ärztin S vom 30. September 2011. Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Beklagte
eine fachliche Stellungnahme vom 17. Februar 2012 zur Vermittlungsfähigkeit der Klägerin sowohl im erlernten Beruf als auch
im Beruf einer Wasserbauerin zu den Gerichtsakten gereicht.
Nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung wurde die Klägerin beim W- und Schamt befristet für 12 Monate vom 6. Juli 2013
bis zum 5. Juli 2014 als Wasserbauerin beschäftigt.
Auf erneute Veranlassung durch die Beklagte hat die Ärztin R unter dem 23. Juli 2014 ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten
nach Aktenlage erstellt. Als integrationsrelevante Funktionseinschränkungen werden darin mittelgradige Beeinträchtigungen
des Gesamtorganismus mit Einschränkungen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit, leichtgradige Funktionsstörungen
des Beins rechts, mittelgradige Funktionsstörungen der oberen Atemwege und leichtgradige Funktionsstörungen des Verdauungssystems
genannt. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin noch vollschichtig mittelschwere Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten
mit weiteren qualitativen Einschränkungen ausführen.
Durch Urteil vom 15. Oktober 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf BAB für
die Förderung ihrer zweiten Ausbildung zur Wasserbauerin. Sie erfülle zwar die gesundheitlichen Voraussetzungen für die von
ihr zunächst erlernte Tätigkeit einer Fachkraft für Lebensmitteltechnik nicht, weshalb auf dieses Berufsfeld gerichtete Vermittlungsaktivitäten
der Beklagten ausschieden. Eine Zweitausbildung sei jedoch erst dann förderfähig, wenn andere Maßnahmen zur Aktivierung und
beruflichen Eingliederung prognostisch gesehen zu keiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt führten. Die Klägerin erfülle jedoch
bereits die gesundheitlichen Anforderungen für die Zweitausbildung nicht. Dabei sei unerheblich, ob der Ausbildungsbetrieb
akzeptiert habe, dass die Klägerin nicht alle zum Berufsbild gehörenden Tätigkeiten habe ausführen können. Auch die Tatsache,
dass der Ausbildungsbetrieb die Klägerin befristet beschäftigt habe, führe zu keinem anderen Ergebnis, denn hierbei habe es
sich nicht um eine dauerhafte Eingliederung der Klägerin in den Arbeitsmarkt gehandelt. Die Beklagte habe zudem bereits keine
§
7 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (
SGB III) berücksichtigende Auswahlentscheidung über die Fördermöglichkeiten der Klägerin treffen können, da die Klägerin bereits
vor der Beantragung ihrer Förderung durch BAB am 12. April 2010 mit dem W- und Schamt einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen
habe. Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass die Zweitausbildung zur Wasserbauerin prognostisch gesehen die einzige Maßnahme
gewesen wäre, mit der eine dauerhafte berufliche Eingliederung der Klägerin zu erreichen gewesen wäre. Für die erforderliche
Prognose einer fehlenden Möglichkeit der beruflichen Eingliederung der Klägerin in ihrem Ausgangsberuf habe es an einer jedenfalls
vorauszusetzenden Mindestdauer der Betreuung durch die Beklagte gefehlt, indem die Klägerin durch Abschluss des Ausbildungsvertrages
vollendete Tatsachen geschaffen habe.
Hiergegen hat Klägerin Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Sie trägt ergänzend vor, die Beklagte sei bis zum Ausbildungsbeginn
am 1. August 2010 nicht daran gehindert gewesen, ihr Auswahlermessen auszuüben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. Oktober 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 22. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2010 zu verurteilen, den Antrag der Klägerin
auf Förderung ihrer Ausbildung zur Wasserbauerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung geworden sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig nach §§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), denn die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Förderung durch BAB für mehr als ein Jahr. Die Berufung
ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Neubescheidung
ihres Antrags auf BAB für die Förderung ihrer - bereits abgeschlossenen - Ausbildung zur Wasserbauerin hat. Der angefochtene
Bescheid der Beklagten vom 22. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2010 ist deshalb rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die von der Klägerin erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach
§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG ist zulässig, aber unbegründet.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Förderung ihrer am 1. August 2010 begonnenen und am 31. Juli 2013 beendeten
Ausbildung zur Wasserbauerin ist §
60 SGB III in der insoweit maßgeblichen, bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (a.F.). Gem. Abs. 1 dieser Vorschrift ist eine berufliche
Ausbildung durch BAB gem. §
59 SGB III a.F. förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz, der Handwerksordnung oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsbetrieb betrieblich oder außerbetrieblich oder nach dem Altenpflegegesetz betrieblich durchgeführt wird und der dafür vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden ist. Gem. §
60 Abs. S. 1
SGB III a.F. ist grundsätzlich die erstmalige Ausbildung förderungsfähig.
Nachdem die Klägerin ihre Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik erfolgreich abgeschlossen hatte, handelte es sich
bei der von ihr absolvierten Ausbildung zur Wasserbauerin um eine Zweitausbildung im Sinne des §
60 Abs.
2 Satz 2
SGB III a.F. Danach kann eine zweite Ausbildung gefördert werden, wenn zu erwarten ist, dass eine berufliche Eingliederung dauerhaft
auf andere Weise nicht erreicht werden kann und durch die zweite Ausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird. Für
diese Zweitausbildung hat die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Gewährung von BAB und auch keinen Anspruch auf Neubescheidung
ihres dahingehenden Antrags.
Bei der Regelung des §
60 Abs.
2 Satz 2
SGB III a.F. handelte es sich um eine Ermessenleistung, wobei die Beklagte bei der Prüfung des Anspruchs auf BAB nach der gesetzlichen
Konzeption zunächst eine Prognoseentscheidung zu treffen hatte. Erst wenn diese Prognose positiv getroffen war, war für die
Beklagte der Ermessenspielraum eröffnet. Sie hatte daher zum einen zu prüfen, ob im Falle der Klägerin die Prognose gerechtfertigt
war, dass sie aufgrund ihrer ersten beruflichen Ausbildung keine Aussicht auf eine dauerhafte Eingliederung in das Erwerbsleben
hatte, ob also ihre Vermittlung im erlernten Beruf als Fachkraft für Lebensmitteltechnik, wegen des in §
4 SGB III normierten Vermittlungsvorranges ggf. auch unter Berücksichtigung von anzubietenden Weiterbildungsmaßnahmen oder Eingliederungszuschüssen
für Arbeitgeber, die Chancen auf eine dauerhafte berufliche Eingliederung verbessert hätten und eine erfolgreiche Wiedereingliederung
zu erwarten war oder nicht. Für die Förderung der Zweitausbildung zur Wasserbauerin mit BAB war weiter erforderlich, dass
durch die zweite Berufsausbildung die berufliche Eingliederung erreicht wird. Bei der Beurteilung der arbeitsmarktpolitischen
Zweckmäßigkeit kommt der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, nicht hingegen bei der vorausschauenden Beurteilung der gesundheitlichen
Eignung für den Zweitberuf, weil es sich bei letzterer um eine prognostische Einzelbeurteilung handelt (vgl hierzu etwa BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 7 AL 18/99 R = SozR 3-4100 § 36 Nr 5 mwN). Maßgeblicher Prüfungszeitraum der Gerichte im Falle der hier vorliegenden Anfechtungsklage
ist derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung. Dasselbe gilt für die Verpflichtungsklage, bei der zwar grundsätzlich die
letzte mündliche Verhandlung maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist, was jedoch entsprechend dem jeweils anwendbaren materiellen
Recht Einschränkungen unterliegt. Liegt wie hier die Dauerwirkung eines Verwaltungsaktes zum Zeitpunkt der gerichtlichen Kontrolle
ausschließlich in der Vergangenheit und setzt sein Erlass die Beurteilung zeitbedingter oder planerischer Elemente voraus,
wie hier die Eingliederungschancen der Klägerin, so können spätere tatsächliche Entwicklungen die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung
grundsätzlich nicht mehr beeinflussen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist damit im vorliegenden Fall der Erlass des Widerspruchsbescheides
am 3. Dezember 2010. In dieser Entscheidung hatte die Beklagte jedoch keine Prognoseentscheidung hinsichtlich der Chancen
der beruflichen Eingliederung der Klägerin durch die Zweitausbildung zur Wasserausbildung getroffen. Vielmehr hatte sie ihre
ablehnende Entscheidung auf die Prognose der dauerhaften beruflichen Eingliederung der Klägerin in ihrem erlernten Beruf als
Fachkraft für Lebensmitteltechnik unter Einbeziehung von Vermittlungsleistungen und Förderinstrumenten der aktiven Arbeitsförderung
beschränkt.
Bei der nunmehr durch den Senat nachzuholenden Prognoseentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Zweitausbildung
abgeschlossen und befristet ein Jahr als Wasserbauerin gearbeitet hat. Denn im Bereich der beruflichen Förderung kann bei
der gerichtlichen Überprüfung einer Prognoseentscheidung der Beklagten der spätere Geschehensablauf nicht außer Betracht bleiben.
Hat sich die Richtigkeit einer Prognose im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch den späteren Geschehensablauf widerlegt,
wäre das Festhalten an der Prognoseentscheidung "wirklichkeitsfremd" (vgl BSG aaO.). Entsprechendes muss auch gelten, wenn die Beklagte wie hier die Eignung der Zweitausbildung zur beruflichen Eingliederung
nicht prognostisch beurteilt hat und die Beurteilung nunmehr bei der Überprüfung der ablehnenden Entscheidung nachzuholen
ist. Die Einbeziehung späterer Erkenntnisse dient nämlich vor allem der Kontrolle, ob die Verwaltungsentscheidung tatsächlich
unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer dem Sachverhalt angemessenen und methodisch einwandfreien Weise erarbeitet
worden ist. Die abwägungserheblichen Belange müssen erfasst und zutreffend unter den Sachverhalt subsumiert sein (vgl BSG, Urteil vom 31. März 1992 - 9b Rar 18/91 - juris).
Die Zweitausbildung der Klägerin zur Wasserbauerin erweist sich in diesem Sinne im Falle der Klägerin prognostisch jedoch
auch unter Berücksichtigung des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung nicht als geeignet, um deren dauerhafte berufliche
Eingliederung zu erreichen. Aus der Tatsache, dass die Klägerin ihre Ausbildung abgeschlossen hat, kann allein noch nicht
auf die Geeignetheit in diesem Sinne geschlossen werden. Denn die vorzunehmende Prognose betrifft nicht die Frage, ob die
Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird sondern sie bezieht sich auf die zukünftige Vermittelbarkeit der Klägerin im angestrebten
Ausbildungsberuf. Dabei kann die Eignung für den mit der Zweitausbildung angestrebten Beruf nicht anhand eines Abgleichs mit
dem Aufgabenzuschnitt und den Bedingungen eines konkreten Arbeitsplatzes erfolgen, vorliegend also den Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen
der Klägerin während ihrer Ausbildung und Beschäftigung beim W- uns Schamt. Ob eine dauerhafte berufliche Eingliederung nach
aller Voraussicht erreicht wird, kann nur anhand des allgemeinen Berufsbildes eingeschätzt werden (vgl auch Sächsisches Landessozialgericht,
Urteil vom 11. Oktober 2012 - L 3 AL 63/11 - juris). Denn nur wenn die Klägerin diesen Anforderungen gerecht wird, kann sie in den Arbeitsmarkt erfolgreich integriert
werden.
Nach den beigezogenen Informationen (Berufe.net) gehören zur Tätigkeit einer Wasserbauerin uA folgende Aufgaben:
- wasserbauliche Tätigkeiten planen, vorbereiten und organisieren (Baustellen absichern, Maschinen und Geräte antransportieren,
benötigte Materialien bereitstellen, Baugerüste einrichten, Arbeitsunterlagen erstellen, am Projekt beteiligte Gewerke und
bauausführende Firmen koordinieren, Bauüberwachung und -betreuung durchführen
- Erd- und Tiefbauarbeiten ausführen bzw. veranlassen (Bodenmassen mithilfe von Maschinen und Spezialfahrzeugen lösen, laden,
transportieren, einbauen und verdichten, Betriebswege anlegen und befestigen, Drainagerohre verlegen)
- Instandsetzungsarbeiten an Wehren, Schleusen und Stauseen sowie anderen Wasserbauwerken ausführen
- Gewässerinspektion und Stromüberwachung durchführen, Fahrwasser bzw. Fahrrinne sichern und bezeichnen
- Arbeiten am Küstenschutz ausführen
- Arbeiten in Vegetationsansiedlung und Unterhalt ausführen, z.B. Begrünung, Röhrichtansiedlung, Pflanzen von Gehölzen
Wasserbauer sind danach auf wechselnden Baustellen und gelegentlich auch im Büro oder in der Werkstatt tätig. Die Arbeit im
Küstenschutz ist teilweise von den Gezeiten abhängig. Hier werden die Arbeiten häufig im Gruppenakkord ausgeführt.
Auf diese Arbeitsbedingungen des allgemeinen Berufsbildes des Wasserbauers ist vorliegend bei der Prognose nach §
60 Abs.
2 Satz 2
SGB III aF abzustellen. Diese Anforderungen kann die Klägerin aufgrund der bei ihr vorliegenden Leistungseinschränkungen infolge
der von ihren Ärzten diagnostizierten Erkrankungen, die von den Sachverständigen im Verwaltungsverfahren übereinstimmend bestätigt
wurden, zur Überzeugung des Senates jedoch nicht in voller Breite dauerhaft erfüllen. Die Klägerin kann nach den festgestellten
Gesundheitsstörungen des von der Beklagten mit der Begutachtung beauftragten Dr. J in dessen Gutachten vom 22. März 2011 und
den hieraus nachvollziehbar abgeleiteten Einschränkungen keine Tätigkeiten mit hoher körperlicher Belastung (körperliche Akkordarbeit),
inhalativen Belastungen durch Rauch, Gase oder Dämpfe, häufigem Heben und Tragen schwerer Lasten ohne mechanische Hilfsmitte
mehr ausführen. Auch müssen sanitäre Einrichtungen jederzeit erreichbar sein. Aufgrund der Funktionsstörungen der oberen Atemwege
mit Unverträglichkeit von abrupten körperlichen Anstrengungen und erhöhter Infektanfälligkeit sind Belastungen durch Nässe,
Kälte und Zugluft ausgeschlossen. Als Wasserbauerin müsste die Klägerin jedoch überwiegend im Freien unter allen Witterungsbedingungen
arbeiten, Arbeiten wie zum Beispiel Deichsicherung erfordern zudem einen hohen körperlichen Einsatz, sanitäre Einrichtungen
sind im Freien nur schwer erreichbar. Auch wenn dem Wasserbauer etliche Maschinen - darunter schwere Baufahrzeuge - die Arbeit
auf Baustellen erleichtern, fordern diese doch ein gewisses Maß an körperlichem Einsatz. Wasserbauer müssen außerdem auch
mit schwierigen Arbeitsbedingungen, z.B. einer abschüssigen Uferböschung umgehen können. Zudem wäre die Klägerin den Dämpfen
von Lacken, Reinigungs- und Konservierungsmitteln ausgesetzt, die evtl. die Atemwege beeinträchtigen, was ihr Leistungsvermögen
ebenfalls nicht zulässt.
Der von ihr gewählte Zweitberuf lässt sich damit nicht mit ihrem von Dr. J festgestellten Leistungsbild zweifelsfrei in Einklang
bringen. Dass Dr. J gleichwohl ausgeführt hat, die Klägerin könne ihre bereits begonnene Ausbildung zur Wasserbauerin beenden,
führt zu keiner anderen Einschätzung. Denn damit hat Dr. J keine Aussage hinsichtlich der vorliegend allein maßgeblichen Fähigkeit
der Klägerin zur dauerhaften Ausübung dieses Berufes getroffen.
Da es- wie bereits dargelegt - nur auf die Anforderungen des allgemeinen Berufsbildes ankommt, führt auch die Tatsache, dass
die Klägerin nach Abschluss ihrer Ausbildung befristet für ein Jahr in diesem Beruf beschäftigt war, zu keinem anderen Ergebnis,
ebenso wenig wie die plastischen Ausführungen der hinsichtlich ihrer beruflichen Entwicklung überaus engagierten Klägerin
im Termin zur mündlichen Verhandlung, wonach sie alle - auch schwere - Arbeiten, die während ihrer Ausbildung zur Wasserbauerin
anfielen, verrichtet hat. Dies konnte den Senat aber letztlich nicht davon überzeugen, dass sie allen Anforderungen dieses
Berufsbildes gesundheitlich vollumfänglich gewachsen war und es auch dauerhaft sein wird. Es liegt vielmehr der Schluss nahe,
dass die Klägerin teilweise auf Kosten ihrer Gesundheit diese Tätigkeiten verrichtet hat, denn der Sachverständige Dr. J hatte
insbesondere Tätigkeiten wie häufiges Heben und Tragen ohne Hilfsmittel und insbesondere hohe körperliche Belastungen wie
die von der Klägerin beschriebenen ausdrücklich aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen ausgeschlossen.
Auch das ärztliche Zeugnis des arbeitsmedizinischen Dienstes der Berufsgenossenschaft vom 31. Mai 2010 führt zu keiner anderen
Bewertung, denn darin wird lediglich die Eignung der Klägerin für eine Tätigkeit als Schiffsführerin in der Rheinschifffahrt
bescheinigt; diese Tätigkeit stimmt jedoch nicht mit der hier maßgeblichen als Wasserbauerin überein, sondern betrifft nur
einen Teilaspekt ihrer Ausbildung.
Hinzu kommt, dass die Klägerin lediglich ein Jahr in dem Beruf des Wasserbauers gearbeitet hat und seitdem arbeitslos ist,
eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt tatsächlich durch ihre Ausbildung als Wasserbauerin somit nicht erreicht
wurde. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BSG kann diese Tatsache, die zeitlich erst nach dem grundsätzlich maßgebenden Beurteilungszeitraum bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens
eingetreten ist, bei der gerichtlichen Entscheidung nicht außer Betracht bleiben (vgl BSG, Urteil vom 11. Mai 2000 - B 7 AL 18/99 R -). Bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit ist zum einen §
5 SGB III zu beachten, wonach Arbeitslosigkeit durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung nicht nur vorübergehend vermieden werden
soll. Die Dauerhaftigkeit in §
60 Abs.
2 SGB III a.F. muss zudem iSd §
4 Abs.
2 SGB III verstanden werden. Danach gilt der Vermittlungsvorrang nicht, wenn lediglich eine befristete Beschäftigung erreicht werden
kann, während die angestrebte Bildungsmaßnahme zu einer dauerhaften Eingliederung führen würde (so auch Brecht-Heitzmann in
Gagel, Rn. 53 zu §
57 SGB III). Eine Prognose dahingehend, dass eine dauerhafte, unbefristete Eingliederung nur im Wege der Förderung der Zweitausbildung
zum Wasserbauer zu erreichen ist, konnte deshalb nicht getroffen werden.
Da bereits keine positive Prognose in Bezug auf die Zweitausbildung der Klägerin getroffen werden konnte, kann die Frage offen
bleiben, ob die Prognose gerechtfertigt war, dass die Klägerin aufgrund ihrer ersten Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik
keine Aussicht auf eine Eingliederung in das Erwerbsleben mit Aussicht auf Dauer hatte. Zwischen den Beteiligten dürfte insoweit
unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen Einigkeit bestehen, dass sie in diesem Beruf nicht mehr
arbeiten kann.
Liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von BA nicht vor, durfte die Beklagte auch keine entsprechende
Ermessensentscheidung treffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.