Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung in Höhe von 3.023,29 Euro für die Monate September 2015 bis April
2016.
Die Klägerin ist als Rechtsanwältin hauptberuflich selbständig; diese Tätigkeit nahm sie am 1. Dezember 2013 auf. Seit diesem
Zeitpunkt ist sie bei den Beklagten freiwillig krankenversichert sowie pflegeversichert. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2013
teilten die Beklagten ihr mit, dass ihre Beiträge vorläufig auf der Grundlage der Mindestbemessungsgrenze festgesetzt würden
und ab 1. Dezember 2013 347,66 Euro (Krankenversicherung: 301,17 Euro; Pflegeversicherung: 46,49 Euro) monatlich betrügen.
Diese vorläufige Festsetzung gelte bis zur Einreichung des Einkommenssteuerbescheides 2013.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2015 setzten die Beklagten die Beiträge der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 2015 infolge geänderter
Beitragssätze auf insgesamt 363,59 Euro (Krankenversicherung: 297,68 Euro; Pflegeversicherung: 55,28 Euro; zzgl. Zusatzbeitrag)
monatlich fest.
Im Mai 2015 legte die Klägerin den Beklagten den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2013 vor, der am 28. April 2015 ergangen
war. Mit Bescheid vom 13. Mai 2015 setzten die Beklagten die Beiträge der Klägerin für die Zeit ab 1. Dezember 2013 auf dieser
Grundlage auf insgesamt 363,59 Euro (Krankenversicherung: 297,68 Euro; Pflegeversicherung: 55,28 Euro; zzgl. Zusatzbeitrag)
monatlich fest ("Da Sie mir den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2013 eingereicht haben, gelten die Beiträge ab dem 01.12.2013
endgültig festgesetzt. Senden Sie mir bitte Ihren neuen Einkommenssteuerbescheid nach Erhalt zu. [ ] Beachten Sie bitte, dass
es zu Nachberechnungen kommen kann, wenn Sie die Unterlagen zu spät einreichen.").
Der Einkommenssteuerbescheid der Klägerin für das Jahr 2014 erging am 6. August 2015 und wies mit Einkünften aus selbständiger
Arbeit in Höhe von 48.911 Euro ein deutlich höheres Einkommen aus als der Einkommenssteuerbescheid des Jahres 2013.
Am 19. August 2015 nahm die Klägerin zu den Beklagten telefonischen Kontakt auf; nach einem im Verwaltungsvorgang der Beklagten
enthaltenen Telefonvermerk vom selben Tage fragte sie an, was passiere, wenn sie ihren Steuerbescheid einreiche. In dem Vermerk
heißt es wörtlich: "Sie wird jetzt beide STB (gemeint: 2013 und 2014) einreichen und auf unsere Antwort warten."
Ein Fax-Übertragungsprotokoll vom 19. August 2015 belegt, dass die Klägerin ein-schließlich Anschreiben an diesem Tag drei
Seiten an die Beklagten übersandt hat. Die Klägerin erklärt hierzu, es habe sich um das Anschreiben und die jeweils erste
Seite der Steuerbescheide 2013 und 2014 gehandelt. Die Beklagten erklären, ein solches Fax sei bei ihnen nicht eingegangen.
Aufgrund geänderter Beitragssätze setzten die Beklagten die Beiträge der Klägerin für die Zeit ab Februar 2016 durch Bescheid
vom 6. Januar 2016 auf insgesamt 376,93 Euro (Krankenversicherung einschließlich Zusatzbeitrag: 320,28 Euro; Pflegeversicherung:
56,65 Euro) monatlich fest.
Am 4. April 2016 baten die Beklagten die Klägerin schriftlich, den aktuellen Steuer-bescheid einzureichen, um die Beitragseinstufung
zu überprüfen. Am 2. Mai 2016 übersandte die Klägerin ihren Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2014 per Fax mit der Bemerkung
"zurück per Fax mit Anlagen, mit freundlichen Grüßen". Die Beklagten führen an, den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr
2014 damit erstmalig erhalten zu haben.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2016 setzten die Beklagten den Beitrag der Klägerin neu fest. Weil der Einkommenssteuerbescheid 2014
im August 2015 ausgestellt worden sei, müsse die Neufestsetzung ab 1. September 2015 erfolgen. Für die Zeit vom 1. September
2015 bis zum 31. Dezember 2015 setzten die Beklagten den Beitrag auf insgesamt 696,98 Euro (Krankenversicherung einschließlich
Zusatzbeitrag: 591,01 Euro; Pflegeversicherung: 105,97 Euro) monatlich fest. Für die Zeit ab 1. Januar 2016 setzten sie ihn
auf insgesamt 705,13 Euro (Krankenversicherung ein-schließlich Zusatzbeitrag: 599,16 Euro; Pflegeversicherung: 105,97 Euro)
monatlich fest. Die zu leistende Nachzahlung für die Zeit vom 1. September 2015 bis zum 30. April 2016 betrage 3.023,29 Euro.
Zur Begründung ihres gegen die Beitragsnachforderung i.H.v. 3.023,29 Euro erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin an, der
Beitrag freiwillig versicherter Selb-ständiger dürfe nicht rückwirkend geändert werden, wenn das Einkommen höher als erwartet
gewesen sei (Hinweis auf B 12 KR 14/05 R). Der Nachweis geänderter Ein-nahmen dürfe nur zukunftsbezogen berücksichtigt werden. Der Einkommenssteuer-bescheid 2014
habe den Beklagten bereits im August 2015 vorgelegen.
Mit Schreiben vom 2. Juni 2016 wiesen die Beklagten die Klägerin auf die Regelung in § 7 Abs. 7 der Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler hin; der Einkommenssteuerbescheid 2014 sei erst am 2. Mai 2016 eingereicht worden.
Hierauf teilte die Klägerin mit, der Einkommenssteuerbescheid für 2014 sei bereits mit Telefax vom 19. August 2015 eingereicht
worden, gemeinsam mit dem Einkommenssteuerbescheid für 2013. Daher bestehe Vertrauensschutz. Zum Beleg reichte die Klägerin
das "Übertragungsprotokoll" vom 19. August 2015 zu den Akten.
Mit Bescheid vom 16. August 2016 wiesen die Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Gemäß § 7 Abs. 7 der Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler sei der neue Einkommenssteuerbescheid für die Beitragsbemessung des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen.
Der Einkommenssteuerbescheid 2014 sei erst am 2. Mai 2016 bei den Beklagten eingegangen. Das Übertragungsprotokoll vom 19.
August 2015 belege nichts anderes. Danach seien drei Seiten an eine Nummer, die nicht der Sachbearbeiterin zuzuordnen sei,
abgesandt worden. Unabhängig davon seien neben dem Anschreiben nur zwei weitere Seiten gefaxt worden; dabei könne es sich
nicht um die vollständigen Steuerbescheide zweier Jahre ge-handelt haben.
Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin angeführt, sie bleibe dabei, den Einkommenssteuerbescheid 2014
bereits am 19. August 2015 an die Beklagten übersandt zu haben; übersandt worden sei jeweils Seite 1 der Steuerbescheide für
2013 und 2014. Das Schreiben vom 19. August 2015 sei zweifellos in den Machtbereich der Beklagten gelangt. Eine verspätete
Übersendung falle ihr da-her nicht zu Last, so dass eine rückwirkende Erhöhung der Beiträge rechtswidrig sei. Auch der Bescheid
vom 6. Januar 2016 habe Vertrauen in das bestehende Beitragsniveau begründet.
Das Sozialgericht Cottbus hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 22. November 2018 abgewiesen. Die Beitragsnachforderung
sei rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Übersendung des Einkommenssteuerbescheides für 2014 bereits am 19. August 2015 sei
nicht hinreichend belegt. Es sei unklar, welche beiden Seiten neben dem Anschreiben gefaxt worden seien.
Hiergegen hat die Klägerin am 21. Dezember 2018 Berufung eingelegt. Zur Begründung vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs-
und aus dem Klageverfahren. Der Versand dreier Seiten per Fax am 19. August 2015 sei belegt; die jeweils erste Seite der Steuerbescheide
2013 und 2014 sei für die Beklagten hinreichend gewesen. § 7 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler komme kein Gesetzesrang
zu, so dass allein auf dieser Grundlage keine rückwirkende Beitragsfestsetzung er-folgen dürfe.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 22. November 2018 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.
Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2016 aufzuheben, soweit darin eine Beitragsnachforderung
in Höhe von 3.023,29 Euro für die Monate September 2015 bis April 2016 erhoben wird.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Mit Beschluss vom 28. Oktober 2019 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern entscheidet.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs
der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
war.
Entscheidungsgründe:
Der Senat hat über die Berufung gemäß §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die
Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 28. Oktober 2019 die Berufung dem Berichterstatter
zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hat.
Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil die
Prozessordnung dies im Falle eines entsprechenden Hinweises in der Ladung vorsieht (§
110 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der angefochtene
Beitragsbescheid ist, soweit er angefochten ist, aus verwaltungsverfahrensrechtlichen Gründen rechtswidrig und verletzt die
Klägerin in ihren Rechten.
1. Beitragsrechtlich steht außer Frage, dass die Beklagten grundsätzlich befugt waren, die Beiträge der Klägerin für die Zeit
ab 1. September 2015 neu festzusetzen, da sich die Einkommensverhältnisse der Klägerin verändert hatten und sich die Beiträge
an dem nunmehr höheren, dem Einkommenssteuerbescheid des Jahres 2014 zu entnehmenden Einkommen zu orientieren hatten. Das
beruht auf §
240 Abs.
1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) in Verbindung mit §
7 Abs.
7 Satz 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, wo es heißt: "Der neue Einkommenssteuerbescheid ist für die Beitragsbemessung
ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen."
2. Unproblematisch ist ferner, dass die Beklagten die neu berechneten Beiträge für die Zeit ab 1. Mai 2016 fordern, also mit
Wirkung für die Zukunft. Das greift die Klägerin zu Recht auch nicht weiter an. Die bis dahin wirksame Beitragsfestsetzung
wurde mit dem angefochtenen Bescheid konkludent aufgehoben und geändert, was auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beruht. Danach ist der Verwaltungsakt (hier: die bisherige Beitragsfestsetzung) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben,
soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen
haben (hier: in der Einkommenssituation), eine wesentliche Änderung eintritt. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist als gebundene Norm formuliert und zwingt die Beklagten dazu, für die Zukunft Beitragsanpassungen vorzunehmen, sofern
die Einkommenssituation sich maßgeblich ändert.
3. Die Erhebung einer Nachforderung für den Zeitraum 1. September 2015 bis 30. April 2016 ist zur Überzeugung des Senats gleichwohl
rechtswidrig. Für diese Monate liegen die bindenden Beitragsbescheide vom 13. Mai 2015 und 6. Januar 2016 vor. Diese endgültigen
und nicht nur vorläufigen Beitragsbescheide hätten zu-nächst aufgehoben werden müssen, bevor der Beitrag für den Zeitraum
September 2015 bis April 2016 mit der Folge einer Verpflichtung zur Nachzahlung neu (und höher) hätte festgesetzt werden dürfen
(vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2006, B 12 KR 14/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 12; Sozialgericht Dresden, Urteil vom 18. Mai 2016, S 18 KR 668/13, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24ff.). An einer solchen Aufhebungsentscheidung fehlt es in dem streitigen Beitragsbescheid
aber schlechthin. Nicht ansatzweise wird deutlich, ob und auf welcher Grundlage die genannten Bescheide für die Vergangenheit
aufgehoben werden sollen. Hierüber bedarf es aber einer ausdrücklichen Entscheidung, weil die Beitragsnacherhebung für die
Vergangenheit gesetzlich nicht zwingend ist und daher auch nicht als konkludent erfolgt angenommen werden darf. Insoweit gilt
§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, der eine Sollvorschrift darstellt, die der Versicherungsträger bewusst zu handhaben hat ("in-tendiertes Ermessen"). Ohne
Aufhebung der vorangegangenen und bindenden Beitragsbescheide verbietet sich aber eine Neufestsetzung von Beiträgen für den
abgelaufenen Zeitraum. Mit anderen Worten: Die Klägerin schuldet die Nachforderung nicht, weil für die Zeit bis 30. April
2016 die Beitragsbescheide vom 13. Mai 2015 und 6. Januar 2016 fortwirkten und von den Beklagten nicht aufgehoben wurden.
4. Unabhängig davon würde eine rückwirkende Aufhebung der genannten Beitrags-bescheide für die Zeit ab 1. September 2015 auch
rechtlichen Bedenken unterliegen: Als Rechtsgrundlage kommt insoweit nur § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X in Betracht, der lautet: "Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden,
soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger
Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist." Das bedeutet für den Fall der Klägerin,
dass eine Aufhebung der vorigen Beitragsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit nur machbar gewesen wäre, wenn ihr nachweisbar
wäre, den Einkommenssteuerbescheid 2014 zumindest grob fahrlässig nicht bereits im August 2015 eingereicht zu haben. Für grobe
Fahrlässigkeit ist indessen nichts ersichtlich. Der Telefonvermerk vom 19. August 2015, 13.48 Uhr, belegt, dass die Klägerin
sich telefonisch nach der Verfahrensweise nach Erhalt eines neuen Einkommenssteuerbescheides erkundigt hat. Das eingereichte
"Übertragungsprotokoll" datiert vom selben Tag, 16.41 Uhr, und belegt zumindest, dass die Klägerin einen Versuch unternommen
hat, der Beklagten ein Telefax zu übermitteln. Alles spricht dafür, dass sie hier Steuerbescheide übermitteln wollte, denn
das war auch Anlass ihres Anrufs kurz zuvor und selbiges ergibt sich aus dem Anschreiben, das auf dem Übertragungsprotokoll
ersichtlich ist. Insgesamt ist daher ein Bemühen erkennbar, den Beitragsbescheid 2014 zu übersenden. Dass die Übermittlung
nicht erfolgreich war, kann der Klägerin höchstens als leichte Fahrlässigkeit zugerechnet werden. Das aber genügt nicht für
eine rückwirkende Beitragskorrektur.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits. Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.