Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss; Benennung von Patientenvertretern
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2013 ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Soziagerichtsgesetz (
SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat das Begehren der Antragstellerin, die Wirksamkeit des Widerrufs ihrer
Benennung als (ständige) themenbezogene Vertreterin für die Gruppe der Diabetiker im Unterausschuss Arzneimittel des Gemeinsamen
Bundesausschusses (GBA) bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens aufzuheben, rechtsfehlerfrei zurückgewiesen.
1.) Der von der Antragstellerin ausdrücklich gestellte Antrag kann jedenfalls schon deswegen keinen Erfolg haben, weil die
Antragsgegnerinnen eine Benennung der Antragstellerin als (ständige) themenbezogene Vertreterin nicht widerrufen haben, worauf
schon des Sozialgericht zu Recht hingewiesen hat. Dies würde voraussetzen, dass die Antragstellerin von den Antragsgegnerinnen
unbefristet bzw. als ständige themenbezogene Vertreterin im Unterausschuss Arzneimittel benannt worden ist. Nach den von den
Antragsgegnerinnen vorgelegten Unterlagen haben diese die Antragstellerin jedoch nicht unbefristet oder als ständige Vertreterin,
sondern nur sitzungs- und tagesordnungsbezogen benannt (vgl. Benennung zu den Sitzungen des Unterausschusses Arzneimittel
des GBA vom 17. Januar 2012, 19. März 2012 und 08. Januar 2013). Deshalb enthält das von der Antragstellerin zum Beleg der
Beeinträchtigung ihrer Stellung als themenbezogene Vertreterin der Diabetiker vorgelegte Schreiben keinen Widerruf einer ihr
zuvor eingeräumten geschützten Rechtsposition, sondern lediglich die Ankündigung, sie in Zukunft nicht mehr (sitzungs- und
tagesordnungsbezogen) als Patientenvertreterin zu benennen. Ob das Vorgehen der Antragsgegnerinnen, die Antragstellerin nur
sitzungs- und tagesordnungsbezogen als Patientenvertreterin zu benennen, rechtlich zu beanstanden ist oder sich als rechtsfehlerfrei
erweist, ist im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht zu untersuchen, weil der Antragstellerin dafür ein eiliges
Regelungsbedürfnis und damit ein Anordnungsgrund i.S.d. §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG fehlt: Die Klärung dieser Frage ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
Ein Ausnahmefall, der die Vorwegnahme der Hauptsache gestattet, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg
(vgl. zuletzt den Beschluss vom 25. Oktober 2013, L 7 KA 77/13 B ER) immer nur dann vor, wenn der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch völlig unzweifelhaft besteht (Fallkonstellation
1) oder die Interessenlage zu Gunsten eines Antragstellers so eindeutig ist, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache geboten
erscheint (Fallkonstellation 2). Die Fallkonstellation 1 ist nur dann gegeben, wenn sich der vom Antragsteller zur Begründung
seines Begehrens geltend gemachte Anordnungsanspruch sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht ohne aufwändige
Prüfung feststellen lässt. Dies setzt auf der Tatsachenebene voraus, dass sämtliche tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs
zwischen den Beteiligten unstreitig sind oder sich aus dem Vortrag der Beteiligten oder den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners
ohne weiteres feststellen lassen, so dass an ihrem Vorliegen kein vernünftiger Zweifel bestehen kann. In rechtlicher Hinsicht
ist zu verlangen, dass die entscheidungserheblichen Rechtsfragen geklärt sind oder die Einwände des Antragsgegners nach der
bisherigen Rechtsprechung so wenig Substanz haben, dass sie ohne weiteres widerlegt werden können. Die Fallkonstellation 2
ist nur dann gegeben, wenn die Interessenlage jede andere Entscheidung als die zugunsten des Antragstellers als sachwidrig
und damit willkürlich erscheinen ließe. Denn nur bei Vorliegen so gearteter Fallkonstellationen erscheint eine Berufung auf
ein Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache als bloße Förmelei und würde den verfahrensrechtlichen Wirkungen der Art.
19 Abs.
4 und Art.
3 Grundgesetz widersprechen. Diese rechtlichen Voraussetzungen sind hier ganz offensichtlich nicht erfüllt: Die streitigen Rechtsfragen
sind völlig ungeklärt. Insbesondere stützen §§ 5 Abs. 4 und 7 Satz 3 der Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses der
Patientenvertretung und § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung des GBA die Rechtsauffassung der Antragsgegnerinnen, Patientenvertreter
auch befristet, für den Beratungszeitraum eines Themas bzw. themenbezogen zu benennen und eine Benennung in der Zukunft auszuschließen.
Eine sachwidrige und willkürliche Entscheidung erscheint vor diesem Hintergrund ausgeschlossen.
2.) Von alledem abgesehen könnte die Antragstellerin ihr Begehren darauf beschränken, die Antragsgegnerinnen im Wege einstweiliger
Anordnung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, sie auch weiterhin als themenbezogene Vertreterin der
Diabetiker im Unterausschuss Arzneimittel des GBA sitzungs- und tagesordnungsbezogen zu benennen; hierfür könnte sie angesichts
der Absicht der Antragsgegnerinnen, sie in Zukunft nicht mehr zu benennen, auch ein eiliges Regelungsbedürfnis geltend machen.
Gleichwohl wäre dieser im Begehren der Antragstellerin enthaltene Antrag jedenfalls unbegründet, weil es insoweit an einem
Anordnungsanspruch i.S.d. §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG fehlt. Denn ein Rechtsanspruch der Antragstellerin, auch weiterhin als themenbezogene Vertreterin der Diabetiker im Unterausschuss
Arzneimittel des GBA sitzungs- und tagesordnungsbezogen benannt zu werden, besteht nicht.
Nach §
140f Abs.
2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) erhalten im Gemeinsamen Bundesausschuss nach §
91 die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter
Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen ein Mitberatungsrecht; die Organisationen benennen hierzu sachkundige
Personen. Das Mitberatungsrecht beinhaltet auch das Recht zur Anwesenheit bei der Beschlussfassung. Die Zahl der sachkundigen
Personen soll höchstens der Zahl der von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen entsandten Mitglieder in diesem Gremium
entsprechen. Die sachkundigen Personen werden einvernehmlich von den in der Verordnung nach § 140g genannten oder nach der
Verordnung anerkannten Organisationen benannt. Bei Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 56 Abs. 1, § 92 Abs.
1 Satz 2, § 116b Abs. 4, § 136 Abs. 2 Satz 2, §§ 137, 137a, 137b, 137c und 137f erhalten die Organisationen das Recht, Anträge
zu stellen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat über Anträge der Organisationen nach Satz 5 in der nächsten Sitzung des jeweiligen
Gremiums zu beraten. Wenn über einen Antrag nicht entschieden werden kann, soll in der Sitzung das Verfahren hinsichtlich
der weiteren Beratung und Entscheidung festgelegt werden. Nach § 4 der Verordnung zur Beteiligung von Patientinnen und Patienten
in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Patientenbeteiligungsverordnung) benennen die in § 2 Abs. 1 genannten und die nach
§
3 anerkannten Organisationen zur Wahrnehmung der in §
140f Abs.
2 und
3 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch genannten Mitberatungsrechte einvernehmlich zu spezifischen Themen sachkundige Personen, von denen mindestens die Hälfte
selbst Betroffene sein sollen. Dabei ist das Einvernehmen kenntlich zu machen. Die sachkundigen Personen haben ein Mitberatungsrecht,
aber kein Stimmrecht. Gemäß § 7 Abs. 1 und 2 der Geschäftsordnung des GBA sind die Patientenvertreterinnen oder Patientenvertreter
von den nach der Patientenbeteiligungsverordnung anerkannten Organisationen einvernehmlich und schriftlich gegenüber der Geschäftsstelle
zu benennen. Bei ihrer Benennung ist anzugeben, zu welchen Sitzungen und ggf. zu welchen zur Beratung stehenden spezifischen
Themen die Patientenvertreterin oder der Patientenvertreter benannt wird. Ihre Anzahl darf je spezifischem Thema der jeweiligen
Gremiensitzung nicht höher sein als die Zahl der vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestellten Mitglieder im Gremium,
für das benannt wird. Patientenvertreterinnen oder Patientenvertreter bleiben zur Mitberatung der spezifischen Themen, für
die sie benannt wurden, berechtigt, bis sie eine Verzichtserklärung gegenüber der Geschäftsstelle abgegeben haben oder eine
andere Vertretung an ihrer Stelle ordnungsgemäß benannt wird. Die Rechte der Patientenvertreterinnen oder Patientenvertreter
sind nicht übertragbar. Schließlich enthält die Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses der Patientenvertretung weitere
Vorschriften über die Rechtsstellung der Patientenvertreter.
Keiner dieser Vorschriften lassen sich subjektive öffentliche Rechte einzelner Personen entnehmen, von den in der Patientenbeteiligungsverordnung
genannten Organisationen ihre Benennung zu Sitzungen des Plenums des GBA oder seiner Unterausschüsse verlangen zu können.
Die genannten Vorschriften weisen vielmehr nicht bestimmten beteiligungsfähigen Personen, sondern den im Gesetz, der Verordnung
und den sonstigen Vorschriften genannten Organisationen subjektive Rechte zu (vgl. dazu das Urteil des 7. Senats des LSG Berlin-Brandenburg
vom 27. Februar 2013, L 7 KA 108/11 KL, zitiert nach juris); eine (beschränkte) Ausnahme davon enthält nur das hier nicht betroffene Recht bereits benannter
Patientenvertreterinnen oder Patientenvertreter zur weiteren Mitberatung der spezifischen Themen, für die sie benannt wurden.
Die zur Benennung der Patientenvertreter berechtigten Organisationen dürften im Rahmen der genannten gesetzlichen Bestimmungen
ihr Besetzungsrecht einvernehmlich, aber im Übrigen grundsätzlich frei, also auch nach politischen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten
ausüben können, um ihre eingeschränkten Beteiligungsrechte (sie besitzen kein Stimmrecht) effektiv gemeinsam geltend machen
zu können. Eine Grenze dürfte ihre Entscheidungsbefugnis allein im grundgesetzlichen Willkürverbot aus Art.
3 GG finden. Es spricht jedoch unter Beachtung der dargelegten Benennungsgrundsätze vieles dafür, dass das Willkürverbot nicht
verletzt wird, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Benennungsberechtigten von der weiteren Benennung eines Patientenvertreters
absehen wollen, weil mit diesem ein gemeinsames Auftreten aller Patientenvertreter in den Ausschüssen des GBA wegen des Bestehens
tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten nicht möglich erscheint. Dies bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung
durch den Senat, weil nach der oben dargestellten gesetzlichen Konzeption der Beteiligungsrechte der Patienten ein entsprechendes
Rügerecht nicht dem einzelnen Patientenvertreter, sondern - neben den gesetzlich benannten Organisationen - nur der Organisation
zustehen könnte, die zur Benennung gemäß §§ 4 und 13 Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses der Patientenvertretung
für die Diabetiker als entsendeberechtigt akkreditiert worden ist und die betroffene Patientenvertreterin entsandt hat. Denn
gemäß §
140f Abs.
1 und
2 SGB V steht die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter
Menschen den dafür auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen zu; deren Rechte dürfen ihre Vertreter nicht im eigenen Namen
geltend machen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) sowie aus §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat hat der Wertfestsetzung den mutmaßlichen Streitwert des Hauptsacheverfahrens (5.000 €) zu Grunde gelegt, weil
die Antragstellerin mit ihrem Antrag eine weitgehende Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat, die auch Gegenstand des Beschwerdeverfahrens
geworden ist.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).