Prozesskostenhilfe
Hinreichende Erfolgsaussicht
Verzögerungsrüge für Entschädigung wegen überlangem Gerichtsverfahren
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung einer Entschädigung
wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 77 AS 24158/11 geführten Verfahrens. Dem Ausgangsverfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 12. September 2011 erhob der Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin Klage zum einen gegen eine Meldeaufforderung (zum
09. Juni 2011) des Jobcenters Berlin Lichtenberg vom 01. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. September
2011, zum anderen gegen einen Sanktionsbescheid vom 20. Juni 2011 (Minderung der Leistungen um monatlich 36,40 € im Zeitraum
vom 01. Juli bis zum 30. September 2011 aufgrund eines Meldeverstoßes vom 31. Mai 2011) in der Gestalt eines weiteren Widerspruchsbescheides
vom 06. September 2011. Zugleich suchte er um einstweiligen Rechtsschutz nach. In diesem Verfahren (S 77 AS 24158/11 ER) lehnte die Kammer mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit der Begründung ab,
bzgl. der Meldeaufforderung sei der Antrag bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, im Übrigen unbegründet.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2011 wies das Sozialgericht die Klage unter weitgehender Bezugnahme auf die Ausführungen
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ab. Nach Zustellung der Entscheidungsgründe am 23. Dezember 2011 beantragte der Antragsteller
mit am 29. Dezember 2011 bei Gericht eingegangenem Schreiben die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und kündigte an,
seine Anfechtungsklage gegen die Meldeaufforderung in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umzustellen. Die Sache wurde daraufhin
in das so genannte "E-Fach" verfügt.
Mit am 21. März 2012 eingegangenem Schreiben lehnte der Antragsteller den Vorsitzenden der 77. Kammer wegen der Besorgnis
der Befangenheit ab. Zur Begründung behauptete er, die Prozessführung des Richters sei unverkennbar auf Begünstigung des Jobcenters
auf Klageabweisung ausgerichtet. Zugleich erhob er Verzögerungsrüge und führte hierzu aus, infolge permanenter Leistungskürzungen
verleihe er aus wirtschaftlichen Gründen seiner Besorgnis Ausdruck, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen
sein werde.
Mit Beschluss vom 18. April 2012 wies das Sozialgericht das Ablehnungsgesuch zurück. Im Folgenden wurde die Sache wieder in
das Entscheidungsfach verfügt. Eine mündliche Verhandlung ist bislang nicht anberaumt.
Bereits am 27. September 2012 hatte der Antragsteller beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einen isolierten Antrag
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Klage auf Zahlung einer Entschädigung gestellt. Zur Begründung
hatte er geltend gemacht, durch das Nichtbetreiben des Ausgangsverfahrens erwüchsen ihm zeitablaufbedingt Kostennachteile.
Das im Falle einer Klageerhebung beklagte Land Berlin meint, die begehrte Prozesskostenhilfe sei nicht zu bewilligen. Die
am 21. März 2012 eingegangene Verzögerungsrüge sei nicht unverzüglich erhoben. Im Übrigen sei keine unangemessene Dauer des
Gerichtsverfahrens gegeben. Drei Monate nach Klageeingang sei durch Gerichtsbescheid entschieden worden. Dass auf den im Folgenden
gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine solche noch nicht erfolgt sei, führe angesichts der Bedeutung
des Verfahrens noch nicht zur Annahme unangemessener Verfahrensdauer.
II.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtige Entschädigungsklage kommt nicht in Betracht.
Maßgebend für das beabsichtigte Klageverfahren sind die §§
198 ff. des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) sowie die §§
183,
197a und
202 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Gemäß §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §
202 Satz 2
SGG richtet sich das Verfahren über die als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage nach den Vorschriften über das Verfahren
vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt es mithin nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG auf die §§
114 ff. der
Zivilprozessordnung (
ZPO) an.
Prozesskostenhilfe wäre dem Antragsteller danach nur dann zu bewilligen, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Erfolgsaussicht.
Das angerufene Gericht beurteilt die Erfolgsaussicht im Sinne des §
114 ZPO regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes, da die Prüfung der Erfolgsaussicht
nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern
und dieses an die Stelle des Verfahrens in der Sache treten zu lassen. Daraus folgt, dass an die Annahme hinreichender Erfolgsaussicht
keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen; das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz
erfordert, nicht selbst bieten, sondern überhaupt erst zugänglich machen. Prozesskostenhilfe darf allerdings verweigert werden,
wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (z.B.
BVerfG, Beschlüsse vom 03.09.2013 - 1 BvR 1419/13 - Rn. 22, sowie vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 - Rn. 26, zitiert jeweils nach juris). Letzteres aber ist hier der Fall. Es erscheint derzeit ausgeschlossen, dass das Gericht
im Falle einer Klageerhebung das dann beklagte Land Berlin zur Zahlung einer Entschädigung an den Antragsteller verurteilen
würde.
Vorliegend bestehen bereits ganz erhebliche Zweifel, ob der Antragsteller eine für die erfolgversprechende Geltendmachung
eines Entschädigungsanspruchs erforderliche Verzögerungsrüge wirksam eingelegt hat. Nach §
198 Abs.
3 Satz 1
GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter eine Entschädigung nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des
Verfahrens gerügt hat. Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren
nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG). Im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren hat der Antragsteller zwar mit am 21. März 2012 bei Gericht eingegangenem Schreiben
Verzögerungsrüge erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren jedoch gerade einmal ein gutes halbes Jahr anhängig und hatte
das Gericht sogar bereits durch Gerichtsbescheid entschieden. Dass die zuständige Kammer keine drei Monate nach Eingang des
Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung diese noch nicht anberaumt hatte, konnte sicher nicht die Besorgnis
begründen, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen sein würde. Es spricht daher sehr viel dafür,
dass die Verzögerungsrüge als verfrüht und damit bedeutungslos anzusehen sehen sein dürfte.
Selbst wenn dies jedoch einem Entschädigungsanspruch nicht entgegen stehen sollte, so kann jedenfalls momentan nicht von einer
unangemessenen Verfahrensdauer ausgegangen werden.
Nach §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil
erleidet. Anknüpfungspunkt für die Frage, ob ein Verfahren überlang ist, ist dabei - wie sich schon aus der auf das Gerichtsverfahren
von seiner Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss abstellenden Legaldefinition in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG ergibt - das Verfahren insgesamt. Ist das Ausgangsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, erfolgt eine Entschädigungsklage
damit in aller Regel verfrüht, denn selbst wenn das erstinstanzliche Verfahren als überlang anzusehen sein könnte, dürfte
dies durch eine zügige Bearbeitung in der/den weiteren Instanz/en noch zu kompensieren sein.
Vorliegend fehlt es jedoch bereits an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das aktuell seit etwa zwei Jahren und zwei
Monaten beim Sozialgericht Berlin anhängige Verfahren überlang sein könnte.
Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Vielmehr regelt §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie
das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Diese Umstände sind darüber hinaus in einen allgemeinen Wertungsrahmen
einzuordnen (vgl. dazu BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL -, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.). Denn schon aus
der Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit wird deutlich, dass es auf
eine gewisse Schwere der Belastung ankommt. Ferner sind das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art.
97 Abs.
1 GG) sowie das Ziel, inhaltlich richtige Entscheidungen zu erhalten, zu berücksichtigen. Schließlich muss ein Rechtsuchender
damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, sodass
ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist. Insgesamt reicht daher zur Annahme der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht
jede Abweichung vom Optimum aus, vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen.
Dass mit einem Verfahren, in dem um eine sanktionsbedingte Kürzung des Arbeitslosengeldes II in Höhe von insgesamt 109,20
€ sowie die Rechtmäßigkeit einer Meldeaufforderung zu einem bereits bei Klageerhebung in der Vergangenheit liegenden Termin
geht, bei gut zweijähriger Dauer die äußerste Grenze des Angemessenen - und zwar auch für einen Leistungsbezieher nach dem
SGB II - deutlich überschritten sein könnte, liegt fern. Im Gegenteil hat der Senat keine Zweifel, dass es sich im Rahmen des dem
Vorsitzenden der 77. Kammer wie jedem Richter - u.a. bei der Beurteilung, in welcher Reihenfolge er entscheidungsreife Sachen
für die Sitzung ansetzt - zustehenden Gestaltungsspielraums hält, das vorliegende Verfahren noch nicht terminiert und zum
Abschluss gebracht zu haben. Denn zwar wäre es im Rahmen einer optimalen Verfahrensführung, auf die nach obigen Ausführungen
jedoch gerade kein Anspruch besteht, sicher wünschenswert, dass Verfahren, in denen keine weitergehenden Ermittlungen erforderlich
sind, zügiger zum Abschluss gebracht werden. Indes ist auch zu beachten, dass gerade der Antragsteller, der vor dem Sozialgericht
Berlin sowie dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten verfolgt, nicht nur durch die
Anzahl seiner Verfahren, sondern auch durch sein Prozessverhalten ganz erheblich zur Belastung der Gerichte beiträgt. Es ist
daher gerade auch ihm zuzumuten, in Verfahren, denen - wie im vorliegenden Fall - keine besondere Bedeutung zukommt, im Interesse
anderer Rechtsschutzsuchender möglicherweise einmal länger zuzuwarten.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).