Abhängige Beschäftigung (hier bejaht); Familienhilfe; Tätigkeit für freien Träger; kein Unterschied zu festangestellten Mitarbeitern;
rechtliche Rahmenbedingungen; Einbettung der Tätigkeit in vorgegebenes Hilfekonzept
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 1) aufgrund seiner Tätigkeit für die Klägerin als Familienhelfer in
der Zeit vom 1. Februar 2008 bis 28. Februar 2010 versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung
sowie der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung war.
Die Klägerin bestand im streitigen Zeitraum als gemeinnütziger Verein und firmiert seit dem Jahre 2013 als gemeinnützige GmbH.
Das Wirken der Klägerin umfasst die Erbringung ambulanter sozialpädagogischer Erziehungshilfen nach §§ 29, 30, 31 und 35 Sozialgesetzbuch / Achtes Buch (SGB VIII). Mit dem Land Berlin schloss die Klägerin im Januar 2006 hierüber einen Trägervertrag nach § 78b SGB VIII, der Regelungen über das Leistungsangebot der Klägerin, die Qualitätsentwicklung und das Entgelt enthält. Der Trägervertrag
basiert auf dem Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRV Jug)
nach § 78f SGB VIII vom 15. Dezember 2006. Die Anforderungen an die Tätigkeit der Klägerin sind zudem konkretisiert in der "Allgemeinen Leistungsbeschreibung
für ambulante sozialpädagogische Erziehungshilfen nach §§ 29, 30, 31 und 35 SGB VIII" (Beschluss Nr. 2/2005 der Vertragskommission Jugend vom 3. Februar 2005, Berliner Amtsblatt 2005, S. 985; dort u.a. Vorgabe
der Quote 80 % festangestellte / 20 % nicht festangestellte Fachkräfte).
Der Trägervertrag sieht "einen hohen prozentualen Anteil von festangestellten Fachkräften" vor. Für ihre Arbeit bedient die
Klägerin sich sowohl festangestellter Mitarbeiter als auch sogenannter "freier Mitarbeiter"
Der Beigeladene zu 1) ist Diplom-Soziologe.
Am 30. Januar 2008 (Laufzeit 1. Februar 2008 bis 30. Juni 2008),1. Juli 2008 (Laufzeit 1. Juli 2008 bis 31. Oktober 2008),
31. Oktober 2008 (Laufzeit 1. November 2008 bis 31. Januar 2009), 28. Januar 2009 (Laufzeit 1. Februar 2009 bis 31. Dezember
2009) und 28. Dezember 2009 (Laufzeit 1. Januar 2010 bis 28. Februar 2010) schlossen der Beigeladene zu 1) und die Klägerin
jeweils einen "Vertrag über freie Mitarbeit". Die Verträge vom 1. Juli 2008, 31. Oktober 2008, 28. Januar 2009 und 28. Dezember
2009 stimmen wörtlich überein. Sie haben - soweit hier von Interesse - den folgenden Wortlaut:
§ 1 Freie Mitarbeit
1. Der freie Mitarbeiter wird für den Verein S e.V. auf dem Gebiet der ambulanten Hilfen zur Erziehung als Honorarkraft tätig
sein.
2. Der freie Mitarbeiter wird innerhalb eines Monats nach Abschluss des Vertrages bzw. nach Arbeitsaufnahme die Überprüfung
seines sozialversicherungsrechtlichen Status bei der Rentenversicherung einleiten und dies gegenüber S e.V. nachweisen. Sollte
dies nicht rechtzeitig erfolgen, wird S e.V. diese Überprüfung einleiten.
3. Der freie Mitarbeiter ist in der Bestimmung des Dienstortes sowie der Dienstzeit frei.
4. Die Räumlichkeiten des Vereins können nach Absprache genutzt werden.
5. Die im Hilfeplan festgelegten Wochenstunden/Monats- bzw. Halbjahreskontingente personenbezogener Tätigkeit sind die Obergrenze
für eine mögliche Vergütung. Nicht erbrachtet Leistungen können nicht in Rechnung gestellt werden.
§ 2 Vergütung
1. Der freie Mitarbeiter erhält für die vereinbarte Tätigkeit ein Stundenhonorar von (Brutto) 19,60 Euro (Verträge vom 30.
Januar 2008, 1. Juli 2008, 31. Oktober 2008), bzw. 20,60 Euro (Verträge vom 28. Januar 2009 und vom 28. Dezember 2009). Die
erbrachten Leistungen sind bis spätestens zum jeweils durch Aushang bekannt gegebenen Tag am Monatsende abzurechnen.
2. Das Honorar wird nach Erhalt des Stundennachweises für den vorangegangenen Monat gezahlt.
3. Der freie Mitarbeiter führt Steuern und ggf. Sozialabgaben selbst ab.
4. Ansprüche auf bezahlten Urlaub und Vergütungsvorauszahlung bestehen nicht.
5. Mit der Stundenvergütung sind alle Aufwendungen des freien Mitarbeiters abgegolten.
§ 3 Dienstverhinderung
1. Fällt der freie Mitarbeiter wegen Krankheit, Urlaub oder sonstigen Verhinderungsgründen aus, erhält er keine Vergütung.
2. Der freie Mitarbeiter ist in diesem Fall selbst für die Absage bzw. Verschiebung von Terminen verantwortlich und sorgt
gegebenenfalls auch in Ansprache mit dem Auftraggeber für Vertretung.
§ 4 Vertragsdauer
1. Die Vertragsdauer ist an die aktuellen Hilfepläne gebunden und gilt vom (...) bis (...).
2. (...)
3. Eine ordentliche Kündigung ist unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende des Kalendermonats möglich.
4. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bleibt hiervon unberührt.
§ 5 Schriftform
Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.
§ 6 Schweigepflicht
(...)
§ 7 Gerichtsstand
(...)
§ 8 Haftung bei Unfall
(...)
§ 9 Verfallsklausel
(...)
§ 10 Wettbewerbsabrede
Der freie Mitarbeiter ist berechtigt, auch für andere Auftraggeber tätig zu werden, soweit hierdurch die Erbringung der vertraglich
geschuldeten Leistungen sowie die Belange des Auftraggebers nicht nachhaltig betroffen sind.
§ 11 Polizeiliches Führungszeugnis
(...)
§ 12 Schlussbestimmungen
(...)
Abweichend davon lautete § 1 des ersten zwischen dem Beigeladenen zu 1) und der Klägerin geschlossenen Vertrages vom 30. Januar
2008 wie folgt (wesentliche inhaltliche Abweichungen hier hervorgehoben):
§ 1 Freie Mitarbeit
1. Der freie Mitarbeiter wird für den Verein S e.V. auf dem Gebiet der ambulanten Hilfen für Kinder, Jugendliche und Familien
als freier Mitarbeiter tätig sein.
2. Der freie Mitarbeiter wird innerhalb eines Monats nach Abschluss des Vertrages bzw. nach Arbeitsaufnahme die Überprüfung
seines Status bei der BfA einleiten und dies gegenüber S e.V. nachweisen. Sollte dies nicht rechtzeitig erfolgen, wird S e.V.
diese Überprüfung einleiten.
3. Der freie Mitarbeiter ist in der Bestimmung seines Arbeitsortes und seiner Arbeitszeit frei. Die Teilnahme an den regelmäßig
stattfindenden Träger Teamsitzungen ist verpflichtend.
4. Die Räumlichkeiten des Vereins können nach Absprache genutzt werden. Der freie Mitarbeiter verpflichtet sich, die im Hilfeplan
festgelegten Wochenstunden tätig zu sein.
5. Der freie Mitarbeiter verpflichtet sich, am Programm der Qualitätssicherung teilzunehmen. Weiterhin verpflichtet er sich,
sich auf dem Gebiet seiner freien Mitarbeit weiterzubilden und sich über aktuelle Veränderungen auf diesem Gebiet auf dem
laufenden zu halten.
6. Der freie Mitarbeiter verpflichtet sich, nach dem Konzept, der Satzung und der Geschäftsordnung von S e.V. zu arbeiten.
7. Der freie Mitarbeiter verpflichtet sich, mindestens 2 Stunden monatlich an Supervision teilzunehmen.
Auf dieser Grundlage arbeitete der Beigeladene zu 1) für die Klägerin als Familienhelfer nach § 31 SGB VIII (sozialpädagogische Familienhilfe) in folgendem Umfange (wegen der Einzelheiten wird auf die von der Klägerin mit Schriftsatz
vom 17. November 2014 übersandten Unterlagen, Anlagen BB 1 bis BB 7, Bezug genommen):
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Februar bis Dezember 2008
|
Januar bis Dezember 2009
|
Januar und Februar 2010
|
Abgerechnete Stundenzahl Im Gesamtzeitraum
(darin enthalten "Qualitätssicherung")
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1.220,55
|
604
|
17
|
Durchschnittliche Stundenzahl Monatlich
(darin enthalten "Qualitätssicherung")
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111
|
50
|
8,5
|
Abgerechnete Stundenzahl für "Qualitätssicherung" im Gesamtzeitraum
|
207
|
119
|
0
|
Durchschnittliche monatliche Stundenzahl für "Qualitätssicherung"
|
19
|
10
|
0
|
Jährliches Gesamthonorar
(darin enthalten Honorar für "Qualitätssicherung")
|
23.922,78 Euro
|
12.330,90 Euro
|
350,20 Euro
|
Auf "Qualitätssicherung" entfallendes Honorar
|
4.057,20 Euro
|
2.439,90 Euro
|
0
|
Insgesamt entfielen so 17,7 Prozent der Arbeitszeit bzw. des Honorars des Beigeladenen zu 1) auf "Leistungen zur Qualitätssicherung".
Hierunter fielen auf Grundlage der vom Beigeladenen zu 1) erstellten "Gesamtstundenblätter" am Beispiel des Oktober 2009
eine Teamsitzung am 21. Oktober,
|
2,5 Stunden;
|
Supervision am 19. Oktober,
|
1,5 Stunden;
|
"Großteam, Mitarbeiterversammlungen"
(Vereinsfest am 2. Oktober),
|
6 Stunden;
|
Recherchen, Literatur, 16. Oktober,
|
1 Stunde;
|
kollegiale Fallberatung (J 7.10. und U 9.10.),
|
2 Stunden;
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monatliche Abrechnung, 30.10.,
|
1 Stunde,
|
Summe
|
14,0 Stunden.
|
Zum Einsatz des Beigeladenen zu 1) als Familienhelfer kam es, wenn ein bezirkliches Jugendamt auf Antrag eines Erziehungsberechtigten
Leistungen nach den §§ 27, 31 SGB VIII (Hilfe zur Erziehung, Sozialpädagogische Familienhilfe) bewilligt hatte. Die Bewilligung umfasste die Übernahme der Kosten
für den Einsatz eines Familienhelfers für bestimmte Zeiträume im Umfang eines Gesamtkontingents an Stunden. In den Bewilligungsbescheiden
wurde die Klägerin als beauftragte Leistungserbringerin genannt und darauf hingewiesen, dass mit ihr vom Jugendamt direkt
abgerechnet werde. Das Jugendamt beauftragte die Klägerin in solchen Fällen mit der Leistungserbringung. Die Ausgestaltung
der zu erbringenden Hilfe hatte sich nach dem Hilfeplan zu richten, der zuvor von einem dem Jugendamt angehörenden Sozialarbeiter
abgefasst wurde; die Hilfeplanung erfolgte dabei unter Beteiligung der Erziehungsberechtigten, des Beigeladenen zu 1) als
(künftigem) Familienhelfer und des bezirklichen Sozialarbeiters. Der Einsatz des Beigeladenen zu 1) als Familienhelfer erfolgte
teilweise im Team mit einer anderen Familienhelferin der Klägerin ("Co-Team"). Wegen des Inhalts der einzelnen Hilfepläne
wird auf die Gerichtsakten (Anlage BB 5) Bezug genommen.
Am 29.März 2008 stellte der Beigeladene zu 1) bei der Beklagten einen "Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen
Status". Er gab an, für die Klägerin als Familienhelfer tätig zu sein, daneben aber auch über mehrere andere Auftraggeber
zu verfügen, darunter eine Fachhochschule, für die er im Studiengang Soziale Arbeit Lehraufträge erfülle. Feste Arbeitszeiten
habe er bis auf die bei der Klägerin stattfindenden Teambesprechungen (vier Stunden im Monat) nicht einzuhalten. Weisungen
würden ihm weder von der Klägerin noch vom Jugendamt erteilt, er müsse aber die Richtlinien der Klägerin für Fälle der Kinder-
und Jugendhilfe beachten. Grundlage seiner Tätigkeit sei der vom Jugendamt erstellte Hilfeplan, der die Ziele der Hilfe beschreibe.
Er unterliege bei seiner Arbeit einer Berichtspflicht gegenüber dem Jugendamt. Supervision nehme er unabhängig von der Klägerin
in freier Wahl wahr. Bei der Klägerin seien auch fest angestellte Mitarbeiter in der Familienhilfe tätig; diese würden aber
auch zu anderen Tätigkeiten verpflichtet und seien hierbei "ggf. in die betriebliche Hierarchie und die Arbeitsabläufe eng
eingebunden". Von der Agentur für Arbeit habe er bis zum 30. April 2006 Überbrückungsgeld zur Förderung der Aufnahme einer
selbständigen Tätigkeit erhalten.
Nach Anhörung der Klägerin und des Beigeladenen zu 1) stellte die Beklagte mit Bescheiden vom 20. Juni 2008 fest, dass die
Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als Familienhelfer bei der Klägerin seit dem 1. Februar 2008 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses
ausgeübt werde. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) unterscheide sich nicht von derjenigen bei der Klägerin fest angestellter
Familienhelfer.
Hiergegen erhoben die Klägerin und der Beigeladene zu 1) Widerspruch. Der Beigeladene zu 1) trug dazu vor, frei zu sein in
der Annahme von Aufträgen. Als anerkannter Familientherapeut könne er - anders als die bei der Klägerin fest angestellten
Familienhelfer - auch nicht für Wegbegleitungen oder praktische Alltagshilfen herangezogen werden. Seine Teilnahme an Teamsitzungen
habe "primär informellen Charakter". Auch der zuständige Sozialarbeiter des Jugendamtes übe ihm gegenüber kein Weisungsrecht
aus. Der Klägerin gegenüber müsse er die Teilnahme an Supervision nachweisen, unterliege insoweit aber keinen weiteren Vorgaben.
Die Klägerin führte an, entsprechend den Vorgaben des Landes Berlin bei der Erbringung ambulanter Erziehungshilfen zu 80 Prozent
fest angestellte Mitarbeiter zu beschäftigen und zu 20 Prozent freie Mitarbeiter wie den Beigeladenen zu 1). Dieses System
dürfe nicht abrupt durch die Beklagte verändert werden. Noch im Jahre 2007 habe die Beklagte mehrere für die Klägerin tätige
Familienhelfer als selbständig eingeschätzt. Unabhängig davon obliege die konkrete Ausgestaltung einer Familienhilfe allein
der Fachkraft des freien Trägers, die dabei keinen Weisungen des Jugendamtes oder des Trägers unterliege. Die Teilnahme an
Fortbildungen sei dem Beigeladenen zu 1) nicht vorgeschrieben worden. Supervision und kollegiale Beratung mit anderen Familienhelfern
seien bewährte Instrumente der Qualitätssicherung. Auch hierzu sei der Beigeladene zu 1) nicht gezwungen worden; er hätte
bei Nichtwahrnehmung dieser Methoden lediglich nichts dergleichen abrechnen dürfen. Festangestellte hätten ein geregelteres
Einkommen und kein Risiko bei Krankheit; gleichzeitig hätte der Beigeladene zu 1) auch Aufträge ablehnen dürfen. Die Teilnahme
an Team- und Supervisionssitzungen sei bei Festangestellten auch verbindlicher geregelt, weil hier disziplinarische Konsequenzen
vorbehalten seien.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 23. Januar 2009 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Die Gesamtverantwortung der sozialpädagogischen
Familienhilfe liege bei dem öffentlichen Träger. Die Fallverantwortung verbleibe in jedem Fall bei dem zuständigen Sachbearbeiter
des Jugendamtes, der nach § 36 Abs. 2 SGB VIII auch den Hilfeplan zu erstellen habe. Die Berichtspflicht des Familienhelfers spreche entscheidend gegen eine "freie" Tätigkeit.
Weitere Indizien sprächen für eine Einbindung des Beigeladenen zu 1) in den Betrieb der Klägerin. Ein Unternehmerrisiko fehle
ganz.
Hiergegen hat die Klägerin am 2. März 2009 Klage erhoben und vertiefend dazu vorgetragen, warum der Beigeladene zu 1) ihres
Erachtens in seiner Tätigkeit als Selbständiger anzusehen sei. Das Modell von 80 Prozent fest Angestellten und 20 Prozent
freien Mitarbeitern sei langjährig vom Land Berlin vorgegeben worden.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2010 hat die Beklagte ihren Bescheid "dahingehend abgeändert", dass der Beigeladene zu 1) in der
seit dem 1. Februar 2008 ausgeübten Beschäftigung als Familienhelfer bei der Klägerin der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung, in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung
unterliege.
Mit Gerichtsbescheid vom 13. April 2012 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass
der Beigeladene zu 1) im Rahmen seiner Tätigkeit als Familienhelfer in der Zeit vom 1. Februar 2008 bis März 2010 nicht der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht
der Arbeitsförderung unterlag. Die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit überwögen. Gegen eine abhängige Beschäftigung
sprächen der Inhalt der abgeschlossenen Verträge sowie das Fehlen fachlicher Weisungen.
Gegen den ihr am 20. April 2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Beklagten vom 18. Mai 2012. Zur
Begründung hat sie im Wesentlichen angeführt: Den Anforderungen an eine rechtmäßige Gesamtabwägung aller relevanten Umstände
werde die erstinstanzliche Entscheidung nicht gerecht. Es seien keine Umstände von Gewicht erkennbar, die die Tätigkeit des
Beigeladenen zu 1) von einem fest bei der Klägerin angestellten Familienhelfer unterschieden. Für eine Einbindung des Beigeladenen
zu 1) in die Betriebsorganisation spreche seine Teilnahme an den Teamsitzungen, die ihm in dem Vertrag vom 30. Januar 2008
sogar verbindlich vorgegeben gewesen sei. Wenn die Klägerin sich gegenüber dem Beigeladenen zu 1) für nicht weisungsbefugt
halte, verletzte sie ihre Pflichten aus dem Vertragsverhältnis zum Land Berlin. Schließlich habe für den Beigeladenen zu 1)
kein Unternehmerrisiko vorgelegen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Soweit der Beigeladene zu 1) an Teamsitzungen teilgenommen habe,
sei dies auf freiwilliger Basis erfolgt. Ebenso wenig habe es Verpflichtungen in Bezug auf Supervision und Qualitätssicherung
gegeben. Er habe auch keinerlei typische Arbeitnehmerleistungen wie Urlaubsabgeltung oder Zuschüsse zur freiwilligen Krankenversicherung
erhalten.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Der Beigeladene zu 1) hat gegenüber dem Senat seine "Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit" in den Jahren 2008 bis 2010 unter
Einberechnung seiner Einkünfte aus der Tätigkeit für die Klägerin wie folgt beziffert (wegen der Einzelheiten wird auf Bl.
191 a bis c der Gerichtsakte Bezug genommen):
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Gesamteinkünfte
|
2008
|
32.207,46 Euro
|
2009
|
27.434,28 Euro
|
2010
|
31.491,11 Euro
|
Außerdem hat der Beigeladene zu 1) erklärt, seit Jahren - auch schon 2008 - mit einem monatlichen Entgelt von 600 bis 800
Euro bei einem Verein abhängig beschäftigt zu sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte zum Aktenzeichen
S 86 KR 1763/08 bzw. L 1 KR 218/11 (Parallelverfahren der Klägerin) verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und überwiegend begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin der Klage vollständig
stattgegeben. Zur Überzeugung des Senats war der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin als Familienhelfer
im Zeitraum 1. Februar 2008 bis 28. Februar 2010 abhängig beschäftigt und damit (grundsätzlich) versicherungspflichtig in
allen Zweigen der Sozialversicherung (unten 1.); indessen unterlag der Beigeladene zu 1) im Zeitraum 1. Januar 2010 bis 28.
Februar 2010 als hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger nach §
5 Abs.
5 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (
SGB V) nicht der Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung, sondern nur zur Renten- und Arbeitslosenversicherung
(unten 2.); die Klage hat daher nur in dem (geringen) tenorierten Umfange Erfolg.
1.a) Versicherungs- bzw. beitragspflichtig in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind nach §
5 Abs.
1 Nr.
1 SGB V, §
20 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 Sozialgesetzbuch/Elftes Buch (
SGB XI), §
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch/Sechstes Buch (
SGB VI) und §
25 Abs.
1 Sozialgesetzbuch/Drittes Buch (
SGB III) - jeweils in den seinerzeit geltenden Fassungen - u.a. Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung
beschäftigt sind. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist §
7 Abs.
1 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (
SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine
Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine
Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem
fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort
und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit
vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit
über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig
beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der
Arbeitsleistung, welches sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind
die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben.
Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich
Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie
es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine
im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung
auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose -
Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition
nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung
auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag
geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte
Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (st. Rspr., vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16f.).
b) Hieran gemessen übte der Beigeladene zu 1) seine Tätigkeit als Familienhelfer im Rahmen einer Sozialversicherungspflicht
begründenden Beschäftigung im Sinne von §
7 Abs.
1 SGB IV aus, was grundsätzlich zur Versicherungspflicht in allen Sparten der Sozialversicherung führt.
aa) Aus den im SGB VIII getroffenen gesetzlichen Regelungen über die Familienhilfe lässt sich nichts für die rechtliche Qualifizierung der Tätigkeit
eines Familienhelfers ableiten. Den Regelungen des SGB VIII, insbesondere § 79 Abs. 1 SGB VIII, aber auch § 31 und § 36 SGB VIII sowie § 8a SGB VIII, kann kein für eine Beschäftigung sprechendes, eine persönliche Abhängigkeit i.S. von §
7 Abs.
1 SGB IV begründendes Weisungsrecht der Klägerin gegenüber dem Beigeladenen zu 1) entnommen werden. Entscheidend ist insoweit, dass
das SGB VIII schon von seinem Regelungsansatz her keine Aussagen über den arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status von Familienhelfern
treffen will und trifft, sondern allein die - dann im Einzelnen näher ausgestaltete - staatliche Verantwortung für die Aufgaben
der Jugendhilfe im Verhältnis zu den Leistungsberechtigten im Blick hat (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 2012,
B 12 KR 24/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18 bis 21; Urteil des Senats vom 9. Juli 2014, L 9 KR 455/12 ZVW, zitiert nach juris, dort Rdnr. 36 [Familienhelferin im Dienste des Jugendamtes]).
bb) Aufschluss über das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses gibt - jedenfalls für die Zeit vom 1. Februar 2008 bis
zum 30. Juni 2008 - dagegen schon das als Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung fungierende Vertragsverhältnis der Beteiligten.
Zwar sollte auch der für diesen Zeitraum geltende Vertrag über eine "freie Mitarbeit" abgeschlossen sein; hierin liegt jedoch
eine rechtlich nicht bindende Falschbezeichnung, denn maßgebliche Passagen in § 1 des Vertrages belegen eine Einbindung des
Beigeladenen zu 1) in den Betrieb der Klägerin und seine Weisungsabhängigkeit. So wird etwa seine Teilnahme an den regelmäßig
stattfindenden Teamsitzungen und an dem Programm der Qualitätssicherung als verpflichtend bezeichnet, es wird eine Bindung
an die im Hilfeplan festgelegten Wochenstunden sowie an Konzept, Satzung und Geschäftsordnung der Klägerin erklärt und der
Mitarbeiter wird der Verpflichtung unterworfen, mindestens zwei Stunden monatlich an Supervisionen teilzunehmen. Es besteht
zugleich kein Anhaltspunkt, dass die Vertragspartner diese Regelungen nicht auch so "gelebt" haben. Nicht einmal Klägerin
und Beigeladener zu 1) behaupten dies. Im Gegenteil ist etwa belegt, dass der Beigeladene zu 1) im Jahre 2008 monatlich im
Durchschnitt 19 Stunden für seine Teilnahme am von der Klägerin praktizierten Programm der Qualitätssicherung abrechnete.
Dieses Programm umfasste u.a. Teamsitzungen, Supervision, Mitarbeiterversammlungen und kollegiale Fallberatung. Der Senat
sieht in der Teilnahme des Beigeladenen zu 1) an diesem Programm eine besonders enge Einbindung in die Betriebsabläufe der
Klägerin, die alles andere darstellt als eine "freie Mitarbeit". Schon in seinem Antrag auf Statusfeststellung vom 29. März
2008 hatte der Beigeladene zu 1) erklärt, den "Richtlinien" der Klägerin unterworfen zu sein. Zudem stand er offensichtlich
in engem kollegialen Austausch mit den sonstigen Mitarbeitern der Klägerin, sei es in Teambesprechungen, sei es im Rahmen
"kollegialer Fallberatung". Eine derartige Bindung an Vorgaben der Klägerin und eine solche Rückkoppelung mit Kolleginnen
und Kollegen belegen eine abhängige Beschäftigung im oben definierten Sinne.
cc) Mit dem 1. Juli 2008 und der Umformulierung von § 1 der jeweils abgeschlossenen Verträge hat sich hieran nichts Wesentliches
geändert. Der Senat ist insoweit davon überzeugt, dass auf dem Papier der unzutreffende Eindruck erweckt werden sollte, es
habe sich an den vertraglichen Verpflichtungen des Beigeladenen zu 1) etwas Maßgebliches (im Sinne des Bestehens einer freien
Mitarbeiterschaft) geändert. Anlass hierfür hatten Klägerin und Beigeladener zu 1) insoweit, als die Beklagte kurz zuvor mit
Bescheiden vom 20. Juni 2008 zu erkennen gegeben hatte, die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) als abhängiges Beschäftigungsverhältnis
zu bewerten. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass sich an den tatsächlichen Umständen der Tätigkeit des
Beigeladenen zu 1) nach dem 1. Juli 2008 nichts Messbares verändert hatte, kann der Senat die Umformulierung von § 1 des Vertrages
nur als Versuch werten, diesen zu "entschärfen". Sofern zentrale Regelungen eines Vertrages aber nicht ernsthaft, sondern
nur zum Schein vereinbart wurden, lassen diese Regelungen keinen weiteren Rückschluss zu; für die rechtliche Bewertung Ausschlag
gebend können vor diesem Hintergrund nur die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitsleistung sein (vgl. Urteil des Senats vom
9. Juli 2014, L 9 KR 512/12, zitiert nach juris, dort Rdnr. 71 bis 77).
dd) Einen relevanten Unterschied in der Tätigkeit der bei der Klägerin im fraglichen Zeitraum festangestellten Mitarbeiter
und der so genannten freien Mitarbeiter vermag der Senat nicht zu erkennen. Die von der Klägerin gewählte Personalstruktur
mit 80 Prozent festangestellten und 20 Prozent "freien" Mitarbeitern beruht auf Vorgaben des Landes Berlin im Beschluss der
Vertragskommission Jugend vom 3. Februar 2005. Diese Quote ist willkürlich und hat freie Träger - wie der vorliegende Fall
zeigt - buchstäblich aufs Glatteis geführt, denn sie wird den sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhängen nicht gerecht.
Dass die festangestellten und die sogenannten freien Mitarbeiter im Wesentlichen denselben Bindungen unterlagen, belegen Bekundungen
einer Kollegin des Beigeladenen zu 1), die bei der Klägerin zunächst als "freie Mitarbeiterin" und im Anschluss festangestellt
tätig war (Parallelverfahren L 1 KR 218/11, mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2013): "Der Unterschied zwischen der Tätigkeit als freie Mitarbeiterin und der heutigen
Tätigkeit als festangestellte Beschäftigte der Klägerin liegt meines Erachtens darin, dass ich jetzt fest eingebunden bin.
Ich muss an Teambesprechungen und an Supervisionssitzungen teilnehmen. Als freie Mitarbeiterin war es erwünscht, dass ich
an derartigen Teambesprechungen oder Supervisionssitzungen teilnehme, aber es war nicht verpflichtend. (...) Der Hauptunterschied
zwischen meiner Tätigkeit als freie Mitarbeiterin des Klägers und meiner Tätigkeit als Beschäftigte des Klägers liegt darin,
dass ich als freie Mitarbeiterin einen Auftrag ablehnen konnte."
ee) Weiter kann der Senat zwar unterstellen, dass der Beigeladene zu 1) in der konkreten Durchführung der Familienhilfe insoweit
frei von Weisungen war, als er seine Aufgaben gegenüber den jeweiligen Hilfeempfängern selbstbestimmt und eigenverantwortlich
wahrnahm; hieraus mag der Beigeladene zu 1) auch sein Selbstverständnis als "Selbständiger" ziehen. Diese Freiheit ist aber
typisch für Dienste höherer Art; zugleich bestand sie nicht unumschränkt: Denn "frei" war der Beigeladene zu 1) auch insoweit
nicht, als er sich dem verbindlichen Hilfeplan unterzuordnen und zu seinem Erfolg beizutragen hatte. Die Planung des Hilfeangebots
und die prozessbegleitende Beratung der Familienhelfer lag in den Händen des Sozialpädagogischen Dienstes des Jugendamtes,
von dessen Mitarbeitern die Familienhelfer die notwendigen Informationen zu dem Einsatz in der Familie erhielten und mit denen
sie zusammen zu arbeiten hatten (Nrn. 3 und 4 der Ausführungsvorschriften des Senats von Berlin zur Sozialpädagogischen Familienhilfe
[§ 31 SGB VIII, AV-SPFH] vom 16. August 1994; vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 9. Juli 2014, L 9 KR 455/12 ZVW, zitiert nach juris, dort Rdnr. 43 f. [Familienhelferin im Dienste des Jugendamtes]).Die jeweils aus der Feder des Sozialpädagogischen
Dienstes stammenden familienbezogenen Hilfepläne enthielten Angaben zur familiären Konstellation, zu bisherigen Hilfen, eine
aktuelle Problembeschreibung, die Formulierung von Richtungs- bzw. Handlungszielen der Beteiligten sowie eine Vorgabe von
Handlungsschritten (z.B. "regelmäßige Teilnahme der Eltern an den Elterngesprächen zusammen mit den Helfern", "unmittelbares
Aufgreifen von temporären Themen [z.B. Probleme mit Vermietern]" oder "beständiges Thematisieren von Dauerproblemen wie z.B.
Fehlzeiten in Schule und TG in Elterngesprächen"). Damit unterlag der Beigeladene zu 1) ineinem Maße inhaltlichen Bindungen,
das seine Tätigkeit stark von anderen helfenden Tätigkeiten zum Beispiel therapeutischer Art unterscheidet, die typischer
Weise in freier Selbständigkeit verrichtet werden, wie etwa die Tätigkeit eines Psychotherapeuten.
Ein Weiteres tritt hinzu: Über den mit dem Land Berlin abgeschlossenen Trägervertrag und die jeweils durch Bescheid erfolgende
Beauftragung mit familienbezogener Leistungserbringung nach §§ 27, 31 SGB VIII unterlag die Klägerin engen Bindungen und Verpflichtungen gegenüber dem Land Berlin. Zur Erfüllung ihrer daraus erwachsenden
Verpflichtungen bediente sie sich des Beigeladenen zu 1), der damit nach außen gleichsam als Vertreter der Klägerin fungierte
und etwa die Hilfepläne auch als "Leistungserbringer" unterschrieb. Dieser Konstellation wohnt eine enge Eingliederung des
Beigeladenen zu 1) in den Betrieb der Klägerin inne, weil der Beigeladene zu 1) unmittelbar für die Klägerin handelte und
deren Verpflichtungen erfüllte; der Senat hält es für undenkbar, einen "freien", keinen Bindungen unterliegenden Mitarbeiter
derart in die Rolle eines Leistungserbringers zu integrieren.
ff) Ein ins Gewicht fallendes unternehmerisches Risiko bestand für den Beigeladenen zu 1) bei alledem nicht. Maßgebliches
Kriterium ist insoweit, ob eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft mit dem Risiko auch eines Verlustes "aufs Spiel
gesetzt" wird, der Erfolg des Einsatzes von sächlichen oder persönlichen Mitteln also ungewiss ist (st. Rspr., vgl. nur Bundessozialgericht,
Urteil vom 18. November 1980, 12 RK 76/79, zitiert nach juris, dort Rdnr. 22). Der Beigeladene zu 1) setzte weder eigenes Kapital ein, noch floss ihm durch seine Tätigkeit
ein Unternehmergewinn zu. Nach allem bisher Gesagten war er für die Klägerin vielmehr wie ein typisch abhängig Beschäftigter
tätig; der letztlich vom Land Berlin veranlasste Versuch, ihn wie einen selbständig tätigen freien Mitarbeiter zu "deklarieren",
läuft leer (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall der Umgehung des Sozialversicherungsrechts durch das Land Berlin die Urteile
des Senats vom 9. Juli 2014, L 9 KR 513/12 und L 9 KR 455/12 ZVW).
2. Unter dem Aspekt der hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigkeit ergibt sich für die Versicherungspflicht des Beigeladenen
zu 1) in den Sparten der Sozialversicherung anderes nur für den Zeitraum 1. Januar bis 28. Februar 2010.
Nach §
5 Abs.
5 SGB V i.V.m. §
1 Abs.
2 Satz 1
SGB XI ist nicht versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung, wer hauptberuflich
selbständig erwerbstätig ist. Damit soll vermieden werden, dass ein nicht versicherungspflichtiger Selbstständiger durch Aufnahme
einer niedrig vergüteten, aber versicherungspflichtigen "Nebenbeschäftigung" den umfassenden Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung
erhält, obwohl er weder zu dem des Solidarschutzes bedürftigen Personenkreis gehört, noch nach seinem Arbeitseinkommen bzw.
seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu den Lasten der Solidargemeinschaft beiträgt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil
vom 27. Juni 2012, B 12 KR 18/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17). Eine hauptberufliche Selbständigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn die selbständige
Tätigkeit von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrem zeitlichen Aufwand her die versicherungspflichtigen Beschäftigung
deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. November
1995, 4 RK 2/94, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).
Hieran gemessen war der Beigeladene zu 1) im Zeitraum 1. Februar 2008 bis 31. Dezember 2009 nicht hauptberuflich selbständig
erwerbstätig, weil der Mittelpunkt seiner Erwerbstätigkeit in abhängigen Beschäftigungen bestand. Der Senat legt insoweit
zugrunde, dass der Kläger im Jahre 2008 600,- bis 800,- Euro monatlich mit seiner abhängigen Beschäftigung für einen anderweitigen
Verein verdiente, mithin insgesamt etwa 8.400,- Euro (12 x 700,-, Euro), und zumindest 23.922,78 Euro in seiner als abhängige
Beschäftigung zu wertenden Tätigkeit für die Klägerin, was zusammen 32.322,78 Euro aus abhängiger Beschäftigung ergibt. Seine
Gesamteinkünfte lagen demgegenüber bei etwa 40.607,46 Euro (32.207,46 Euro aus vom Beigeladenen zu 1) angenommener selbständiger
Tätigkeit und ca. 8.400 Euro aus seiner abhängigen Beschäftigung für einen anderweitigen Verein. Insgesamt hat der Beigeladene
zu 1) im Jahre 2008 damit rund vier Fünftel seiner Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung erlöst, womit eine hauptberufliche
selbständige Erwerbstätigkeit evident ausscheidet. Für das Jahr 2009 gilt dies in etwas abgeschwächter Form genau so: Hier
ergeben sich Gesamteinkünfte von etwa 35.834,- Euro und solche aus abhängiger Beschäftigung in Höhe von zusammen etwa 22.979,-
Euro, womit hier etwa 65 Prozent der Einkünfte abhängigen Beschäftigungen zuzurechnen sind.
Anders liegt es für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 28. Februar 2010, in der die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für
die Klägerin offensichtlich ausschlich: Hier erlöste der Beigeladene zu 1) etwa 1.750 Euro aus seinen abhängigen Beschäftigungen
(1.400 Euro aus seiner Beschäftigung bei dem anderweitigen Verein und 350,20 Euro aus seiner Beschäftigung bei der Klägerin),
wohingegen er nach seinen Angaben 7.679,90 Euro mit selbständiger Tätigkeit (ohne die Tätigkeit für die Klägerin) umsetzte,
so dass nur knapp 23 Prozent seiner Einkünfte auf abhängige Beschäftigungen entfielen und die Selbständigkeit dem Arbeitsleben
des Beigeladenen zu 1) das Gepräge gab. Danach unterlag der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin in den
Monaten Januar und Februar 2010 trotz seiner abhängigen Beschäftigung nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung
und in der sozialen Pflegeversicherung.