Anerkennung eines Wegeunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung beim Verlassen des Wohnhauses
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Ereignisses vom 02. Juni 2008 als Arbeitsunfall; streitig ist, ob es sich bereits
um einen versicherten Wegeunfall gehandelt hat.
Den Hergang des Unfalles gab der 1971 geborene Kläger gegenüber dem am Unfalltag aufgesuchten Durchgangsarzt Dr. E dahin wieder,
dass sich beim Verlassen des Wohnhauses sein linker Fuß unter der Automatikhaustür verklemmt habe. Diagnostiziert wurde ein
Kniebinnenschaden mit knöchernem Seitenbandausriss lateral. Das Ereignis geschah um 6.45 Uhr bei einem Beginn der Arbeitszeit
um 7.30 Uhr. Der Arbeitgeber des Klägers, die Firma B GmbH gab mit Unfallanzeige vom 03. Juni 2008 den Unfall dahingehend
wieder, dass der Kläger zu Hause mit seinem Fuß zwischen Türschwelle und Hausausgangstür mit seinem Schuh hängen geblieben
und dabei gestürzt sei. Eine am 04. Juni 2008 durchgeführte Operation ergab eine Komplexverletzung des linken Kniegelenkes
mit vorderer Kreuzbandruptur, partieller hinterer Kreuzbandruptur, medialer Seitenbandruptur, lateraler Meniskushinterhornruptur,
knöchernem Ausriss des Ligamentum meniscotibiale laterale und der Gelenkkapsel, Hämarthros am linken Kniegelenk. Mit Zwischenbericht
vom 18. Juni 2008 teilte die behandelnde Klinikum B GmbH mit, dass über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit
derzeit noch keine Aussage getroffen werden könne; mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigender Höhe müsse
gerechnet werden. Nach einem Aktenvermerk der Beklagten vom 09. Juli 2008 hatte der Kläger im Rahmen einer Kniesprechstunde
und einer Befragung zum genauen Unfallhergang angegeben, beim Verlassen des Hauses mit der Fußspitze an der erkennbaren Schwelle
hängen geblieben zu sein, von hinten habe die Tür den Fuß eingeklemmt, danach sei er bei fixiertem Fuß nach außen gefallen.
Diesen Hergang schilderte der Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 2008 erneut schriftlich dahin, mit dem linken Fuß in der automatisch
nach außen schließenden Tür hängen geblieben und dadurch nach außen auf die Pflastersteine gefallen zu sein. Beigefügt waren
eine Skizze und Fotos vom Unfallort. Die Beklagte übernahm, nachdem intern zunächst vom Vorliegen eines Arbeitsunfalles ausgegangen
worden war, zunächst die Kosten der Behandlung.
Mit Bescheid vom 07. Oktober 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aufgrund des Ereignisses vom 02. Juni 2008
ab. Zur Begründung führte sie aus, dass nach der geltenden Rechtsprechung der Versicherungsschutz mit Durchschreiten der Außenhaustür
beginne, also vor der Haustür. Entscheidend sei, wo sich der Versicherte die Verletzung zugezogen habe (noch im häuslichen
Bereich oder bereits vor der Tür). Der Kläger sei mit dem Fuß zwischen Türschwelle und der von innen schließenden Tür eingeklemmt
gewesen. Dadurch habe er sich im Fallen das Knie verletzt. Ursache für die Knieverletzung sei nicht der Sturz auf den Weg
vor der Tür gewesen, sondern das Einklemmen des Fußes in der Tür. Damit habe sich der Kläger die Verletzungen noch vor der
Tür im häuslichen Bereich zugezogen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er ausführte, dass sich im Zeitpunkt des Sturzes sein gesamter Körper und
beide Knie vor der Außentür befunden gehabt hätten. Damit habe er sich die Verletzung nicht mehr im unversicherten häuslichen
Lebensbereich zugezogen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2009 zurück. Ursächlich
für die Knieverletzung sei nicht der Sturz vor der Haustür gewesen, sondern das Einklemmen des linken Fußes in der Tür. Damit
sei die Haustür noch nicht vollständig durchschritten gewesen. Die Tür gehöre aber noch zum häuslichen Bereich und sei keine
versicherte Wegegefahr.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) mit Urteil vom 01. Dezember 2011 abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, dass der Bereich der persönlichen privaten Lebenssphäre erst dann verlassen worden ist, wenn der Versicherte die
Außentür vollständig passiert habe, die Tür also regelmäßig hinter sich geschlossen oder einen vergleichbaren Gebäudeabschluss
hinter sich gelassen habe. Davon könne beim Vorgang des Durchschreitens selber noch nicht ausgegangen werden, weil beim Durchschreiten
dieser Vorgang gerade noch andauere und vollzogen werde, während die Formulierung "mit Durchschreiten" vom Wortlaut her den
finalen Abschluss dieses Vorgangs als tatsächlich abgeschlossenes Verlassen des häuslichen Bereiches verlange und voraussetze.
Allein eine derart starr gezogene Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem mit der versicherten
Tätigkeit zusammenhängenden Weg sei geeignet, dem Interesse an Rechtssicherheit zu entsprechen.
Gegen dieses ihm am 09. Dezember 2011 zugegangene Urteil richtet sich die am 09. Januar 2012 beim Landessozialgericht eingegangene
Berufung des Klägers. Der Kläger ist der Ansicht, dass objektives Kriterium für die Abgrenzung allein sein könne, ob die Verletzung
vor oder hinter der gedachten Linie der geschlossenen Hauseingangstür erlitten worden sei. Bei der Abgrenzung zwischen häuslichem
Wirkungsbereich und Dienstweg könne es nur um eine räumliche Grenze gehen. Der Vorgang des Durchschreitens bzw. dessen Vollendung
könne nicht Abgrenzungskriterium sein; die möglichen Fallgestaltungen seien hier zu vielfältig, um Rechtssicherheit herbeiführen
zu können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 01. Dezember 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 07. Oktober 2008 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Schadensereignis
vom 02. Juni 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass der versicherte Weg zur Arbeit erst mit dem vollständigen Durchschreiten der
Außentür beginne.
Mit Schriftsätzen vom 02. August 2012 und vom 16. August 2012 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil
ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß den §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) und der Bescheid
der Beklagten vom 07. Oktober 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2009 sind rechtswidrig und waren
daher aufzuheben. Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, dass er am 02. Juni 2008 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist §
8 SGB VII. Nach §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten
zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung
zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität)
und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende
Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität)
ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 30. Januar 2007, Az.: B 2 U 23/05 R, und Urteil vom 17. Februar 2009, Az.: B 2 U 18/07 R, zitiert jeweils nach juris.de, m.w.N.). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Arbeitsunfall und die Gesundheitserstschädigung
im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen
Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen
Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit -
ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 02. Mai 2001, Az.: B 2 U 16/00, zitiert nach juris.de). Diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Arbeitsunfalls sind vorliegend gegeben.
Unter Beachtung dieser Vorgaben hat der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten, weil er sich bei dem streitigen Ereignis bereits
auf einem versicherten Weg befand. Der versicherte Weg zur Arbeit im Sinne des §
8 Abs.
2 SGB VII beginnt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) mit dem Durchschreiten der Außentür des Hauses (vgl. etwa BSG, Urteil vom 24. Juni 2003, Az.: B 2 U 24/02 R, Urteil vom 12. Dezember 2006, Az.: B 2 U 1/06 R, und Urteil vom 07. November 2000, Az.: B 2 U 39/99 R, zitiert hier und im Folgenden jeweils nach juris). In der - von der Beklagten auch im Verwaltungsverfahren geprüften - Entscheidung
vom 12. Oktober 1973 (Az.: 2 RU 167/72) hat das BSG dies dahin präzisiert, dass sich ein Unfall auf dem Weg nach dem Ort der Tätigkeit schon dann ereignet hat, wenn der Sturz
im häuslichen Bereich begonnen, der Versicherte sich jedoch erst beim Auffallen vor der Haustür verletzt hat, wobei es nicht
darauf ankommt, ob die Ursache des Sturzes noch im häuslichen Bereich gelegen hat. In diesem Fall war der Kläger auf dem Weg
zur Arbeit auf den unteren Stufen der Treppe im Hausflur ins "Trudeln" gekommen, durch die Glasfüllung der Haustür gestürzt
und hatte sich vor der Haustür an den Glasscherben Verletzungen der rechten Kniekehle zugezogen. Es gibt keinen Grund, diese
Präzisierung durch das BSG nicht auch im vorliegenden Fall anzuwenden, da sich das BSG in den genannten Entscheidungen in der Folgezeit immer wieder ausdrücklich auf seine ständige Rechtsprechung bezogen hat,
ohne die zuletzt genannte Entscheidung hierbei in irgendeiner Weise infrage zu stellen. Vorliegend stellt sich der Sachverhalt
unter Zugrundelegung der in jeder Hinsicht glaubhaften Schilderung des Klägers, die von der Beklagten nicht bestritten worden
ist und der gefolgt wird, und unter Zugrundelegung der von ihm überreichten Fotos vom Unfallort so dar, dass die Verletzung
jedenfalls erst nach dem Passieren der äußeren Haustür eingetreten sein kann. Denn die nach außen automatisch sich schließende
Tür verhinderte, dass der Kläger hier rückwärts fallen konnte, weshalb er auch nach vorne gestürzt ist. Sein Knie muss sich
dabei bereits jenseits der Türschwelle befunden haben, da nur so der die Verletzung auslösende das Knie schädigende Mechanismus
überhaupt zur Wirkung gekommen sein kann. Unerheblich ist entgegen den erstinstanzlichen Ausführungen bei Anwendung der Grundsätze
der BSG-Entscheidung aus 1973, dass der Kläger die Haustür nicht aufrechten Ganges passiert und sich die Tür nicht erst hinter ihm
geschlossen hat. Für eine Verschärfung der Anforderungen entgegen der genannten BSG-Entscheidung besteht kein Grund. Insbesondere ist dies nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit, eine klare Grenze zu ziehen,
erforderlich. Vielmehr würde dies zu unnötigen Zufälligkeiten in Abhängigkeit davon führen, ob z. B. - wie im vorliegenden
Fall - eine automatisch schließende Tür durchschritten wurde oder nicht.
Nach alledem war der Berufung also stattzugeben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG lagen nicht vor.